Paul Schreckenbach
Der getreue Kleist
Paul Schreckenbach

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V

»Premierleutnant von Kleist, ich empfehle Ihnen auf Ihrer Feldwacht ganz besondere Vigilance. Sie haben die Ehre, Seine Majestät selbst zu bewachen, denn der König kampiert dort oben hinter dem Wäldchen im Biwak. Der Teufel hole Sie also, wenn was passiert! Die Postenkette wird detachiert bis zu dem Bache da unten und fleißig revidiert! Bei dem geringsten soupcon eines Ausfalles sofort den Fähndrich von Puttkammer an mich gesandt!«

Obrist von Polenz gab diesen Befehl auf einem Vorhügel des Weißen Berges bei Prag. Dahin war das Heer König Friedrichs in Eilmärschen gezogen; denn dem Feldherrn war viel daran gelegen, die feste Hauptstadt Böhmens zur Übergabe zu bringen, ehe ein österreichisches Heer gegen ihn heranzurücken vermochte. Ein Erfolg schien sehr möglich zu sein, da die Armee der Königin noch weit zurück war und keinen rasch entschlossenen Führer an ihrer Spitze hatte. Friedrich hatte wieder einmal seine Feinde überrumpelt, er war losgebrochen, während sie noch rüsteten.

So kam es, daß Ewald von Kleist auf dem blutgetränkten Boden stand, auf dem einst im Dreißigjährigen Kriege die Geschicke Deutschlands entschieden worden waren. Im Westen hinter dem Weißen Berge ging eben die Sonne eines heißen Septembertages zur Ruhe. Ihr letzter, glühendroter Schein lag noch auf der hunderttürmigen Moldaustadt, besonders auf der majestätischen Zinne des Hradschin, während die niedriger gelegenen Stadtteile in einem blauen Dunkel verschwammen und vor den Wällen und Bastionen schon weiße Abendnebel aufstiegen. Der Anblick war so überwältigend, daß der junge Offizier noch eine ganze Weile auf demselben Flecke stehen blieb, nachdem der Obrist weggeritten war, und verzückt hinüberschaute nach der Stadt, die man morgen mit Werken und Laufgräben einschließen wollte.

»Störe ich?« rief da plötzlich hinter ihm eine helle Stimme. Er fuhr herum und sah in geringer Entfernung Gleim in Begleitung des Fähndrichs von Puttkammer herankommen. Mit ein paar Sprüngen den Abhang hinauf, eilte er ihm entgegen.

»Mensch, wo kommen Sie her?« rief er aufs freudigste überrascht.

»Seine Durchlaucht hat mir erlaubt, die Nacht auf Ihrer Feldwache zu verbringen. Sie sind ja heute ein horrent wichtiger Mann, denn Sie bewachen fast das ganze Königshaus. Tausend Schritte von hier in den Baracken liegen Seine Majestät, die Prinzen August Wilhelm und Heinrich und die Prinzen von Schwedt.«

»Na, was mich betrifft, so können sie ruhig schlafen. Ich werde meine Pflicht tun. Von Ihnen aber ist es wunderschön, daß Sie mir helfen wollen, die Augen offen zu halten. Vor der Hand freilich müssen Sie mich noch eine Viertelstunde entbehren, denn ich will die Postenkette selber aufstellen und die Kerls gehörig instruieren. Puttkammer, führen Sie den Herrn Sekretarius dort in die alte Jagdhütte. Das ist nämlich zurzeit mein Hauptquartier, lieber Freund.«

Gleim lachte. »I, wer wird sich an einem so prächtigen Abend in eine enge Hütte einschließen! Ich ziehe es vor, mich hier so lange auf den Baumstumpf zu setzen und zu sehen, wie Sie Ihre Arrangements treffen. Gehen Sie also nur immer hin, ich erwarte Sie.«

Durch verschiedene Zufälle wurde Kleist länger bei den Vorposten aufgehalten, als er vorausgesehen hatte. Den Hügel wieder hinabschreitend, sah er schon überall auf den Höhen die preußischen Wachtfeuer aufflammen. Der Vollmond, den man in dieser Nacht erwartete, war noch hinter den Häuptern der Berge verborgen.

Auch vor seinem Domizil hatten seine Leute ein Feuer angezündet, und als er herzutrat, sah er seinen munteren, lebendigen Freund, wie er eifrig mit dem Löffel in einem Kessel herumrührte, der auf zwei großen Steinen über den Flammen stand.

»Potz Wetter, Gleim, sind Sie denn ein Koch geworden? Was brauen Sie da zusammen?« rief er belustigt.

»O, das lernt man alles als Student!« erwiderte der und schwenkte triumphierend seinen Kochlöffel. »Wie oft habe ich in Halle gekocht und gebraten, besonders wenn der Monat zu Ende ging, und der Wechsel zu Ende war. Kommen Sie mal her, Verehrtester, und kosten Sie diese spartanische Suppe! Ist sie nicht großartig?«

»In der Tat, ausgezeichnet,« sagte Kleist, nachdem er einen Löffel genommen hatte. »Was haben Sie denn da für Ingredienzien hineingetan?«

»Eigentlich sollt' ich's Ihnen nicht verraten. Aber Sie mögen es doch wissen, damit Sie sehen, wie ein wahrer Künstler aus nichts etwas macht. Es ist Kommißbrot und Butter, woraus sich diese Götterspeise zusammensetzt. Mehr haben wir nämlich nicht. Das Geflügel der Umgegend haben, wie's scheint, die Panduren vor unserer Ankunft gründlich in Sicherheit gebracht.«

Angelockt von dem Dufte des Gleimschen Kunstwerkes, kamen nun auch die beiden Fähnriche herbei, die der Feldwache zugeteilt waren. Aber nachdem sie an der Mahlzeit nach Kräften partizipiert hatten, drückten sie sich bald von dannen; denn das Gespräch der beiden Freunde schlug Bahnen ein, die ihnen völlig ungeläufig waren. Welche Idee von ihrem Vorgesetzten, beim Lagerfeuer von Gedichten zu reden, und nicht etwa von Liebesliedern auf schöne Mädchen oder von Soldatenliedern, sondern von der Dichtung eines Engländers Milton, von dem sie beide noch kein Sterbenswörtchen gehört hatten, und der ein unbändig langweiliger Mensch gewesen sein mußte. Er hatte offenbar etwas vom Paradiese gedichtet, und da hofften sie ja nun freilich hinzukommen, wenn eine verwünschte österreichische Kugel etwa ihrem jungen Leben vor der Zeit ein Ziel setzen sollte. Aber vorläufig mochten sie davon nichts reden hören, darüber konnten sich die Pastoren unterhalten. Sobald es daher der Anstand irgend erlaubte, zogen sie sich an ihr eigenes Feuer zurück, stopften sich die Tonpfeifen, spielten Karten und unterhielten sich auf ihre Weise.

»Eine schnurrige Marotte des Herrn von Kleist, diese Inklination zur crapule!« bemerkte von Schwotinski. »Was soll dieser Federfuchser? Kann er sich nicht mit bessern Leuten unterhalten?«

»Wir sind ihm zu dumm!« warf von Musch mit einem mokanten Lächeln hin.

»Weiß der Deiwel, ich glaube, er hat einen Stich!« erwiderte von Schwotinski. »Du gibst!« Er warf ihm die Karten hin und spuckte zornig aus. »Weiß der Deiwel, er gefällt mir gar nicht. Hat oft was an sich von einem Poeten, Stubenhocker und Federfuchser. Sieht oft aus, als hätte er Gift gefressen, so schwermütig und wehleidig. Wenn er nicht so famos reiten und fechten könnte, dann möchte man meinen, er wär' ein altes Weib. Saufen tut er schon gar nicht mehr, und ob er wirklich eine Charmante in Berlin hat – mir ist's zweifelhaft.«

Musch stieß den Gegenübersitzenden mit den Karten ans Bein und blickte ihn bedeutungsvoll an. »Mensch!« flüsterte er, »was wirst du erst sagen, wenn ich dir sage: Kleist macht selber Gedichte!«

Von Schwotinski fuhr ordentlich in die Höhe und fiel beinahe hintenüber. »Na, na,« krähte er, ne, ne! Des jlob' ich nun doch nicht. Weiß der Deiwel, das nich! Das machst du mir nicht weiß. Das macht er nun doch nicht. Ein von Kleist macht keine Versche.«

Musch zog ein gekränktes Gesicht. »Aber ich versichere dich uff Ehre! Sein Freund von Seydlitz hat's doch selber erzählt. Und der Monsieur Gleim, der da drüben bei ihm sitzt, der soll einer von die Oberdichters sein. Und dann haben sie noch einen ganz obersten Dichter, der heißt – ja, wie die Canaille heißt, ist mir entfallen.«

Von Schwotinski blickte ihn starr an. »Dann schnappt er über!« erklärte er mit großer Entschiedenheit. »Wir hatten in unserem Dorfe einen Küster, der machte auch Versche und schnappte auch über. Dem war seine Frau gestorben, das Weibsen hieß Rosalie, aber er nannte sie immer Amoryllis und machte ellenlange Schmierakeleien an sie und schoß sich endlich auf ihrem Grabe tot. Die Pistole war mit Wasser geladen.« Er machte eine Pause und fügte mit dem Tone des Bedauerns hinzu: »Eigentlich schade um den Kleist! So ein strammer Kerl und solche Raupen im Kopfe! Hätt's ihm nicht zugetraut, weiß Gott nicht. Aber nun wirst du sehen, er schnappt über. Wer Versche macht, schnappt jedes Mal über.«

»Na, sei so gut!« versetzte Musch. »Seine Majestät machen selber welche.«

»Ja, französische! Das ist ganz was anders. Die kann einer so hin machen und denkt sich nichts dabei und ist ihm bloß ein Witz. Aber wer deutsche Versche macht, der hat einen Kummer oder eine ungetreue Liebste, oder es ist ihm wer gestorben, und er kann darüber nicht fertig werden, oder er ist sonst wie verrückt. Und deshalb geht es mit solchen Menschen zuletzt fast immer schief! Schade, schade!« Er wiegte sein zwanzigjähriges Fähndrichshaupt weise und mitleidsvoll hin und her.

Was hätte nun aber dieser brave junge Kriegsmann erst gesagt, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, das Gespräch der beiden Freunde zu belauschen! Denn Kleist, den die romantische Situation, die Nähe einer gleichgestimmten Seele und der Glanz des prächtig aufsteigenden Vollmondes begeisterten, ging ganz aus sich heraus und schwärmte Gleim etwas von einem großen Gedicht vor, an das er sich machen wolle, sobald ruhigere Zeiten kämen.

»Ich habe den Plan gefaßt am Tage vor unserem Abmarsch von Potsdam. Ich ging noch einmal in dem herrlichen Parke spazieren, wo der König jetzt sein Lustschloß »Sanssouci« aufführen läßt. Da wurden alte Erinnerungen meiner Kindheit in mir wach, und ich beschloß, alle Schönheit unserer heimischen Natur zu besingen in einem Gedichte, das ich »Landlust« nennen will oder so ähnlich. Denn wo kann der Mensch wahrhaft Mensch sein, wenn nicht in der paradiesischen Einfachheit und Freiheit des Landlebens!«

Gleim drückte ihm die Hand. »Sie haben recht, und Sie sind der Mann dazu. Haben Sie sich schon für ein Versmaß entschieden?«

»Das habe ich, und die Begier, das Gedicht zu schreiben, war so mächtig in mir, daß ich im ersten Quartier schon, ein paar Seiten davon zu Papier gebracht habe.«

»Der Tausend!« rief Gleim. »Sonst heißt es: Inter arma silent Musae – aber Ihre Muse schweigt nicht einmal beim Kriegsgetümmel. Ist Ihnen da der Klang der Trommel nicht fatal? Wünschen Sie da nicht den ganzen Kriegslärm zu allen Teufeln?«

»Nicht im mindesten,« fiel ihm Kleist in die Rede. »Sehen Sie, Freund, der Dienst im Frieden, der Drill, der ist mir scheußlich zuwider, der reibt meine Seele wund, darunter seufz' ich und stöhn' ich. Aber der Krieg – das ist etwas ganz anderes! Das ist erlebte, lebende Poesie! Wenn ich meine Kanone donnern höre, wenn ein Gefecht beginnt, dann kommt eine Spannung, eine Ekstase über mich, ja eine Begeisterung, die nur zu vergleichen ist mit der Begeisterung des Dichters im Augenblicke des Schaffens. Der Dichter und der Krieger sind dadurch einander gleich, daß sie im Moment der Begeisterung der Erde entrückt werden. In solchen Stunden liebe ich meinen Beruf von ganzer Seele und möchte des Königs Rock mit keinem anderen Kleid vertauschen.«

Gleim schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich doch nicht recht. Wissen Sie, es kommt mir manchmal vor, als steckten in Ihnen zwei ganz verschiedene Naturen. Denn Sie haben Eigenschaften in sich vereinigt, die bei andern Menschen einander ganz ausschließen.«

Kleist schlug ihn kräftig auf die Schulter. »Sie haben mich ganz und gar erkannt. Ja, in mir sind zwei Menschen, ein sanfter, scheuer, schwermütiger Mensch, der in der Stille sinnen und dichten möchte, und ein anderer, der aufwacht bei den Signalen der Trompeten, und dem es am wohlsten ist, wo die Säbel klirren.« Wie mit sich selbst redend, setzte er hinzu: »Wird das wohl immer so sein? Wird einer von beiden endlich in mir siegen? Und welcher? – – Es wird wohl davon abhängen, wie das Leben mich weiterhin führt.« –

»Halt! Werda?« klang in diesem Momente der Ruf des Postens, der etwa hundert Schritte rechts seitwärts unter einer großen Eiche stand.

Kleist sprang hurtig auf. »Es ist die Ronde,« sagte er. »Ich muß meine Meldung machen.«

Er schritt eilig auf die Gruppe zu, die im Schatten des Baumes stand und sich dadurch seinen Blicken fast ganz entzog. Erst als er dicht an sie herangekommen war, sah er, daß es drei Offiziere waren, die sämtlich auf der Brust einen Stern trugen. »Generale? Was wollen die? In der Nacht etwa rekognoszieren?« dachte er verwundert. Plötzlich aber durchzuckte es ihn wie ein Schlag. Denn der eine der Herren trat jetzt rasch aus dem Dunkel in das scharfe, helle Licht des Vollmonds, und er erkannte ihn. Es war der König.

Kleist schoß das Blut zum Herzen, und nur mit bebender Stimme vermochte er seine vorschriftsmäßige Meldung hervorzubringen. Er hatte ja schon einmal vor dem Monarchen gestanden, als er mit einer Menge anderer junger Edelleute auf Friedrichs Befehl aus fremdem Kriegsdienst heimgekehrt und in den heimischen Dienst übergetreten war. Damals waren sie in langer Reihe vor dem Potsdamer Schlosse aufgestellt gewesen. Der junge König war ihre Front abgeritten und hatte an jeden, auch an ihn, einige gnädige Worte gerichtet. Da schon hatte die königliche Erscheinung Friedrichs einen tiefen Eindruck auf ihn hervorgebracht, aber seitdem war seine Bewunderung für den König unermeßlich gewachsen. Er schwärmte für ihn und nannte ihn seinen Freunden gegenüber oft schon den Großen, obwohl ihm die Welt diesen Namen noch nicht beilegte. Nun stand er auf einmal ganz unvorbereitet vor seinem Angesicht, und das Auge ruhte auf ihm, das seinesgleichen nicht hatte, dessen Farbe dem strahlenden Saphir und dessen durchdringende Schärfe dem Auge des Adlers ähnlich war.

»Von Kleist?« wiederholte der König, als Ewald geendet hatte. »Ah, Euer Liebden,« wandte er sich rückwärts, »ist das der Offizier, den Sie mir rekommandiert haben? Der Mann mit den sieben Sprachen?«

Der Prinz von Schwedt trat nun auch aus dem Dunkel hervor. »Eurer Majestät zu Befehl, und ich wiederhole meine Rekommandation. Er ist ein Mensch von Vigueur und Esprit.«

Friedrich blickte den Offizier scharf an. »Warum ist er bei seinen admirabeln Connaissancen nicht Diplomatikus geworden?«

»Euer Majestät halten zu Gnaden, mir gefiel der Degen besser als die Feder.«

Der König stieß leicht mit dem Krückstock auf die Erde. »Da hört er's, Winterfeldt, was ich immer sage: Unsere Junkers wollen nicht in die Diplomatie, wollen raufen. Ist er ein Verwandter von Henning und Kaspar bei den Grenadieren?«

»Zu Befehl, Eure Majestät, das sind meine Vettern.«

»Na, da muß ihm ja die Bravour im Blute liegen. Also empfehle er sich mir durch den Degen! Ich werde ein Auge auf ihn haben.« Er nickte ihm leicht zu und ließ noch einmal den Blick prüfend über ihn hingleiten. »Kommen Sie, Messieurs! Die da drüben attackieren uns diese Nacht nicht mehr.«

Er schritt mit seinen Begleitern den Weg wieder zurück, den er gekommen war. Kleist stand, als er schon weit entfernt war, noch immer regungslos und starrte ihm nach wie einer Erscheinung. Da stürzte Gleim auf ihn zu.

»Das war doch der König?« rief er mit gedämpfter Stimme, aber fast keuchend vor Aufregung. »Freund! Glücksmensch! Was hat er zu Ihnen gesprochen?«

Kleist fuhr wie aus einem Traum erwachend auf und erzählte ihm dann alles. Gleim faßte ihn am Rockknopfe und sah ihn vorwurfsvoll an. »Aber bester Kleist,« sagte er, »das war doch eine brillante Gelegenheit, in den diplomatischen Dienst zu kommen! Die haben Sie geradezu ausgeschlagen.«

»Herr Gott, meinen Sie, daß ich mich danach sehne? Unsere Diplomatie ist, wie sie nun einmal ist, ein nichtswürdiges Ränkespiel, mit dem ich nichts zu tun haben möchte.«

»Aber Sie sind doch dort viel sicherer! Solange Sie im Felde stehen, müssen Ihre Freunde beständig für Ihr Leben zittern.«

»Ja, da kann ich nun freilich meinen Freunden leider nicht helfen,« erwiderte Kleist ernst und entschieden. »Dien' ich dem König, so dien' ich ihm nicht in Antichambres und auf Hintertreppen, sondern mit meinem Blut und Leben auf dem Schlachtfelde. Und o, wie gern! Kommen Sie Freund, wir wollen uns niederlegen. Mir ist nicht nach Sprechen zumute. Ich habe Friedrich gesehen und bin ganz voll davon. Aber halt! Da drüben von den Türmen schlägt es zehn. Da ist es Zeit, noch einmal die Posten zu revidieren. Legen Sie sich einstweilen in die Hütte und schlafen Sie, wenn Sie's vermögen.«

Bei seiner Rückkunft fand Kleist den Freund in seinen Mantel gewickelt in der Jagdhütte liegend, und seine tiefen Atemzüge verkündeten ihm, daß er in festen Schlaf gesunken war. Er hüllte sich nun auch in seinen Mantel und legte sich neben ihm nieder, aber er fand keinen Schlaf. Immer stand ihm Friedrichs gebietende Erscheinung vor Augen, und seine Phantasie spann glänzende Fäden. Er träumte davon, wie er einst vielleicht, wenn ihm das Schicksal hold wäre, wieder vor diesem Könige stehen könnte als der Vollbringer irgendeiner Heldentat, und wie dann die großen Augen noch ganz anders auf ihm ruhen würden, leuchtend in Huld und Gnade. So träumend lag er lange. Stunde auf Stunde verrann, er merkte es nicht.

Da horch! Ein dumpfer Kanonenschuß von dem linken Flügel des Feldlagers her. Gleich darauf mehrere Flintenschüsse und ein undeutliches Geschrei.

Er stand im Nu auf den Füßen und rüttelte den Freund wach. »Laufen Sie, eilen Sie zu Ihrem Prinzen! Das ist Alarm! Es ist keine Zeit zu verlieren. Leben Sie wohl! Gott befohlen!«

Gleim taumelte schlaftrunken fort. In wenigen Minuten war das ganze Lager lebendig. Die Mannschaften stürzten an die Gewehre, die Offizierspferde wurden von den Burschen herbeigezerrt. In unglaublich kurzer Zeit stand Kleists Bataillon unter den Waffen.

»Gott straf' mich, ein Überfall!« rief der Major von Rohr und strich sich den grauen Schnurrbart. »Die Kerls wecken uns mit Bomben und Kartaunen. Da wird's bald Arbeit geben, Messieurs!«

Doch der Befehl zum Vorrücken kam nicht. Salven und vereinzelte Kanonenschüsse klangen herüber, aber sie entfernten sich nach der Stadt zu.

»Kreuzmohrenelement!« fluchte der Major. »Die Himmelhunde retirieren nach der Stadt. Einsiedel da drüben wird allein fertig, und wir kommen nicht zur Attacke.«

So wie er empfanden alle Offiziere, am meisten Kleist, der vor Begierde brannte, nun endlich im Feuer sich auszuzeichnen. Der tiefste Mißmut machte sich auf allen Gesichtern bemerkbar.

Da – stärkeres Knattern und Schießen! Der Feind schien sich gesetzt zu haben. Und nun kam auch der Befehl zum Marschieren. Der Morgen graute schon herauf, aber ein so dichter Nebel bedeckte das Gelände, daß kein Mensch weiter als dreißig Ellen weit sehen konnte.

Plötzlich fliegt ein Gerücht durch die Reihen, pflanzt sich weiter von Mund zu Mund, schreckensbleich rufen sich's die Soldaten zu: »Der König ist vom Pferde geschossen!« Alles stockt, einer starrt den andern an. Manchem wanken die Knie.

»Verdammter Blödsinn!« schreit Major von Rohr. »Der König ist fest. Dem hat keine Kugel was an. En avant!«

Ein Adjutant prescht vorüber. »Was ist geschehen? Ist's der König?«

»Nein, der Prinz von Schwedt.«

Ja, wenige hundert Schritte noch vorwärts, da sahen sie ihn liegen. Man hatte ihn hinter die Front zurückgetragen und auf den Rasen gebettet. Das Blut sickerte über die weiße Weste herab und überströmte den Stern des Schwarzen Adlers, den der junge Held auf der Brust trug. Mehrere höhere Offiziere bemühten sich um ihn, und vor ihm lag sein Sekretär auf den Knien, und die dicken Tränen rannen ihm übers Gesicht.

Als Gleim den vorüberreitenden Freund erkannte, hob er beide Arme zum Himmel empor und schluchzte laut auf. Aber Kleist wurde dessen kaum gewahr. Ihm brauste es in den Ohren, und es flirrte ihm vor den Augen. Als er den Sterbenden liegen sah, durchzuckte ihn mit schneidendem Weh der Gedanke, was dieser Tod auch für sein Leben bedeute. Aber er biß die Zähne zusammen, er wollte nicht daran denken; nur eins wollte er: Einhauen in den Feind, den jungen Hohenzollern rächen helfen, dessen edles Blut hier die Erde trank. Zerschmettern, erwürgen wollte er, was er von dieser Tschechen- oder Pandurenbrut vor die Klinge bekäme.

Aber sein Rachedurst blieb ungestillt. Als der Wind daherfegte und den Nebel zerriß, verschwanden die letzten Nachzügler der Feinde drüben hinter den Toren von Prag. Wieder war es ihm nicht vergönnt, ins Feuer zu kommen und Taten zu tun, und aufs tiefste niedergeschlagen kehrte er nach einer Stunde mit seinem Bataillon ins Lager zurück.


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