Paul Schreckenbach
Der getreue Kleist
Paul Schreckenbach

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III

In der Abenddämmerung des übernächsten Tages trat Lessing bei Kleist ein. Er stellte sich vor ihn hin, blickte ihm forschend ins Gesicht und sagte dann: »Erlauben Sie mir eine Frage ohne alle Umschweife, lieber Kleist. Was ist mit Ihnen? Sie sehen aus wie ein Kranker. Als ich Sie heute auf der Straße sah – Sie bemerkten mich gar nicht, denn Sie hielten den Blick auf die Erde geheftet –, da erschrak ich heftig über Ihr Aussehen. Der Tod Ihres alten Oheims kann Sie doch nicht so erschüttert haben. Auf jeden Fall bitte ich Sie als Ihr Freund: Konsultieren Sie einmal den Regimentsarzt.«

Kleist machte eine abwehrende Bewegung. »Den Regimentsarzt? Was soll mir der? Ich bin nicht krank. Wenigstens ist mein Leiden nicht körperlich.«

»Also doch der Gram um den Tod Ihres würdigen Oheims. Ach lieber Freund, bedenken Sie, er war ein Siebziger, und ihm ist nun wohl. Er ruht in Frieden.«

»Jawohl,« erwiderte Kleist. »Glücklich, wer so weit ist! Nein, Lessing, darüber bin ich, so tief mich's schmerzt, hinweg. Aber mich bekümmert das Schicksal jemandes, der noch nicht in Frieden ruht.«

Lessing schüttelte den Kopf. »Sie sprechen in Rätseln, Freund.«

»Ich will sie Ihnen lösen, Sie sollen alles wissen. Es ist gar sonderbar. Erst ganz vor kurzem verlangte Gleim von mir Angaben über meinen Lebenslauf, den er veröffentlichen will. Ich schrieb ihm da unter anderem die Geschichte meiner Liebe, die mich einst sehr gequält hat, schrieb das als etwas Überwundenes, gänzlich Abgetanes, was ich für immer tot wähnte. Und nun ist alles mit einem Male wieder aufgetaucht, und ich werde von neuem in den Wirbel hineingerissen. So hören Sie denn! Ich erzähle Ihnen die jammervolle Geschichte als meinem Freund und brauche Ihnen nicht erst zu sagen, daß sie auf ewig in Ihrer Brust begraben sein muß.« –

»Diese Episode Ihres Lebens war mir bisher ganz unbekannt,« sprach Lessing, als Kleist geendet hatte. »Aber ich gestehe, sie gibt mir erst den Schlüssel zu vielem in Ihrem Wesen. Ich muß es Ihnen sagen: Ich habe oftmals darüber nachgedacht, woher die tiefe Schwermut kommt, die Sie zuweilen niederdrückt, und die sich auch in so vielen Ihrer Gedichte spiegelt. Nun verwundert mich das nicht mehr, denn wer Ihr Herz kennt, der kann ja ahnen, was Sie unter dem allen gelitten haben müssen. Und Donnerwetter!« – er schlug mit der Faust auf den Tisch – »manchmal wird man doch geradezu irre an der göttlichen Weltordnung. Ich kenne eine Menge Schurken, denen es jahraus jahrein gut geht, und keine Plage naht sich ihrer Hütte, und Sie, nicht nur einer der edelsten, sondern schlechthin der edelste Mensch, der mir begegnet ist, Sie haben Ihr Glück durch eine Büberei verloren.«

»Sie sehen mit den Augen der Freundschaft,« entgegnete Kleist. »Deshalb übertreiben sie. Ich bin so edel nicht, wie Sie mich machen. Was aber etwa gut ist an mir, das ist in der harten Schule des Lebens so geworden. Dazu müssen wir Schweres tragen, daß wir besser werden. Gott will uns dadurch für ein höheres Dasein reif machen. Das ist mein fester Glaube. Ich weiß wohl, Lessing, daß Sie über viele Sätze der Religion anders und sehr frei denken, aber diesen Glauben haben wir, so hoffe ich, gemeinsam.« »Ja, mir lief nur einmal die Galle über beim Gedanken an Ihr Ungemach. Ich teile Ihren Glauben vollkommen. Ich sage noch mehr: Wer nicht in seinem Leben das Walten einer ewigen Vernunft und eines guten Willens erkennt, den trennt nur eine dünne Wand vom Irrsinn. Denn wer in Welt und Leben keine Vernunft mehr sieht, der hat die seine schon halb verloren.«

»Übrigens«, fuhr Kleist fort, »bin ich nicht unglücklich. Der Stern der Liebe ist mir untergegangen, aber die Poesie, die Freundschaft, die Begeisterung für meinen König – dies Dreigestirn leuchtet mir noch. Wie könnt' ich da unglücklich sein? Die Schwermut ist mütterliches Erbteil, sie liegt mir im Blute, aber ich kämpfe dagegen an.«

»So haben Sie überwunden?«

»Das trotzdem nicht. Zu tief hatte ich dieses Weib geliebt, als daß ich es je hätte vergessen können. Aber ich hatte mich mit meinem Schicksale abgefunden, ich hatte vollkommen verzichtet. Nun soll ich sie wiedersehen! Ach, Freund, mir graut davor, eben weil ich nie aufgehört habe, sie zu lieben.«

Lessing legte ihm die Hand auf den Arm. »Kleist!« sagte er, »gehen Sie nicht nach Dresden! – Gehen Sie nicht nach Dresden!« wiederholte er nachdrücklich. »Schreiben Sie ein Billet mit allem Lieben und Guten, das muß ja denselben Dienst tun. Was, um des Himmelswillen, wollen Sie eigentlich dort? Sie werden sich furchtbar erregen, Sie werden sich das Herz zerreißen lassen, Sie werden vielleicht gar krank werden. Und wozu das alles? Was können Sie persönlich nützen? Gar nichts. Im Gegenteil. Sie werden der Kranken durch Ihr Erscheinen nur schaden. Denn auch sie scheint ja nicht aufgehört zu haben, Sie zu lieben.«

»Das alles hat mir mein Verstand schon gesagt, aber mein Herz spricht anders,« versetzte Kleist. »Übrigens hat Frau von der Goltz mein Wort.«

»Das ist denn doch wohl eine zu rigorose Auffassung des gegebenen Wortes,« erwiderte Lessing. »Sie haben ihr versprochen, ihrer Tochter zu sagen, daß Sie ihr vergeben haben. Das kann schriftlich ebensogut wie mündlich geschehen. Ach, Kleist, folgen Sie in diesem Falle einmal nicht Ihrem vortrefflichen Herzen, folgen Sie dem unbequemen Mahner, dem Verstande! Es kann bei dieser Reise nichts Gutes für Sie herauskommen. Wenn Ihnen die Schwermut im Blut liegt, wie Sie sagen, so müssen Sie die trübseligen und jämmerlichen Eindrücke nicht suchen, sondern fliehen.«

»Ordonnanz Seiner Hoheit des Prinzen Heinrich!« meldete der Diener, der mit Licht in der Tür erschien.

»Sie soll hereinkommen!«

Ein schnauzbärtiger Husarenunteroffizier trat ins Zimmer und übergab einen versiegelten Brief, in dem Kleist zu seinem Erstaunen ein Handschreiben des Prinzen erkannte.

Er las es durch und sagte: »Es ist gut. Er kann abtreten. Du sorgst dafür, Jacques, daß der Mann Essen und Trinken und ein gutes Nachtlager erhält.« – Dann wandte er sich an Lessing. »Die Antwort auf das, was Sie sagten, erteilt das Schicksal selbst. Seine Hoheit befiehlt mich nach Dresden. Morgen früh reise ich ab, der Prinz kommt morgen abend dort an, und übermorgen vormittag habe ich eine Audienz. Kann es da noch eine Frage sein, was ich zu tun habe?«

Lessing blickte ihn betroffen an. »Das ist allerdings ein seltsamer Zufall,« sagte er. »Fast sieht es aus, als wäre es ein Wink des Schicksals. Es dürfte unnütz sein, Ihnen nun weiter abzureden. Sie scheinen entschlossen.«

»Ja, ich bin fest entschlossen.«

»Dann bleibt mir nur noch der Wunsch übrig, daß der Himmel alles für Sie zum Besten wenden möge! Ich verlasse Sie jetzt, lieber Kleist, denn Sie werden noch mancherlei vorzubereiten haben. Doch halt!« Er nahm ein kleines Buch aus der Rocktasche und legte es auf den Tisch. »Sie äußerten neulich den Gedanken, daß Sie ein Heldengedicht schreiben möchten. Nun habe ich hier einen kleinen Band historischer Miszellen aufgetrieben und darin, wie ich glaube, einen vorzüglichen Stoff dafür gefunden. Es ist die Geschichte von Cissides und Paches, den beiden Mazedoniern, die sich für ihr Vaterland aufopfern. Jetzt sind Sie natürlich nicht in der Gemütsstimmung, das zu lesen und es sich durch den Kopf gehen zu lassen. Aber hoffentlich kommt bald die Stunde, wo Sie sich mit freiem Herzen der Dichtkunst wieder zuwenden. Bis dahin heben Sie es auf.«

Kleist trat auf ihn zu und umarmte ihn. »Lessing, zürnen Sie mir, weil ich in dieser Sache nicht Ihrer Weisheit folge, sondern meinem Herzen?«

»Nein, Ihnen zürne ich nicht. Aber Ihrem Schicksal möchte ich fast zürnen. Leben Sie wohl und kehren Sie nicht allzu unglücklich zurück.« –

Am folgenden Nachmittag kam Kleist in Dresden an und meldete sich bei dem General von Itzenplitz, dem Gouverneur der Stadt.

»Ich weiß schon, daß er zu Seiner Hoheit beordert ist,« sagte der General. »Er soll im Brühlschen Palais, wo auch der Prinz logiert, Quartier erhalten und morgen zehn Uhr vorgelassen werden. Weiß er, was er bei Seiner Hoheit soll?«

»Nein, Exzellenz.«

»Hm. So. Merveilleux, sehr merveilleux. Na, man wird es schon erfahren. Für heute kann er tun und lassen, was er will. Unteroffizier Lüdecke!« schrie er zur Tür hinaus. »Führe er den Herrn Major von Kleist in sein Quartier!« –

In einem der prunkvollen Gemächer, in denen der ungekrönte Herrscher Sachsens früher sein zwischen Intrigue und Schwelgerei geteiltes Leben zu verbringen pflegte, ward Ewald von Kleist einlogiert. An den Wänden hingen wundervolle italienische und französische Gemälde auf seidenen Tapeten, vergoldete Amorettenköpfe blickten von der Decke hernieder, und die kostbarsten persischen Teppiche bedeckten den Fußboden. Aber Kleist hatte kein Auge für den raffinierten Luxus, der ihn umgab. »Kennt er hier eine verwitwete Freifrau von der Goltz?« fragte er den Unteroffizier, der ihn geleitet hatte.

»Nein, Herr Obristwachtmeister.«

»So schaffe er mir jemanden zur Stelle, der in der Stadt bekannt ist.«

»Zu Befehl, Herr Obristwachtmeister. Da ist unten der Kammerlakei Förster, den seine Herrschaft hier gelassen hat. Der ist seit zwanzig Jahren in Dresden und kennt alle Welt.«

»Hol' er mir den Mann!«

Ein paar Minuten später erschien auf der Schwelle ein kleiner zierlicher Greis in Dienertracht mit listig blickenden Äuglein und einem ausgesprochenen Fuchsgesicht, der sich höchst affektiert wieder und wieder verbeugte und mit erstaunlicher Zungenfertigkeit zu reden begann: »Madame von der Goltz? O certainement weiß ich sie wohnen. Die gnädige Frau wohnte früher im Palais Gryszczynski, aber seitdem sie die gnädige Frau von Poeschkowski beerbt hat, wohnt sie in ihrem Hause an der Ecke der Salzgasse nahe bei der Frauenkirche.« »So führ' er mich zu der Dame.«

Der Diener verbeugte sich von neuem, machte aber ein etwas verlegenes Gesicht. »Wenn Euer Gnaden einen untertänigsten Rat annehmen wollten?« sagte er in devoter Haltung.

»Nun?«

»Im Hause der Madame von der Goltz ist eine schwerkranke Tochter. Ich habe gehört, daß der Kaplan vom Schlosse heute früh, noch ehe es hell war, mit den Sterbesakramenten dorthin gerufen worden ist. Die gnädige Frau Tochter der Frau von der Goltz nämlich –«

Er brach ab und verstummte, denn aus den Augen des preußischen Offiziers traf ihn ein Blick, der ihn zusammenfahren ließ.

»Allons! Er führt mich! Auf der Stelle!«

In wenigen Minuten war das Haus erreicht. Kleist warf dem Diener ein Geldstück zu und trat ein. Kein Mensch kam ihm entgegen, tiefe Stille im Vorraume.

»Holla!« rief Kleist. Aber niemand antwortete.

Eine Weile stand er unschlüssig und wartete. Dann stieg er langsam die Treppe empor. Auch auf dem oberen Vorsaale war niemand zu sehen. Nur ein Wachtelhündchen erhob sich aus dem Korbe, in dem es geruht hatte, sah den Eindringling mißtrauisch an und trottete dann einen breiten Korridor entlang bis zu einer Tür, vor der es leise winselnd und kratzend stehen blieb.

Fast mechanisch war Kleist dem Tiere gefolgt. Eine angstvolle Beklemmung, wie er sie noch nie gefühlt, schnürte ihm die Brust zusammen.

Die Tür war nur angelehnt, und es gelang dem kleinen Tierchen, sich in den Spalt zu zwängen. Nun ging der eine der beiden Flügel knarrend weit auf, Kleist blickte in das Gemach und stand, wie vom Blitze getroffen, starr und versteinert da.

Denn da lag auf einem Ruhebette in der Mitte des Zimmers, aufgebahrt zwischen vielen Blumen und Kränzen, eine Tote. Links und rechts von ihr brannten Wachskerzen auf hohen Kandelabern, zu Häupten der Lagerstätte stand ein Kruzifix aus Ebenholz, und schwerer Weihrauchduft erfüllte das Zimmer.

Kleist vermochte kein Glied zu rühren, und sein stierer Blick haftete wie gebannt auf dem schneeweißen Antlitz, das da auf dem schwarzen Sammetkissen lag. Das war seine Wilhelmine! Oder war sie es nicht? Äffte ihn ein entsetzlicher Traum? Konnte die tote Frau mit den eingesunkenen Wangen, den scharfen Zügen dieselbe sein, die er einst als blühendes Mädchen im Arm gehalten hatte? Nichts erinnerte mehr an die Schönheit vergangener Tage als die üppige Flut goldblonder Haare, die noch jetzt im Lichte der Totenkerzen glänzten und flimmerten. Plötzlich war es ihm, als beginne sich alles um ihn her im Kreise zu drehen und als senke sich die Decke des Gemaches auf ihn herab. Er umklammerte den Türpfosten, um nicht zu Boden zu sinken, und aus seiner Brust drang ein dumpfer Laut.

Da erhob sich hinter dem Sarge eine zusammengesunkene Frauengestalt und schwankte ihm zu. »Kleist!« rief sie mit erstickter Stimme. »Zu spät. Heute früh ist sie entschlafen!«

»Mein Gott!« ächzte er. »O mein Gott! Ich konnte ja nicht früher kommen.«

»Sie hat sich so nach Ihnen gesehnt,« stieß die alte Dame schluchzend hervor. Bei jedem Tritt draußen vor der Tür fuhr sie auf und dachte, Sie kämen. Da überfiel sie vorige Nacht ein Blutsturz und –« sie konnte nicht weiterreden und lehnte sich wie Hilfe suchend an ihn. Auch aus seinen Augen schossen die Tränen. Er umfaßte die zitternde Gestalt der alten Dame, und so weinten sie zusammen wie Mutter und Sohn, die ein gemeinsames schweres Leid betroffen hat. –

»Sie hat Ihnen noch etwas hinterlassen,« sagte endlich Frau von der Goltz. »Kommen Sie.« Sie zog ihn nach dem Nebengemach, das offenbar Wilhelmines Zimmer gewesen war, und nahm aus einem Schränkchen ein kleines Paket. »Es enthält ihr Tagebuch der letzten Jahre und eine Haarlocke von ihr. Als ich von Leipzig zurückkam und sie so viel kränker wurde, bestimmte sie es Ihnen. Und dann habe ich Ihnen noch eine Bitte von unserer Entschlafenen auszurichten.«

Sie ließ sich in einem Fauteuil nieder und lud auch ihn zum Sitzen ein. »Sie wissen, es ist ein Kind aus Wilhelmines Ehe vorhanden. Die kleine Wanda ist jetzt sieben Jahre alt. Sie gleicht im Äußeren frappant ihrer Mutter. Ich habe sie in diesen Tagen bei Freunden untergebracht, denn ich habe keine Kraft mich ihrer anzunehmen, auch soll sie die tote Mutter nicht immer vor Augen haben. Dies Kind bleibt mir, das Gericht hat es dem Vater abgesprochen. Nun wollte meine Tochter selbst Sie bitten, als sie sich zuletzt dem Tode nahe fühlte, Sie sollten ihres Töchterchens Vormund werden.«

»Liebe gnädige Frau!« rief Kleist. »Das ist ganz unmöglich, denn ich stehe im Felde. Gott weiß, wo ich in der nächsten Woche sein werde, und ob mich nicht schon bald die Kugel trifft, die allem ein Ende macht. Nein, solch eine Pflicht kann und darf ich jetzt nicht auf mich nehmen. Mein Leben ist nicht mehr mein.«

»Ich habe mir's gedacht,« sagte die alte Dame leise.

»Sie haben Ihren Sohn Franz. Das ist ein tüchtiger Mann. Warum soll er nicht Vormund sein?«

»Ich will das Kind protestantisch erziehen lassen. Es ist aber katholisch getauft. Wohnte ich mit ihm in Preußisch-Polen, so würden es die Priester reklamieren, denn sie sind dort allmächtig. Auch hier fühle ich mich nicht recht sicher.«

»Ich glaube, Sie können hier ganz sicher sein. Meinen Sie aber nicht, so ziehen Sie nach Berlin, Sie haben ja dort so viele Freunde und Bekannte. Kehre ich dereinst nach Berlin oder Potsdam zurück, wenn dieser Krieg ein Ende hat, dann wissen Sie ja, daß ich Ihnen und Ihrer Enkelin jederzeit zur Verfügung stehe, wenn Sie irgendeinen Dienst von mir verlangen. Aber eine Vormundschaft würde ich auch dann noch zurückweisen. Denn Ihre und meine Verwandtschaft weiß, wie ich einst zu Ihrer Tochter gestanden habe. Es würde, wie die Welt nun einmal ist, viel törichtes und ekelhaftes Nachreden entstehen. Und das will ich um der Toten willen nicht.«

Er erhob sich und fuhr fort: »Ich werde deshalb auch dem Begräbnis fern bleiben. Als was sollt' ich auch erscheinen? Ich will nicht, daß man um dieses Grab zischelt und tuschelt und etwa gar ihre Ehre begeifert. Darum will ich jetzt Abschied von ihr nehmen.«

Er bot der alten Dame den Arm und führte sie wieder zurück in das Gemach, wo Wilhelmine lag. Dort stand er lange, in den Anblick der Entschlafenen versunken, während die Mutter an seiner Seite leise weinte. Dann trat er an die Tote heran, beugte sich nieder und küßte sie auf die Stirn. »Lebe wohl, schlaf in Frieden!« murmelte er, drückte ihrer Mutter noch einmal die Hand und verließ mit schnellen Schritten das Gemach.


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