Paul Schreckenbach
Der getreue Kleist
Paul Schreckenbach

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III

»Mein bester Monsieur von Kleist, Sie sind vraiment ein Pechvogel. Heute früh, eine Stunde vor ihrem Eintreffen, ist meine liebe Goltz und unsere belle Wilhelmine abgereist. Die Tante in Dresden ist plötzlich erkrankt und verlangte ihre nièce unverzüglich zu sehen. Gestern gegen Abend kam die Nachricht, und sogleich wurde Extrapost bestellt. Sie wissen, die alte Stiftsdame ist eine Erbtante.«

Die kleine alte Frau von Manteuffel saß, während sie so sprach, in einem Schaukelstuhl ihres Boudoirs und blickte halb neugierig, halb mitleidig auf den jungen Offizier hin, der blaß und wie betäubt ihr gegenüber saß und zunächst auf ihre Worte gar nichts erwiderte.

»Sie tun mir leid,« fuhr sie nach einer Weile fort, »aber mon cher – ich bitte um Pardon, wenn ich's sage, es geht mich ja gar nichts an. Sie hätten sich wohl auch früher einmal sehen lassen können.«

»Muß ich mich exküsieren?« fragte der junge Mann und wies mit einem bitteren Lächeln auf seinen rechten Arm. »Ich denke, das exküsiert mich.«

»Nun, nun, seien Sie nicht gleich piqué. Ich gestehe, Sie haben exorbitantes Malheur und haben sich mit Recht über Ihr Schicksal zu beklagen.«

»Das weiß Gott!« brach es von Kleists Lippen. »Mich verfolgt das Unglück! Seit anderthalb Jahren die erste Gelegenheit, meine Wilhelmine wiederzusehen! Und da gerade trifft mich der Degen eines lächerlichen Fantes, und ich muß im Wundfieber liegen und kann nicht zu ihr. Es ist – es ist unsagbar.«

Frau von Manteuffel betrachtete ihn jetzt mit unverhohlenem Mitleid. »Fahren Sie mit der nächsten Post nach Dresden,« sagte sie freundlich. »Und wenn Sie etwa mit dem da zurzeit nicht gut beschlagen sein sollten« – sie machte die Pantomime des Geldzählens – »so genieren Sie sich nicht. Die alte Manteuffeln hilft einem Offizier des Königs, der noch dazu ihr angeheirateter Vetter ist, gern einmal aus. Sie wären der erste nicht.«

Kleist küßte die Hand der alten Dame und zwang sich zu einem Lächeln, das freilich traurig genug ausfiel. »Ich danke Ihnen für Ihre Güte, meine verehrte gnädige Frau. Aber zu einer Reise nach Dresden gehört nicht nur Geld, womit ich versehen wäre, sondern vor allem Urlaub, und den bekomme ich nicht. Man spricht ja von Krieg, und kein Offizier wird länger als zwei Tage beurlaubt. Nein, ich muß mich mit meinem Unglück abfinden. Nur eins sagen Sie mir noch, ich bitte Sie, ganz ehrlich sagen Sie mir's: Wie nahm Wilhelmine die Nachricht auf, daß sie jetzt fort müsse?«

»Mon Dieu – wie ein verliebtes Mädchen so etwas aufnimmt. Sie wurde ganz blaß und brach in Tränen aus und bat ihre Mutter, bei mir bleiben zu dürfen.«

»Und Frau von der Goltz?«

»Meine liebe Cousine war ja auch sehr betreten, aber von einem Hierbleiben wollte sie nichts wissen. Sie schreibt Ihnen von Dresden aus.«

»Und fügte sich Wilhelmine ohne Widerstand?«

»Eh, eh, was Sie nicht alles fragen! Naturellement weinte sie sehr, sie weinte noch heute früh, als sie in den Wagen stieg.«

Kleist bedeckte die Augen mit der Hand und brütete stumm vor sich hin. Plötzlich fuhr er so jäh empor, daß die alte Dame erschreckt den Kopf einzog.

»Sie sagen, Madame, daß sie erst seit einer Stunde fort sind?«

»Viel länger wird's wohl nicht sein.«

Kleist stand auf. »Dann werde ich sie noch einholen.«

»Aber bester Herr neveu!« rief Frau von Manteuffel. »Mit Ihren Gäulen kommen Sie ihnen certainement nicht nach. Und wollen Sie auf der Landstraße mit meiner lieben Goltz konferieren?«

»Besser auf der Landstraße, als gar nicht! Auch gibt es ja Gasthäuser. Und was die Pferde betrifft – ja, mit diesen Mietskleppern hole ich niemand ein. Aber Adler ist hier, ein Freund, von den Husaren. Der würde mir seinen ›Cäsar‹ leihen, und damit hole ich den lebendigen Gottseibeiuns ein.«

Die alte Dame hob beschwörend die Hände empor. »Sie wollen reiten? Herr des Himmels! Sie sind wohl – Mit dem Arm in der Binde und noch nicht genesen!«

»Tut nichts. Mir ist jetzt alles gleich. Adieu, gnädige Tante. Tausend Dank für Ihre Güte.« Ein abermaliger flüchtiger Handkuß, und ehe sich noch die lebhafte Greisin von ihrem Erstaunen erholt hatte, war er aus dem Zimmer gestürmt. –

Kurze Zeit danach jagten zwei Reiter die große Straße nach Dresden dahin. Der Rittmeister von Adler hatte vergebens versucht, den Freund von seinem Vorhaben abzubringen, das bei seinem Zustande ernste Folgen nach sich ziehen konnte. Aber Kleist war allen Einwendungen gegenüber taub geblieben, und so hatte sich der Rittmeister entschlossen, mit ihm zu reiten.

»Wenn wir so weiter preschen,« rief Adler nach einer Weile, »so halten das die Gäule nicht aus. Lassen Sie uns doch Maß halten! Ein Postgespann holen wir auf diesen Pferden ja ganz gewiß ein. Überdies, wollen Sie gekocht hinkommen?«

»Sie haben recht,« erwiderte Kleist und ließ sein Tier in eine ruhigere Gangart übergehen. »Aber es ist eine Unruhe in mir, die schrecklich ist. Ich kann meine Ungeduld kaum zügeln.«

»So seid ihr verliebten Kerls«, brummte der Rittmeister. »Über nichts freue ich mich mehr, als daß mich die Pfeile des verdammten Amor nicht erreichen können. Ich liebe nur dreierlei in der Welt: meine Freunde, meinen König und meine Pferde.«

»Sie haben vielleicht das bessere Teil erwählt,« gab Kleist halb scherzend, halb seufzend zur Antwort. »Mir wenigstens hat die Liebe bisher wenig Rosen, aber viele Dornen und Herzeleid gebracht.«

»Da steht ein Wagen vor dem Kruge!« rief Adler, als sie in das Dorf Lichtenrade einritten. »Das könnte ja wohl die Kutsche der Damen sein. Wahrscheinlich haben sie hier die Mittagspause gemacht. »Heda, Freund!« rief er den Wirt an, der unter der Tür stand, »wer hat denn in diesem Kasten gesteckt?«

»Zwei Damen, gnädiger Herr,« sagte der Wirt mit einer unbeholfenen Verbeugung. »Sie kommen von Berlin, reisen nach Dresden. Der Kutscher und der Diener frühstücken drin. Die Damen sind auf die Pfarre zu dem Herrn Pastor gegangen.«

»Sie sind es ohne Zweifel,« bemerkte der Rittmeister. »Na, da lassen Sie sich mal von dem kleinen schmierigen Lümmel hier den Weg zum Pfarrhause zeigen und reiten Sie hin. Ich erwarte Sie hier. Gute Verrichtung, mein Bester, und legen Sie Ihrer Angebeteten meinen Respekt zu den gewiß sehr kleinen Füßen.«

Kleist ritt mit hämmerndem Herzen die Dorfstraße dahin. In seiner Brust wogten die sich widerstreitendsten Gefühle durcheinander, eine heiße, fast wilde Freude darüber, daß er der Geliebten so nahe war, und eine beklemmende Angst, daß die Stunde des Wiedersehens zugleich die Stunde des Abschieds für immer werden könne. Denn Frau von der Goltz konnte als Mutter es wohl kaum noch mit ansehen, wie ihre Tochter von einem Jahr in das andere die heimliche Braut eines Mannes war, der ihr bisher nie eine sichere Aussicht auf die endliche Vereinigung hatte bieten können. Die blühende Jugend des schönen Mädchens ging so dahin, andere Gelegenheiten, sich zu verheiraten, wurden nicht genutzt, und schließlich konnte es kommen, daß die gefeierte und viel umschwärmte Wilhelmine von der Goltz als ältliches Fräulein dasaß, und auf die Gnade ihrer Verwandten oder auf ein Stift angewiesen war.

Ähnliches hatte ihm Frau von der Goltz schon zu verstehen gegeben, als er, aus der Kampagne in Schlesien zurückgekehrt, zuletzt auf Schloß Battrow gewesen war. Er war damals gekommen ohne das erträumte und erhoffte Avancement; denn sein Regiment hatte den Feind nicht zu sehen bekommen, und er hatte keine Gelegenheit gehabt, sich auszuzeichnen. Nun war er immer noch simpler Premierleutnant mit magerer Gage und einem mageren Zuschuß von seinem heimatlichen Gute. Was er bieten konnte, war wieder nur eine unsichere Aussicht, nämlich, daß er vielleicht durch Protektion des Prinzen von Schwedt rascher Fortune machen könne. Durfte er es da Wilhelmines Mutter verdenken, daß sie sein Verhältnis zu ihrer Tochter mit immer weniger günstigen Blicken betrachtete? Durfte er ihr zürnen, wenn sie ihn klar und offen auffordern würde, entweder eine bestimmte Zeit für die Vermählung in Aussicht zu stellen oder das arme Kind freizugeben? Sein hohes, unbestechliches Gerechtigkeitsgefühl sagte ihm, daß sie ein Recht und die Pflicht habe, so zu ihm zu reden; aber sein Herz zitterte, wenn er an die Möglichkeit eines Auseinandergehens dachte. Er wußte, daß er niemals wieder lieben würde, denn er kannte sich selbst. Er dachte daran, wie schwer es ihm schon als ganz jungem Menschen geworden war, sich innerlich von einem zu lösen, den er lieb gehabt hatte. Wie lange hatte er die Untreue des Jugendfreundes, über die er jetzt freilich viel milder dachte, nicht überwinden und verschmerzen können! Erst nach Jahren hatte er neuer Freundschaft sein Herz geöffnet. Und hier lag die Sache doch noch ganz anders. Er liebte dieses Mädchen mit der ganzen Glut und Kraft seiner Seele, und wenn er sie verlor, so war keine Untreue schuld daran. Nur ein widriges Geschick trieb ihn und sie auseinander, ein Geschick, an dem sie beide keine Schuld hatten.

»Da is de Farre,« sagte in seine Gedanken hinein der halbwüchsige Junge, der ihn führte.

Kleist blickte auf und sah, daß er vor einem großen ländlichen Garten hielt, den eine niedrige Lehmmauer umzäunte. Das Haus lag ganz im Grünen, so daß man kaum etwas davon wahrnehmen konnte. Dann kamen die Blumen- und Gemüsebeete, und dahinter erblickte er eine mächtige Laube, die von den großen Blättern des Pfeifenkrautes ganz überwuchert war. Durch die Zweige und Blätter sah er ein helles Frauenkleid herüberschimmern. Im Nu sprang er vom Pferde ab und warf dem Burschen die Zügel zu. »Führe das Pferd nach dem Kruge und warte dort auf mich,« befahl er mit einer Stimme, die vor Erregung heiser klang. Dann klinkte er die Gartentür auf und trat ein.

Mit wenigen Schritten hatte er die Laube erreicht. Da saß sie, um deretwillen er gekommen war, und spielte mit dem kleinen Töchterchen des Pfarrers. Sie war eben mit einem Kranze von blauen Feldblumen fertig geworden, die das Kind ihr zugetragen hatte, und setzte ihn der Kleinen auf das blondhaarige Köpfchen.

Kleist stand einige Augenblicke regungslos und betrachtete wie gebannt das liebliche Bild. Da blickte sie auf und sah ihn in der Tür stehen. Mit weitgeöffneten Augen starrte sie ihn an, als sähe sie einen Geist, und ihr Antlitz ward erst schneebleich, dann von purpurner Glut übergossen.

Er trat einen Schritt vor und streckte die Arme nach ihr aus. »Wilhelmine!« rief er leise.

Da sprang sie empor und warf sich an seine Brust, und indem sie die Arme um seinen Nacken schlang, brach sie in wildes Schluchzen aus. Er preßte sie mit dem linken Arm fest an sein Herz und gab ihr die zärtlichsten Namen, aber ihr Weinen wollte sich nicht beruhigen. Es war, als sollte sich all das Leid, das sie so lange getragen, in Tränen auflösen.

Das Kind stand ängstlich daneben und steckte verlegen den Finger in den Mund. Dann fing es gleichfalls zu weinen an und lief nach dem Hause.

Die beiden achteten nicht darauf. Kleist ward es so weh ums Herz, als er das zitternde und schluchzende Mädchen im Arm hielt, daß er am liebsten selbst in Tränen ausgebrochen wäre. Nur mit Mühe bewahrte er seine Fassung, und allmählich gelang es ihm auch, sie einigermaßen zu beruhigen.

Sie hob das verweinte Antlitz zu ihm empor und stammelte: »Du liebst mich also noch? Du kommst noch zu mir?«

»Aber liebste, liebste Wilhelmine!« rief er. »Hast du denn geglaubt, ich wäre dir untreu? Ich dir?«

»Ich mußte es fast glauben. Ach, ich hatte mich so auf Berlin gefreut, Tag und Nacht! Und nun ging Tag für Tag dahin, und du kamst nicht. Ich hatte solche Sehnsucht nach dir, und du kamst nicht.«

»Ich konnte ja nicht kommen, Liebste,« sagte er schmerzlich. »Ich hatte dir's ja geschrieben, warum ich nicht konnte. Glaubtest du mir nicht? Ich war wirklich sehr krank. Ich hatte eben Unglück, wie so oft.«

»Ja!« rief sie und schlang von neuem ihre Arme um seinen Hals. »Du siehst bleich und elend aus.« Dann bog sie sich plötzlich zurück und blickte ihm starr in die Augen. »Und warum hattest du das Duell?«

»Ich hatte einen Wortwechsel mit einem Offizier unseres Regiments.«

»Nicht um einer Liebesaffäre willen?«

»Aber liebstes Herz!«

»Wahrhaftig nicht? Kannst du mir das schwören?« »Ja, das schwöre ich dir. Ich habe nie eine andere geliebt und werde auch nie eine andere lieben als dich allein!«

»Ach, Gott sei Dank, dann ist ja alles gut!« rief sie tief aufatmend.

»Hat mich jemand verleumdet?« fragte er mit gerunzelter Stirn.

»Nein, nein. Aber die Mutter war so betreten, als sie davon hörte, und sah mich so seltsam an. Die Tante Manteuffel auch. Da reimte ich mir so etwas zusammen, denn die meisten Duelle sind doch um solcher Sachen willen. Und gerade jetzt war mir der Gedanke so schrecklich, du könntest eine andere lieben, gerade jetzt, wo uns doch endlich einmal eine Hoffnung leuchtet.«

Kleist horchte auf. »Du hast gehört, daß ich zu dem Prinzen von Schwedt befohlen bin? Versprichst du dir so viel von seiner Protektion?«

Wilhelmine schüttelte den Kopf. »Davon weiß ich nichts. Aber die Mutter hat einen Brief von Tante Stephanie. Sie will sich unser annehmen – ach, da kommt ja die Mutter!«

Frau von der Goltz betrat eben den Garten, gefolgt von dem Prediger, einem Manne in mittleren Jahren, aber mit schon ergrautem Haupte, auf dem er ein schwarzes Samtkäppchen trug. Er führte sein Töchterchen an der Hand. Das Kind hatte offenbar von irgendeiner Gefahr berichtet, die der schönen fremden Tante drohe, denn Frau von der Goltz strebte hastig vorwärts und war etwas außer Atem, als sie vor der Laube stand.

»Ach, Sie sind es, lieber Kleist!« rief sie zugleich erstaunt und erleichtert aus, als sie das Paar erblickte. »Gott sei Dank, ich wußte ja nicht, was ich denken sollte. Aber, mein Gott, wie sind Sie uns nachgekommen?«

»Zu Pferde, teuerste Frau Mutter!« erwiderte Kleist, indem er sich niederbeugte und ihr die Hand küßte.

»Zu Pferde? Sie können reiten, und gestern konnten Sie nicht zu Wagen zu uns kommen?«

»Ich hatte als Kranker bis gestern noch keinen Urlaub. Sie wissen ja, wie streng bei uns der Dienst gehandhabt wird. Wurde meine Fahrt nach Berlin bekannt, so hätte ich übel anlaufen können.«

»Es ist die reine Sklaverei, in der die Herren Offiziere hierzulande leben,« gab Frau von der Goltz zur Antwort. »Nun, vielleicht findet sich für Sie ein Ausweg. Ich bin sehr enchantiert, liebster Kleist, daß ich Sie noch persönlich treffe. Ich habe Ihnen sehr, sehr Wichtiges mitzuteilen, Dinge, die man einem Briefe nicht gern anvertraut. Ich habe deshalb mit Schmerzen auf Sie gewartet und hätte Sie bitten müssen, mir nach Dresden nachzureisen. Nun kann ich es Ihnen, Gott sei Dank, noch mündlich sagen. – Mein lieber Herr Prediger, wir sind doch hier in dieser Laube ganz ungestört?«

»Gewiß, gnädige Frau. Hier ist kein Lauscher in der Nähe, und ich darf mich wohl gleich zurückziehen. Mein gehorsamstes Kompliment!« Er lüftete ehrerbietig sein Käppchen und schritt auf das Haus zu.

»Setzen Sie sich doch, lieber Kleist!« sagte Frau von der Goltz und wies auf einen Rohrstuhl. »Sie Ärmster, Sie sehen wirklich recht miserabel aus. Ich glaube es Ihnen gern, daß Sie böse Tage durchgemacht haben. Setze dich immer neben ihn, Wilhelmine; ich hoffe, du wirst bald an seiner Seite durchs Leben gehen.«

»Wie? Sie wissen einen Weg, der uns zusammenführte, teuerste Frau Mutter?« rief Kleist, und sein bleiches Antlitz rötete sich vor Freude.

»Er erheischt nur ein kleines Opfer von Ihnen.«

»O, sprechen Sie! Für meine Wilhelmine ist mir auch das größte Opfer nicht zu groß!«

»Die Tante Stephanie, Sie wissen, die Tante meines seligen Mannes, die Hofdame in Dresden ist, hat sich für Sie beim Grafen Brühl verwendet mit dem besten Erfolge, denn Sie können sogleich in sächsische Dienste treten und erhalten nach einem halben Jahre das Kapitänspatent. Sie können dann heiraten, denn die Tante will sich auch pekuniär engagieren ... Sie wissen, sie ist sehr reich.«

Sie sprach sehr langsam, jedes ihrer Worte betonend, und hatte wohl gehofft, er würde nach Beendigung ihrer Rede mit einem Freudenschrei auf sie zustürzen und ihre Hände mit Küssen bedecken. Statt dessen wurde er immer blasser. Sein Haupt sank schwer auf die Lehne seines Sessels zurück, und er schloß einen Moment die Augen, als habe ihn eine plötzliche Ohnmacht übermannt.

»Ewald! Was ist dir?« rief Wilhelmine und warf sich über ihn.

»Mein Gott, die übergroße Freude! Bei seinem geschwächten Zustande!« rief Frau von der Goltz, bestürzt aufspringend. »Lauf und hole ein Glas Wasser!«

Aber die Schwächeanwandlung war schon vorüber. Kleist richtete sich auf und heftete einen so schmerzlichen Blick auf Frau von der Goltz, daß sie erstaunt und fast erschrocken zurückwich. »Allmächtiger! Was ist Ihnen? Was soll das?« stotterte sie.

»Das nennen Sie ein kleines Opfer?« sagte er nach einigen Augenblicken mit klangloser Stimme. »Ein kleines Opfer? Ach, das ist ja ganz unmöglich!«

Frau von der Goltz setzte sich wieder und nahm eine sehr steife Haltung an. Sie begriff ihn nicht, aber auch gar nicht. Was in aller Welt konnte ihn denn hindern, mit beiden Händen das Glück zu ergreifen, das ihm entgegengetragen wurde? Es fiel ihr ein, daß ihr einst ihr Schwiegersohn Gryszczinski gesagt hatte, der junge Kleist sei ein Mensch, der nicht in die Welt passe, ein grüblerischer Mensch, der ein übermäßiges Feingefühl besitze. Er habe allerlei Flausen und Marotten im Kopfe und werde es nie zu etwas Rechtem bringen. War sie nun etwa auf eine solche Marotte gestoßen?

»Wollen Sie sich nicht erklären?« fragte sie schärfer, als es sonst in ihrer Art lag.

Kleist blickte eine Weile vor sich hin, als wolle er seine Gedanken sammeln. »Sie wissen,« begann er dann leise, »weshalb ich in Polen keinen Dienst erhalten konnte. Ich konnte und wollte die Religion nicht ändern.«

»Dazu habe ich auch nie geraten,« warf Frau von der Goltz ein. »Obgleich – wir glauben ja alle an einen Gott.«

»Das sind Ansichten,« fuhr Kleist fort. »Ich konnte es nicht und bin Ihnen dankbar, daß Sie mich damals nicht weiter gedrängt haben. Aber nun – nun soll ich mein Vaterland verraten!«

»Ihr Vaterland? Was soll das heißen?« rief Frau von der Goltz.

»Ich bin ein Preuße!« sagte Kleist.

»Ein Preuße? Nun, Sie sind doch wohl Deutscher, und das hat Sie nicht abgehalten, in Polen Dienste zu suchen und dänischer Offizier zu sein.«

»Ja, damals. Als ich nach Dänemark ging, wußte ich gar nicht, daß ich ein Vaterland hatte. Erst der König, unser König hat mich das Wort gelehrt, daß ich ein Vaterland habe, für das ich leben und sterben muß. Seit ich in Friedrichs Diensten stehe, glühe ich für Preußen und kann nie unter anderen Fahnen kämpfen als unter den Adlerfahnen Preußens. Was ist das römische Reich deutscher Nation? Ein lächerlicher Popanz aus alter Zeit. Was ist Sachsen, Mecklenburg, Bückeburg und wie sie alle heißen? Wer dort geboren ist, mag sie ja lieb haben. Ein Preuße aber kann, seit Friedrich erschienen ist, nur in Preußen leben!«

Frau von der Goltz sah ihn an, als zweifle sie ernsthaft an seinem Verstande. Dann sagte sie kalt: »Sie sind nicht recht bei sich, lieber Kleist. Dieser König macht die vernünftigsten Leute zu Narren. Er verhext alle, die in seine Nähe kommen, mit seinen großen, grausamen Augen.«

»Sagen Sie, er strömt auf alle etwas aus von seinem Geiste, seinem großen, heldenhaften Wesen. Es ist etwas Göttliches in seiner Natur, das alle Menschen hinreißt.«

Frau von der Goltz schüttelte den Kopf, und ihre Lippen schürzten sich hohnvoll. »Und für eine solche Bouffonerie wollen Sie die sichere Aussicht auf Beförderung, ja Ihr Lebensglück in die Schanze schlagen?«

Kleist fuhr auf und biß sich auf die Lippen. Dann sagte er mit erzwungener Ruhe: »Warum solch ein Wort, beste Frau Mutter? Mir ist es heiliger Ernst damit. Sie wissen, ich bin gegen meine Neigung Offizier geworden. Noch jetzt erwacht oft in mir eine tiefe Sehnsucht nach dem Landleben. Wie gern schaltete ich als freier Herr auf der ererbten Scholle! Es kann nicht sein. Muß ich aber eine Schärpe tragen, so kann es nur die mit Friedrichs Farben sein.«

Eine lange Stille folgte seinen Worten. Plötzlich warf sich Wilhelmine mit beiden Armen vornüber auf den Gartentisch, barg das Gesicht in die Hände und brach in bitterliches Weinen aus.

Kleist stürzte vor ihr nieder und suchte ihr die Hände vom Antlitz wegzuziehen. »Wilhelmine, liebstes, angebetetes Mädchen, weine nicht!« rief er flehend. »Es muß ja doch alles gut werden. Zwei Herzen, die sich so lieben, können nicht vergebens hoffen.«

Aber Frau von der Goltz war aufgestanden und streckte die Hand zwischen die beiden aus. Ihr Gesicht war unnatürlich blaß, und ihre Augen blitzten. So hatte noch niemand die feine, gutmütige Frau gesehen.

»Lassen Sie meine Tochter los, Herr von Kleist!« sagte sie schroff. »Ich habe der Sache lange genug zugesehen, jetzt muß sie ein Ende haben. Ich kann es als Mutter nicht dulden, daß meine Tochter um ihre Jugend gebracht wird in einem Verlöbnis ohne Ziel, als Braut eines armen Junkers, der nichts hat als seinen Degen und die Hälfte eines verschuldeten Gutes. Das geht nicht, mein Herr. Weisen Sie die Aussicht auf Rangierung Ihrer Verhältnisse zurück um einer Schimäre willen, so sehe ich daraus, daß Sie ein Phantast sind, was ich freilich manchmal schon dachte. Ist Ihnen Ihr König, dieser König« – sie lachte schneidend auf –, »mehr wert als Ihr Mädchen – nun, so ziehen wir daraus die Konsequenz. Hören Sie auf, das arme Mädchen zu quälen. Machen Sie ein Ende und gehen Sie zu Ihrem König!«

Kleist hatte sich von seinen Knien erhoben und stand vor ihr, das Antlitz, auf dem die brennende Röte ging und kam, tief niedergebeugt. Er zuckte manchmal zusammen bei ihren harten Worten, aber er ließ sie ruhig ausreden. Dann sagte er weich und bittend: »Als Wilhelmines Mutter haben Sie ein Recht, so zu sprechen. Es war wohl unrecht von mir, sie an mich zu ketten, denn ich bin schwerlich zum Glücke geboren. Aber wir lieben uns doch nun einmal, und deshalb vergönnen Sie mir eine Bitte. Geben Sie mir noch ein Jahr! Es hat sich vor wenigen Tagen eine Aussicht für mich aufgetan, der Prinz von Schwedt bietet mir seine Protektion. Vielleicht gelingt es mir doch, daß ich übers Jahr mit Wahrung meiner Ehre Wilhelmines Hand gewinne.«

»Ich glaube nicht mehr daran, Herr von Kleist. Machen wir ein Ende. Es geht nun ins sechste Jahr, daß Wilhelmine Ihre Braut ist, und wie viele Ihrer Pläne sind seitdem zu Wasser geworden! Ich bin des Hin- und Herziehens müde, satt und übersatt. Ich will nicht, daß meine Tochter zuletzt als alte Jungfer dasitzt.«

Wieder entstand eine tiefe Stille. Dann trat Kleist auf Wilhelmine zu, beugte sich zu ihr hinab und drückte einen Kuß auf ihr Haar. »Du bist frei, Wilhelmine,« sagte er. »Ich werde dir immer die Treue halten und nie eine andere lieben. Aber du bist frei. Und Sie, gnädige Frau –« er konnte nicht weiter reden, machte ihr eine stumme Verbeugung und verließ die Laube.

Da fuhr das Mädchen mit einem erstickten Schrei empor, stürzte ihm nach und hing an seinem Halse. »Nein, nein!« schrie sie verzweiflungsvoll. »Du sollst nicht gehen. Beste Mutter, ich liebe ihn ja, ich will nicht ohne ihn leben. Ach, geben Sie ihm das Jahr, Mutter, bitte, bitte!«

Als Frau von der Goltz das sah, brach ihre ganze stolze und gebietende Haltung zusammen. Sie ward noch blasser als vorher, die Tränen schossen ihr in die Augen, und sie sank auf ihren Stuhl zurück. Es war, als solle sie ohnmächtig werden. Kleist eilte auf sie zu und faßte ihre Hand. »Noch ein Jahr, teuerste Frau!« rief er eindringlich.

Frau von der Goltz neigte das Haupt. »Es sei. Noch ein Jahr. Aber jetzt gehen Sie. Ich kann nicht mehr. Es geht über meine Kraft.«

Kleist küßte ihre Hand und riß Wilhelmine in seine Arme, als wolle er sie ewig halten. »Adieu, geliebtes süßes Mädchen. Gott gebe uns ein Wiedersehen!« sagte er. Dann eilte er mit schnellen Schritten aus dem Pfarrgarten hinaus.

Wie ein Trunkener schwankte er die Dorfgasse hinab. Vor dem Kruge fand er die Pferde schon gesattelt und seinen Freund eben dabei, das eine zu besteigen.

»Ich wollte gerade rekognoszieren, wo Sie eigentlich blieben!« rief ihm der Rittmeister zu. »Es war ein meschanter Aufenthalt in dem Fliegenneste.«

»Freund,« sagte Kleist, »helfen Sie mir in den Sattel, und wenn Sie mir dann eine Liebe tun wollen, so lassen Sie uns schweigen und nichts reden. Ich kann nicht.«

»Wie Sie wollen. Ich bin kein Schwätzer,« brummte Adler. »Sitzen Sie fest? Dann en avant!«


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