Paul Schreckenbach
Der getreue Kleist
Paul Schreckenbach

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VI

König Friedrich hatte Schlesien zum zweiten Male behauptet. Bei Kesselsdorf hatte der alte Fürst Leopold von Dessau die letzte große Tat seiner Heldenlaufbahn vollbracht und die Sachsen entscheidend geschlagen, bei Hohenfriedberg und Soor hatte der königliche Feldherr selbst sich wieder strahlende Siegeskränze um das Haupt gewunden, und als er nun nach dem Frieden triumphierend in seine Hauptstadt eingezogen war, da hatten ihn die jubelnden Berliner zum ersten Male als Friedrich den Großen begrüßt. Auch Ewald von Kleist war wieder in Potsdam mit eingerückt, aber von den glänzenden Hoffnungen, mit denen er in den Krieg gezogen war, hatte sich keine erfüllt. Das Regiment des Prinzen Heinrich, bei dem er stand, war bei keiner der großen Schlachten zur Verwendung gekommen, und nur in elenden Scharmützeln mit streifenden Pandurenbanden hatte es die Kugeln pfeifen hören. Es war gewesen, als läge ein Verhängnis über dieser schönen und tapferen Truppe, die vor Ruhm und Ehrbegierde glühte und dabei dazu verdammt schien, ungeheure Mühen, Märsche und Strapazen auf sich zu nehmen, ohne auch nur den geringsten Siegeslorbeer pflücken zu dürfen.

Kein Wunder, daß alle Offiziere des Regiments über ihr elendes Mißgeschick seufzten und klagten. Keiner aber litt in dem Maße darunter wie Kleist. Das Wort seines abgöttisch verehrten Monarchen: »Empfehle er sich mir durch den Degen!« brannte ihm auf der Seele. Er hätte alles getan, sich in den dichtesten Kugelregen gestürzt, sein Blut freudig verspritzt, wenn er sich dadurch Friedrichs Lob hätte erwerben können; aber wie kann man Heldentaten verrichten, wenn man Festungen bewachen muß, die niemand angreift, und in Standquartieren liegen muß, die meilenweit entfernt sind von dem Orte, wo die eisernen Würfel geworfen werden?

Er hatte sich also dem Könige nicht empfehlen können, und Friedrich schien ihn auch vergessen zu haben. Kein Orden schmückte seine Brust, und keine Beförderung war ihm zuteil geworden. Als ehrliebender Offizier schmerzte ihn dies tief, und was es für sein Leben und seine Liebe zu bedeuten hatte, das wußte er längst. Wenn er sich aber doch einer Täuschung darüber hingegeben hätte, so wäre er durch den Brief eines besseren belehrt worden, den er jetzt in der Hand hielt, während er, an einem Fenster seiner Junggesellenwohnung stehend, in den stiebenden Winterschnee hinausblickte. Es waren mehrere Seiten, eng beschrieben von einer zierlichen, hie und da etwas flüchtigen Frauenhand. Die Schriftzüge waren an manchen Stellen verwischt und undeutlich. Offenbar hatte die Schreiberin über dem Briefe geweint und ihre Tränen hastig und schlecht getrocknet. Auch der Mann, der mit bleichem Gesicht und zusammengezogenen Brauen das Schreiben las, wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen und bewahrte nur mit Mühe seine Fassung. Denn der Brief lautete, aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt, also:

»Mein geliebtes Herz! Ich schreibe diese Zeilen am Weihnachtsabend, allein in meinem Stübchen sitzend und ohne Wissen meiner Mutter, die wünscht, daß ich Dir überhaupt nicht mehr schreiben soll. O mein Engel, was habe ich in den letzten Tagen gelitten! Die Schwäger und Vettern sind alle um uns – wir sind nämlich wieder bei der Tante Stephanie in Dresden – und besonders Gryszczynski, aber auch Lüttichau bestürmen mich, wo sie mich sehen, daß ich Dich fahren lassen und Stanislaus von Lubowieckis Werbung annehmen soll. Denn der ist hier Kriegsrat und Kammerherr und soll sehr reich geworden sein, denn er hat seine Frau beerbt und ist Witwer seit einem Jahre. Er hat mich wiedergesehen auf einem Balle bei der Gräfin Flemming und fing gleich an von früheren Zeiten zu reden und hat mich seitdem nicht wieder losgelassen, schickt mir täglich Blumen und Konfekt. Ich weiß nicht, wie ich seinen Galanterien entgehen soll, wenn ich ihn nicht geradezu brüskieren will. Das kann ich gar nicht, denn sie sind alle so schrecklich für ihn, die Mutter und Gryszczynski. Ach, mein Geliebtester, was soll nun werden? Ich habe den letzten Brief von Dir erhalten aus Hirschberg in Schlesien, wo Du krank lagest. Seitdem weiß ich nichts von Dir. Vielleicht – ich hoffe es – sind Briefe von Dir verloren gegangen, sonst müßte ich denken, Du habest mich ganz vergessen. Ich nehme an, daß Du wieder in Potsdam bist, aber ich weiß nicht, wie Du lebst, und ob Du noch an Deine arme Wilhelmine denkst. Und bist Du gesund? Bist Du befördert? Gibt es eine Aussicht, daß wir uns in den nächsten Jahren angehören können?

Sei nicht böse, mein Geliebtester, wenn ich noch einmal eine Bitte an Dich richte, die Du bei unserer letzten Zusammenkunft meintest nicht erfüllen zu können. Vielleicht denkst Du jetzt anders darüber. Gott gebe es, denn ich sehe keinen anderen Weg zu unserer Vereinigung. Die Tante Stephanie sagte noch vorgestern, Du könntest jeden Tag durch ihre Protektion in den sächsischen Dienst kommen, und wenn Du das tätest, so wolle sie uns alle Jahre fünfhundert Reichstaler als Sekours zu unserem Leben zur Verfügung geben. Sie fragte allerdingst erst, ob Du bei Striegau dabei gewesen wärest, denn einen preußischen Offizier, der bei Striegau mitgekämpft habe, wolle sie in ihrem Leben nicht sehen, da die Preußen dort unsere armen Truppen gar zu schändlich traktiert hätten. Ich konnte das verneinen, und so ist es schließlich sogar ein Glück, daß Du krank in Hirschberg zurückbleiben mußtest. Dann nämlich, wenn Du Dich entschließen solltest, meinen Bitten und Tränen nachzugeben und zu uns zu kommen. Ach, Geliebtester, was hält Dich in Preußen? Was hält Dich bei diesem König, den die ganze Welt haßt, und der Dich nicht einmal befördert? Darfst Du nicht kommen, weil Du ein Lehnsgut in Pommern hast? Ach, mein lieber Schatz, seine Einkünfte reichen nicht für Deinen Bruder, was hast Du davon? Ich werde die Erbin der Tante Stephanie sein, und so wirst Du einst zwei Güter in der Lausitz haben. O, lasse Dich erweichen, höre auf mein Flehen und quittiere den preußischen Dienst! Willst Du nicht in den hiesigen Militärdienst, so wird sich schon bei Hofe eine Stellung finden. Die Tante sagte schon neulich einmal: ›Warum will der Herr nicht Kammerjunker oder Jagdjunker werden? Die Kleists sind ja tadelloser, stiftsfähiger Adel. Das kann nicht schwer sein, ihn unterzubringen, und was ist überhaupt schwer, wenn man Brühls Freundschaft besitzt?‹ Du sollst also nicht einmal in Gefahr kommen, gegen Deinen König fechten zu müssen, wenn zwischen Preußen und Sachsen wieder Krieg werden sollte.

Wenn Du diesmal meinem Rufe nicht folgst, weiß ich nicht, was werden soll. Ich bin keine Heldin und kann nicht meiner ganzen Familie widerstehen. Ich schöpfe alle Kraft des Widerstandes nur aus meiner Liebe zu Dir. Aber wie kann ich an Deine Liebe glauben, wenn Du mir kein Opfer bringen willst? Und wenn ich auch selbst noch immer an Deine Liebe glaube, wie kann ich es den anderen glaubhaft machen, daß Du mich liebst? Sie sagen schon, ich hätte keinen Stolz, weil ich noch an Dir hinge, der Du nichts mehr von mir wissen wolltest. Nichts ist bitterer für mich, als das zu hören. Erlöse Dein armes Mädchen aus diesem Zustande! O, wie leicht kannst Du das! Leb wohl, über alles geliebter Freund meiner Seele. Mit tausend Küssen und Tränen Deine unglückliche Wilhelmine.«

Dem Briefe war eine deutsche Nachschrift angefügt: »Das Gedicht auf mich, das Du mir geschickt hast, ist sehr schön, und ich habe viel darüber geweint. Aber bringe doch keine Gedichte in Gazetten und Journale, wie Du es vorhattest. Für Dich schickt sich das doch nicht gut, denn ein Dichter hat immer eine etwas ridiküle Position unter den Leuten.«

Kleist starrte lange vor sich hin, nachdem er den Brief gelesen hatte, und seine Mienen wurden trüber und düsterer. Jedes Wort, das da geschrieben stand, tat ihm weh und bohrte sich wie eine scharfe Spitze in sein Herz. Er hatte der Geliebten seit seinem Krankenlager in Hirschberg kein Lebenszeichen mehr gesendet; denn das Jahr war um, das ihre Mutter ihm noch als Frist gegeben hatte, und er fühlte sich durch sein Wort ihr gegenüber gebunden. Wozu auch? Was hätte er ihr noch weiter schreiben sollen? Das Glück war ihm wieder nicht hold gewesen, und die Kugel, die vor Prag den Prinzen von Schwedt niedergestreckt hatte, war die Vernichterin seiner schönsten Hoffnungen geworden. Auf außergewöhnlich rasche Beförderung durfte er nun nicht mehr rechnen. Zwei Jahre konnten noch vergehen, ehe er Stabskapitän wurde, und das blieb er mindestens ein Jahr, bevor er eine Kompanie bekam. Dann erst durfte er es wagen, den Konsens des Königs zur Heirat zu erbitten.

So konnte sich seine Zukunft gestalten, wenn alles gut ging. Die Fälle waren aber auch durchaus nicht selten, daß das Avancement mehrere Jahre völlig stockte. Dann dauerte die Wartezeit noch viel länger.

Und wenn nun wirklich der Tag kam, an dem sie die Seine werden durfte, welch ein Los hatte er ihr dann zu bieten? Ein Leben voller Einschränkungen, vielleicht sogar voller Entbehrungen und Sorgen. Denn die Offiziere des großen Königs waren zwar hoch angesehen im Staate und reich an Ehren und Ruhm, aber zumeist arm, sehr arm an Geld und Gut. Wer nur kargen Zuschuß hatte und auf seine Gage angewiesen war, der mußte sich mit einer Familie kümmerlich durchs Leben schlagen.

Ach, schon hundertmal hatte er sich's gesagt, daß Wilhelmine zu einem solchen Leben eigentlich recht wenig geeignet war! Von frühester Kindheit an war sie um ihrer Schönheit und ihres aufgeweckten Geistes willen von der Mutter verwöhnt, von Tanten und Großtanten verhätschelt und verzogen worden. Kein rauhes Lüftchen hatte sie bisher berührt, sie kannte den Ernst des Lebens nicht, wußte nur vom Hörensagen, daß es Entbehrungen in der Welt gäbe. In ihrer Liebe zu ihm war sie bereit, auf Reichtum und Glanz zu verzichten, aber hatte sie eine Vorstellung, ja auch nur eine Ahnung davon, was ein solcher Verzicht für sie bedeutete? War nicht wahrlich ihre Mutter im Recht, die diese Liebe für ein Unglück hielt und ihre Tochter von einem Verlöbnis frei machen wollte, das sie an einen armen Edelmann ohne Glück und Stern band? Wie es auch sein Herz zerriß – er mußte ihr recht geben.

Darum hatte er den letzten Brief, den er an Wilhelmine hatte abgehen lassen, eigentlich schon in Form eines Abschiedsbriefes abgefaßt, ohne freilich in dürren Worten ihr die Freiheit zurückzugeben. Sie aber hatte ihn offenbar nicht so verstanden, sie hing noch an ihm, hatte ihn noch nicht aufgegeben und trug sich noch mit Hoffnungen, die sich doch nimmermehr erfüllen konnten.

So war es denn seine Mannespflicht, ihr klar und deutlich zu sagen, daß sie frei sei.

Mechanisch faltete er ihren Brief zusammen und steckte ihn in die Brusttasche. Dann ging er mit müden Schritten an seinen Schreibtisch, ließ sich schwerfällig nieder und nahm einen Bogen zur Hand. Den rückte er zurecht und ergriff die Feder. Aber die Hand zitterte ihm, als er sie zum Schreiben ansetzte, und so legte er sie wieder beiseite; denn er sah, daß er jetzt unfähig sei, einen vernünftigen Satz zu Papier zu bringen. Er konnte nicht klar denken, so sehr übermannte ihn ein ungeheurer Ekel vor dem Leben. Was hatte es ihm eigentlich bis jetzt gebracht? Illusionen und Enttäuschungen. Und was konnte es ihm noch bringen? Viel des Glückes schwerlich, Liebesglück ganz sicherlich nicht mehr. Denn niemals wieder konnte er ein Mädchen lieben, das wußte er ganz genau, er kannte sich. Was er einmal im Herzen trug, das blieb darin und konnte durch nichts anderes verdrängt werden. Und nun tauchte vor seinem inneren Auge das hochmütige Gesicht seines einstigen Schulgenossen Lubowiecki auf. Das war also der Mann, der die Hand ausstrecken durfte nach dem Glück, das er fahren lassen mußte! Er durfte es, weil er reich war; mit dem Gelde, das ihm die erste Frau hinterlassen hatte, erkaufte er sich die zweite. Das war der Lauf der Welt, das Geld gab den Ausschlag. Weil dem anderen ein Zufall einen Haufen des toten Metalles in den Schoß geschüttet hatte, mußte er hinter ihm zurückstehen und verlor das Spiel.

Sein Blick irrte über die gegenüberliegende Wand hin, wo seine beiden Pistolen hingen, und blieb fast sehnsüchtig an den blank geputzten Läufen hängen. Wie leicht konnte er aller Qual ein Ende machen, wenn er eines dieser Dinger von der Wand nahm!

Aber er warf den Gedanken sogleich wieder von sich. Er war ein Mann, und er hatte Religion. Um eines Weibes willen, und hatte er es noch so lieb, sich aus der Welt zu schleichen, dünkte ihm ebenso feig wie sittlich verwerflich. Den Weg gab es nicht für ihn. Er mußte den bitteren Kelch, den ihm das Schicksal bot, bis zur Neige leeren und dann zusehen, wie er sich mit dem Leben abfand.

In solchen Gedanken hatte er es gänzlich überhört, daß an seine Tür gepocht wurde, und er fuhr erschreckt und heftig auf, da sie sich plötzlich öffnete. Aber als er den Eintretenden erkannte, blieb er vor Erstaunen wie eine Bildsäule stehen. Es war der General von Stille, einer der tapfersten und zugleich gebildetsten Offiziere der Armee, ein Mann, der beim König in Gunst stand und zuweilen sogar zu dem intimen Kreise zugezogen wurde, der in dem neuen Lustschloß Sanssouci den Monarchen umgab.

»Bon jour, mein Herr Leutnant,« sagte der General freundlich. »Hoffentlich störe ich nicht. Sonst gehe ich gleich wieder weg.«

»Aber Herr General!« stammelte Kleist. »Wie könnte der Herr General – ich bin nur perplex über die hohe Ehre des Besuches.«

»Sie sind doch nicht eben im Begriffe, ein Poem zu entwerfen?« fragte Stille, auf den Papierbogen deutend, der auf dem Tische lag. »Sonst täte mir's wahrhaftig leid, dazwischengekommen zu sein.«

Kleist ward feuerrot. Was wußte der General von seinem Dichten? Und was wollte er eigentlich von ihm? Er richtete einen so verwundernd fragenden Blick auf ihn, daß der General lächelte.

»Na, setzen wir uns vor der Hand einmal, mein lieber Kleist,« sagte er in demselben wohlwollenden Tone wie vorher. »Ich will Ihnen meinen Besuch erklären. Ich habe von meinem sehr würdigen Freunde, dem Prediger Lange in Laublingen an der Saale, die neuesten ›Belustigungen des Verstandes und Witzes‹ zugesandt erhalten, die Herr Schwabe redigiert. Darin fand ich ein Gedicht, überschrieben ›Sehnsucht nach Ruhe‹, das mir überaus gefiel. Ich erkundigte mich bei Herrn Lange nach dem Verfasser und erfahre zu meinem unmäßigen Erstaunen, daß Sie der Autor sind. Und nun sagen Sie mir: Ist es wirklich an dem?«

Kleist bejahte. Der General ergriff mit Lebhaftigkeit seine Hand. »Aber mein Herr, dann sind Sie ja ein Talent, ein großes Talent! Und nicht nur das – Sie müssen eine ungewöhnliche Bildung besitzen. Denn Verse wie diese schreibt nur ein durch und durch gebildeter Geist. Bitte, erzählen Sie mir doch etwas von ihrem Lebens- und Bildungsgange. Es interessiert mich ungemein.«

Kleist gehorchte. Als er geendet hatte, klopfte ihm der General auf die Schulter. »Sie sind offenbar unter keinem glücklichen Stern geboren,« sagte er. »Wenigstens bis jetzt hat Sie das Schicksal mehr rauh als zärtlich angefaßt. Aber vielleicht wird Ihr poetisches Talent ein Mittel, Sie auch im äußeren Leben schneller vorwärts zu bringen. Hören Sie, was ich tun will. Es ist Ihnen ohne Zweifel bekannt, daß der König die deutsche Literatur nicht liebt. Er will nur von französischen Dichtern und Schriftstellern etwas wissen, liest auch nur französische Autoren. Zu erklären ist das ja aus seiner Erziehung, aber es ist mir immer schmerzlich gewesen. Ich möchte ihm so gern eine vorteilhaftere Meinung von unsern Dichtern beibringen. Leute wie Lange, Pyra und Gleim verdienen das, und meiner Ansicht nach haben Sie diese alle mit Ihrem Gedichte aus dem Felde geschlagen. Ich möchte es deshalb Seiner Majestät vorlegen, wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben, vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit schon morgen.«

Kleist errötete wieder, diesmal vor Freude. »Ach, wenn der Herr General das wollte!« rief er überglücklich. »Aber wird meine geringe Leistung imstande sein, die Aufmerksamkeit Seiner Majestät zu fesseln?«

»Das lassen Sie meine Sorge sein,« sagte der General sich erhebend. »Ich bin gewiß, daß er es schön finden wird, wenn es nur gelingt, ihn zum Lesen oder Anhören zu bewegen. Natürlich kann ich Ihnen nicht garantieren, daß ich schon morgen dazu Gelegenheit finden werde, aber ich hoffe es. Vor der Hand spreche ich Ihnen meine Freude aus und meinen Dank für den Genuß, den Sie mir bereitet haben. Hoffentlich mache ich bald Bekanntschaft mit noch anderen Kindern Ihrer Muse.«

»Ich habe ein größeres Gedicht unter der Feder, das ich ›Landlust‹ nennen will oder auch ›Der Frühling‹, da ich in ihm den Zauber des Landlebens im Frühling besingen will.«

»Ah, das ist charmant!« rief der General. »Zur Idylle sind Sie, glaube ich, vorzüglich geeignet. Also dichten Sie man los und schenken Sie uns was recht Schönes, mein lieber Kleist.« –

In ganz anderer Stimmung als vorher betrat Kleist sein Zimmer wieder, nachdem er den hochgestellten Gast bis zur Pforte begleitet hatte. Wäre er jünger gewesen, so hätte er sofort das ganze Erlebnis seiner Wilhelmine geschrieben und dabei den rosigsten Zukunftshoffnungen Ausdruck gegeben. Aber er hatte gerade in den letzten Jahren so herbe Erfahrungen gemacht, daß er es vorzog, vorläufig zu schweigen und wenigstens bis übermorgen zu warten.

Er hatte sehr recht damit getan. Denn als er an diesem Tage vom Exerzierplatze heimwärts ritt, begegnete ihm der General gleichfalls zu Pferde und begrüßte ihn mit einem so betrübten Gesicht, daß ihm mit einem Male jede Hoffnung schwand.

»Meine Bemühungen bei Seiner Majestät waren leider vergeblich,« sagte Stille.

»So hat das Gedicht dem Könige nicht gefallen?« fragte Kleist mit zuckenden Lippen.

»Er hat es gar nicht gelesen. Lassen Sie sich sagen, was er mir zur Antwort gab. Er sagte: ›Ich kenne den von Kleist ganz gut. Er ist ein begabter und loyaler Offizier. Und daß er Verse macht, dagegen habe ich nichts. Aber wenn er verlangt, daß ich sie lesen soll, so mag er sie vorher ins Französische traduieren. Ich lese deutsche Poèmes nicht, habe auch dem Haller seine nicht gelesen, und der ist ein illüstrer Gelehrter. Die ganze deutsche Literatur ist keinen Schuß Pulvers wert.«

Kleist starrte finster vor sich nieder. Er war sehr blaß geworden.

»Ich sage Ihnen das ganz offen,« fuhr der General fort, »und ich hoffe, daß Sie deshalb dem Könige nicht grollen.«

Kleist warf den Kopf zurück. »Nein, Herr General. Meine Begeisterung für Seine Majestät ist nicht davon abhängig, daß er meine Verse liest und lobt. Sie ist unzerstörbar.«

»Gut, gut. Und Sie lassen sich auch nicht dadurch abschrecken, weiter zu dichten? Nicht wahr?«

»Das könnte ich gar nicht.«

»So ist's recht. An mir jedenfalls haben Sie sich einen Freund erworben, und ich will für Sie tun, was ich kann. Morgen abend sieben Uhr bitte ich Sie, mein Gast sein zu wollen. Sie werden noch einen Poeten finden, Herrn Ramler, den Sie ja wohl kennen. Und geben Sie nicht alle Hoffnung auf, daß der König doch noch eines Tages Ihre Sachen sich vorlegen läßt. Ich werde ihm immer wieder Ihr Lob singen, und steter Tropfen höhlt den Stein.«

Aber Kleist hatte keine Hoffnung mehr. Noch an demselben Tage schrieb er seiner Wilhelmine einen Brief, der mit den Worten schloß: »Ich kann in Sachsen nicht Dienste nehmen, nicht im Heere, denn da müßte ich gegen Friedrich fechten, nicht am Hofe, denn unter der Herrschaft eines Brühl zu stehen und vor ihm heucheln und schmeicheln zu müssen, dazu bin ich mir zu gut. Ohne Ehre kann ich nicht leben. So muß ich dir Lebewohl sagen fürs Leben, wie sehr es auch mein Herz zerreißt. Ich werde dich ewig lieben und niemals eine andere im Herzen tragen. Du aber, teuerstes Mädchen, bist frei, ich gebe dir dein Wort zurück. Vergiß mich. Dein unglücklicher Ewald von Kleist.«


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