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20.

Der Gaberl geht den ganzen Abend herum wie einer, dem die Hühner das Brot genommen. Selten kommt ein Wort, eine Rede über seine Lippen, und wenn ihn jemand fragt, hat er zumeist nur einen unverständlichen Brummer als Antwort.

»Heut hat's dich einmal gehörig beim Zopf«, neckt ihn die Line, aber er brummt auch nur dazu. Gen Abend stapft er bergwärts in den Wald hinauf, lauscht dem Gesange des Schnerers und dem Säuseln im Geäste des Tannes und sinnt dazwischen, was er tun soll und wohin er sich wenden soll.

Am vernünftigsten wär' es fast, wenn er dem Rate des Doktors folgen wollte: Primo vivere, deinde etwas anderes; es müsst' einer halt Ersatz suchen in der Kunst, Ersatz ... für ein verfehltes Leben, oder wie er es genannt hat. Die Zäunerbäuerin sagt wohl, sie brauchte einen zur Arbeit, aber wer weiß, ob nicht zu reden wär' mit ihr ... dass sie ganz und gar verzichtete auf den ganzen Krempel. Reden muss er sowieso mit ihr ... ja, gehörig reden. Verkaufen oder verhandeln lässt er sich einmal nicht, wenn's selbst Graz gilt, und gerad' einmal nicht. Und er braucht die Sephi auch nicht, wenn jemand meinen könnt', es geschähe wegen der. Übrigens weiß ja nicht einmal etwer davon außer dem Doktor, und der wird nichts ausschwatzen. So weit ist ihm schon zu trauen.

Wenn er eine recht unsinnig große Freud' hätt' an dem Leut, nachher wär's vielleicht etwas anderes, nachher könnt' er am End' über das allenfallsige »Zusammentreiben« hinwegsehen und selbst über den Fehler, von dem ihm der alte Zäuner geagt, aber so schnellt die Waage halt lieber herum als hinüber zu ... Eine verzweifelt dumme Sache! Einesteils wär' es am gescheitesten, wenn er sich nur so schütteln täte wie eine Gans, wenn sie aus dem Wasser steigt, und die Sache fortgehen ließe nach dem Wege, den sie gehen will. Es mag allweg recht zweifelhaft sein, ob er es mit der Schreiberei und Dichterei zu etwas Ordentlichem bringt, und der Pfarrer kann selmal ganz recht gehabt haben, da er soundso geredet; und sich aufs Geratewohl hin an etwas hängen, das recht unzuverlässig und ungewiss ist, das ist bei den heutigen Zeiten, und wenn einer etliche Jahre alt ist, zumindest ein bissel unklug. Wenn er nimmer daran dächte, wär' er in längstens drei Wochen der Zäunerbauer und ein allweg geachteter Mann in der Gemeine. Wenn's aber ginge? ... Den ganzen Schönwinkel dürft' ihm dann einer schenken, er würde vielleicht noch nicht tauschen. Wenn man halt wüsste? Wenn es um ein paar Jährlein früher wäre und er Zeit vor sich hätte! Dann hätt' er sich halt einmal einen festen, unbeugsamen Willen eingebildet und auf ort oder ebenangefangen. Einen festen Willen? ... Sein kann es schon, dass er zu wenig fest und ausdauernd ist, dass er nicht unablässig entweder dahin oder dorthin strebt, dass er vielmehr hin und wider springt wie ein schlecht abgerichteter Jagdhund, der allbot die Fährte wechselt. Da hätt' er anders tun können, ein andermal auch, und wer weiß, wär' es heut noch so himmelweit gefehlt, wenn er gerade einmal einen andern Kopf aufsetzte, einen rechten – Schönbergerschädel?

So sinnt er die ganze Zeit über hin und her, bis allmählich der Gedanke die Oberhand erlangt: Jetzt wagst es einmal, geht's so oder so: jetzt machst einen Strich unter die bisherige Rechnung und fängst auf ein Neues zu zählen an! Wenn's geht, ist's recht, und wenn's nicht geht, ist der Welt halt bloß ein ... Zimmermann verloren gegangen.

Von jetzt ab folgt er keinem Menschen mehr und tut in allem, wie er es versteht; von jetzt ab geht er seinen eigenen Weg, und wenn ihn der ins Verderben führt oder sonst wohin, so geht's in erster Reihe nur ihn an.

Er tut einen tiefen, tiefen Atemzug, kehrt um und schlendert durch den mählich verdämmernden Tag heimwärts. Aber auch dort duldet es ihn nicht.

Kaum ist die Nachtsuppe verzehrt und nach dem Dankgebete das Kreuz gemacht, zieht er sich wieder an und geht fort.

»Gehst leicht noch ... zur Barberl?« fragt die Line etwas verwundert und neugierig.

»O nein«, lacht er fast unheimlich hart auf. »Was ich der Zäunerbäuerin zu sagen hab', das hört sie auch beim Tag ... Zum Josel geh' ich.«

»Mir scheint, den beißt etwas«, verrät die Line der Mutter, aber die gibt nicht viel auf diese Mutmaßung. Was könnt' den Buben beißen? Höchstens, dass er da oder dort ein bissel eine unrechte oder missgünstige Rede gehört. Aber so gescheit ist er selbst, dass er weiß, was er davon zu halten hat.

Beim Josel setzt sich der Gaberl an den Tisch, stützt den Kopf in die Hand und schaut die meiste Zeit wie hellauf träumend vor sich hin. Nur, als der Josel die Rede auf die Erlebnisse in Bosnien lenkt und dem Bruder nachreuset, der dort in wildfremder Erde liegt und modert, wird er etwas munterer und lebhafter, aber ganz kommt er doch nicht aus seinem Strubeln und Sinnen. Allerhand Gedanken und Bilder wirbeln in seinem Kopfe durcheinander, und als er merkt, dass sich der Josel über sein Gehaben zu wundern beginnt, steht er auf und verlässt mit kurzem Gruße die Stube.

Eine kühle Frühlingsnacht hat sich über Tal und Gehänge niedergesenkt, und vom nachtdunklen Himmel glitzern und funkeln die Sterne in endloser Zahl; aber ihn kümmert weder Sternengefunkel noch das Rauschen des Baches drunten im Tale, von wo die Lichter herauf glimmen gleich großmächtigen Sonnwendkäferchen. Da und dort kläfft ein wachsamer Hund, und drüben im jenseitigen Gehänge singt sich einer ein paar Liedeln. Wenn einer keine Sorg' hat und keine Kümmernis, derselb' kann leicht singen, und oft einer lebt dahin, als wär' gerad' er allein auf der weiten Gotteswelt, und es gäb' nichts, das ihn anfechten könnt'. Glücklich so ein Mensch, und so einer kann nachher leicht singen und jauchzen ... Juhu! ... Dummer Kerl! Wenn dir so viel im Kopf herumwerkte und herumwogte wie ihm, dem Gaberl, nachher wärst auch stiller und dasiger.

Dort drunten im Tale, dort setzt sich die Nacht,
Und über die Höhen schleicht's Dämmern schön sacht;
Im Kirchlein dort drüben, da läut't man 's Gebet,
Wenn im Waldwinkel hinten der Mondschein aufgeht,
Und all's ist so friedlich, g'rad' – wir zwei hab'n Streit.
Geh', reich' mir dein Handerl und sei wieder g'scheit!

So! Ein ganz neues Gesangel, und der Sinn und die Weise gar nicht einmal schlecht! Wem das wieder eingefallen sein mag? Wer weiß? Ein Richtiger muss es gewesen sein, denn in den paar Worten liegt – schier eine ganze Geschichte. Abendstimmung mit Glöcklein und Mondschein und zwei Leute, die sich überworfen ... Teuxel noch einmal! Wenn er die Sache aufgriffe, dies und jenes noch dazutäte, was sich zwischen die paar Zeilen gehört und eine Geschichte schriebe für »Die Rockenstube«! Frischweg gewagt soll's einmal werden ... Na, wart' nur, ob ihm nicht allerhand einfällt!

Er sucht sich den Text des Liedes zusammen, bis er ihn voll zu haben wähnt, stellt sich das alles so deutlich als möglich vor, summt die Weise einige Male vor sich hin und grübelt dazwischen nach dem, was zu einer richtigen Erzählung noch dazukommen soll, und es fällt ihm auch immer mehr und mehr ein, und je öfter er die Sache überdenkt, desto mehr kommt ihm in den Sinn. Das Zeug wird geschrieben.

Sinnend und grübelnd schlendert er weiter, und da er noch nicht ganz im Reinen zu sein wähnt, als er zum Häusel kommt, setzt er sich hinter der Schupf nieder, lehnt sich an den rauen Bretterverschlag und stiert vor sich hinaus in die Nacht.

Wie lange er so sitzt, weiß er selbst nicht, und er kommt erst zu sich, als er leise, schleichende Schritte hört und unwillkürlich aufschauen muss.

Vom Berg herunter kommt einer, und man merkt es den Tritten von Weitem an, dass sie auf verstohlenen Wegen gehen. Na, da dürft' schon einer in ehrlicher Weise vorbeigehen; es schaute sich keine Katze um nach ihm, und kein Mensch fragte ihn, wo er hin wolle und was er im Schilde führe. Na, der Kund' kommt geradewegs aufs Häusel zu.

Huit! Ob der nicht der Nazi ist, der hängohrige Loser, und bei der Linerl fensterln möchte? Wird aber hübsch scheel anlaufen. Wenn er ihr was zu sagen hat, nachher findet er die Haustüre auch und braucht sich nicht an der Rückseite des Häusels anzuschleichen. So Dummheiten werden ihm schon abzuziehen sein ... Wart' nur, was er tut!

Ein Weilchen steht der Mensch wie überlegend dort, und dann schwingt er sich mit einem Male auf die Traufrinne des an der rückwärtigen Seite kaum einen Meter über dem Erdboden hängenden Dachrandes.

Aha! Da hat man's schon. Er will zum Gattertürl und dort in der Meinung klopfen, dass die Line auf dem Dachboden schläft. Aber da irrt er sich zweimal. Die Line schläft in der Kammer, wo die Eltern schlafen, und wenn eines auf dem Boden wär', so wär' er es. Wart' nur, Schliffel!

Er richtet sich langsam und vorsichtig auf und schleicht unter dem Dachvorsprunge dahin wie eine Katze, bis er unter dem Platze ankommt, wo darüber der Kund' auf dem Dache sitzt.

Ja, was ist denn das? Er klopft nicht und ruft nicht, und nur so etwas wie ein vorsichtiges Brechsen lässt sich hören. Will er vielleicht das Türchen mit Gewalt sprengen?

Mit einem Rucke sprint er hervor und fasst den Kunden beim Genick.

»Was suchst denn da?«

Aber statt einer Antwort führte der einen Schlag wider ihn, und es schaut aus, als wär's mit einem blinkenden Eisentrumm, einem Stemmeisen oder einem langen Messer. Das wär' so die rechte Weise für ... Ja, der Kerl ist ja nicht einmal der Nazi.

Mit kräftigem Risse schleudert er ihn zur Seite, tappt nach einem Stück Holz und stellt sich hart vor ihn hin.

»Wer bist und ... was hast da zu suchen um so eine Zeit?«

Keine Antwort.

»Magst dich melden? Ich schlag' dich sonst nieder wie ... wie halt einen Lumpen oder wie ein Rindl Vieh. Sagst, wer du bist?«

Der tut aber keinen Muck, sondern versucht einen Sprung zur Seite, um davonzukommen, aber im selben Augenblicke schlägt der Gaberl zu. Ein dumpfer Hall, und der Schweigsame taumelt am Boden.

»Sagst es noch nicht?«

»Ja, ich bin's«, meldet er sich endlich, und es ist richtig nicht der Nazi.

»Ich ... Kennst mich denn nicht?«

Der Isidori! Du grundguter Willen! Was hat denn der um solche Zeit beim Gattertürl zu suchen? Was denn nur gerad'? Ja, wenn einem gleich das Rechte einfiele!

»Was ... hat dich denn da geirrt?« dehnt er in währendem Sinnen heraus. »Was hast denn bei uns zu suchen ... auf dem Boden?«

»Lass mich ... fort!« bittet der mit vor Verlegenheit, Scham, Zorn und Wehtum zitternder Stimme.

»Zuerst sagst, was du bei uns gesucht hättest ... Magst herausrücken mit der Sprach'! Was hast bei uns ... einzubrechen in der Nacht, du ... du Dieb, muss ich schon sagen? Soll ich noch ein paar Male nachhelfen? ...« Der Zorn übermannt ihn, und er schreit so kräftig, als er es in der Lage zur Verständigung für gut findet.

Da kommt der Christoph ganz erschreckt daher.

»Was ist denn das? Was gibt's denn da?«

»Eine Hetz'« lacht der Gaberl zornig auf. »Der Geldweber hat beim Notweber einbrechen wollen ... Sagst es noch nicht, was du gesucht hättest?« Und gleich darauf fallen ein paar derbe Hiebe nieder.

»Ausgehalten!« wehrt der Christoph ab. »Jetzt bin ich da. Was gibt's also?«

»Zuerst soll er Red' und Antwort geben!«

»Ich sag's ja«, winselt der Isidori. »Ich bitt' euch, Leuteln, erschlagt mich nicht ganz, ich bitt' euch!«

»Nun, so heraus damit!«

Und der Mann gesteht nun, dass er wirklich einen Einbruch und Diebstahl im Schilde geführt. Er hat ein paar Abende her sonst nichts getan, als unten in Steinbrunn mit den Bahnvermessern Karten gespielt und sich schon hübsch ein paar Hunderter erspielt, und gestern abends wäre der Gewinn davongeflogen samt der Halbscheid des im Webstuhl verdienten und zusammengesparten Geldes. Was tun, dass es sich wieder ausgleicht? So wäre er auf den Gedanken verfallen, weil er gewusst, dass da heroben Geld daheim liege.

»Lump!« knirscht der Gaberl. »Jetzt mach' Reu' und Leid!«

»Männer, ich bitt' euch; ich hab' Weib und Kinder.«

»Hab' ich auch gehabt«, erinnert der Christoph. »Und weißt, wie du uns den Hunger ins Haus gesetzt hast? Weißt es nicht ... Hau nur zu, Gaberl!« Und er sucht auch nach einem Stücke Holz.

Der Gaberl zieht schon auf zum wuchtigen Hiebe, aber mittendrin schleudert er das Holz von sich.

»Sel tu' ich nicht, dass ich noch schlechter bin wie ... der da«, stößt er dann hart auflachend heraus. »Wegen so einem zum ... Mörder werden? Ich nicht ... Vater! Nein! Wir ... wir Notweber beschmieren unsere Händ' nicht mit so einem Unrat. Er soll schauen, dass er weiter kommt.«

»Einesteils hättest frei recht«, sinnt der, und derweil rafft sich der Isidori auf und taumelt gen Tale, sich alle Augenblicke überschlagend. Und wie er im Düster der Nacht verschwunden, nickt der Christoph ein paar Male vor sich hin. »Am besten ist's so. Das vernünftigste End' ist's auf jeden Fall. Soll einer noch schlechter sein, wenn der andere schlecht ist? ...«

Der Lärm treibt auch die beiden Weiberleute aus dem Häusel, und man erzählt eine Weile, schimpft und greint und entrüstet sich, wie es in so einem Falle schon nahe liegt, und nach langer Zeit legt man sich doch schlafen.

Der Gaberl aber sinnt und grübelt noch hin und wider, als unten im Stalle der Hahn schon zu krähen anfängt und den nahenden Tag verkündet. Soll er rechts oder links? Soll er nach dem Wege fort, den er betreten, oder soll er sich einem andern zuwenden?

Jetzt wagst es einmal, ist's gefehlt oder troffen! Trotzdem er sich dies alle daumenlang vorsagt und vornimmt, kommen doch wieder Zweifel und Überlegungen in Menge dahinter her wie Dorfhunde hinter dem Fremden und wollen ihn den anderen Weg zwingen.

So streitet und ringt er mit sich und seinen Gedanken, bis ihm der Schlaf die Augen gewaltsam zudrückt. Als er erwacht, scheint die Sonne schon durch das etwas schadhafte Dach, und im Walde oben pfeift und schwegelt der Schnerer.

Heut' ist ein Tag, der dem Stützpunkt der Waage gleicht. Wird sich's hinüber neigen oder herüber? Ah was! Hinüber muss es, und soll der ganze Krempel in die Brüche gehen.

Als er sich gewaschen, setzt man sich gerade zur Morgensuppe, und er setzt sich auch an den Tisch und nimmt den Löffel. Aber seine Hand zittert zeitweise ein Merkliches, und in seiner Brust geht es zu wie in einem Topfe mit siedendem Wasser. Alle Augenblicke drängt sich ihm eine den Umschwung einleitende Rede auf die Zunge, aber er getraut sich doch nicht recht, sie herauszuquetschen. Recht wird's ihnen nicht sein, sel denkt er sich von vornherein, und einen Rummel kann's absetzten, dass es nicht schön ist. Endlich fällt ihm doch einmal ein Anfang ein, der ihn passend dünkt, und er fängt zag und schüchtern an.

»Das Geld müsst Ihr aus dem Hause räumen, sonst lockt es noch einen oder den anderen an. Tut es in eine Sparbank oder gebt es sonst wie auf Zins!« rät er, an das Vorkommnis des Abends anknüpfend.

»Wird eh' bald weggeräumt sein«, meint der Christoph. »Ein Zeitlein noch, und es kommt das Deine weg, und ... Ja, der Line ihr Heiratsgut werden wir doch ...«

»Steht auch nicht dafür«, wendet die Mena ein. »Nach dem Heuet soll, hör' ich, die Geschicht' eh' über und über gehen. Ein paar Gulden könnten wir zwar unter die Leut' geben, damit der Argwohn wegfällt.«

»Das meine ... Ich denk' ... Mir ist was zu Ohren kommen, und ich muss zuerst ... noch einmal reden mit der Zäunerin«, drückt der Gaberl herum und legt den Löffel aus der Hand. »Wie sich's halt nachher redet.«

»Was sagst?« fährt der Christoph auf. »Sei so gut und mach' leicht eine Weil' Tänz' und Schnacksen! Gerad' dass die Leut' was zu schwatzen kriegten.«

»Was hast denn gehört?« fragt die Line. »Etwas Gescheites gewiss nicht.«

»Eh' nicht«, brummt er.

»Und da willst dich leicht darum annehmen?« tadelt die Mena. »So dumm könntest auch noch sein. Vor jeder Hochzeit wird geschwatzt und getratscht, das kann nicht einmal der Kaiser abbringen, und das einzige Mittel ist, wenn man die Leut' reden lässt. Werden über dich auch allerhand wissen.«

»Kann eh' sein«, gibt er zu. »Aber ausgeredet muss die Geschicht' zuerst werden.«

»So red' sie halt aus! Aber mach' mir keinen Unsinn!« droht der Christoph, und damit ist die Sache vorläufig erledigt.

Der Gaberl richtet sich gleich nach dem Essen zusammen und geht in den Zäunerhof. Wenn' halbwegs geht, will er den – Unsinn machen.

Die Line hastet ihm nach auf die Gred.

»Was hast denn gehört?« fragt sie.

»Mm!« macht er es und geht seiner Wege. Was soll er da eine Weile hin- und herreden? Den eigentlichen Grund will er ja doch nicht verraten, ehe es sein muss.

Auf den Wegen und Feldern ringsum klappern die Düngerwagen, und das Mahnen, Aneifern und Peitschenknallen der Fuhrleute hallt dazwischen, in den Lüften trillern die Lerchen, und bei den Häusern gackern die Hennen, und alles ist auf ein und dieselbe Tonart gestimmt: der Auswärts (Frühling) kommt gezogen mit Lust und Leben, mit Freud', Sehnen und Hoffen. In der einen Hand hält er den mit Blumen verzierten Wanderstecken, und in der andern trägt er ein zugeschnürt Wanderbündel, in dem Hoffnung und – Glück verwahrt sein sollen. Sollen! Jedes wähnt, dass auch für es ein vollgemessen Teil darinnen verborgen.

In jedes Menschen Brust rührt und regt sich zu dieser Zeit etwas, das nicht recht so zu taufen und auch nicht gut anders, das keinen rechten Namen hat und keinen verdient und das doch da ist, die Brust weitet und ganz andere Augengläser aufsteckt. Auch in des Gaberls Brust beginnt dieses Etwas zu krabbeln und zu weben, aber das andere Sinnen und Grübeln will sich den Platz nicht streitig machen lassen. Und wie es schon geht, wenn dies und jenes sich zu mischen und zu mengen beginnt, eine helle und eine so oder so gefärbte Flüssigkeit; es kommt ein Mischling heraus, der dunkler ist als das Helle und lichter als das Dunkle.

Ein Stoß am rechten Orte, und wer weiß, wie sich ein etwas schwächlicher Willen, beherrscht von Zweifeln und Zagen, über den Haufen werfen ließe? Hat seine Eigenheiten so ein Auswärtstag.

Den Feldweg heraus schnalzt das Knechtel der Zäunerbäuerin neben dem Gespanne, bietet ihm einen guten Morgen und hat ein Scherzwort für ihn, und von der Düngerstatt grinst ihm der Zenz zu, während des alten Zäuners Dirndln keinen Blick nach ihm werfen.

»Fleißig?« lächelt er ihnen gezwungen zu.

»Mein' schon«, nickt der Zenz. »Wenn du Bauer wirst, nachher musst' mir eine schöne Sonntagshose kaufen, dass ich auch auf die Hochzeit gehen kann. Hörst?«

»Ist schon recht.« Und er geht über die Gred hinein.

Die Bäuerin werkt am Ofen herum, und ihr Gesicht überfliegt ein frohes Lächeln, als sie ihn eintreten sieht.

»Schaust doch einmal nach, wie es mir geht inmitten all der Arbeit?«

»Zu reden hab' ich ein bissel was mit dir«, sagt er kühl und erst gar nicht in dem Tone, den ein glücklicher Bräutigam zur Verfügung haben soll. Und dann setzt er sich an den Tisch ... Wenn sich unverhofft kein Anhalt finden täte zum Bruche? Wie ein Sternschneuzer über den nachtdunklen Himmel huscht, so huscht der Gedanke überlings durch sein Sinnen. Fredigweg ohne Anlass brechen? Ein Mann, der seinen vollen Verstand haben sollt' und gewissermaßen schon eine Verpflichtung eingegangen ist?

Sie kommt zum Tische vor und setzt sich ihm gegenüber. »Was denn?« fragt sie lächelnd.

»Hm, du ... Es ist geredet worden, dass ... wie sag' ich denn, dass es recht herauskommt? ... dass die ganze Heiraterei ein abgemachter Handel wär' ...«

»Wie meinst denn das?« fragt sie hastig, und das Lächeln schwindet von ihrem Gesichte.

»Wie ich das mein'? Sag' mir einmal aufrichtig: Hat der Ähnl, der alte Schönberger, den Rat hergeben?«

»Rat! Was nennst denn einen Rat? Geredet hat er einmal mit mir, sel ist wahr, aber meine Augen hab' ich selbst ...«

»Nachher ist's doch so«, nickt er hastig.

»Was ist so? Da musst schon deutlicher reden.«

»Dass ich verhandelt werd' wie ... wie ein Rindl Vieh«, stößt er hastig und rau heraus. »Für so einen Handel aber bin ich nicht zu haben, hörst, ich nicht. Ich mag nimmer, dass du es weißt.«

»Gaberl!« schreit sie hell auf. »Was hast denn jetzt? Was fällt dir denn ein? Wie schaust mich denn an? Ist denn sel was Unrechtes, wenn dein Ähnl redet mit mir? Und vom Verhandeln ist ja gar keine Red', gar kein Darandenken. Wer hat dich denn da wieder aufgeredet wider mich?«

»Ich mag halt nimmer«, sagt er kurz und steht auf.

»Gaberl!« Und sie springt auch auf und fasst seine Hand. »Hab' ich dir denn etwas in den Weg gelegt? Hab' ich dir nur ein unrechtes Wörtel gegeben? Hast mich ... nicht gern?«

»Nein?« Hart und rau kommt das Wort heraus, und sie lässt seine Hand jählings los.

»So ja«, dehnt sie ganz erkommen heraus. »Und sel hast nicht gewusst, eh' wir zum Pfarrer gangen sind? Was hast gesagt, wie wir in der Ostermontagnacht heimgangen sind? Du hast mich gern. Gelt? Weißt, dass du lügst, selmal oder jetzt? ...

Er schupft nur die Schultern. Was sagt einer zu solcher Rede? Und verdient hat er sie, redlich verdient: Er hat gelogen.

»Gaberl!« bittet sie wieder, als er keine Rede findet. »Schau, was hab' ich dir getan? Und die Schand' willst mir antun, dass du mich knapp vor der Hochzeit sitzen lässt?«

»Ich kann nicht anders«, würgt er heraus.

»Z'wegen was denn nicht? Es ist nur eine Ausflucht; du hast dir eine Bessere gefunden oder ... finden lassen ... Geh' zu!« schreit sie dann gellend auf, als er darauf nicht gleich eine Rede und Verteidigung findet. »Ich kenn' mich schon aus an der ganzen Geschicht'. Weil du die Flügel ein bissel rühren kannst, jetzt ist dir gleich eine zu schlecht. Geh' nur zu, wenn du willst! Halten tu' ich dich auch nicht.«

»Also ... nichts für ungut.«

»Möcht' schon wissen«, lacht die Barberl verächtlich auf in ihrem Zorn und aufwallenden Trutz, und dann geht der Gaberl mit kurzem Gruße von dannen. Sie aber beißt die Zähne übereinander, ballt die Fäuste, und eine Zähre um die andere quillt aus ihren Augen ... So wendet sich nun die Geschichte? Das ist nicht wahr, was er da vorbringt, da muss etwas anderes dahinter stecken ... Wo geht er denn hin? Dass es wirklich fester Ernst wäre? Er geht gen Tal und – sagt am Ende gar ab. Nun, herauskommen muss es, was dahinter steckt, und von der Stelle weg geht sie hinauf zu seinen Leuten und fragt nach; sie hat ein Recht dazu.

Hastig trocknet sie sich die Augen, zieht eine leichte Joppe an und geht. Ein Zeitlein trippelt sie ihren gewöhnlichen Gang dahin, aber mählich werden die Schritte rascher und länger, und als sie hinaufkommt zum ehemaligen Geldweberhäusel, ist sie schier atemlos.

»Da bin ich jetzt«, stößt sie heraus, als sie in die Stube kommt, auf den Schragen am Tische niedersinkt und den Tränen ungehemmten Lauf lässt.

»Ja, was hat's denn geben?« wundert die Mena und schlägt die Hände zusammen, und auch der Christoph hört zu weben auf und schaut groß und klein.

»Wenn ... Ihr nicht mehr wisst, ich kenn' mich nicht aus«, ringt die Zäunerin durch ihr Weinen heraus.

»Sag' halt zuerst, was vorgefallen ist!« fordert der Christoph, dem so etwas wie eine schlimme Mutmaßung durch den Kopf streift. Ob der Wachel nicht doch richtigen Ernst gemacht!

»Nun: Aus ist die Geschicht' ...«

»Gehst denn nicht?« schreit die Mena gellend auf. »Was habt ihr denn? Was fällt euch denn ein? Was hat's denn gerad' geben? So red' doch, dass sich eins auskennt!«

»Er mag mich nicht, sagt er.«

»Höllteuxel!« braust der Christoph auf und springt mit einem Satze aus dem Webstuhle. »Was sagst du? Das hat er gesagt?«

»Nun, so ja.«

»Glaub's nicht!« rät die Line. »Er ist halt ein bissel hitzig, und weil er was gehört haben soll, so plappert er eben in seinem Ärger einen Batzen heraus. Wenn der dich nicht möchte, wär' er zuerst nicht mit dir zum Pfarrer gangen.«

»Ein bissel eine Balgerei unter Liebsleuten!« rät nun auch die Mena, um die zuwidere Sache in einen anderen Model zu bringen. »Da könntest wohl auch gescheiter sein und nicht alles gleich so hitzig nehmen. Wenn eins hui sagt und das andere pfui, so überwerft ihr euch wegen der nichtigen Ursach'.«

»Er ist aber hinunter nach Steinbrunn und sagt ab.«

»Sel könnt' er versuchen!« droht der Christoh. »Nachher lernt er mich einmal kennen, der Flank, der. Wenn man's ihm zum Besten meinet, und er tät' gerad' nach seinem Dickschädel fort, da würd' mir schon so, dass ich ihn aushauet zu Tür und Tor.«

»Das müssen sich sie zwei wieder ausmachen miteinander«, sucht die Mena zu vermitteln, trotzdem der Ärger über den Buben auch in ihr zwackt und reißt wie ein zehnfaches Gemenge von lauter Gicht. »Wir reden ihm ins Gewissen, wenn er heimkommt, um sel brauchst dich nicht zu sorgen, und du musst halt nachher auch ein bissel mild ins Geschirr gehen, sonst happert's gleich wieder.«

»Er sagt aber, er hat mich nicht gern«, erinnert die Zäunerin, trotzdem neues Hoffen in ihrem Herzen sprosst und auflebt.

»Das ist gerad' ein Schwatz. In den Stücken ist der Gaberl trotz seiner Jahr' noch ein helles Kind. Und sel weißt ja, wie Kinder sagen: dich mag ich nimmer und soundso.«

»Kann allweil sein Ernst auch gewesen sein ...«

Und so reden und trösten sie hin und wider und suchen auszugleichen, was uneben geworden, und die Zäunerin geht richtig viel leichteren Herzens fort als wie sie gekommen. Es kann sich am End' alles wieder ausgleichen und ausebnen.

Der Christoph aber lässt seinem Ärger freien Lauf, als die angehende Schnur die Stube verlassen.

»Die Dummheit wenn er mir anfängt, nachher ... sind wir zwei fertig miteinander«, droht er aufs Neue. »Dort hat er die Tür, und er kann gehen. Keine Stund' leid' ich ihn mehr im Hause.«

»Tätest ihm aber auch ganz recht«, billigt die Mena. »Wenn's einen so einen Gerater tun wollt', wenn einen das Glück schon an der Nasenspitz' nimmt und da- und dorthin führt, und es mag noch nicht, demselben gehört nichts anderes.«

*

Um ungefähr dieselbe Zeit klopft der Gaberl an des Pfarrers Zimmertüre. Jetzt soll der letzte Strich gemacht werden unter die alte Rechnung, so dass keine Ziffer mehr Platz hat ober ihm.

»Herein!«

Einen Augenblick zagt er doch, dann aber drückt er hastig auf und geht hinein. »Ich hätt eine Bitt', Herr Pfarrer«, fängt er schlankweg an. »Und ich mein', es muss gehen ...«

»Was denn? Setz' dich nur nieder.«

»Ich bin gar kein bissel müde«, lehnt er das Angebot ab. »Das Verkünden, wenn ... Sie einstellen könnten«, fordert er auf Umwegen.

»Was? Ja, warum denn?«

»Ich hab' mich anders besonnen; ich mag nimmer.«

»Sooo? Was wird denn die Braut dazu sagen, wenn du sie in dieser Weise bloßstellst und dem Gewitzel und dem Gespötte der Leute preisgibst?« tadelt der Pfarrer tiefernst. »Hättest du nicht früher nicht mögen können? Glaubst du, ein Mädchen oder eine Wittib findet ihren Ruf auf der Gasse? Überlege dir wohl, was du damit für Unecht tust?«

»Ich kann nicht, Herr Pfarrer«, unterbricht ihn der Gaberl trotzig. »Es ist ja wahr, ich bin im Unrecht und ich hätt' von eh' gescheiter sein sollen, aber mach' es einer mehr anders!«

»Warum kannst du also nicht?« forscht der Pfarrer.

»Ich hab' keine Freud' mit dem Leut'.«

»So? Und zuerst schon?«

Auf die Frage findet er keine Antwort, und alles Blut beginnt nach seinem Kopfe zu drängen. In seinem Halse schlägt und hämmert der Puls, in seinen Ohren saust und braust es, und er hört vieles nicht, was nun der Pfarrer an Rügen und Tadel vorbringt. Aber recht geschieht ihm, ganz recht, das kenne er ein, und wenn ihm einer fünfundzwanzig aufzählen wollte, wäre sie auch nicht unverdient ... Es ist ein Hütbubenspiel, was er da treibt, und nicht die Handlung eines Menschen, der ein Mann sein will ... Ist eh' so, wie der Pfarrer sagt, aber – wenn's halt so ist! Jetzt tut er schon nimmer zurück, geht's gerad' oder krumm.

»Ist die Sach' nachher in der Richtigkeit?« fragt er und richtet sich zum Gehen, um diese Zeit abzukürzen.

»In der Richtigkeit, meinst? Das Verkünden wird abgestellt, wenn du nimmer magst, aber das hoffe nicht, dass es in der Richtigkeit ist ... Bleib' noch ein wenig! Was ... was hast denn nachher im Sinne?« fragt er.

»Ich geh' fort.«

»Wohin?«

»In eine Stadt, such' mir dort Arbeit und geh' den Winter über in die Werkmeisterschul' und ... probier' einmal das Schreiben.«

»Die Schriftstellerei?«

»Ja.«

»Mm. Das spukt dir also noch immer im Kopfe herum? Nun, von mir aus schon. Ich rate dir weder ab noch zu, weil ... du überhaupt kein ernst zu nehmender Mensch zu sein scheinst; aber das sag' ich dir schlankweg: Wenn du es mit der Kunst so angreifst wie mit der Zäunerwittib, und wie es dein Brauch zu sein scheint, nachher ist's Matthäi am Letzen.« Es tut ihm selbst weh, so herbe Worte reden zu müssen, aber ... straft man ein Kind, weil man Freude hat am Strafen?

»Mein Ernst, Herr Pfarrer!« versichert der Gaberl, und es ist aus jedem Tone zu hören, dass solches der Fall sein mag. »Ich kenn' selbst, was ich fehl', aber ... Sie werden sehen, Herr Pfarrer, dass ich mich müh' bis zum Äußersten. Wenn's nicht gehen sollt', am Ernst und Eifer liegt nachher die Schuld nicht. Entweder biegen oder brechen!«

»Ich wünsch' dir Glück! Tracht', dass ich dich wieder einmal loben kann, heut' vermag ich es nicht.«

»Ich tracht'. Behüt' Gott!«

»Behüt' Gott auch!«

Und er geht. Über den Kirchenplatz wankt und haspelt er dahin wie einer, dem der Maßkrug in den Kopf gestiegen, und da er schon beim Neuwirt unten sitzt in der Schänkstube, weiß er noch nicht recht, wie ihm eigentlich zumute ist. Die Hauptsach' wär' soweit überstanden, was sie aber daheim sagen würden? Es hat ihm der Pfarrer schon so viel zu Gehör geredet, dass er überall hin langt, aber daheim dürften sie noch mehr wissen. Sein Gewandel wenn er herunten hätt', sein Werkzeug und sein Arbeitsbüchel, von der Stell' weg zöge er in die Stadt. Wenn!

Aber das wird noch eine gute Stund' werden, die schönsten Namen kriegt er da nicht, wenn's einmal recht drunter und drüber geht ... Ah was! Seinetwegen tun sie, was sie wollen. Nichts auf Erden dauert ewig, und wenn die Hetz' einen Tag dauern sollte, so wird sie zu überstehen sein. Sie können ihn schimpfen, sie können sogar alle schlagen und bläuen an ihm, er wird tun, als ginge dies alles ihn gar nicht an. So kommt er am besten draus.

»Na, was wird's mit deiner Hochzeit?« tastet die Neuwirtin vorsichtig aus. »Wirst sie halt drüben abhalten.«

»Nichts wird abgehalten«, brummt der Gaberl.

»Geh', geh' ... Aber wenn d' drüben noch nicht abgemacht hast und gedingt: Wir richten die Hochzeit so gut und billig aus wie gar kein Mensch mehr. Was hast denn für Spielleut'?«

»Ist gar keine Hochzeit«, bekräftigt der Gaberl.

»So dumm seid Ihr?« tadelt die Wirtin entrüstet. »Euren schönsten Tag im Leben verbringen wie ... gerad' wie einen Allerseelentag!«

»Mm!« macht er es nur mehr darauf, und an dem soll das Weiberleut merken, dass er nicht weiter reden mag über diese Sache. Es geht ihn schon ein Gelüste an, rundweg heraus zu erklären, dass überhaupt kein Hochzeitstag sein wird, aber – gerad', dass sie auch darüber eine Weile fragen, wundern und tratschen könnte. Es wird's noch jedes früh genug inne.

Des Pfarrers Lehre hat ihm warm gemacht und Trotz und Ärger kühlen nicht; so trinkt er denn nach Durst, sinnt zu Zeiten, ob er schon heimgehen solle zur Empfangnahme neuer Predigt oder ob er sich noch eine Halbe vergönnen solle, und so wird es Mittag und halber Nachmittag, und dann kommen ein paar Gäste daher, und es entwickelt sich eine recht heitere Unterhaltung.

Jetzt ist's schon gleich, ob er vor Abend heimkommt oder gerade am Abend, und er bleibt noch sitzen. Aber es kommt der Abend, und es wird Nacht und jetzt hebt er sich schon gar nicht, da ein paar Dörflerbuben daherkommen und scherzen und singen, und über all' dem lugt überlings einmal der junge Tag durch die Fenster.

So! Ist das der Strich unter der alten Rechnung, oder ist es der erste Satz in der neuen? Zum Teuxel schon: es kann dies oder jenes sein, was fragt er danach? Er tut jetzt gerad' nach seinem Kopfe fort und schert sich weder darum noch darum. Und jetzt wird gerad' zum Trutz noch sitzen geblieben. Und mit unsicherer, ungeübter Stimme singt er ein Trutzliedel vor sich hin.

Ich merk' kein' Teuxel auf
Und auf kein' Höll;
Auf d' Leut' merk' ich gar nicht auf,
Tu', was ich will.

*

»Dem Buben muss was zugestoßen sein«, mutmaßt einmal die Mena, das dumpfe Schweigen brechend, das sich wie ein schwerer Alpdruck über all drei gelagert.

»Der kann längst auch beim Zäuner unten sein«, rät die Line. »Sonst wär' er ja gestern schon heimgekommen. Verrennen tut sich der nimmer.«

»So richt' dich zusammen und geh' hinunter!« schafft der Christoph. »Und mach' gleich ein bissel Geschicht' und Ordnung unter ihnen! Setz' ihnen die Köpf' zurecht, dass sie zueinander taugen!«

»Was uns der Kund' für Sorgen macht!« jammert und klagt die Mena, und dann richtet sie sich zusammen und geht in den Zäunerhof. Aber dort weiß kein Mensch mehr, als dass er gestern Vormittag da gewesen und gen Steinbrunn hinuntergegangen.

»Wird ihm ja doch um Gottes willen nichts zugestoßen sein! Jetzt muss ich schon dort unten auch fragen.«

»Früher denn nicht ist er in den Pfarrhof gangen und hat abgesagt«, rät die Zäunerwittib. »Wer weiß denn, wo ihn sein Trutzköpfel sonst noch hingeschleppt hat, vielleicht ... zu einer andern.«

»Narr!« tadelt die Mena. »Er hat ja gar keine andere auf dem Wege.« Und sie geht sinnend und sorgend nach Steinbrunn und schnurgerade auf den Pfarrhof los.

»Ist mein Gaberl nicht dagewesen, der Mistbub?« fragt sie.

»Ja, gestern, und das und das hat er vorgebracht.«

»Das gilt derweil nicht«, schreit sie hell auf. »Der hat seinen Riss und braucht ein gehöriges Kopfwaschen. Nehmt Euch nicht darum an, Herr Pfarrer! Wenn er nicht so viel Verstand hat, müssen ihn andere haben.«

»Zusammengenötigt soll keine Ehe werden«, sagt darauf der Pfarrer, »das wisst Ihr so gut wie ich oder jemand anderer, und an Beispielen fehlt es auch gerade nicht. Es kommt gewöhnlich alles andere heraus denn eine wahrhaft christliche Ehe.«

»Sie gewöhnen sich schon zusammmen«, besteht die Mena. »So viel ich kenn', will halt eins wie das andere die Herrschaft im Haus schon von Vornherein ertrutzen.«

»Ich hab' wieder etwas anderes gemerkt.«

»Was denn nachher?«

Da klopft es draußen wieder, und der Mesner fährt ein paar Leuteln herein, die einen jungen Weltbürger daherbringen, um ihn durch die Taufe in die Gemeinschaft der Kirche und des Christentums aufnehmen zu lassen, und der Pfarrer bescheidet deshalb die Mena für eine spätere Zeit. Wer anklopft, dem muss aufgetan werden, und wer sein Heil im Scheine des Kreuzes sucht, der soll es finden.

Wo aber der Bub stecke mag?

»Der Gaberl?« fragt der Mesner. »Beim Neuwirt drüben sitzt ein Schwarm, und bei denen ist er.«

Nicht schlecht! Also ein völliger Lump! Na, wart', Mannl, dir blüht eine Lehr', dass sie dir kein Bußprediger anders halten könnte ... Im Ärger nimmt sie sich vor, hinüber zu gehen und ihm einen rechten Lärm zu schlagen, aber in währendem Gehen besinnt sie sich doch anders. Wozu ihn vor den Leuten lächerlich machen? Er ist doch ihr Bub und ... ein angehender Großbauer. Sie treibt ihm die Mücken schon noch aus dem Kopfe ... Was sagt sie denn, dass sie ihn auf eine gute und handsame Art heimbringt? Was denn? Jemand krank? Sel ist nichts, weil eins nicht scherzen und fabeln soll mit dem Unheil. Ein dringendes Geschäft? Das ginge. Von Gemeindesachen ist etwas gekommen, woran sich der Vater nicht recht auskennt und das recht dringend ist. Das stimmt.

Sie zwingt ihren Ärger nieder und geht ins Neuwirtshaus.

»Ah, die Mutter!« lacht ihr der Lump entgegen, so sorglos und unschuldig er dies nur kann. »Krieg' ich leicht Greiner?«

»Z'wegen was?« lacht sie gezwungen. »Ein bissel Ausheiterung schadet oftmals auch nicht, und wenn eins jung ist!«

»So eine Mutter lass ich mir gefallen«, grinst einer der Dörflerbuben. »Die meine schimpft und wettert gleich, aber ich ... merk' doch nicht auf.«

»Ja, mein Mutterl!« brüstet sich der Gaberl und zieht sie neben sich auf die Bank nieder. »Gibt gar kein solches Weiberl um und um.«

Kann ihm eins wieder nicht feind sein auch, wenn er so einen Sinn hat.

»Soll ich leicht schon heimgehen?«

»Dürft' schier sein«, bejaht sie. »Das und das ist gekommen, und der Vater kennt sich doch nicht so gut aus daran, und heut' solle es noch fertig werden.«

»Da muss ich schon heim«, besinnt er sich, zahlt und hebt sich.

Bis hübsch weit vor das Dorf hinaus sagt sie kein Wort, und auf keine Frage hat sie eine Antwort. Der Ärger kriegt die Überhand und mit der mühsam erzwungenen Verstellung ist's zu Ende.

Überlings bleibt sie vor ihm stehen.

»Was treibst denn jetzt auf einmal für Dummheiten?« fängt sie an, und ihre Stimme fiebert gerade vor Aufregung und Ärger. »Wie hast es denn eigentlich im Sinne? ... Auf der Stell' gehst mit hinüber in den Zäunerhof und gleichst den Unsinn wieder aus!«

»Mutter! Alles, gerad' das nimmer«, widermeint er.

»Und ... z'wegen was nimmer?«

»Weil ich – nimmer mag.«

»Was sagst?« schreit sie gellend auf. »Noch so ein Wort, und ich – ich red' nichts mehr mit dir.«

»Ich kann nicht anders sagen.«

Da kehrt sie sich hastig um und schreitet schweigend vorauf.

In den Hängen oben kommt ihnen ein Fuhrwerk entgegen, und vom Kleebointnerhofe herüber fährt noch eins: ein Umzug, wie es herschaut.

»Wer reiset denn da?« fragt der Gaberl den ihm unbekannten Fuhrmann.

»Der Weber ... Isidori, scheint mir, heißt er«, bescheidet der. »Soll ihm zuwider worden sein bei euch herinnen im Schönwinkel.«

»So? Kann eh' sein.« Was sagt einer mehr, ohne dass er einem übelredet, dem er nicht gut reden kann?

Und dann kommt ihm mählich wieder in den Sinn, was er wohl daheim zu gewärtigen haben kann, wenn seine Mutter nun schon so redet. Ah was! Heut' legt er sich gleich schlafen und morgen ... muss er halt über sich ergehen lassen, was kommt. Dem ist nun einmal nicht auszuweichen.

Heute nimmt er die Sache überhaupt viel leichter, aber als er am andern Tage aufsteht, gereut's ihn doch ein weniges. Wie wird's gehen?

Ist aber nicht gar so arg, als er sich's vorgestellt. So ein Viertelstündchen wird schon so scharf hin und wider geredet, gebeten, geschimpft und geflennt, dass es nimmer schön ist, aber dann weist ihm der Christoph überlings die Tür.

»Wenn du keinen andern Dank weißt für alles, was wir für dich tan haben«, sagt er rau und hart, »dort hast die Tür. Und komm' mir nimmer!«

Und er packt sein Kofferchen, steckt sein Werkzeug in die Werkzeugbutte, holt sich vom Bürgermeister ein Arbeitsbüchel und – geht. Im Sinn hat er es ohnehin; nur ein bissel härter kommt einem so ein Abschied an, wenn er auf so eine Weise das Vaterhaus verlässt.

Schwer genug fällt der Tag aber auch den Zurückbleibenden. Die zwei Weiberleute flennen und schluchzen den ganzen Tag über, und der Christoph geht umher wie einer, dem etwas ans Leben getastet. Er vermag keinen Bissen zu essen, und es duldet ihn weder hier noch dort. Im Stadel draußen aber übermannt ihn jählings der Kummer und die Kränkung, und er lehnt sich an den Hohlbarren und weint wie ein kleines Kind. So einen Dank wenn eins erntet für alle Sorgen, Mühen, Kümmernisse und Entbehrungen! Nicht folgen und gerad' einmal nicht, weil es die Alten haben wollen, und nicht kennen wollen, dass man es nur zum Besten meint! Und mittendrin geht ihn etwas an wie linde Reue ob der Härte, aber er wischt sich die Tränen aus den Augen, schlendert gen den Wald hinauf und kommt dann zum Alten, um ihm das Leid zu klagen.

»Das tut er?« schreit der gellend auf. »Das ist mein Tod, das bringt mich unter die Erd' ... Just wie die Alte, eine Rass'. Was die nicht abgefressen von meinem Leben, sel frisst mir der ... der Unverstand weg. Geht mir nur schnell um den Pfarrer; ich erleb' den morgigen Tag nimmer. Aus ist's. Das ist mein Tod.«


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