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1.

In den sommergrünen Bergwald hinein ragt ein kleines Stücklein Feld, und daran schließt sich ein nicht viel größeres Fleckchen Weidegrund. Wird beides keinem Großbauern gehören, wie es den Anschein hat, aber goldiger Sonnenschein umflutet es ebenso wie die breitflächigen »Gewende« der Bauernfelder, der Himmel darüber ist von derselben Bläue wie allerorten ringsumher, und dasselbe Gekraut und Geblume wächst und wuchert wirr und bunt durcheinander, wie auf all den andern Feldern und Weiden der ganzen Gegend.

Eine einschichtige Kuh grast auf dem Weidegrunde, und einige Schritte davon liegt ein Bub bäuchlings im kurzen Grase, hat den Strick, an den die Kuh gehängt, lässig in der Hand und schaut und wundert an dem, was die Weide an kleinen Wundern zu weisen hat. Und das langt für manch andern, denn für den kleinen Buben, der so seine zwölf, dreizehn Jahre haben kann.

Wie schön gleichmäßig und zart die Stängel der Glockenblümchen sind, und wie seltsam blau die zierlichen Glöckchen mit den schlanken Schlägelchen in der Mitten! Daneben steht ein Strauß Zittergras, das die Kinder Schepperlein heißen, und das trägt geradezu kleine, schuppige Herzchen an den fadendünnen Ästlein. Wie das Zeug nur so wachsen kann? Wozu es sein mag? Der Kuh halber wird es kaum erschaffen worden sein, denn die frisst nur Gras und fragt nicht lange, ob es Blumen trägt oder nicht. Für wen sonst? Für ihn und für die andern Kinder, damit sie eine Freude daran haben und zum Kranzeltag (Fronleichnam) Kränze binden können? kann sein und kann sein auch nicht. Der Zehnte schaut keine Blumen an, die Großen schon gar nicht; die denken allweil nur an die Arbeit und ans Geldverdienen und sonstiges Zeug. Sein Vater webt jetzt für die Kluiberin Tischtücher, und da kommen auch Blumen hinein, und die Leute sagen, so schöne wüchsen gar nirgends auf der Welt, aber er kann das nicht finden. Jedes Blümlein heraußen auf der schäbigsten Weide ist schöner und zarter als wie diese steifen, eingewebten Blumen, die eine der andern gleichsehen, aber doch nicht schön sind. Nein, für die Großen wird der Herrgott das Geblume kaum haben wachsen lassen, also nur für die Kinder und für das ... kleine Gevieh, das sich darum und darin herumtreibt. Zwei Weifalter (Schmetterlinge), Blutflecke, sitzen auf einer veilchenblauen Skabiosenblume und saugen mit ihren langen Fadenrüsseln den Honigsaft aus den einzelnen Blütenröhrchen, und einer ist wie der andere, und keiner ist zu unterscheiden. Wie dies nur sein kann? Jedes Rindl Vieh hat eine andere Farbe, jeden Hund kennt eins vom andern weg, und die Leute sind ganz und gar recht verschieden. Im Rainelkraute (Thymian) daneben summen ein paar Hummeln herum, und gleich oberhalb, auf einem mit grünen, grauen und schwarzbraunen Flechten überzogenen Steine liegt eine Eidechse und sieht sich offenbar um, wer und was in der Welt noch herumkreucht außer ihr. In der Welt! Ob das einfältige Vieh wohl weiß, dass es nur eine Viertelstunde weit weg auch noch solche Weidegründe gibt, solch Gekraut und solche Steine zum Rasten? Ob es weiß, dass man so ein Fleckchen, das für es leicht eine ganze Welt ist, gar nicht einmal steht auf einer Landkarte, und dass man nachher ein ganzes Land kaum kennt, wenn man die Nachbildung der Erdkugel, den »Globus«, anschaut? Ob? Ei, woher denn? Was wird denn so ein Vieh wissen, das nicht lesen kann und keinen Schulmeister hat?

So sinnt und denkt der Bub in seiner Weise vor sich hin, freut sich mit kindlichem Gemüte an der Schönheit und an den kleinen Wundern, die diese Welt im Kleinen in sich birgt, und eine eigene Stimmung überkommt ihn, eine Stimmung, der einer in späteren Jahren kaum mehr fähig und mächtig, auch wohl kaum mehr würdig ist. Die Welt und die Zeit sind ein lediges Märchen, das Fleckchen Gotteswelt, auf dem eins sitzt, ist ein wahrhaftiges Paradies, und man ist selbst im zerfetztesten Gewande der Märchenprinz, dem alles ringsum untertan und dessen Glück mit keiner Königskrone der Welt zu erkaufen.

Die schütter mit kegelförmigen Jungfichten bestandenen Hänge herüber grast eine große Herde Vieh, und das anheimelnde Geläute der Schellen hallt weithin über Hänge und Flur, über Höhe und Tal. Zwei Knirpse schreien ein Liedchen hinaus in die wasserreinen Lüfte, und dann wenden sie sich nach der Richtung, in welcher das kleine Fleckchen Weidegrund liegt und wo der Bub die Kuh hütet.

»Ho-u-o, ho-u-o!
Gaberl, hüt' umher do!«

Ein uraltes Hütbubenliedel, einen Hütbubenlockruf könnte man es nennen, das schon manchen weggelockt von der seiner Obhut anvertrauten Herde.

Das geht den Träumer an auf dem kleinen Fleckchen, aber der rührt und regt sich nicht. Sie sollen singen, wie sie wollen; wenn er nicht kommt, kommen doch wieder sie. Und sie kommen; zwei stämmige, untersetzte Bürschchen, von denen einer ein Gesicht hat wie ein leibhaftiger Stoßfänger oder Habicht, und der andere wie eine sternhelle Mitsommernacht, wie ... der eine, der die einschichtige Kuh hütet, der Gaberl, so traumselig und rätselvoll.

Es braucht eins nicht zu wissen, dass des Gaberl Mutter die Schwester ist zu der beiden andern Vater, dem Schönberger, es kennt eins auf den ersten Blick, dass der Gaberl und der kleinere der beiden Buben, der Jakoberl, hübsch nah in der Verwandtschaft sein müssen miteinander.

Es sind schon hübsch ein paar Jahre über ein Jahrzehnt, dass Hass und Feindschaft Schildwache stehen an der Grundmarkung zwischen dem Schönbergerhofe und dem Geldweberhäusel, aber für die Kinder ist diese Schildwache nicht da, und sie stecken Tag für Tag beisammen, spielen, greinen und raufen mitsammen nach Kinderart und haben sich nachher wieder so gern, als wenn die Eltern die denkbar dicksten Freunde wären.

»Zwegen was gehst denn du nicht auch einmal hinüber zu uns?« greint der größere der beiden Buben, der Lipp. »Allweil müssen wir herüber.«

»Ich kann nicht weg von der Kuh«, erklärt der Gaberl. »Wie ich sie auslass', ist sie gleich im Feld drinnen, und ...«

»Würd' nicht aus sein derentwegen«, meint der Lipp geringschätzig. »Wie oft geht uns ein Rindel ins schönste Feld.«

»Ihr habt aber auch mehr Felder als wir und spürt es nicht, wenn ein bissel Schaden gemacht wird.«

»Du, Gaberl«, sagt der Jakoberl in seiner langsamen, ernsten Weise. »Ich ... wir haben heut ein Vogelnest gefunden, wird am End' ein Grasmuckennest sein oder sonst eins, aber recht schön ist es. Vier Eier sind darin.«

»In der Näh'?« fragt der Gaberl neugierig, und seine Augen beginnen zu leuchten.

»Beim Schüsselstein oben«, bescheidet der Lipp.

»So weit! Das kann ich mir nicht anschauen.« Unverkennbare Enttäuschung klingt aus den Worten. Ein Vogelnest! Sel will für einen Hütbuben was heißen und bedeuten. »Habt Ihr meine Sonnenuhr schon gesehen?« fragt er dann nach einem Weilchen.

»Zeig!« fordert der Lipp hastig, ist aber auch enttäuscht, als er seinen Irrtum einsieht.

»Geht sie gut?«, fragt der Jakoberl.

»Schaut euch sie an!«

Er führt die Kuh gen den Waldrand hinauf, und die beiden andern folgen neugierig nach und schauen etwas geringschätzig an der einfachen Sache. Ist gerade ein halbwegs senkreicht in die Erde geschlagener Stecken, und im Halbkreise herum stecken einige kleine Pflöcklein. Das ist die ganze Einrichtung.

»Das können wir uns auch machen«, meint der Lipp obenhin.

»Kann schon sein«, sinnt der Jakoberl vor sich hin. »Aber wie machst denn das, dass die Sonn' zu einer Zeit gerad' den Schatten auf ein Steckerl hinwirft?« Er will eigentlich fragen, wie einer die Pflöckchen stecken muss, dass die Uhr richtig zeigt, findet aber nicht die richtige Rede.

Derweil singt und jauchzt ein Dirndl daher: »Die Rosel ist gestorben, die Rosel ist gestorben.«

»Los'! Was schreit denn das Linerl so?« hastet der Gaberl heraus und horcht, verändert aber für einige Augenblicke seine Gesichtsfarbe, als er das Singen und Jauchzen versteht. Die Rosel ist gestorben, sein Liebling!

»Glaubst, dass sich die freut?« entrüstet er sich.

»Ein Narr halt!« sagt der Lipp darauf. »Der kannst nichts im Üblen aufrechnen.«

»Eh' nicht, aber ... singen und juchzen soll' sie doch nicht.«

Da kommt das Dirndl daher, ein Ding mit sieben, acht Jahren, plumpem Gesichte und einfältig dreinschauenden Augen. »Die Rosel ist gestorben«, lacht sie. »Übermorgen haben wir wieder eine Leich', sagt die Mutter.«

»Und dazu kannst lachen?« tadelt der Gaberl. »Gleich sollt man dir ein paar stecken.«

»Die Rosel ist jetzt ein recht schöner Engel.«

»Du, auf diese Weis' hat sie recht«, erinnert der Jakoberl. »Die Rosel ist ein recht schöner Engel, und wir ... werden es nimmer, wenn wir groß werden. Glaubst, ich wär' lieber ein Engel als ein Bauer?«

»So stirb!« lacht der Lipp. »Als ein Lebender wirst kein Engel.«

»Sterben? Ich mein', ich möcht' noch nicht. Ich ... ich tät mich zu Tode fürchten vor der Helfrau. Wenn eins stirbt, sagt der Ähnl, ist sie kohlschwarz gewandet.«

»Geh mit solchen Sachen!« tadelt der Lipp. »Was dir der Ähnl vorlügt, sel glaubst alles, – und wer alles glaubt, derselb' ist heutigestags ein Narr, sagt die Mutter.«

»Was ist's denn mit der Helfrau?« erkundigt sich der Gaberl neugierig.

»Eine Dummheit ist's«, lacht der Lipp.

»Sei derweil still!« bittet der Gaberl schier. »Jakoberl, geh, erzähl' mir von der Helfrau! Der Lipp muss derweilen still sein.«

Und sie setzen sich zusammen, und der Jakoberl erzählt, was er vom Ähnl gehört. »Dort ober auf dem Schüsselstein, wo man über das halbe Land hinsieht, dort sitzt sie manchmal, sagt der Ähnl, und schaut umher in der Runde, wo sie etwa ein Kindlein brauchen täten oder wo es eins gut hätte, und bald sie so ein Örtel ausgespäht, legt sie ihr weißes Gewand an, holt aus der Erdentiefe ein Kindlein heraus und trägt es in das Örtel, und wie sie es hinlegt in die Wiegen, neigt sie sich über es und sagt ihm still, was alles in der Welt an Freud und Leid warten tät auf es, und wann sie wieder käm, aber im schwarzen Gewand, und dann drückt sie ihm den Mund zu und sagt, es sollt' die Red' vergessen und schweigen. Davon hätt' ein jedes den Fingereindruck unter der Nase und unter der Unterlippe, sagt der Ähnl.«

»Hast schon so was Dummes gehört?« lacht der Lipp wieder, aber der Gaberl sagt nicht so, nicht so, sondern schaut wie traumverloren zur Höhe empor, auf der der Schüsselstein steht, dann sieht er eins ums andere an und nickt leichthin.

»Es kann was daran sein«, mutmaßt er. »Eins hat den Mund wie das andere, und jedes hat auf den Lippen so Tälchen, wie wenn sie mit den Fingern gedrückt worden wären. Der ... dein Ähnl sagt das?«

»Ist ja euer Ähnl auch«, erinnert der Jakoberl. »Der Rudel, der Inmann hat mir's gesagt.«

»Der Vater hat es auch einmal gesagt, aber ... ich mein', sie sind alle zornig. Wer weiß, wie die Sach' ist?«

»Das Vieh geht heim!« fährt der Lipp überlings auf, reißt den Jakoberl empor und beginnt nachher die Hänge hinüber zu rennen; der Gaberl aber sieht wieder zum Schüsselstein hinauf und sinnt an der Helfrau, die um die Rosel gekommen ... Unsinn! Es ist wirklich etwas Dummes, wie der Lipp sagt. Ein Sagmärlein wird es sein, wie es hundert andere auch sind. Die Leut' erschafft der Herrgott, und wenn ihre Stund' und Zeit um ist, ruft er sie wieder zu sich. Er hat auch heute die Rosel gerufen und sie zu seiner Engelschar gestellt, und ... sie zwei, er und das Linerl, haben jetzt wieder um einen Freund mehr im Himmel. Im Himmel! Als er in der Frühe fort ist, hat sie ihm noch das Händchen geboten, trotzdem sie schon so hart Atem gezogen und sich nimmer recht vermögt, gerad' als wenn sie es gewusst hätte, dass dies das letzte Patschhändchen sein sollte für dieses Leben. ...

Ein Schmerz und Wehtum breitet sich in seiner Brust, um seinen Mund beginnt es zu zucken und zu reißen, und gleich darauf bricht er in ein heftiges Weinen aus. Er hat die Rosel so gern gehabt, und jetzt hat sie ihm der Herrgott genommen!

»Was ist dir denn?« fragt die Linerl, nachdem sie eine Weile mit halb geöffnetem Munde und großen Augen geschaut. »Tut dir was weh? Stirbst vielleicht auch?« Sie sucht ihm ins Gesicht zu sehen, sie trocknet und wischt an den stürzenden und kollernden Tränen, und als diese alles nicht fruchtet und hilft, fängt auch sie an zu weinen.

Sie hat eben nicht so viel Verstand, als andere Kinder in ihrem Alter haben, und auch die Rede ist schwer und unbehilflich, als wäre die Zunge ein Erkleckliches zu schwer.

So trifft sie ihr Vater, der Geldweber, da er kommt, um sie heimzuholen.

»Hört das Flennen auf!« begütigt er. »Es nutzt nichts, und wenn einem auch hart ist, was kann es tun wider den Tod? Mir ist ja auch hart ums Herz, aber ... vielleicht ist es besser so. Wer weiß im Vorhinein alles? Und der Herrgott macht es allemal so, wie es für ein jeden zum Besten ist.«

Der Gaberl kann den Trost nicht recht begreifen, aber es wird ihm über den Zuspruch doch leichter, und die Tränen versiegen nach und nach.

Dann führt er die Kuh heim, während Vater und Schwester hinten nachgehen, still und schweigsam, aber als die Kuh angehängt ist, setzt er sich auf die Grasbank und stiert trübselig zu Tale. Der Vater will ihn mit Gewalt in die Stube und zum Mittagessen nöten, aber die Mutter redet ab.

»Lass ihn gehen!« redet sie. »Es ist ihm halt leid um das Dirndl; er hat es alleweil so gern gehabt und es ihn. Er ist zu weichherzig; in dem Stück ist er kein Schönberger; das Herz hat er von dir.«

Und der Geldweber, der Christoph, ist damit zufrieden, dass der Bub das Herz von ihm hat, und richtet sich zusammen, ins Dorf hinunterzugehen und den Todesfall anzusagen. Der Arzt muss den Totenbeschauzettel schreiben, der Pfarrer muss um den Fall wissen, und der Totengräber muss das Grab schaufeln. Beim Tischler muss wegen des Sarges vorgesprochen werden, beim Kaufmann ist dies und jenes zu besorgen, und wenn einer zu solcher Zeit ohnehin nicht recht weiß, wer er ist oder was er tun soll, derselbe muss Zeit vor sich haben, um allenfalls den halben Weg wieder zurückgehen zu können, wenn er dies oder jenes vergessen hätte.

Es ist nicht das erste Kind, das ihnen verstorben, und es hat auch bislang nicht das Hersehen gehabt, als wäre die Rosel so, wie andere Kinder und Leute sind, und es ist im Grunde genommen am besten, dass der Herrgott einen Winker getan und das Närrlein wieder zu sich gerufen, aber trotzdem ist ihm, als hätte ihm eins wieder ein Stücklein von seinem weichen Herzen weggerissen.

Das ledige Unglück mit den Kindern! Das Linerl wird kaum mehr, wie sie sein soll, und allem Anscheine nach wäre auch die Rosel so geworden. Aber warum? Wenn irgendeins ein Recht hat, so zu fragen, so hat er es. Warum sind die Kinder nicht so wie andere Kinder? Über den Gaberl ist ja nichts zu sagen, der hat im Gegenteile ein Kreuzköpfel, aber die Dirndln! Kann der Herrgott so ... so uneinsichtig und ungerecht sein, das zu tun, was der alte Spitzbub gewunschen? Und wenn sich die Mena versündigt, da sie nicht gefolgt und nach ihrem Herzen und ihrem Kopfe geheiratet, was können denn die armen Würmlein dafür?

So sinnt er hin und her, bis er vor der Tür des Arztes steht und ihm der Geruch der Karbolsäure erinnernd und aufmunternd in die Nase steigt.

Der Arzt sollte eigentlich die Totenbeschau vornehmen, aber er begnügt sich mit der Versicherung, dass das Kind tot sei, und schreibt die Bescheinigung darüber. Es geht so viel bequemer. Und mit dem Totenbeschauzettel geht der Christoph zum Pfarrer und sagt ihm, er möcht' übermorgen ein christliches Begräbnis für sein Kind.

Der Pfarrer schlägt ein großes Buch auf und macht ein großes, schwarzes Kreuz dorthin, allwo er ehedem eingeschrieben, dass er die Rosalie Seeböck am soundsovielten nach christkatholischem Brauch getauft, und das Kreuz streicht sie aus der Liste der Lebenden ... Geht halt so, das Kreuz in dem großen Buche winkt jedem einmal, und lebte er noch so lange.

»Wie geht's sonst allweil zu am Schönberg oben?« fragt nachher der Pfarrer leichthin, als er die Feder aus der Hand legt und den Zwicker abnimmt.

»Mein!« macht es der Christoph. »Wie geht's denn allweil? Fleißig muss eins beständig sein, dass es sich und seine Leut' so fortbringt und ... Herr Pfarrer, ich sag' allemal: Ist gut arbeiten, wenn eins gesund ist und Arbeit hat.«

»Gesundheit ist die Hauptsach' bei allem«, nickt der Pfarrer. »Wenn eins das Einkommen hätt' von einem Fürstentum und es wär' nicht gesund dabei, so hätt' es auch nichts Gutes und auch keine Freud'. Und Arbeit habt Ihr wohl auch genug?«

»Geht gerad' noch an«, bestätigt der Christoph. »Aber die Zeiten sind nimmer, die ehedem einmal gewesen sind. Dazumal hat's bei uns beim »Geldweber« geheißen, und der Nam' ist kein Spitzname gewesen.«

»Ich kenn' das Haus nur unter dem Namen.«

»Wird auch heut noch so genannt, und der Zehnte heißt mich noch den Geldweber, aber jetzt ist der Nam' nur mehr ein Spitznam'. Die Weberei hört mit der Zeit noch ganz auf; die Fabriken richten einen jeden Weber zugrunde.«

»Die richten mehr Handwerke zugrunde«, stimmt der Pfarrer bei. »Was für Leut' sind ehedem die Handwerker gewesen? Herrenleut' vor Zeiten, und ... und ...« Er mag das harte Wort nicht aussprechen, es könnt' sich's der Weber zu Herzen nehmen, und ein anderes gleichwertiges fällt ihm augenblicklich nicht ein. Aber der Geldweber ergänzt den Satz ungescheut.

»Bettelleut' heutigen Tags«, sagt er. »Ist ja nicht anders, Herr Pfarrer. Gerad' Maurer- und Zimmermannsarbeit lässt sich noch nicht mit der Maschin' machen, sonst alles. Ich werd' schier der letzte gelernte Weber sein in der Gemeinde; die Weberei zähl' ich nicht zum Handwerk, wenn da und dort einer mit Hundschanden ein Stückl wergene Leinwand zusammenklampert.«

»Der ... Gaberl wird kein Weber mehr?«

»Da müsst' ich ihm gerad' feind sein. Die Weberei, die eine Kunst ist und die noch was tragen hat, die hat sich aufgehört, und das andere Geklamper hört sich auch auf. Heut wenn eins ein schönes Tischtuch für eine heilige Zeit haben will, geht es zum Krämer, und der gibt es zu einem Preise, wo eins nicht einmal das Garn beistellen kann zu demselben. Früher haben die Weiberleut' ihre gewirkten Kittel getragen, gewirkte Bettwäsche und gewirktes Leinenzeug hat in jedem Hause sein müssen; da hat eins noch was verdient; aber heutzutag' wird erstens schon kein Flachs mehr gebaut, weil es sich nicht auszahlt, und wer gerad' noch einen baut, der verkauft ihn gleich dem Juden oder der Fabrik, und was man sich früher hat weben lassen, sel wird jetzt alles gekauft. Das Handwerk stirbt ab.«

»Der Bub hätt' so ein Talent zum Studieren«, meint der Pfarrer. »Ich hab' mich oft gerade gewundert, wie leicht und richtig er auffasst. Wenn die Mittel wären!«

»Wenn!« dehnt der Christoph sinnend aus. »Das Wörtel hätt' nicht aufkommen sollen, nachher wär' vieles anders ... Wenn ich die Mittel hätt', oder wenn das Geschäft noch so ginge wie bei meinem Aufwachsen, nachher hätt' ich am End' selbst schon daran denkt, aber so sind einem die Hände gebunden und die Taschen vernäht.«

»Merkwürdig, dass zumeist die Sach' ganz umgekehrt liegt. Wo das Geld ist und wo man gern möcht', ist oftmals kein Talent, und wo ein solches wär', fehlt's wieder an Geld.« ...

»Kann halt keiner hinaus darüber«, sagt der Christoph und schupft die Schultern. »Wenn's einer gerad' hätt', wie er es brauchet oder haben möcht', nachher wollt' ich wissen, was eine Kunst wär'. Geht halt so ... Und mit dem andern sind wir in der Richtigkeit? Gerad' eine einfache Leich', eine stille Mess', und um zehn kommen wir herunter.«

»Fehlt nichts.«

»So gehüt' Euch Gott! Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit!«

Der Christoph zieht die Türe sachte hinter sich zu, geht auf den Fußballen durch den Hausflur und tritt erst voll auf, als er draußen auf dem Dorfplatze steht. Muss nicht sein, dass einer so dreinstampft, als wenn ein paar Rosse gingen.

Er geht zum Tischler und zum Krämer, besorgt, was ihm alles einfällt, und geht dann langsam heim, beständig sinnend, ob er nicht etwa doch dies oder jenes vergessen. Und dann rechnet er zusammen, wie hoch ihm die ganze Angelegenheit zu stehen kommen wird, und es muss ihm nicht gerade stimmen, weil er sich mit der Rechten hinter das Ohr fährt und dort ein Weilchen kratzt.

Da fällt ihm mitten in seinem »Wurmen« ein, dass der Pfarrer gesagt, der Bub tauget zum Studium. Tauget! Könnt' einer auch sagen, der Bauernhof tauget für mich. Wenn's nur damit abgetan wär'! ... Kennen tät' er selbst, dass der Bub einen guten Kopf hat und zu sonst was tauget als zum Tagwerker, aber das Studieren wird Geld kosten, und wo keins ist, kann keins genommen werden. Wenn ... der Alte seinen Zorn und Hass verwinden könnte und das rechtmäßige Heiratsgut zahlen täte, wär' gleich Geld ... wenn! Er, der Christoph, hätt' übrigens selmal der Gescheitere sein sollen und zurückstehen, nachher wär' alles nicht, dies nicht und das auch nicht. Aber es geht halt so ...

Ja, es geht halt so, wenn ein paar Dickschädel zusammenstoßen.

Die Schönberger sind seit jeher schon solche Leut' – eine losende, hängohrige Rasse, sagt der alte Kalmann in seiner schnurgeraden Weise. Die Worte, die des Tages über geredet werden, sind zu zählen, und ein mit dem Brauche Unbekannter würde wähnen, alles trotzte jahraus, jahrein miteinander. Aber die Leut' sind einmal so geartet; sie denken und sinnen den ganzen Tag über still in sich hinein, und ein jedes meint, dass das andere all dies vernehmen und verstehen könne. Und dabei haben sie Köpfe wie aus einem Kiesfelsen gemeißelt, so hart. So sind die Leute im Schönbergerhofe, und so sind die Geldweberleute, seit sie sich auch Seeböck schreiben. Soll eine Freundschaft sein, so viel die Leut' erzählen, aber es ist dies schon so lange, dass die ältesten Männer nimmer genau anzugeben wissen, ob ein Schönbergerbub sich einmal das Geldweberhäusel gebaut oder ob er bloß eingeheiratet. Und die Freundschaft ist auch allweg und unter allen Verhältnissen anerkannt und geachtet worden, bis – vor so ein dreizehn oder vierzehn Jahren der Schinder dazwischen gefahren ist.

Der alte Geldweber – der Herrgott tröst' ihn! – hat ein bissel über ein Halbdutzend Buben gehabt, feste, knorrige Kunden, echte Schönbergerrasse, hat sich hübsch ein Geldel erwebert gehabt, und er und die Buben haben sich gedacht, es müsst' nicht sein, dass einer oder der andere einem groben Korporal oder einem bartlosen Offizierlein den Narren machte durch drei Jahre, und so ist einer um den andern bei Nacht und Nebel abgefahren und hinübergezogen über das große Wasser, wo es einer zur selben Zeit mit etwas Geschick und mit dem sprichwörtlichen deutschen Fleiß noch zu etwas bringen gekonnt. Nur er, der Christoph, ist als der jüngste zurückgeblieben, hat seine Militärzeit verbracht und hat dann das Gütlein und das Handwerk übernommen.

Und zur selben Zeit hat auch einmal des Schönbergers Mena gesagt, sie mag keinen andern als ihn, den Christoph, und kein anderer brächte sie mit vier Rossen zum Altare. Und die Mena ist heute noch eine Vollblut-Schönbergerrasse. Sie ist auf dem bestanden, was sie gesagt, und da die Schönbergerleute ganz anderer Meinung gewesen, ist es zum Bruche gekommen. So ein drei, vier Wochen ist getrutzt worden und gezürnt, und da sie nicht abgegangen von ihrem Willen und Vorhaben, ist sie aus der Familie ausgeschlossen worden.

»Tu', was du willst«, hat selmal der Schönberger gesagt, »heirat' in dein Verderben hinein, wie du willst, aber sag' von heut' ab nimmer Vater zu mir. Und ich heiß' dich kein Kind mehr. Ich tu' dir keinen Schritt in dein Haus, und du gehst mir auch nimmer ins Meine, und reden tun wir zwei kein Wort mehr miteinander, solang' eins oder das andere lebt. Und weil du meinst, dass du gerad' ins Glück hineinheiratest, keines sollst finden und haben, keines.«

Die Mena hat sich ihr Teil gedacht und hat nach ihrem Sinn getan, und ein paar Tage nach der Hochzeit hat der Schönbergerknecht einen – Hunderter herübergebracht. Das wär' der Mena Heiratsgut, hat er gesagt. Für ein kleines Wirtschaftel wär' ein kleines Geld auch genug. Aber die Mena hat den Hunderter wieder zurückgeschickt; sie wollt', was ihr gehöre oder gar nichts, hat sie als Botschaft aufgetragen, und der Schönberger hat sich an das letzte Wort gehalten.

Sie haben bislang auch noch gar nicht mehr verlangt, als was sie sich verdient; sie haben keine Not gelitten und sind zufrieden gewesen. Was hat denn eins mehr als das leidige Leben, selbst wenn es fünfzig Herrschaftsgüter hat? Und das Leben haben sie derweil im Geldweberhäusel noch allweil gehabt, und gerad' kein schlechtes Leben. Nur wegen dem Linerl sinnt eins ums andere oftmals, und oftmals fallen auch nach Schönbergerart ein paar Worte darüber, und daran langt wieder jedes. Es kann sein, dass sich die Mena ab und zu doch denkt, es wär' schon von wegen diesem Fall besser gewesen, sie hätte selmal gefolgt, aber recht lange wird es sie nie reuen. Sie hat ihn ehzeit so gern gehabt, dass sie sich seinetwegen mit den Eltern so arg überworfen, und in so einem Dickkopfe hält auch die Liebe fest. Darüber macht er sich keine Gedanken. Sinnt ja er auch manchmal, ob es nicht besser gewesen wäre, er hätte den Gescheiteren gemacht und nachgegeben, und im nächsten Augenblicke schon muss er sich fragen: Was kann denn sie dafür?

Als er heimkommt, binden die Kinder gerade einen Kranz aus dunkelgrünem, glänzendem Zwengerlingskraut (Preiselbeerkraut), untermischt mit dem schönsten Geblume der Flur, und der Gaberl erzählt dabei der Schwester, wie schön die Rosel wohl wäre im Himmel droben und dass es sie freuen wird, wenn sie sieht, welch schönen Kranz ihr die Geschwister winden zu ihrer Hochzeit, und während des Erzählens schleicht sich ab und zu ein Tränlein in des Buben Augen und kollert nieder auf Grün und Geblume des Kranzel.

Als sich die Sonne hinter den langgestreckten Bergrücken verkrochen, kommt der alte Kalmann daher mit seinem verflüchtenden Quartalsrausche. Schon von Weitem hört man ihn reden und mit sich selbst streiten, und derweil der Gaberl eine Weile schaut, rennt das Linerl in den Stall.

»Vater, Vater!« lacht es, »der alte Schulmeister hat wieder seinen Rausch.«

Und der Christoph tritt auf die Gred hinaus und schaut dem daher wackelnden alten Manne entgegen, und dann verbietet er den Kindern, weder zu lachen noch zu spötteln, wenn er herbeikommt und allerhand närrisches Zeug redet. Was er, der Christoph kann, hat er dem Alten zu danken, die Mena hat ebenfalls Lesen und Schreiben gelernt bei ihm, und einige Winter her, wenn der Weg zu dem über eine Stunde entfernten Kirchdorfe Steinbrunn verschneit und für die Kinder ungangbar ist, lehrt er auch diese, was er die Alten gelehrt.

»Heut' herberg' ich mich wieder bei dir ein«, grinst der Kalmann, als er über die Gred hereinstolpert. »Ich hab' meine Bußzeit wieder um, und am Schönberg heroben in der frischen Bergluft heilt sich einer wieder bald zusammen.«

»Kommt Ihr denn gar nie weg über die verzweifelte Zeit?« tadelt der Christoph, aber die Rede kommt wie in eine etwas rauere Hülle gewickeltes Mitleid heraus.

»Narr!« lacht der Alte hinter seinem grauen Barte hervor. »Wenn ich vorbeikommen kunnt', ich tät' es recht gern, aber es ist, wie wenn der helle Gankerl auf jedem dritten Kalenderblattl säße. Wend' dich nachher auf eine andere Seiten! ... Was treibt denn der Leineweber da?« lächelt er dem Gaberl zu und kneipt ihn in die Wange. »Ein Kranzel binden? Mir scheint aber, der Kranzeltag ist schon vorüber.«

»Die Rosel ist gestorben«, erklärt das Linnerl

»Geh!« stößt der Alte heraus und reißt die Augen großmächtig auf. »Der Herr gib ihr die ewige Ruh'!« murmelte er nachher halblaut. »Allweil so ein frischer Schneck gewesen und jetzt ... Glaubst, Christoph, es wär' oft ein wahres Glück, wenn eins zu der Zeit versterben kunnt', so ... wie wenn der Herbstreif ein junges Gräslein versengt? ... Wenn's so ist, geh' ich ein Häusel weiter, aber morgen, übermorgen komm' ich zu dir. Gelt? Gute Nacht!«

Und er stapft schwerfällig weiter.

Beim Verzehren der Nachtsuppe drückt und quetscht der Christoph so lange herum, bis er damit herauskommt, was der Pfarrer wegen dem Gaberl geraten.

»Mir scheint gar, du tätest dich gern daran kehren«, tadelt sein Weib.

»Wenn's sein könnt', dürft' mir's einer nicht zweimal raten«, versichert er, kriegt aber keine Gegenrede mehr darauf.

Der Gaberl aber hält eine Weile seinen Löffel lässig in der Hand, schaut bald den Vater, bald die Mutter an, und in seinen Augen beginnt es zu flammen. Studieren? Was wär' denn sel?

»Was müsst' ich denn da tun?« fragt er nach einer Weile.

»Wird nicht gehen«, drückt der Christoph heraus. »Aber wenn einer studieren will, der muss weit fort, in eine große Schul', muss er allerhand lernen und treiben, bis er ein Pfarrer wird oder sonst ein großer Herr« ...

»Dass er tauget, sel meint der Pfarrer?« fragt die Mena langsamer, als es sonst ihre Art ist.

»Er sagt schon.«

Damit hat der Schwatz wieder ein Ende, und jedes sinnt in seiner Weise fort, tastet mit seinen Gedanken bald den, bald jenen Pfad, bis es nimmer vorwärts findet, und kehrt dann wieder um und versucht einen andern.

Bei zunehmendem Dämmern kommen die nächsten Nachbarn herbei aus den umliegenden Gehöften, von denen außer dem Schönbergerhofe keines näher liegt denn eine Viertelstunde, um die gebräuchliche Totenwacht zu halten und einige Gebete für das Abgeschiedene zu beten. Vom Schönbergerhofe aber kommen nur die Ehehalten und die beiden Buben, der Lipp und der Jakoberl. Die Männerleute setzen sich um den Tisch und karteln ein bissel, die Weibsvölker suchen sich auf und bei der Ofenbank ein Plätzchen zu halblautem Plausche, und die Kinder drängen sich im Höllwinkel zusammen, dem Raume zwischen Ofen und Wand, und erzählen sich gegenseitig Märchen und andere Geschichten oder geben Rätsel auf.

»Ich weiß was ganz Neues«, drängt der Lercheckerbub sein Geschichtchen auf. »Wie die alte Mooswinklerin ist versehen worden ...«

»Die ist schon eine halbe Ewigkeit gestorben«, erinnert der Schönberger-Lipp geringschätzig. »Kann so etwas ganz Neues sein!«

»Aber erzählt haben sie es gestern oder vorgestern erst. Na, ihr wisst es fein gewiss noch nicht.«

»Erzähl' es, Kasperl!« drängen und fordern die Kinder, und selbst der Lipp horcht neugierig zu. Und der Kasperl erzählt:

»Wie die alte Mooswinklerin zum Sterben krank worden ist, hat sie den Nazi um den Pfarrer geschickt, er sollt' aufs Versehen kommen, weil es gen Himmel gehen will. Und der Nazi ist gegangen und hat den Pfarrer mitgebracht. Den Tisch haben sie weiß gedeckt gehabt, und zwei Kerzen sind auch darauf gestanden, und der Nazi hat sie angezündet, aber ein Kreuz ist nicht zu sehen gewesen. Hat der Pfarrer gefragt, ob denn kein Kruzifix im Haus wär, und die Mooswinklerin hat die Frag' bestattet: ›So altes G'ricks (Gerümpel) ist genug da. Nazi, bring' was herunter vom Boden!‹ Und der Nazi hat einen alten Haspel gebracht ... Ein Kreuz sollt' er bringen, hat nachher der Pfarrer gefordert, ein Kreuz, auf dem unser Herrgott einmal gestorben ist. Da hat die Mooswinklerin die Augen weitmächtig aufgerissen und geschaut als wie ein helliger Narr. ›Mein‹ ja! So ist der Herrgott auch gestorben?' hat sie gewundert. ›Da schau' ein Mensch an! Na, in unsern Winkel hört man halt gar nichts herein.‹«

Helles Lachen folgt dem Geschichtchen, und der Sepp, des Kronwitternen Bub, meint, das Stückel wär' so recht in den Kalender.

Gen Mitternacht betet der Lerchecker den Rosenkranz und eine Litanei vor, und dann gehen die Nachbarn heim, und die Geldweberleute legen sich zur Ruhe. Das Totenlicht ist gut gerichtet, und die Rosel stoßt es nimmer um, und auf andere Weise kann kein Unheil geschehen damit.

Am andern Morgen aber ist der Gaberl schon in aller Frühe aus den Federn, erzählt mit vor Lachen stickender Stimme das Geschichtlein von der alten Mooswinklerin, und dann setzt er sich überlings einmal zum Tische hin, nimmt den Kalender vom Nagel und will das Geschichtlein einschreiben, weil es der Sepp dafür recht erklärt. Aber es hat kein Geschick und keine Form. Hineindrucken, wenn man es kunnt, nachher ja, aber sel geht nicht.

Enttäuscht steht er ab von seinem Vorhaben, hängt den Kalender wieder auf und versteckt sein Schreibzeug und sinnt und phantasiert, wie es der Kalendermann wohl anstellen dürfte, um seine Geschichten in Druckschrift in den Kalender zu bringen, doch kann ihm auch seine stark entwickelte Phantasie kein rechtes Bild von der Buchdruckerei entwerfen.

Als er aber nachher die Kuh wieder auf die Weide führt, gleiten seine Gedanken allmählich zum Studieren hinüber, und er denkt und fühlt sich schon als Pfarrer, baut sich einen Altar aus Steinen und Holzstäben, wirft ihn aber wieder um, als des Schönbergers Buben dahertollen. Was geht es die an, was er soeben gesonnen und getrieben? Als Altartisch hat er sich einen fast würfeligen Stein genommen und nicht lange nach dem und jenem geschaut, als er eine schöne, ebene Seite gefunden, da aber die ganze Geschichte umgeworfen und auch der würfelige Stein auf eine andere Seite gewendet worden, merkt er, dass er einige Ähnlichkeit hat mit dem Schüsselsteine auf dem Bergrücken dort drüben. Ob diese Ähnlichkeit wirklich so groß, dass sie einem andern aufgefallen wäre – wer weiß es? Aber für ihn ist sie da, und er findet sie bestehen. Ob sich da vielleicht auch einmal einer vor alten Zeiten einen Altar gebaut?

Gen Abend desselben Tages bringt der Tischler das Särglein für die Rosel, und am Abende legen die vier Trägerinnen, Dirnlein aus den Nachbarschaft, das Kind in sein letztes Bettstättlein, winden den Kranz rings um es her und stecken ihm ein Rosmarinsträußlein an die leblose Brust. Und dabei geht den Gaberl wieder die Bitternis und der Schmerz an, und da er sich des Flennens vor den Leuten schämt, schleicht er sich in die Kammer, kauert sich in einen Winkel und flennt so lange fort, bis ihn der Schlaf übermannt. So gern eins das andere gehabt, jetzt ist die Schwester tot, und sie kennt und mag ihn nimmer.


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