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11.

Beim Rosenbauer sitzt der Gaberl und legt sich ein paar Schriften auf die Seite, die er daheim in aller Gemütsruhe erledigen will.

»Das schreibst gerad' so, wie ich es gesagt hab'«, trägt der Rosenbauer auf. »Wir geben nichts zu der Eisenbahn. Wer eine braucht, soll sich eine bauen, aber nachher auch noch nicht durch unsern Grund und Boden ... Die Kunden wären gescheit«, lacht er nachher überlegen auf. »Soundsoviel sollt' jede Gemein' beisteuern. Auf die Weis' kann ich auch eine Eisenbahn bauen ... Nichts kriegen sie, nichts, keinen Heller.«

»Ich schreib' es schon so auf, dass sie uns verstehen«, verspricht der Gaberl. »Und das Denkbuch führ' ich auch aus, dass es richtig sein wird.«

»Zeit setz' ich dir keine in dem Stuck«, sagt der Rosenbauer. »Wenn's nur überhaupt geschieht. Es wird tausend Gemeinen geben, die kein solches Buch haben, aber ich will's und ich lass es schreiben, dass die Nachkommen auch einmal lesen können, wie alles gewesen und gekommen ist vor alten und recht alten Zeiten ... Bis zu der Zeit, wo die ersten Häuser – aufbaut worden sind, hat der alte Kalmann schon alles beschrieben, so viel ich gelesen hab'. Ist uns zu früh gangen, der Mann, trotzdem wir oft genug geredet haben über die Sach' ... Die erste Siedlung soll die Althütten gewesen sein, die aber bei Steinbrunn blieben ist. Nachhher wär' der Paterlhof einbaut worden, auch eine Glashütten, nachher der Zacherl oder Zagel, wie er ehezeit geheißen hat, und so fort, wie die Häuser in der Reihenfolg' angeschrieben sind ...« Und er erzäht alles, wie sich dann die sechs erbgesessenen Familien zerteilt hätten, wie der mit jenem und ein dritter und vierter wieder mit dem ersten in der Freundschaft wären und woher es kommt, dass in der Gemeine so viel Zacherl, Glaser, Schürer, Aschenbrenner, Seeböck und Zäuner wären, und dies und jenes, und der Gaberl macht sich da und dort eine Anmerkung auf einem Stücklein Papier. Und als alles beredet, packt er seine Schriften und das sauber eingebundene Denkbuch zusammen und geht heim.

Ein glöckelheller Himmel spannt sich über das schneebedeckte Gebirge, in blendender Weiße strahlen Gefild und Gehänge, und die Schneekristalle funken und gleißen im Sonnenschein wie eitel Edelgestein. Die Luft ist rein und klar, die Wälder ringsumher auf den Anhöhen und Bergrücken scheinen infolge des Gegensatzes fast schwarz zu sein, und von den Hecken und Obstbäumen im Gehänge herunten rieseln die letzen Anreimreste zu Boden, nur ganz unten im Tale lagert dichter, grauer Nebel.

Da fällt ihm auf einmal ein, was selmal der alte Kalmann von des Lebens Tiefen und Höhen gesagt, und sachte schleicht ein zages Ahnen und duftigschwaches Begreifen um sein Sinnen.

Unter seinen Tritten knirscht der Schnee, und im jenseitigen Gelände drüben lachen ein paar ihre Freude und ihre Unsorge hinaus in die Lüfte, und dieses Lachen ärgert ihn fast. Warum? Sel weiß er selbst nicht, aber er kann kein Gefallen finden an dem ungebundenen, sorglosen und manchmal auch nicht ganz harmlosen und wohlanständigen Treiben seiner Altersgenossen. Er ist von Haus aus schon stiller veranlagt denn die andern, täte gern über dies und jenes reden, wofür die andern kein Verständnis haben und ... und ... Er ist halt derweil ganz anders geartet als sie, und dann soll er jedem die Zielscheibe abgeben für seine ungehobelten Witze und Spötteleien. Der Halbstudierte, der Viertelpfarrer, der lateinische Zimmermann, so nennen ihn einige, und andere spielen auf den Notweber an. Hat's gar nicht not, dass er sich unter sie mengt. Er geht derweil seinen eigenen Steig neben ihnen her, bis ... bis am End' einmal eine Zeit kommt, wo er dies und jenes ist und Geld in schwerer Menge hat. Dann reibt er bei passender Gelegenheit einem jeden die Witze und Spötteleien um die Nase und ... geht auch wieder seine eigenen Wege.

Es ist Stephanstag, und im ganzen Häusel ist alles wie ausgestorben; der Vater ist zum Kronwitternen hinübergegangen und die Line zu Altersgenossinnen, nur die Mutter sitzt auf der Ofenbank und liest in einem alten, dickleibigen »Himmelsschlüssel«.

So setzt er sich denn zu Tische und schaut in dem Denkbuche, was der alte Kalmann schon hineingeschrieben. Ein großer, nach alter Weise reich verzierter Buchstabe eröffnet die Schrift, und hinter ihm reihen sich die sorgsam geschriebenen, in ihrer altväterischen Eigenart gar traulich anmutenden Buchstaben zu schnurgeraden Zeilen.

»Gott schütze und schirme dich, du schöner deutscher Wald! Gott erhalte dich deutsch, bis das Wort des Herrn sich erfüllt, bis Berg und Tal sich ausgeglichen! Deutsch bist du gewesen, germanisch, solange unsere Kenntnis zurückreicht in vergangenheitsdunkle Zeiten.

Das erste, geschichtlich nachweisbare Volk, das den Wald und vielleicht auch unsere Gegend und unsere Gemeine bewohnte, waren die keltgermanischen Bojer, und der lateinische Geschichtsschreiber Tacit schreibt in seinem Buche von Germanien: Igiter inter Hercyniam silvam etc. ulteriora Boji ... tenuere, was ich mir einmal so zusammengestümpert habe, und Appian nennt sie in seiner Schrift von den Kelten ein raues Volk. Kann aber schon gewesen sein, denn unsere Leute sind heutzutage noch wie dürrer Kronwitt, und es haben über anderthalb Jahrtausende geschliffen an ihnen.

Die Bojer werden recht vereinzelt im Walde gewohnt haben, und höchstwahrscheinlich sind auch viele von ihnen im Walde hängen geblieben, als der ganz Stamm zur Zeit der Völkerwanderung nach Westen zog, um einem zweiten Lande ihren Namen aufzuprägen. Ich stell' mir aber die ganze Völkerwanderung so vor, als wenn dies viele Jahre lang im Kleinen und allmählich vor sich gegangen wäre, nicht im Jahre 375, wie wenn einer ein Gewehr abgeschossen hätte. Ist ja heutzutag' wieder das Nämliche. Das Sechsundsechziger Jahr hat unseren Slawen die Gunst im Haus Österreich zugeschüttelt, und jetzt wandern und drängen sie wieder in ihrer Nomadenweise, und Schritt um Schritt weichen die Unsern zurück.

Der Schüsselstein oben in den Bergen ob dem Schönberg mag vielleicht aus der Zeit stammen, und er wird ein Altar sein, wo der Göttin Hel geopfert worden.

Wie es selmal gewesen? Wer weiß es! Müsst' einer gerade raten und phantasieren, und das taugt nicht in ein Denkbuch.

Wie ein großer Traum liegt die Zeit über dem Walde, alles im Nebel und im Ungewissen. Erst um Tausend nach Christi, dem Herrn, ist ein Strahl in das Dahindämmern gefallen. Zwei heilige Männer haben das Kreuz im Walde aufgerichtet und die Heilslehre des Kreuzes gepredigt, und von der Zeit an ist's auch nach allen Seiten hin ein bissel lichter. Die zwei Männer sind der Bischof Wolfgangi von Regensburg und der Einsiedelmann Günther von Rinchnach gewesen, und der eine hat den oberen Wald, der andere den mittleren und unteren dem Christentum gewonnen.

Nach ihnen sind aber Leute gekommen, die sich edel genannt, haben geschaut, was ihnen passt und haben nachher kurzweg gesagt, das gehört mein, und ihr seid meine Untertanen, und aus den freien Kindern Gottes sind Sklaven einiger Müßiggänger geworden, deren Nachkommen so entartet sind, dass sie sich gar nimmer zu unserem Volke gezählt, sondern allweg nur »Pfui, Deutsch!« geschimpft und gespöttelt haben.

Dann sind von weither Männer gekommen, haben Öfen gebaut im Walde und darinnen den harten Kieselstein zu wasserhellem Glase geschmolzen, und der Wald hat sich um die Öfen her gelichtet, und als das Holz hätte schon von weiter her geschafft werden, ist man mit den Glashütten dem Walde nachgerückt.

Auf dem gelichteten Grunde aber hat sich der Bauersmann niedergelassen. So ist ...«

Nach dem Worte ist dem alten Kalmann selmal die Feder aus der Hand gefallen, und was er noch gedacht, das hat er mit hinübergenommen in die Ewigkeit.

Der Gaberl stützt den Kopf in die Hand und liest und liest, und dabei versetzen ihn seine Gedanken auf den Schüsselstein hinauf, von wo man das Land weitumher übersehen kann, und wie Nebelbilder zieht die Einbildungskraft Bild um Bild zwischen ihm und diesem Hintergrunde durch. Was er einmal gesonnen, fällt ihm wieder ein, und wie oftmals des Menschen Ruf die Schneelahne losprellen kann, wenn die richtige Zeit dafür gekommen, so weckt dieses Sinnen und dieser Einfall das Drücken in der Brust wieder und das Sehnen nach etwas, das er selbst nicht gekannt und das ihn gedeucht, als wäre er in nadelspitzstarrender Dornenhecke.

Jetzt macht er sich über diese Arbeit!

Er holt ein Stück Papier hervor, setzt sich zurecht und fängt zu schreiben an. Wie die Gedanken kommen, so schreibt er sie auf, und was er schreibt, dünkt ihn das Beste und Schönste, das jemals geschrieben worden. Selbst, was er sich nur gedacht, wähnt er geschrieben zu haben, dass es jeder lesen und nachempfinden könne, und als er endlich fertig ist, versteckt er das Blatt sorgsam unter den Schriften, die er für die Gemeinde zu erledigen hat.

Als sein Vater heimkommt, sitzt er am Tische und schaut träumerisch zum Fenster hinaus. Was er geschrieben, wähnt er schon in schwarzen Druckbuchstaben vor seinen Augen herumtanzen zu sehen, sein Name steht in großmächtiger Schrift dabei, und jedermann in der ganzen Welt hält das Tagblatt der Kreisstadt und sieht den Namen gedruckt und liest den Aufsatz. Sein Name wird mit einem Schlage bekannt, und alles will etwas zum Abdrucken haben von ihm; er schreibt nachher Buch um Buch, und sein Bild wird in die Auslagefenster der Buchhandlungen gehängt und ... und ...Ja, wenn er selbst alles wüsste, was sein Hirn in seligem Planen und Hoffen zusammenreimt!

»Heut' hab' ich aber dem Lumpen einmal die Leviten gelesen«, berichtet der Christoph, und in seiner Stimme widerhallt noch der Ärger, der ihm für ein Zeitlein die Selbstbeherrschung aus der Gewalt gerungen.

»Wem?« fragt die Mena.

»Dem Spottmaul, dem Isidori. Gerad' will sich's schicken, dass er zum Kronwitternen kommt, und in mir hat sich eh' gleich alles gerührt, wie ich ihn gesehen hab'. Ein bissel verschüchtert ist er wohl gewesen, wie er mich in der Stube funden hat, aber geredet hätt' er mit mir, als wenn wir die Besten wären mitsammen. Und ich bring' sel einmal nicht über's Herz, dass ich mit einem red', den ich nicht leiden kann; so eine Heuchelei ist mir nicht geben. So hab' ich halt losgelegt und gerad' gesagt, was mir eingefallen ist. Aber keinen Muckezer hat er dawider verloren.«

»Ich hätt' wieder gar nichts gesagt zu so einem Lumpen«, sagt die Mena. »Meinetwegen kann da eins schwarz oder weiß sagen, ich find' kein Wort für es, ich nicht. Und das gilt auch, so viel es wiegt.«

Am andern Tage schreibt der Gaberl einen Brief an das Tageblatt der Kreisstadt, teilt mit, dass er demselben anliegend ein kleines Geschichtlein sende und bittet um ehebaldigsten Abdruck und geneigte Mitteilung, ob er mehr schreiben dürfe. Und am darauffolgenden Tage legt er beim Rosenbauer unten den Brief zu den Postsachen des Bürgermeisteramtes und ersucht, ihn auch dem Boten mitzugeben, der die Amtssachen zur Post bringen soll.

»Da ist keine Ungelegenheit dabei«, erklärt sich der Rosenbauer bereit. »Aber, was willst denn von der Zeitung haben?«

»Ich ... ich mein', ich halt' mir ... da und dort ein Blatt«, drückt sich der Gaberl um eine offene, ehrliche Antwort herum.

»Das ja«, nickt der, und damit ist die Sache abgetan, aber der Gaberl wartet schon den dritten, vierten Tag auf einen Brief, und es kommt keiner. Das Jahr geht zu Ende, und es fängt ein neues an, in Steinbrunn unten tut sich selbst ein Postamt auf, und am Tage der heiligen drei Könige geht er in die Kirche hinunter und geht selbst auf die Post.

»Ist nichts da für ... für das Bürgermeisteramt Schönwinkel?« fragt er den Postmenschen, der hinter starkem Holzgespange sitzt wie ein recht lebensgefährlicher Kamerad, den man nicht auslassen darf.

Der tut einen Brummer und sieht nach und klaubt heraus, was für dieses Amt eingelangt.

»Für mich ist nichts da?« presst nachher der Gaberl zag und verschämt heraus.

»Hättest das nicht gleich sagen können?« fährt er ihn an. »Wäre unter einem Suchen gegangen. Wie heißt denn?«

»Gabriel Seeböck.«

Der Postmensch sucht noch einmal, findet aber nichts.

Wieder nichts! Ist der Brief nicht zum Tagblatt der Kreisstadt gekommen? Ist er in Verlust geraten? Haben sie die Schrift nicht brauchen können, oder hat sich vielleicht gar – einer darum angenommen, den sie nichts angeht? Dass er die Zeitung nicht hat, sel müssen sie wissen, und wenn das Geschichtel ein anderer für das seine ausgibt, kann er nichts davon erfahren.

Die Pläne schrumpfen gutding über die Halbscheid' zusammen, und die Hoffnung schwindet bis auf ein kärglich Restchen, das sich nicht vertilgen lässt.

Zürnend, sinnend, hoffend und verzagend stapft er dem Rosenhofe zu, wo er die für das Bürgermeisteramt bestimmten Postsendungen öffnet und gleich einträgt. Der Bauer ist noch nicht daheim, und die Bäuerin will ihn einladen, beim Mittagessen zu bleiben, um später gleich fortarbeiten zu können, wenn etwa Dringendes angekommen, aber er lehnt mit kurzem Danke ab und geht heim.

Solches widerfährt ihm noch zwei Sonntage, und ein gelindes Verdrossensein beherrscht ihn noch, bis der Postmensch endlich einmal einen Brief hat für ihn und eine Zeitung.

Mit einer Hast, als wenn Leben und Sterben von ein paar Augenblicken abhingen, reißt er im Vorhause draußen den Umschlag des Briefes auf und liest:

»Sehr geehrter Herr! Wegen Arbeitsüberhäufung unserer Redaktion konnte zu unserem größten Bedauern erst jetzt von Ihrer uns gütigst zur Verfügung gestellten Arbeit »Der Schüsselstein« Gebrauch gemacht werden, und erlauben wir uns, Ihnen gleichzeitig mit diesem unter Kreuzband zwei Nummern des betreffenden Blattes zu senden. Weitere Einsendungen sind uns selbstverständlich jederzeit erwünscht, und sichern wir Ihnen rascheste Erledigung zu. Honorar können wir bei der kleinen Auflage unseres Blattes natürlich nur für ganz hervorragende Leistungen bekannter Autoren bewilligen, hoffen aber, dass dies für Sie kein Grund ist, uns Ihre geschätzte Mitarbeiterschaft zu entziehen.

In Erwartung weiterer Zuwendungen bleiben wir mit Hochachtung

Die Redaktion des Tageblattes.«

Also doch! Alles Blut drängt ihm zu Kopfe, vor seinen Augen beginnt es zu flimmern und zu flinseln, und seine Hand zittert, als er die Schleife von den Zeitungsblättern abstreift und das eine Blatt entfaltet. Richtig: »Der Schüsselstein. Von Gabriel Seeböck.« Schwarz auf weiß steht dies dort unter dem Striche auf der ersten Seite und ... und ... Was weiter noch an Gedanken durch seinen Kopf zieht, vermag er nimmer wahrzunehmen. Wirr und toll flattert und schrillt alles durcheinander, wie ... wie denn nur? Vielleicht, wie wenn an schönem Maientage alles ringsum gellt und hallt vom Gesang und Geschrei der Vögel, so dass eins eine einzelne Stimme gar nicht vermag, und wenn der ungestüme Westwind die Blüten von den Kirschbäumen schüttelt und in tollem Wirbel vor sich hertreibt.

Hastig steckt er Brief und Zeitungsblätter in die Tasche und rennt heimzu damit, aber im Gehänge oben setzt er sich auf den hartgefrorenen Schnee hin und will lesen, was da gedruckt steht von ihm. Will! Wenn einer zu solcher Stunde lesen könnte! Er sieht nur die groß und fett gedruckte Titelzeile und seinen Namen darunter, und alle anderen Zeilen verschlingen und verflechten sich zu unenträtselbarem Gewirre. Die Buchstaben springen und tanzen hin und her, schlagen Purzelbäume oder nicken ihm lachend zu, und das Ganze scheint in hellem Aufruhre. Ah was! Das kann er daheim auch noch lesen, wenn es sich jetzt nicht fügen will. Und Nachmittag schreibt er gleich wieder so ein Geschichtlein. Weitere Einsendungen sind erwünscht und er ... ihm kommt das Geheiß auch erwünscht.

Er steht wieder auf und rennt und hastet über die hängenden, schneebedeckten Fluren dahin, als wäre er ein Vogel und schwebte nur so in der Luft. Erst nach und nach kühlt die schneidende Winterluft sein Blut ein Merkliches, aber den raschen Herzschlag und den ungestümen Gedankenzug vermag sie nicht viel zu hemmen, und die Narrenfreude – anders ist sie schier nicht zu benennen – die in seiner Brust wogt und wallt, könnte überhaupt von nichts ertötet werden. Kein blütengesegneter Spätfrühlingstag ist ihm noch schöner vorgekommen als dieser frostraue Wintertag, noch niemals hat die Sonne schöner geschienen, und zu keiner Zeit noch hat sich der Himmel blauer und reiner über den weiten Erdkreis gespannt.

Des Lebens Höhen und Tiefen! Überlings fällt ihm die Rede ein, und dem Einfalle folgt der Vergleich auf dem Fuße. Mit einem einzigen Schritte hat er sich jetzt hinaufgebracht zu den höchsten, allweg sonnumglänzten Höhen, und dort wandelt er fürder, mag im Tale der Nebel wogen und wallen, so dicht er nur kann. Er ist ein Schriftsteller geworden, sein Name steht in allen Blättern des Tageblattes, jedermann kann ihn dort lesen, und jedermann kann sehen, was er schreibt. Noch ein paar Stückeln, und vielleicht hängen sie auch sein Bild in die Auslagefenster der Buchhandlungen und schreiben dies und jenes dazu.

Wer kann die Stimmung beschreiben und die Freude abschätzen, die solche Stunde in das Herz eines für diese Kunst veranlagten Menschenkindes zaubert? Wohl schlummert in drei Vierteilen der Menschheit der Sinn für Kunst und Poesie und macht sich bei jedem in seiner Weise bemerkbar, wie ja der Menschen Art niemals die gleiche ist, aber in dieser Stärke ist er in hundert Fällen je einmal vorhanden. Der eine liest gern und findet daran sein Genügen, der andere ist lauter Lied und Gesang, und ein dritter findet an dem vorhandenen Liederschatze nimmer sein Auslangen und sinnt sich selbst dies und jenes zusammen, ein vierter erzählt gern Geschichten und Märlein und lügt jedes Mal etwas Neues hinzu, ein fünfter lässt seine Einbildungskraft um Glauben und Religion die blütenschwersten Ranken wuchern, und ein sechster und siebenter losen stille herum in der Welt und schauen jedes Blümlein an für wer weiß was für ein Wunderding und reimen sich Zeit, Menschen und Sachen zum singrünen Strauße.

Es ist eben so, und es ist vielleicht gut, dass es so ist; wie trostlos wäre mancher Lebenspfad ohne das bissel Poesie des Lebens?

Glückstrahlenden Gesichtes kommt er in die Stube und legt Brief und Zeitung vor den Vater hin, der schon etwas früher heimgekommen.

»Da schaut!«

Der Christoph langt zuerst nach dem Briefe und liest ihn bedächtig durch, kann aber nicht ganz klar werden daraus. Er hat kein Wissen davon, was der Bub der Zeitung für eine Arbeit geleistet, versteht von Honorar und von Autor nichts und kennt sich daher am Ganzen nicht recht aus.

»Was ... ist's denn damit?« fragt er nachher und legt das Briefblatt wieder aus der Hand. »Was hast denn mit den Leuten?«

»Schaut da her?« weist der Gaberl und deutet nach seiner Arbeit in der Zeitung. Sein Gesicht ist von der Winterkälte ohnehin hoch gerötet, aber es wird noch röter, als er auf den Namen zeigt.

»Was ...?« dehnt der Christoph langmächtig heraus, schaut dem Buben fragend ins freudestrahlende und dunkelrote Gesicht.

»Nun, geschrieben hab' ich das Stückel, ich«, bedeutet und erklärt er.

»So ja«, nickt endlich der Christoph. »Also Du hast es geschrieben, und um die Sach' handelt es sich? Dass du aber davon nichts gesagt hast?«

»Ich hab' wollen zuerst sehen, wie es einschlägt.«

Und der Christoph liest. Nach seinem Geschmacke wäre die Geschichte entschieden nicht, weil er sich noch nie darum gekümmert hat, was man ehezeit auf dem Schüsselsteine oben getrieben, und weil das heute überhaupt niemand mehr wissen kann, am wenigsten der Bub. Ist halt ein Sagenmärlein wie so manches andere. Aber den Zeitungsleuten in der Kreisstadt muss es gefallen haben, sonst hätten sie es nicht gedruckt.

»Mehr solche Sachen sollst schreiben?« fragt er, als er zu Ende gelesen.

»Ja.«

»Was kriegst denn dafür?« fragt nun die Mena und kommt mit dem Tischtuche daher.

»Nichts.«

»Nachher pfeifst ihnen was!« entscheidet sie kurz. »Wozu andern Leuten umsonst etwas arbeiten?«

»Sel versteht Ihr nicht, Mutter«, stellt der Gaberl vor und redet und erzählt, wie er sich die Schriftsteller und die Schriftstellerei vorstellt, und es sind durchaus keine Schattenseiten, die er sieht und zeigt. Wo gäbe es überhaupt Schattenseiten für ein von Idealen und Glück bis zum Überlaufen vollgefülltes Herz?

In des Christophs Brust beginnt ob des Buben Reden und Erklären der Vaterstolz sich zu regen und zu wachsen, und seine Art bringt ihn bald so weit, dass er über die Sache fast ebenso denkt wie dieser. Der Tag ist ein Wendepunkt im Leben des Buben, und sein Weg geht fürder nimmer über rauspießige Zimmerspalten und ungeschlachtes Holz. Anders aber denkt die Mena, trotzdem sie nicht gar viel dazu sagt. Was nichts trägt, hat heutigen Tags keinen Wert, denn von Luft und Ehre allein kann der Mensch nicht leben.

Nach dem Essen vertieft sich der Christoph in die Neuigkeiten, die in der Zeitung stehen, und der Gaberl nimmt das andere Blatt und liest seine Arbeit. Die erste Aufregung hat sich so ziemlich gelegt, und die Buchstaben des Druckes sind ruhig geworden, aber ein Drücken, Pressen und Zwicken arbeitet in seiner Brust, und er kann sich dessen nicht erwehren. Plan um Plan zu neuem Schaffen taucht in seinem Kopfe auf während des Lesens, und er weiß zum Schluss gar nimmer, welchen er zuerst anpacken und verwirklichen soll. Eine Menge wunderschöner Titel fällt ihm ein, und zwei, drei Gedanken geben ihm in ihrer Flüchtigkeit das Bild und den Inhalt der dazugehörigen Geschichte. Wenn er nur so schnell schreiben könnte, wie es ihm einfällt! Die Leut' brauchen es, sonst schrieben sie nicht um weitere Einsendungen.

»Über die Sach' müssen wir einmal mit dem Pfarrer reden«, sagt überlings einmal der Christoph. »Der kennt und versteht auch was und ... es ist schon wegen dem, dass er sieht, was du alles kannst.«

»Ich ließ' das Zeug gehen«, rät die Mena. »Was nutzt mich dies und das, wenn es mir nichts trägt?«

»Es muss auch was tragen«, wendet der Gaberl ein. »Wovon täten denn die andern alle leben? Und sie sind große, angesehene Herrn.«

»Umsonst scharrt keine Henn'«, erinnert der Christoph. »Und die Herrenleut' sind gerad die allerletzten, die einen Handgriff umsonst tun. Die lassen sich sogar das Müßiggehen zahlen.«

»Ist's, wie es ist: mir kommt's nicht recht vor«, besteht die Mena. »Wenn das Geschäft nichts trägt, wär' jeder ein Narr, der es treibet', und wenn es was trägt oder gar recht viel, nachher werden sich genug darum streben.«

Über diese Ansicht ist sie nicht hinauszubringen, und so lässt man denn das Reden darüber fallen. Der Christoph vertieft sich wieder in seine Zeitungsleserei, und der Gaberl schaut bald zum Fenster hinaus, geht nachher wieder in der Stube herum und setzt sich später wieder an den Tisch hin, liest Brief und Zeitung und sinnt im Stillen vor sich hin und freut und ärgert sich, bis ein paar Dirnlein aus der Nachbarschaft zur Line kommen. Dann nimmt er Joppe und Hut und geht fort.

Eine Weile stapft er acht- und ziellos nach der in den Schnee getretenen Fußbahn dahin, bis er sich einmal dessen besinnt, dass er ja eigentlich dort gar nicht hin will, wohin das Gestapfe führt, in Häuser und zu Leuten; er will allein sein mit sich, seinen Gedanken, seiner Freude, seinem Glücke und seinem linden Ärger über die beschränkte Ansicht seiner Mutter.

So biegt er denn rechts ab und geht über die hartgefrorene Schneedecke dahin, dem Walde zu.

Gleich morgen fängt er wieder zu schreiben an und schreibt etwas recht Schönes. Was aber? So ein sagenumrankter Ort ist in der ganzen Gegend nimmer wie der Schüsselstein, und was schreibt er über einen anderen? Ah was! Ein Geschichtel schreibt er, eine Erzählung oder gar eine Novelle. Vielleicht zahlt man dafür etwas, und die Ansicht der Mutter ändert sich darob. Eine Erzählung? Was für eine? Von den verlockenden Titeln, die ihm vorhin durch den Kopf geschwirrt, fällt ihm keiner mehr ein, und was man sonst die Fabel nennt, will sich schon gar nicht finden lassen.

In schweren Lasten hängen Schnee und Anreim im Geäste des Waldes und drücken und biegen die sonst nach oben stehenden Äste nieder. Wildspuren ziehen sich zwischen dem Gestämme dahin, und da und dort lugt das wintergrüne Blattwerk eines Brombeergeheckes über die weiße Schneedecke empor, und der Zauber des winterlichen Waldes zieht sein Sinnen und Denken in seinen Bann und beeinflusst es in seiner Weise. Das Drücken und Drängen wird heftiger, und es ist bald so in seiner Brust, wie es in einem Fasse sein mag, in das junger, gärender und treibender Most fest verspundet.

Er sucht und sinnt nach der Handlung einer Erzählung, ohne etwas Passendes zu finden, und erst, als die untergehende Sonne die jenseitigen Hänge dornrosenrot färbt, vermeint er irgendeinen Anhaltspunkt zu haben, von dem aus er den Faden weiterspinnen könnte. Die halbe Nacht liegt er wach und strubelt und sinnt, und am nächsten Morgen setzt er sich hin und fängt eine Erzählung zu schreiben an.

Kopf und Herz sind ruhiger geworden, und die Gedanken haben sich seinem Willen untergeordnet. Der Vater hat wieder einmal ein bissel Weberei bekommen und klampert gleichmäßigen Schlages Faden um Faden zum festen Gewebe, die Line spult, aber weder das Pochen der Schläge noch das Rollen des Spulrades vermag ihn bei seiner Arbeit zu stören. Wie er es kann und versteht, so schreibt er Satz um Satz nieder, und je länger er schreibt, desto schöner deucht ihn die Geschichte. Für die kriegt er gewiss Geld.

Am Tage Mariä Lichtmess trägt er die sorgsam verpackte Schrift selbst zur Post, und hernach geht er mit dem Vater zum Pfarrer, dem Brief und Druck des kreisstädtischen Tageblattes zu zeigen.

»Na, wie geht es, Zimmermann?« fragt der Pfarrer lächelnd, als sie sich beide gesetzt. »Jetzt bist auch noch Gemeindeschreiber von Schönwinkel, wie ich gehört hab'. Ist derweil eine recht handsame Nebenbeschäftigung, bis du in die Welt hinaus musst, um etwas Ganzes zu werden. Was?«

»Im Winter hätt' er eh' sonst nichts zu tun«, erklärt der Christoph. »Und sechzig Gulden kann man auch brauchen in einem Haus.«

»Freilich ... Arbeitest dich auch nebenbei noch fort?« wendet er sich wieder an den Buben, der beständig die Hand an der Joppentasche hält, um bei halbwegs passender Gelegenheit mit Brief und Zeitung herauszurücken.

»O ja«, sagt der. »Gezeichnet hab ich ...«

»Baupläne macht er schon wie ein Alter, wie gerad' ein Meister«, behauptet der Christoph.

»Das gehört sich. Nur allweg nach vorn und in die Höh'! Und was lernst noch alles?«

»Ich hab' keine Bücher daheim«, gesteht der Gaberl verschämt. »Die ich im Realgymnasium gehabt hab', die hab' ich vom Direktor bloß leihweise bekommen und allemal wieder abgeben müssen.«

»Mit diesem kann ich aushelfen«, erbietet sich der Pfarrer. »In meiner Bibliothek liegt und steht genug solches Zeug herum, das ich heut nimmer brauch' und nimmer anschau'. In dem Stück kann ich schon helfen. Vielleicht magst dir gleich heute einige Bücher mit heim nehmen; im Winter hast die gelegenste Zeit zum Studieren, die Gemeindeschreiberei wird dich ja nicht so arg in Anspruch nehmen?«

»Es ist nicht so viel zu tun.«

»Nun also ... Was wollt Ihr sagen, Seeböck?«

»Ich mein' ... Tu' einmal den Brief heraus, Gaberl, und die Zeitung und zeig' sie dem Herrn Pfarrer, was der dazu sagt!«

Und der Gaberl zieht beides aus der Tasche und reicht es dem Pfarrer hin. »Das Stückel da hab' ich geschrieben«, haucht er schier.

»Ja, was der Tausend!« wundert der, nimmt Zeitung und Brief und setzt sich damit an seinen Schreibtisch.

Derweil er liest, ist es so stille in dem Zimmer, dass eins neben dem gleichmäßigen Ticken der Uhr fast ein Mäuslein über die Stubenbühne laufen hörte. Nur das Papier der Zeitung knistert von Zeit zu Zeit ein Merkliches in den Händen des Pfarrers.

Was wird der sagen dazu? Über diese Frage kommen Vater und Sohn nicht hinaus.

»Das ist ja recht schön«, urteilt nachher der Pfarrer, als er gelesen und die beiden Stücke wieder zurückgibt. »Nur fleißig sein und – wie ich gesagt hab' – allweil vorwärts streben! Der Mensch lernt und kann nie zu viel, und oftmals weiß einer nicht, wie er dies oder jenes in späteren Jahren wird brauchen können.«

»Was sagt Ihr sonst dazu?« drängt der Christoph auf einen bestimmten Bescheid.

»In welcher Hinsicht?«

»Dem Brief nach hätt' der Bub allweil Arbeit bei der Zeitung, und er meint selbst ... dass ... dass ihm die Schriftstellerei lieber wär' als das Zimmermannshandwerk.«

Da schupft der Pfarrer ein paar Male die Schulter, langt nach seiner Pfeife und stopft sie behutsam.

»Handwerk hat goldenen Boden«, erinnert er.

»Sel schon«, gibt der Christoph zu. »Heißen tut es so, aber ... ganz golden ist er auch nicht mehr. Wenn das Zeug was trüge, meinet' ich selbst ... wenn er gerad' seine Freud' hat damit ... Und tragen muss es etwas, sonst gäben sich nicht die Herrenleut' damit ab.«

»Also: ein Schriftsteller wolltest du werden?« wendet sich der Pfarrer an den Buben.

»Ja«, gesteht der hastig.

»Was hat dich denn so recht eigentlich auf diesen Gedanken gebracht?«

Darauf weiß der keine Antwort, weil er dieses Was nicht kennt und daher nicht beim Namen nennen kann.

»Ist' dir so ungedanks einmal eingefallen?« forscht der Pfarrer weiter.

»Ja.«

»Also ein Antrieb und Ansporn von innen, und das ist ein Zeichen, dass etwas drinnen ist, das drängt und treibt. Und das kann vielleicht das Richtige sein. Ich sage absichtlich: vielleicht, denn gerade dieses Etwas ist so eigener Natur, dass man mit der Benennung recht vorsichtig umgehen muss. Ich sehe im Abenddämmern in den Hängen drüben ein Fenster leuchten. Ist es nur der Widerschein der untergehenden Sonne, oder brennt hinter dem Fenster wirklich ein Licht? Das muss sich beim Eintritt der Dunkelheit zeigen. Es kann aber meinetwegen tatsächlich ein Licht sein; es fehlt aber das Öl im Lämpchen, so wird das Licht nach kurzer Zeit verlöschen. Ähnlich ist's auch mit dem Talent. Mehr als zu allem andern gehört zur Kunst Talent, und wo dieses fehlt, hört die Kunst auf. Das Talent ist Gottesgabe und nicht jedem gleichmäßig zugemessen. Ihr kennt ja das Evangelium von den Knechten und den Talenten. Oftmals hat einer das größte Talent mitbekommen, aber er verwahrlost es, während ein anderer, spärlich Bedachter mit seinem Talentchen so haushälterisch umgeht und es so hegt und pflegt, dass es von Tag zu Tag wächst, bis es zum mächtigen, himmelanstrebenden Baume geworden, wie das kleine Samenkörnchen. Manchmal schlummert ein Talent unter Geröll und Rasen wie die Bergquelle, und ein leichtes Lockern des Bodens und Wegräumen eines hemmenden und absperrenden Steines schafft Bahn, und ein wunderliebliches Bächlein rieselt zu Tale ...«

»Meint Ihr, dass er also Talent hätte?« unterbricht der Christoph ungeduldig.

»Ich meine schon«, erklärt der Pfarrer bestimmt.

»Dann könnt' er also doch anfangen?«

»Gewiss. Angefangen ist ja eigentlich schon; er braucht nur zu arbeiten und sich nach und nach zu vervollkommnen. Aber sich auf diese Sache verlassen, davon möchte ich entschieden abraten. Es ist heute noch sehr zweifelhaft, ob er das Talent in dem Maße besitzt, um es einmal zur entschiedenen Geltung zu bringen und sich zu einer Stellung emporzuarbeiten, die ihm auch etwas trägt. Und wenn dies auch wäre: der Weg dahin ist hart und weit, und ... von der Luft und der Hoffnung kann einer nicht leben. Wenn ich raten soll, so kann ich nur empfehlen, im Zimmermannshandwerk fortzuarbeiten und sich erst da eine gesicherte Stellung zu gründen, und von da aus kann dann höher gestrebt werden. Vielleicht geht es.«

Die Rede wirkt auf beide wie ein eisig kalter Wasserguss. Von der Luft kann keiner leben! So ungefähr hat die Mutter auch gesagt in ihrer Einfalt.

Nur schandenhalber sucht sich der Gaberl ein paar Bücher aus der pfarrherrlichen Bücherei, und dann stapfen sie hintereinander gen Berg. Der Christoph sieht die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit des Rates wohl ein, ist aber doch gewaltig enttäuscht und etwas geärgert. Wem soll er aber die Schuld an dem Ärger zuschieben, sich, dem Pfarrer oder dem Buben?

Dem Gaberl aber ist ungefähr so zumute wie einem, den ein lieblicher Traum in paradiesische Gefilde versetzt und der sich beim jähen Erwachen unter dürrem Busche auf steiniger Öde befindet, gerade so. Was alles er gesonnen, geplant und gehofft, soll nun leeres Gereime sein? Er kann es nicht glauben, und er mag's nicht glauben.

»Ich mein', der Pfarrer versteht auch nicht alles«, sagt er überlings einmal. »So wenig er von der Zimmerei versteht, so wenig wird er von der Schriftstellerei wissen.«

»Was meinst?« fragt der aus seinem Dahinsinnen aufgestörte Christoph. »Ja so«, nickt er dann, als er sich auf die gehörte Rede besonnen. »Kann weiter eh' sein ... Weißt was? Derweil folgst ihm nicht. Geht's, ist's recht, und ein ander Geschäft wär's doch, ein Geschäft, wo einer ein völligen Herrn spielen kann.«

Und die Rede kommt dem Gaberl so gelegen wie noch nicht bald eine. Er folgt und tut nach seinem Willen.

*

Den nächsten Tag kommt der Gerichtsdiener wieder einmal ins Häusel und bringt eine Vorladung für den Christoph. In Sachen des Isidor Holzbauer gegen Christoph Seeböck wegen Ehrenbeleidigung steht darauf.

So! Jetzt hat der Kund' geklagt auch noch!

»Der Kopf wird nicht hin sein«, vertröstet sich der Christoph, ärgert sich aber doch, dass er sich mit dem Menschen eingelassen.

Am vierten Tage darauf stapft er ins Gerichtsstädtlein hinaus zur Verhandlung und sinnt sich in währendem Gehen zusammen, was er dem Kunden alles sagen und vorhalten will und wie er sich aus der Schlinge ziehen kann, aber es nutzt nichts. Die Gesetze sind nur für den vorhanden, der nicht schlau und pfiffig genug ist, sich um sie herumzudrücken, und er wird zu achtundvierzig Stunden Arrest und Tragung der Kosten im Betrage von nahezu sieben Gulden verurteilt.

Das bringt ihn in eine Stimmung, in der er die ganze Welt vergiften könnte. Mit zornbebender Stimme erzählt er daheim den Ausgang der Sache, und die Mena tadelt ihn noch obendrein.

»Was möcht' ich mich denn mit so einem Menschen auf ein Gerede einlassen!« sagt sie ärgerlich. »Das hast jetzt davon. Kannst dich zwei Tag' in das Loch setzen und ... und das Geld fliegt ja auch nicht zum Fenster herein. Fast sieben Gulden!«

»Überlings kann mich der Weg mit ihm so zusammentragen, dass kein Zeuge in der Nähe ist, nachher soll er sich anschauen!« nimmt sich er Christoph vor. »Heimgehen kann er nimmer.«

»Willst dich noch weiter hineinreiten?« stellt sie vor. »Ich sag' dir's in Gutem: Fang' mir keine solche Dummheiten an, sonst ... nehm' ich die Kinder und zieh' weg von dir.«

Die Drohung bringt ihn vorläufig von dem Vorhaben ab, doch lässt sich das Verlangen nach ausgiebiger Rache nicht ganz unterdrücken.

Um diese Zeit, da der Ärger über die teilweise selbst verschuldete Ungelegenheit die Gemüter beherrscht, kriegt der Gaberl einen Brief vom Tageblatte, mit dem das gesandte Geschichtlein zurückgestellt wird; die Arbeit entspricht den Anforderungen der Redaktion nicht, und man verzichtet deshalb und so weiter.

»Mit den Sachen hörst mir jetzt kurz auf!« gebietet der Christoph hart. »Wär' so eine Weis'! Das Papier verschreibst, das Postgeld musst zahlen, und wenn ein Brief kommt, kostet's auch wieder vier oder sechs Kreuzer. Da brauchet' man einen eigenen Esel zum Geldmachen. Keine Federstrich dass ich mehr seh'!«

Dem Gaberl ist nach dem Misserfolge übrigens selbst so zumute, dass ihn nach einem zweiten nicht gerade gelüstet. Nichts zahlen und doch so heikel sein! Nein; er kann's bleiben lassen auch. Wozu sich vielleicht alle vierzehn Tage einmal so ärgern und sich nebenbei auch noch verschimpfen lassen?

Neben diesem vom Ärger herbeigezerrten Verzichten und Entsagen meldet sich allweil eine schwache Stimme der Widerspruches und des Hoffens, aber sie vermag sich keine Geltung zu verschaffen.

*

Um ungefähr dieselbe Zeit ist es auch, da der alte Schönberger in sein Leibstübel zieht. Eine merkbare Verstimmung und Gespanntheit hat sich seit dem Frühherbste behauptet, und es sind auch recht wenig Versuche unternommen worden, sie zu verscheuchen, aber die letzten Tage haben zum vollständigen Zerwürfnisse geführt.

Der Lipp kostet Geld, und man täte sich viel leichter, wenn der Alte einspeichte, und nachher wäre es auch besser und sicherer, wenn man das Geld, das er sich mit ins Leibtum genommen, schon hätte, statt es erst verhoffen und kriegen zu müssen. Kein Mensch kann für gewiss sagen, ob ihm nicht doch zu allerletzt irgendeine Dummheit einfällt, zumal er in der letzten Zeit schon hübsch wankelmütig und zweideutig geworden, und da wäre dies der sicherste Riegel davor. Wo nichts mehr ist, kann nicht einmal der Kaiser mehr etwas nehmen, geschweige denn erst der Geldweber – ah was! – der Notweber.

Aber der Alte hat für derlei Schmerzen gar kein Gefühl mehr. Er hat es einmal gesagt, und er mag nimmer. Weiter bringt ihn weder Schöntun noch verstecktes Drohen. Er mag halt nimmer.

Da reißt einmal der Bäuerin Geduldsfaden, und sie kann sich nimmer halten und zügeln.

»Nachher ...« fängt sie mit gerade fiebernder Stimme und der gewohnten Zungenfertigkeit bar an, »nachher ... wenn Ihr Euer Geld für ... für andere Leut' etwas aufheben müsst, nachher ... geht mir nur gleich aus ... den Augen!«

Heraußen ist es, und sie schrickt fast selbst zusammen, als der letzte Laut über die Zunge gerutscht.

»O ja, Dirndl«, stößt der Alte heraus. »Den Gefallen kann ich dir schon tun. Ich ...«

»Ähnl, ich hab's nicht so gemeint«, sucht sie im Augenblicke darauf zu begütigen, aber er achtet der Reden nimmer.

Trotzig verlässt er die Stube und sucht den Lipp auf, von diesem zu verlangen, dass er seine Sachen und Geräte sogleich ins Leibtumstübel schaffen lasse.

»Ja, was fällt Euch denn da ein?« wundert der und reißt Mund und Augen weitmächtig auf. »Ich mein', Ihr ... Ihr könntet es bei uns auch erleiden.«

»Ich bin ausgeschafft worden.«

»W ... as? Wer?«

»Meine Schnur hat mir das Geheiß gegeben.«

»Die Kathl?«

»Ja. Und, weißt, ich bin der Mensch nicht, der nichts ums Reden gibt. Schau', dass du die Knecht' und die Dirnen zusammenbringst!«

Der Lipp aber schüttelt eine Weile den Kopf und geht in die Stube, um sein Weib zu fragen.

»So soll er gehen«, rät diese zornig. »Leicht kommt er überlings wieder einmal, wenn es ihm drüben nimmer gefällt. Nachher gibt's aber diese Zeiten nimmer.«

»Der zieht nimmer zu uns, bald er einmal weg ist«, stellt der Lipp vor.

»Aft soll er es bleiben lassen«, entscheidet sie kurz und bündig.

»Aber das Geld ...«

»Fressen kann er es auch nicht, und die nächste Hand haben wir samtdem.«

So ruft er die Ehehalten zusammen und lässt die Sachen hinüberschaffen ins Häusel.

Während der ganzen Übersiedlung sagt der Alte kein einziges Wort, aber in seinem Kopfe saust und tobt es wie in der Radstube einer Mühle. Das ist also der Dank für alles, was er die ganze Zeit über getan, dass er sich geplagt und geschunden sein Leben lang, dass er all' die Jahre her, wo er sich berechtigterweise hätte auf die Ruhebank setzen können, gearbeitet und gewerkt trotz einem Knechte, dass er soundso getan? Aber es ist auch recht. Wie der Gruß ist, so gehört sich der Dank, und ist eine Zeit zum Grüßen, so findet sich auch eine zum Danken.

Als alles hinübergeschafft, was er sich seinerzeit als seinen Hausrat ausgenommen, gibt er der Inwohnerin ein gutes Wort, sie möge ihm das Stübel säubern und ein bissel zusammenrichten, und nachher geht er fort. Er braucht jemanden, der ihm kocht und den kleinen Haushalt führt.

Der Ärger nimmt ihn allmählich immer mehr und mehr ein, und jählings einmal schleppt ihm der Trutz den Gedanken zu: Jetzt steckst alles der Mena zu! Ein paar Augenblicke wägt er ihn sogar, ob und wie er zu brauchen wäre, aber dann schüttelt er langsam den zusehends grauer werdenden Kopf. Nicht. Die hätte folgen sollen. Ein Kind vom Schönbergerhofe im ... im Notweberhäusel! Ein dümmeres Stückel wär' schon fast nimmer anzufangen. Nein, er tut jetzt gerad' nach seinem Kopfe, solange ihn der Ärger noch am Leben lässt, und gen die letzten Augenblicke tut er halt einen Schwatz, der alles ebnet, früher gerad' nicht.

So sinnend stapft er die Hänge hinab, bestellt beim Krämer dies und das und geht nachher zum Bauern am Stierberg hinüber. Dort wohnt eine weitschichtige Verwandte seines verstorbenen Eheweibes als alte Jungfer, und die könnte sich vielleicht entschließen, zu ihm als Hauserin zu ziehen.


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