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15.

Im Tale drunten liegt dichter, grauer und nasskalter Nebel, und durch den stapft müde und matt ein einsamer Wandersmann dahin: der Gaberl. Das Gesicht ist schmal und hager, und die Gewandung schlottert schier um den einstmals so kräftigen Körper. Heftige Fieber haben an ihm gezehrt und ihn fast bis auf Haut und Knochen zusammengenagt.

Aber weil es nur so gegangen und weil das bissel Leben in ihm der Hoffnung Raum lässt nach jeder Richtung hin!

Wenn er nur schon oben stände auf der freien Bergeshöhe! Vielleicht wär' es oben nebelfrei, denn die Herbstnebel ziehen sich nur in den Tälern herum.

Vom Glocketurme der Kirche in Steinbrunn hallt langgezogenes, düsteres Läuten. Wird wahrscheinlich eine Leiche sein: ein kleines Kind, ein altes Weib oder sonst jemand. Wer kunnt' denn gerad' denken, an wen diesmal die Reihe gekommen?

Als er nach Steinbrunn hineinkommt, hört er in der Richtung vom Schönwinkel her beten. Ist also jemand von dort hinten oder – oben?

Herrgottl! Wenn der Tod den Weg gesucht hätte und gefunden ins ... Geldweberhäusel? Was kann eins sagen?

Der alte Binderkaspar steht auf der Gred seines Holzhäuschens und klaubt an den zu Dauben vorgerichteten Hölzern herum, ohne des Vorübergehenden zu achten.

»Grüß Euch Gott, Binder!« ruft er ihn an, um eine Ansprach' zu haben und einen, der Antwort steht.

Der Alte wendet sich langsam um und schaut. »Grüß Gott auch!« brummt er. »Jegerl! Jegerl!« fährt er überlings auf. »Ich weiß nicht, seh' ich recht oder trügt's mich. Bist der Gaberl oder nicht?«

»Derweil schon noch.«

»Du liebe Zeit! Dich haben sie aber zugerichet in dem Rauberlandel drunten! Und des Kronwitternen Sepp ist gefallen.«

»Was ist denn heut für eine Leich'?« unterbricht ihn der Gaberl ungeduldig.

»Den jungen Zäuner tragen sie heim, den Wolfgang.«

Wie wenn jemand einen schweren Stein von seiner Brust stieße mit kräftigem Rucke, so atmet der Gaberl auf. Also keines von der Schönberger Höh'. »Heim?« fragt er.

»J-ja. Ich kann mir das bissel Zeit nicht anders vorstellen, das wir auf derer Welt verbringen, als wenn eins in der Fremd' wär'. Heim muss einmal ein jedes. Ist nicht anders, Bub.«

»Was hat denn den angangen?«

»Was? Der Tod will einen Lückensteher haben, sagt man, und auch beim Zäuner hat er sich einen gesucht. Kannst dich am End' besser erinnern als wie ich. Soll einmal in der Dummheit mit dem Kopf in ein Glas gefallen sein, ein Scherben wär' stecken blieben im Kopf, und der hätt' ihm jetzt den Stoß in die Grube geben. Geht halt oftmals so ... Ja, und wie steht's mit dir?«

»Geht schon«, bescheidet der Gaberl. »In ein paar Wochen kann ich wieder der Alte sein.«

»Was ist dir denn gerad' geschehen?«

»Einen Schuss hab ich kriegt in die Schulter, und mir scheint, sie haben die Kugel herausschneiden müssen.«

»So wohl, so wohl. Ja, der Krieg! Und ist noch gut, wenn es so durchrutscht. Nachher hüt' dich fein, bis du wieder ganz zusammengeklaubt bist. Weiß einer nicht, wie er an dem bissel notigen Leben retten soll.«

Das Geläute verstummt jählings, und auch das Beten hört auf. Sie werden mit der Leiche vor der Kirche angelangt sein und gerade die Einsegnung vornehmen. So ist der Weg in den Schönwinkel frei, und er braucht nimmer zu sorgen, neugierigen Leuten zu begegnen, die ihn anstaunen wie einen Halbwilden.

»Behüt' Gott, Binder!« nickt er und geht seines Weges.

Der Zäuner! Geschrieben haben seine Leut' schon, dass er kränkelt, aber wer dächte denn an so einen Mann? Kann einer auch daheim in den kräftigsten Jahren dahingerafft werden ... Die Menschheit auf der Welt ist rein nun wie ein rinnender Bach: Welle um Welle und Schwall um Schwall gleitet und hastet dahin, Wasser ist allweil zwischen den Ufern, aber jedes Tröpfel ist ein anderes; eins geht dahin, und das andere kommt nachgeflossen.

So sinnt er vor sich hin, als er die Hänge hinaufstapft, und überlings findet er seine Gedanken an einem Orte, wo er sich unwillkürlich denken muss, sie hätten des Lebens Höhen erreicht. Wie wenn einer von hohem, hohem Berge hinüberschaut über die weite Welt rings um ihn her, über Dörfer und Einschichten, über solche und solche Leute, und wenn er sich selbst nicht fühlt und spürt, gerade so ist ihm.

Wenn nun einer die Gedanken dort festbannen könnte! Wenn! Wenn nicht doch das Leben um ihn her wirbelte in närrischem Tanze!

Mit einem Male beginnt sich der Nebel zu lichten, und über den Hängen wölbt sich ein wolkenloser Himmel, von dem die Sonne mit all ihrem Glanze hernieder strahlet. Ganz wie selbes Mal, als er fortgezogen, um Pfarrer zu werden, und als ihm der alte Kalmann die Lehre gegeben. Ist wirklich ein närrischer Tanz, den das Leben reigt mit einem. In mächtigen Sprüngen wird angefangen und im raschesten Zeitmaß, dann geht's ein bissel langsamer, bis einer jählings nach dem Schalle des Kalbfells dahinstapft, um ein Zeitlein darauf in mehr oder weniger gemütlichem Ländler zu Altväterischen und zum Kehraus hinabzugleiten. Mit was für Plänen hat er sich in der Studierstadt getragen? Ein Strich darüber, und aus war der Tanz. Was hat er von der Zimmerei alles erhofft? Und er ist heute noch Zimmermannsgesell. Welcher Sturm hat seine Brust durchtobt, und wie hat er sich die Zukunft ausgemalt, als er den Artikel über den Schüsselstein im Tageblatt der Kreisstadt gelesen? Und heute? Zwei, drei Gedichte hat er beim Militär noch zusammengestümpert, bis – es der Zeitung zu toll geworden und sie ihm alles rückgestellt mit dem zarten Winke, seine Zeit Nützlicherem zuzuwenden. Der Pegasus sei wohl ein sehr williges Vieh, das gezwungenermaßen sogar vor dem Düngerwagen einherhinke, aber man müsse doch Mitgefühl haben mit ihm. Er hat dieses Herumgeschraube in kurzes Deutsch übersetzt und – aufgehört.

Der Sephi hat er die Blätter geschickt, aber aufs letzte keine Antwort bekommen. Am Ende hat sich die gerade so gedacht wie der Zeitungsmensch ...

Hart am Wege weidet eine Herde Viehes, die Schellen hallen weit hinaus, und ein großmächtiger Lackel steht dabei und singt und jubelt, dass es schier aus der Weise ist.

»Uj ei e, uj ei o,
Der Bauer ist gestorbend o.
Uj ei e,uj ei i
Der Bauer ist hin.«

Na, der kann's auf keinen Fall recht beisammen haben und ... und ... das Halmfeld dort gehört ja noch dazu zum Zäunerhofe hinüber. Unten in der Kirche beten sie für den Verstorbenen nach Christenart, und der Wachel da heroben singt und jubelt, weil sein Bauer gestorben und hin ist. Muss einer sein, dem es am besten Orte dreimal fehlt.

»Uj ei e, uj ei o,
Dirndl, hüt' umher do!
Uj ei e, uj ei i
Dirndl, lieb' mi! Ju ...«

Er will dem Liedel noch einen Juchezer anfügen, aber mittendrin ersieht er den Gaberl und dessen blaue Soldatenmütze, und er bricht ab und schlendert gemächlich an den Weg heran. Dort steht er, sperrt den Mund halb auf, und ein behagliches Lächeln liegt über seinem unschönen Gesichte, das den Zustand im Hirnkastel jedermann vorspiegelt.

»Hast gut hüten?« fragt der Gaberl.

»Mein' schon«, nickt der Hüter. »Du ... du ... du könntest Hüte tauschen mit mir«, geht er ihn geradewegs an, und seine Augen haften mit sichtlichem Verlangen an der blauen Mütze.

»Gefällt dir denn der Meine?«

»Mein' schon. Ich gib dir auf, was du magst. Ich hab' fein Geld«, und er zieht ein aus blaugefärbter Hausleinwand zusammengeflicktes Beutelchen heraus, in dem am Ende ein paar Kupferkreuzer sein mögen – der Schatz des Halbnärrischen.

Der Gaberl sieht die begehrlichen Augen, sieht das dumme Gesicht, und Mitleid geht ihn an mit diesem Menschen, diesem Ärmsten.

»Weißt was?« sagt er. »Ich bin da oben daheim ...«

»Beim Notweber?«

»Ja. Um Nachmittag oder gen Abend kommst dir hinauf um – den Hut. Jetzt brauch' ich ihn derweil noch selbst.«

»Ist's wahr?« jubelt der Hüter auf.

»Freilich.«

»J-juh! J-juh-juh-juh-juhuhu!« Trotz der Freude, die aus jedem Tone klingt, mutet den Gaberl dieser Juchezer wie ein greller Misston an, der durch die Welt hallt bis an das Ohr Allvaters. Warum muss oftmals einer so bettelarm sein? Warum? Ja, wenn der Mensch mit seinem beschränkten Verstande auf jedes Warum ein Darum fände! Das Beste ist, dass so ein Mensch gar nicht kennt, dass er arm ist ... Er hat fein Geld, sagt er. Ob einer glücklicher ist mit seinem Besitze, der eine Million hat? Den macht sein Leinenbeutelchen glücklich, und die sechs oder zehn Kupferkreuzer, die er vielleicht hat. Ja, die blaue Mütze fehlt ihm noch zum vollen Glücke ...

Ein Gedanke reiht sich in seinem Sinnen an den andern, bis er so weit kommt, dass es ihn deucht, als hätte der Himmelvater auch für solche Kunden gesorgt in seiner Art. Glück? Was heißt Glück? Dem bringt eine Kleinigkeit ein Glück, das dem andern ein Königreich nicht zu bescheren vermöchte. Und wenn er einmal – heimgeht, wie der Binder gesagt: Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Das weiß so einer nicht, aber ein anderer weiß es und – weiß es doch wieder nicht.

Die Schönberger Boint fuhrwerkt einer mit einer Fuhr Mist herunter: der Jakoberl. Plötzlich aber steht das Gespann stille und der Kund' fängt zu laufen an.

»Grüß dich Gott, Gaberl!« schreit er schon von Weitem.

Der alte Schönberger, wie er leibt und lebt! Nein, wie er gewesen, als man noch so in Schlitzhöschen gesteckt. Nur das trutzige Geschau hat er nicht.

»Grüß dich Gott auch!«

»Bist auskommen? Du, zählt hat dich keins mehr, wie es einmal gekommen ist, dass des Kronwitternen Sepp gefallen und wie von dir kein Lebenszeichen mehr verlautet hat. Deine Leut' haben sich nicht schlecht gesorgt, und ... gar der Ähnl ist ganz auseinander gewesen.«

»Ist leicht ... alles wieder gut?«

Des Jakoberl Gesicht überfliegt dunkle Röte, und einige Augenblicke stockt seine Rede. »Nicht ganz«, bescheidet er dann. »Der Ähnl braucht nimmer viel, aber die Unsern ... Weißt, sind halt so Leut'. Aber wir zwei ... gelt, wir tun, wie wir wollen ... Ich komm' gen Abend hinüber, und nachher erzählst mir, wie es dir ergangen.«

»Ja, komm' nur!«

»Jetzt geht's nicht länger. Die Vieher fangen mir am End' Dummheiten an; ich muss wieder zu ihnen. Am Abend also!«

Und er rennt die Boint wieder hinauf und verteilt ein paar Hiebe an die mutwillig herumgaukelnden Ochsen.

Der Christoph erledigt gerade eine sehr dringende Schreiberei, die sich nicht bis zum Abend hat aufschieben lassen, und die Mena treibt das zur Kette bestimmte Garn auf große Spulen, und das schnurrt und rollt, dass eins fast sein eigen Wort nicht versteht. Als aber die Türe aufgeht, schaut eins wie das andere um, und eins wie das anders fährt von seinem Sitze auf.

»Du allerlösendes Herrgottl!« stößt die Mena heraus. »Bist du beisammen! Bub, mein Bub!«

»Weil du nur daheim bist!« lächelt der Christoph und mustert den Buben von oben bis unten. »Kommst aus dem Spital oder aus dem ... nichtswertigen Landel?«

»Von da und dort.« Und er lässt sich müde auf einen Schragen nieder.

»Bist leicht verwundet worden? ...«

Der Christoph fragt, und die Mena fragt auch, und der Gaberl hat gerade zu tun, jede Frage halbwegs zu beantworten. Die überwältigende Freude macht die beiden wortkargen Leute gesprächig.

Zu Mittag kommt die Line von der Leiche heim, und der Gaberl dürft' schier wieder vom Anfange zu erzählen anfangen, und gen Abend kommt der Kronwitterne daher und fragt und forscht auch.

Ob er von seinem Sepp nichts weiß?

Ja; soundso ist's hergangen, und soundso viel weiß er und mehr nicht, und der wildbärtige Mann ringt mit seinem Schmerze und wischt sich von Zeit zu Zeit ein Zährlein von Wange und Bart und schimpft nachher wieder über alles, über den und jenen.

Hat denn das sein müssen?

*

Die Martiniwoche hat Berg und Tal mit einer schon überallhin reichenden Schneedecke überstreut, und darauf hat es gefroren.

Die kleinen Bäumchen im Gehänge und Wald gleichen weißen Mauswurfshügeln, die größeren zierlichen Zuckerhüten, und im Geäst und Gezweige der andern hängt Schnee und Anreim in schweren Lasten.

Schön ist der Hochwald im Frühjahre, wenn alles treibt und sprosst, wenn im dunkelgrünen Geäste die roten Blütenkätzchen leuchten, wenn Steig und Pfad übersäet ist mit goldgelbem Blütenstaube und wenn es allüberall hallt und klingt vom Gesange der munteren Vögel; schön ist der Hochwald im Sommer, wenn sich kühler Schatten breitet über den grünen, blumendurchwirkten Moosteppich, wenn die klaren Bergbäche rauschend zu Tale eilen und lieblicher Duft sich durch die lauschigen Hallen zieht; schön ist der Hochwald im Herbste, wenn alle Blütlein zur Frucht gereift, jeden zu Gaste ladend, der in die Nähe kommt, und schön ist der Hochwald im Winter trotz aller Schneelasten, alles starren Anreimes und Raufrostes und trotz des tiefen Schweigens, in das er sich um diese Zeit hüllt.

So ungefähr denkt sich auch der Gaberl, da er ziel- und planlos dahin schlendert zwischen den mit schmalen, weißen Streifen gezeichneten Stämmen und da und dort dem zierlichen Gehüpfe einer Meise zusieht. Schön it der Hochwald, sooft einer zu ihm zu Besuche kommt. Die Brust weitet sich in der prächtigen Luft, das Herz füllt sich mit Freude und stillem Behagen, und durch den Kopf und das Sinnen sucht mancher Gedanke seinen Weg, den er in enger Stube oder im Getriebe der Welt nicht fände.

Und da er so dahin stapft und vor sich hinsinnt, geht ihn überlings wieder einmal so ein Sehnen und Drücken an, so ein Gefühl, als wenn etwas drinnen steckte in Herz und Brustkasten, das heraus wollte und heraus sollte, und es kommt ihm mählich wieder das Gelüste, etwas zu schreiben. Was aber?

Jetzt versucht er einmal ein Geschichtel! Ja, wenn nur gleich eins wäre! Es soll schön sein und taugen auch. Wart', wer hat denn da dieser Tage so ein Geschichtel erzählt aus Altväterzeiten?

Und er sinnt und strubelt, bis ihm so beiläufig der Faden des Geschichtleins einfällt. Das modelt er um nach seinem Belieben und schickt es wieder irgendwo hin. Zeit hat er jetzt zu solchen Sachen, weil er sonst auch noch nichts tun kann, und – wenn sie ihm die Arbeit wieder zurückschicken, ärgert er sich halt wieder eine Zeitlang. Weiter ist ja nichts dabei.

Er wendet sich talwärts und geht heim.

In der Stube sitzt der Bürgermeister und wartet augenscheinlich seiner.

»Zieh' dich nur nicht aus!« rät er, als der Gaberl Stiefel und Joppe weggeben will. »Musst gleich mit mir gehen. Es wär' eigentlich jetzt deinem Vater sein Geschäft, aber – ich mein', du tust dich leichter.«

»Geh' nur du mit!« rät der Christoph.

»Wohin denn?«

»Zur Zäunerin hinüber. Weißt, die Todesfallaufnahme muss gemacht werden. Das und jenes Vermögen ist da; die und jene Erben wären, und wie es schon geht. Lauter Schnacksen, und gemacht müssen sie doch gewissenhaft werden.«

»So geh' ich halt«, willigt der Gaberl ein, und sie gehen gen den Zäunerhof hinüber.

»Eine dumme Geschicht' ist's«, redet der Bürgermeister in währendem Gehen. »Das Weiberleut werkt sich so nicht gut und so auch nicht. Die Alten sähen es gern, wenn sie von der ihr verbücherten Wirtschaftshälfte abstünde, weil so ganz fremde Leut' auf den Hof kämen, und sie will nicht. Wird eine dumme Aufnehmerei werden.«

»Das haben ja nicht wir aufzuschreiben und auszumachen«, erinnert der Gaberl.

»Eh' nicht. Aber anhören kannst die Geschicht' von der Seiten und von der andern auch. Und das hab' ich schon so auf der Weste, dass es nicht zu sagen ist.«

»Was hat denn der Wolfgang für eine geheiratet?« fragt der Gaberl dazwischen.

»Von der Seeau herüber ist sie, vom Schafbauernhof. Ein recht handsames und ordentliches Leut.«

»Kenn' ich nicht.«

»Ja, du bist unter der Zeit fortgewesen.«

Dann gehen sie schweigend hintereinander dahin, bis sie auf die Gred des Zäunerhofes kommen.

»Los'! Da gibt's einen Tageshandel drinnen«, raunt der Bürgermeister und bleibt einen Augenblick stehen. »Am End' müssen wir gleich den Schiedsrichter machen.«

Sie treten ein, und es gibt einen Tageshandel, ein Gegreine, aber es ist nicht von der Art, wie es der Bürgermeister verhofft; es ist keine Meinungsverschiedenheit zwischen den Alten und der Jungen, sondern es steht nur die Nettschusterin in der Stube und greint und schilt über die Wirtschaft im Zäunerhofe, über den Zenz, den Halbnarren, den die Zäunerleut' ins Haus genommen als Hütbuben und Ähnliches, damit er nicht als Kostgeher von Haus zu Haus wandern müsse, und auch über die Zäunerin, die auf keine Ordnung halte unter ihren Leuten.

»Was hat's denn da geben?« erkundigt sich der Bürgermeister.

»Eine Narretei«, bescheidet die Zäunerin, ein helliges Dirndl noch mit so neunzehn, zwanzig Jahren. »Der Nettschusterin ihr Bub ist vom Zenz geschlagen worden, und dafür soll ich können.«

»Gäbest nicht solchen ... Narren Herberg' und Aufenthalt«, greint die Schusterin.

»Hast den Buben geschlagen?« fragt der Gaberl den Zenz.

»Mein' schon«, bestattet der grinsend.

»Z'wegen was denn?«

»Weil er mich geschimpft hat.«

»Nun also!« entscheidet der Bürgermeister. »Da ist die Hechelei gleich aus. Zieh' deinen Buben, dass er andere Leut' in Ruh' lässt, nachher rührt ihn niemand an. Jetzt hast mich gehört. Mit einem Narren – sagt man – ist kein Kind zu taufen und kein Spaß zu haben.«

Die Schusterin merkt, dass sie mit ihrer Klagerei nichts richtet, schimpft noch ein bissel und geht dann greinend fort, während sich der Bürgermeister und der Gaberl an den Tisch setzen und sich zum Schreiben richten.

»Was gibt's denn da?« dehnt die Bäuerin schier erschreckt heraus.

»Gar nicht viel«, beruhigt der Gaberl. »Die Todesfallaufnahm' müssen wir machen, und das kommt überall vor, wo eins stirbt.«

»Muss ich vielleicht meine Wirtschaftshälfte abtreten?«

»Lass dich auslachen!« tadelt der Bürgermeister, und dann geht man an die Beantwortung der vom Gerichte gestellten Fragen. Ist eigentlich nicht viel daran, aber gewöhnlich wird bei dem Wenigen auch noch geschwindelt und gemogelt, weil die Leute förmlich vom Staate dazu gezwungen werden. Ob ein Vermögen da ist? – Der Grundbesitz lässt sich bei so etwas nicht wegleugnen, aber wo auch ein paar Gulden noch vorhanden sind, werden sie in der Regel verschwiegen, und dies manchmal zum Schaden der oder jener Erben. Aber warum führt der Staat keine andere Steuermoral ein? Warum zahlt der gebundene Großgrundbesitz keine Übertragungsgebühren, während von ein paar mühsam für Gatten oder Kinder erworbener und ersparter Groschen Erbschaftssteuer gezahlt werden muss?

Es kommt der alte Zäuner aus seinem Leibtumsstübel herbei und redet dies und jenes mit, und von ungefähr flicht er den Rat ein, die junge Bäuerin täte besser, sie träte ihm die ihr im Heiratsvertrage zugesicherte Hälfte des Zäunerhofes wieder ab und nähme dafür ihr Heiratsgut und soundso viel Erbteil nach ihrem verstorbenen Manne.

»Ich mag aber nicht«, erwehrt sich die Bäuerin heftig.

»Das kann ihr niemand aufzwingen«, sagt der Gaberl, lässt das Schriftstück unterschreiben und übergibt es nachher dem Bürgermeister. »Wenn sie eine Freud' hat mit dem Hof! Mir wär' am End' auch so.«

Das Weiberleut bedauert ihn schier. So jung noch, so unerfahren in allen Stücken und einem solchen Hauswesen vorstehen und dabei noch alleweg sich verschiedener Ratschläge erwehren müssen!

Als er die Hänge hinanstapft, fällt ihm die Geschichte wieder ein, die er schreiben will, und das Weiberleut, das darin vorkommt, hat das ganze Um und Auf der Zäunerbäuerin – meint er. Ist aber fast umgekehrt. Wie ihm die Zäunerbäuerin vorgekommen, so wähnt er das Weiberleut im Geschichtel.

Die ganze Sitzweile sinnt und ohrt er an der zu schreibenden Geschichte, ordnet dies und jenes bald so, bald so, fügt einmal dies hinzu und lässt ein andermal jenes weg, und auch ein paar Stunden der Nacht geht ihm die Sache allweil im Kopfe herum, bis der Schlaf mit linder Hand über das Sinnen fährt und Traum und Wachen miteinander verknüpft.

Am andern Morgen setzt er sich zu Tische und schreibt.

»Hast die Schnacksen noch allweil nicht aus dem Kopfe?« brummt der Christoph im Wegstuhl drinnen. »Ich tät' doch meinen, ein Mensch, der dein Alter hat, der in der Welt gewesen und vor dem Feinde gestanden, der hätt' mehr Verstand.«

»Ich hab ja sonst auch nichts zu tun«, gegenredet der Gaberl etwas ärgerlich ob des Tadels.

»Nicht wegen dem, aber ... gescheiter soll der Mensch sein ...«


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