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9.

Im Schönbergerhofe geht's zu wie im ewigen Leben. Den ganzen Tag über wird gehackt und gehämmert, geredet, geschwatzt, gelacht und auch zeitenweise gesungen, dass es nur gerade so eine Art ist und dass eins den stillen Hof hoch oben im Gehänge gar nimmer erkennen würde. Zimmerleut' sind da, haben ihren Lohn und ihre Kost, und was fehlt nachher den Kunden?

Nur der Lipp lacht nicht, der Bauer, und auch dem Alten huscht kein Schmunzeln über das ernste Gesicht.

Ist eine verzweifelt dumme und widrige Sache. Der Stadel steht wohl schon seine dreiundsiebzig Jahre, denn nach der auf den Breitenbaum geschriebenen Jahreszahl ist er gerade im achtzehnhunderter Jahre neu umgebaut worden, aber seine zwanzig, dreißig Jahr' hätt' er allweil noch stehen können, und wenn nicht, so hätte sich's einer einrichten können, dass der Umbau zu einer Zeit vorgenommen worden, die dazu getaugt hätte. Aber jetzt ist's gerade zuwider.

Das ganze Heu ist im alten Stadel und wird nicht besser, das Getreide ist schier auf den Nagel zeitig, und – jetzt soll gebaut werden!

Es ist am Portiunkulasonntag gen Abend gewesen, als sich gen Morgen ein Wetter aufgezogen, so grau wie das ledige Schneegewölk. Dieselben sind schon die echten, die so zwiefarben herschauen, und das hat seinem Aussehen alle Ehre gemacht. Über das Tal hin ist ein Wolkenbruch niedergegangen, es hat ein bissel gehagelt, den Erdäpfel- und Krautfeldern zugesetzt und dies und jenes, aber im Schönbergerhofe hat es soweit den meisten Schaden gemacht. Mit dem Hagel ist's wohl recht arg gewesen, und auch der Regen ist über der Höhe nimmer so stark niedergegangen wie unten im Tale, aber es ist doch noch so viel gewesen, dass die von den Hängen herniederbrausenden Gießwasser ganze Gräben durch und über die Felder gewühlt und ein gut Stück der Wiese mit Erde und Steingerölle übergießt. Und dann ist einmal ein Sturm dahergekommen, frei aus der Weise, und den nächsten Augenblick darauf ist von der Dachung des Stadels schon so ein Viertel drüben gelegen auf dem Anger wie eine einzelne Schindel. Das hat dem Sturme Luft und Zutritt geschaffen, und gleich darauf hat es zu brechsen und zu krachen angefangen im ganzen Stadel, als müsse jedes Bälklein und jedes Brett fünf- oder sechsmal entzwei gehen, und jeder neue Windstoß hat neuen Schaden gemacht, bis der ganze Stadel an der unteren, noch leeren Seite zusammengeknickt und zusammengesunken.

Der Inmann ist selmal gar daherkommen und hat gesagt, das Wetter hätte eingeschlagen und er habe den Himmlichtser (Blitz) niederfahren sehen aus dem Gewölke, aber das ist nicht wahr gewesen. Der Alte ist seiner Gewohnheit nach das ganze Wetter über unter dem Dachüberschusse auf der Gred gestanden und hat dem Toben der entfesselten Natur zugesehen und zugehorcht, und er hat es gesehen, dass kein Himmlichtser niedergefahren zu der Zeit, wo der Sturm das Dachviertel weggeweht wie eine morsche, haltlose Schindel. Und wenn es eingeschlagen hätte, wäre der Heustoß sicher in den nächsten zehn Augenblicken in heller Lohe gestanden. Das Wetter und der Wettersturm haben den Schaden verursacht.

Sel ändert aber am Schaden nichts.

Gerichtet muss nun etwas werden, und wenn schon so viel getan werden müsste, geht's unter einem, wenn der ganze Krempel übereinander nagelneu hergebaut wird.

Den nächsten Tag sind die Alte, die Knechte und der Inmann in den Wald hinauf und haben Holz gefällt, und der Bauer ist ins Städtlein zum Zimmermeister und hat dem den Bau übergeben. In vierzehn Tagen längstens muss der Stadel wieder stehen.

»Wenn nur Holz da ist«, hat der gesagt. »Meine Leut' bringen etwas vom Fleck.«

»Holz stell' ich bei und die Arbeiter Ihr.«

»Gut. Die Arbeit und die Arbeiter sind meine Sach'. Gebt Ihr den Arbeitern leicht auch die Kost, weil der Hof hübsch weit abliegt von Steinbrunn, wo sie sich selbst verköstigen könnten?«

»Meinetwegen schon.«

Und dann haben sie um den Preis gehandelt und gefeilscht, und da der Lipp den Stadel haben muss, hat er einwilligen müssen, was der Zimmermeister verlangt, trotzdem er beim Knicken und Feilschen sonst nicht gerade der Letzte ist.

Kaum ist das Holz zum Hofe heruntergefahren gewesen, sind auch schon die Zimmerleute angerückt und mit ihnen des Nachbarn Bub, der Gaberl.

»Der arbeitet bei uns nicht«, hat die Bäuerin schlankweg erklärt, und auch der Lipp hat ihr nachgebetet.

»Der arbeitet bei uns nicht.«

»Wir arbeiten beim Meister«, hat daraufhin der Obergeselle erwidert. »Lauter Gesellen stellt der Meister nicht dahin und auch nicht dorthin, und wenn ein Lehrbub weniger ausrichtet als wie ein Geselle, der schon jahrelang im Geschäft ist, so geht sel den Meister an.«

»Wir ... sind aber nicht gut mitsammen, wir und seine Leut'.«

»Das geht uns nichts an. Der Gaberl tut, was ich ihm ansag', und wenn Euch sel nicht taugt, gehen wir halt wieder. Wir haben wo anders auch Arbeit.«

»Ich will meinen Stadel fertig haben«, hat der Lipp aufbegehrt und die Zimmerleute genommen, wie sie der Meister geschickt. Soll er halt mitarbeiten, wenn es nicht anders geht.

Und er arbeitet mit, wie er anders mitarbeitet. Er hilft schneiden, haut mit der Bandhacke und versucht es schon ab und zu mit der Breithacke, aber die erfordert einen kräftigen Arm und einen sicheren Hieb.

Das Geschäft freut ihn, und er müht sich, als sollte er schon im Herbste freigesprochen werden. Wo einer etwas tut, das beschaut er sich, und rascher denn manch anderer hat er einen Handwerksgriff um den andern erlauert.

Wo so ein fünf, sechs Zimmerleute herumhacken und wo auch noch die Männerleut' im Hofe mithelfen, da gibt es Späne, und trotzdem man in der Frühe erst alles anrichten hat müssen, liegen schon hübsch ein paar kantig gehauene Stämme am Platze, als der Obergesell seine Hacke in den Stamm kliebt, die Späne von dem Lederschurz klopft und Mittagszeit verkündet.

»Wird noch nicht ganz hergerichtet sein zum Essen«, sucht der Lipp einzuwenden. »Bei uns wird allemal zum Essen gerufen, wenn es fertig ist.«

»Tut nichts«, lächelt der Obergesell. »Bei uns wird Mittag gemacht, wenn unsere Zeit da ist. Ein Weilchen können wir auch so warten.«

»Wo gehst denn du hin?« fragt ein junger Gesell den Gaberl, da er sich zum Fortgehen richtet.

»Ich ess' daheim«, sagt der.

»Wär' noch schöner«, rügt ein anderer. »Da ist uns die Kost in den Lohn eingerechnet, und du willst deinen Leuten die Sach' wegfressen?«

»Ich hab' nicht weit hinüber.« Und fort rennt er.

»Muss schon ein unsinniger Zorn herrschen zwischen den beiden Häusern«, mutmaßt ein dritter. »Aber ich wenn der Bub bin, ich merket' nicht auf. Da hat mich der Meister in die Arbeit hergestellt, und da hab' ich meine Kost, ist's jetzt einem recht oder nicht ... Die Klaue soll's dir wegklieben«, fährt er den jungen Lipp an, der mit einem Hackel gespielt, bis ihm dies aus der ungeschickten Hand gefallen und ihm eine Ecke der vorn breit und fast eckig abgeschnittenen Stiefel durchgeschlagen.

»So sagt man ja«, entrüstet sich der Lipp und rennt auf den Buben zu, der kreidebleichen Gesichtes neben einem der halb behauenen Stämme steht und auf seinem Fuß und das neben ihm liegende Hackel niedersieht. »Tu' her den Fuß!«

Mit einem Rucke hat er den Stiefel vom Fuße gezogen und beschaut nun den blutigen Fuß, an dem glücklicherweise sonst nichts geschehen, als dass von der kleinen Zehe ein Stücklein Haut weggeschnitten. »So eine unchristliche Red'!« greint er. »Als ob ...«

»Was einen nicht irrt, sel soll er nicht angreifen«, grinst der Zimmermann. »Ein andermal lässt er die Sachen liegen. Sind ein bissel anders wie eine Feder.«

Derweil setzen sie sich im Geldweberhäusel zum Mittagessen zusammen, und der Gaberl erzählt, wie das Gewitter des Nachbarn Stadel zusammengerichtet, wie rasch die Arbeit von statten geht mit dem saftfrischen Holze und wie lange sie so beiläufig Arbeit haben dürften an dem Baue.

»Was sagen sie denn zu dir?« fragt die Mena dazwischen.

»Nicht arbeiten hätt' ich sollen«, berichtet der Bub.

»So?«

»Derweil hat es ihm aber der Obergesell gescheit gesagt. Wenn er nicht nachgegeben hätte, wären wir alle wieder gegangen.«

»Da kann er sehen, dass dich andere Leut' lieber haben als sie, die Freundschaft«, lächelt der Christoph. »Tu' nur deine Arbeit und schau' dich um keins von ihnen um.«

»Sagt der Lipp auch nichts zu dir, der Student?«

»Nicht ein Wörtel hat er noch gesagt. Ist aber auch noch nicht so nahe hingekommen. Einen Weil' ist er unter dem Holzbirnbaum oben gelegen, hat in einem Buch gelesen und geraucht.«

»Der ... geraucht?«

»Ja. Na, mir scheint.« Sie sagt aber nicht, was ihr scheint, aber dem Tone nach mag es nicht das Beste sein.

Hastig und eilig würgt der Bub den trockenen, ungeschmalzenen Sterz hinunter, denn seit die Kuh verkauft worden, steht nur eine Geiß im Stalle und  ... Geißschmalz? Aber ihm ist die Kost nicht zu schlecht, und er trachtet so früh als möglich fertig zu werden und wieder hinüberzukommen zur Arbeit. Kaum ist gebetet, nimmt er sein Hütel und hastet davon, aber kein Mensch ist noch auf dem Zimmerplatze, als er hinkommt. Ein Weilchen setzt er sich nieder; als ihm aber das Warten zu langweilig wird, greift er nach einer Bandhacke und haut vor, so weit geschnürt ist.

Unterdes schlendert der Alte daher.

»Hast denn schon gegessen?« fragt er, sichtlich angenehm berührt von dem Fleiße des Buben.

»Ja.« Und er haut wieder weiter.

»Bist aber kurz angebunden«, sucht der Alte das Gespräch doch in Fluss zu bringen.

»Was soll ich denn sonst sagen?« meint der Gaberl.

»Allerhand kann man reden, dies und jenes ... du, dass ich dich frag', aber unter uns: Habt ihr wirklich die Kuh verkaufen müssen?«

»Ja.«

»Zum Teuxel! So red' doch mehr mit ... mit deinem Ähnl!«

Auf die Rede hin lässt der Bub die Hacke ein paar Augenblicke im Holze stecken, wendet sich um und sieht dem Alten mit einer Miene ins Gesicht, die gemeiniglich das Anzeichen einer recht groben Antwort ist.

»Jetzt hätt' ich aber bald was gesagt«, drückt er dann nach einem Weilchen heraus und kehrt sich wieder ab.

»Nur heraus damit«, fordert der Alte. »Die Schönberger sagen nicht viel, aber was sie drinnen haben und was gesagt werden soll, sel muss heraus. Und, mir scheint, du wirst einer.«

»Ich hab' keinen Ähnl«, lehnt der Gaberl die Forderung im Umwege ab.

»So? Ja, was wär' denn das?«

»Wisst: Wer meiner Mutter nicht gibt, was ihr gehört, und wer nicht hilft, wenn er kunnt', sel ist kein Freund zu uns. Wir brauchen weiter auch keinen.«

»Mhm«, machte es der Alte, nickt ein paar Male vor sich hin und geht dann weg, da die Zimmerleute schon über die Gred herauskommen, aber die Antwort beißt ihn den ganzen Nachmittag über. Sie brauchen keinen Freund. Gut auch! Aber es kommt ihm gleich nachher doch wieder nicht so gut vor. Wer weiß, was er gerade täte, wenn eins oder das andere anders redete und anders käme; aber abtrutzen lässt er sich nichts, keinen grünspanigen Heller.

»Mir scheint, du willst den Stadel fast allein aufstellen«, scherzt der Obergesell, als er den Gaberl schon an der Arbeit findet.

»Hätt' ich sollen eine Weil' herumlosen?« entgegnet der.

»Ein fleißiges Mannl?« lobt der Alte. »Und, mir scheint, er lässt sich auch nicht so übel an.«

»O, mit dem ist zu werken, trotzdem er studiert hat«, sagt der Gesell, der zu Beginn der Mittagspause den Lipp so angefahren. »Ein anderer ist er schon wie der Siebenmalüberundüber, dem Bauern seiner. Derselb' taugt eh' zu nichts anderem als zu einem Herrn.«

»Geradeweg bist aber«, lächelt der Alte.

»Wie es sich zum Zimmermannshandwerk schickt: Allweil der geraden Schnur nach.«

Den Gaberl freuen diese Reden mehr, als wenn ihm wer einen Zwanziger gegeben hätte. Er hätt' zum Studieren getaugt, wenn das Geld gewesen wäre, und er taugt zur schweren Arbeit, da es nicht ist. Und ein Zimmermeister ist auch wer, der einen Großen spielen kann in der Welt.

Es kommt der Jakoberl daher, gesellt sich zum Gaberl und erzählt ihm von der Drossel, die nun schon selbst zu fressen anfange. Im nächsten Auswärts (Frühjahr) dürfte sie schon singen.

»Ich hätt' sie dir wirklich geben«, beteuert er nachher.

»Jetzt hätt' ich eh' keine Zeit, dass ich ihr abwartet«, vertröstet der Gaberl. »Wenn ich wo anders arbeite, komm' ich die ganze Wochen über nicht heim. Und wer tät' sie füttern? Die Line kann nicht umgehen mit solchen Sachen.«

»Freut dich denn das ewige Herumhacken?« wundert der Jakoberl.

»Mich schon.«

»Nein, ich möcht' kein Zimmermann werden. Lieber tu' ich noch den ganzen Nachmittag Flachs jäten, und sel ist doch eine Arbeit, die von den langweiligsten wieder die ärgste ist. Aber das ewige Herumspickeln in dem Holz!«

»Wart' nur, bis das Abbinden angeht! Du, das ist fein gerad' eine Freud', wenn einer jedes Stückel Holz so herrichten kann, dass es zum andern und zum Ganzen passt. Und nachher tu' ich am Sonntag allemal aufzeichnen, was wir die Wochen über gemacht haben.«

»Geht denn sel?«

»Das glaub' ich.«

Der Alte steht zufällig hinter ihnen und hört das Reden, und jählings schleicht sich ein Gedanke durch seinen grauen Kopf, da er vom Aufzeichnen hört: Der Kund' wird einmal Zimmermeister. Den Gedanken hat er nicht gesucht, aber der ihm folgen soll, den sucht er geflissentlich: Nur allweil hoch hinaus; erst ein Pfarrer, und da dies nicht geht, ein Zimmermeister! ... Na, gehen kunnt' sel. Der Bursch lässt sich wahrhaft nicht schlecht an, und wenn er so fortwerkt, kann's einmal werden ... wenn das Geld zum Anfangen ist. Wenn! Na, dann muss er halt doch Mittel machen, dass – er ins Gleiche kommt mit den Leuten. Vielleicht vergeht dem Bürschel der Trutz bis dorthin, und es sagt anders. Die Schuld ist dann doch abgezahlt, und er ist sich und seinem Vorsatze nicht untreu geworden. ...

Am nächsten Samstage ist Heberbier.

Das Gebälke des neuen Stadels ist vollständig abgebunden, die Trümmer des alten sind weggeräumt, und die Nachbarn kommen mit Seilen und Gabeln daher, beim Heben und Aufstellen zu helfen.

Bald wimmelt es auf dem Platze von lauter Männern, und das Hämmern und Schlagen hallt weit hinaus über die Hänge. Erst werden die Säulen und Balken der beiden Längsseiten zusammengestellt und mit Bändern fest verbunden, und dann stemmt und zieht man sie in die Höhe und hält sie, bis die sogenannten Mauerbänke der Schmalseiten darüber gelegt und verfestigt sind und das Ganze dasteht wie das Gerippe eines großen Tisches. Nachher stellt sich der Obergeselle auf einen der Balken, zieht den Hut vom Kopfe und fordert alle zum Beten auf.

»Des Menschen Leben ist ein schwache Schnur«, sagt er. »Heut' ist sie noch in ihrer Länge ausgezogen, aber wenn ein armseliges Bröckel Holz darauf fällt, kann sie mitten entzwei reißen. So beten wir halt ein Vaterunser zu unserem Schutzherrn, dem Weltbaumeister, dass er bei der gefährlichen Arbeit unser aller Leben in seinen Schutz und Schirm nimmt und alles Unglück abwendet und verhütet.«

Und sie beten ein Vaterunser.

Auf der Gred drinnen aber stehen die Bäuerin, der Jakoberl, der Lipp und die Dirnen und schauen hinüber zum Baue.

»Ob der nicht gar einen Rosenkranz anfängt?« spöttelt und zahnt (verächtlich lachen) der Lipp geringschätzig. »Erst grob wie abkämpene (raueste Faser des Flachses) Gespunst, und nachher möchten sie wieder dem Herrgott die Zehen abbeißen.«

»Wird halt so der Brauch sein«, mutmaßt der Jakoberl.

»Tut schon not«, erinnert die Großdirn. »Bei so einer Arbeit könnt' das größte Unglück geschehen; so Trümmer Holz haben ein Gewicht und eine Schwere, aber keinen Verstand und kein Mitleid.«

Das Gebet ist verrichtet, und die Männer machen sich an die Arbeit. Die bleischweren, noch ganz saftigen, nassen und schlüpfrigen Balken werden an Seile gebunden und hinaufgezogen und geschoben, und bald schwitzen die Männer als wie nur. Doch geht alles gut und glücklich ab, und um halben Nachmittag herum ragt das grüne Fichtenbäumchen über das erste Sparrenpaar hinaus, und die bunten Papierbändchen und die Maschen flattern und rauschen im Winde, und der Obergesell hält seine Rede, wünscht Glück und Segen dem Hause und seinen Bewohnern, trinkt das ihm nach altem Zimmermannsbrauch gereichte Glas Bier leer und wirft zum Schlusse das leere Glas hinunter auf den grünen Rasen. Muss einer auch können, ein Glas von der Höhe hinabzuwerfen, so dass es nicht bricht und keinen Schaden leidet. Glück und Glas ...

»Jetzt kunnten wir leicht noch einen hübschen Fleck Dach decken«, rät der Bauer. »Die Leut' wären beisammen, und zum Heberbier haben wir die ganze Nacht über noch Zeit.«

»Heut' geschieht kein Handgriff mehr«, widerneint ein wirrbärtiger Zimmermann. Das Grässel auf den First, und gar ist's für denselben Tag. So ist' Zimmermannsbrauch.«

»Na, meinetwegen auch«, willigt der Lipp ein die Zwangslage. »Weil's nur so weit ist! Aber das wenn ich früher gewusst hätte, dass es so schnell geht, so viel Geld hätt' ich dem Zimmermeister nicht zugesagt.«

»Der kunnt' es ja umsonst auch tun«, witzelt der jüngste Gesell.

»Verwahrt das Werkzeug!« schafft der Obergesell. »Für heut' ist Feierabend. Schaut jeder nach, ob er all sein Zeug beisammen hat.«

Wie der Gaberl vom Feierabend hört, rafft er sein Werkzeug zusammen, nimmt die Butte auf den Rücken und will davon, aber der Obergesell erwischt ihn noch bei Zeiten beim Ärmel und hält ihn zurück.

»Oha, Mann! Heut' bleibst einmal bei uns«, sagt er.

»Ich geh' nicht hinein«, weigert sich der Gaberl. »Ich ... wir sind nicht gut mitsammen.«

»Das geht uns nichts an. Da bleibst!«

»Nun, freilich bleibst da«, redet der Alte dazu. »Tut dir ja kein Mensch etwas. Mitgearbeitet hast die ganzen Tag' her, und jetzt freust dich auch mit.«

»Butten weg!« schafft der Obergesell, und einer der Zimmerleute nimmt sie ihm kurzerhand vom Rücken und stellt sie zu den andern. »Solang' du ein Lehrbub bist, musst gehorsamen, sel merk' dir«, redet der Obergesell weiter. »Unrechtes meint dir niemand was, und im andern musst folgen. Spreiz' dich nur nicht lang' und geh'!«

»Was wolltest denn da eine Weil' Geschichten und Tänz' machen?« mischt sich der Zacherl drein. »Leicht weil Ihr nicht gerad' gut seid? Unsinn! Der Alte ist dein Ähnl und der Junge dein Vetter, damit ist der Handel am End'. Geh' nur! Geh' nur!«

»So geht die Uhr?« kichert rückwärts der jüngste Gesell. »Freund' sind die Leut'? Na für so einen Vetter tät' ich weiter auch dreiviertelmal danken.«

»Dich ... geht's einen Schafkäs an«, schnaubt ihm der Lipp zu. Dass d' es weißt.« Ihn ärgert es schon, dass sie den Buben mit Gewalt in sein Haus und an seinen Tisch zerren, und der Flaumbart muss auch noch seinen gelben Schnabel nützen.

Die Männer gehen in die Stube und setzen sich an zwei zusammengerückte Tische und schwatzen und lachen, derweil der Bauer ein Fassel Bier anschlägt, aber der Gaberl sitzt unter ihnen, als wäre sein Sitz mit Kronwitt gepolstert. Er sagt nicht so und nicht so und lugt verstohlens in der ihm vollständig fremden Stube herum, und es fällt ihm dabei ein, dass darinnen seine Mutter aufgewachsen. Ob er gegen seine Schwester, die Line, auch so sein könnte wie der Vetter gegen seine Mutter? Nein, er nicht. Raufen tät' er mit jedem, der ihr etwas in den Weg legte.

Glas um Glas kommt auf den Tische, und die ersten haben schon wieder ausgetrunken, ehe die letzten ihre Halbe kriegen, denn der Lipp ist auch beim Einschänken etwas auf der langsamen Seite, und dann – geht etwas weniger auf, wenn sie jedes Mal ein Zeitlein warten müssen. Nur der Gaberl kriegt langmächtig kein Glas.

»Na, was ist's denn?« fragt überlings einmal der Obergesell. »Kriegt der Lehrbub auch ein Häferl?«

»Es ist kein Glas mehr da«, bescheidet die Bäuerin kurz.

»Ja, es ist kein Glas mehr da«, bestattet der Lipp. »Er soll mit einem andern trinken.«

»Ich seh noch drei auf dem Schüsselkar (Wandgestell) oben stürzen«, erinnert der wirrbärtige Zimmermann. »Nur her damit!«

»Die sind brochen«, redet die Bäuerin kurz aus, aber der Alte geht hin und nimmt eins herunter.

Derweil aber steht der Gaberl hastig auf und rennt zur Türe hinaus, ehe ihn einer zurückhalten kann. Es tut ihm nicht not, dass er sich in diese Stube setzt und anschauen lässt, wie ... wie vielleicht ein Bettelmann.

»Ihr seid mir eine schöne Sippschaft übereinander!« greint der grobe Zimmermann, der Hies. »Ich arbeit' doch schon an die zwanzig Jahr' und bin in allerhand Häuser kommen, aber solche Leut' hab' ich noch nie antroffen.«

Das Vorkommnis legt sich wie ein hübsch schwerer Alpdruck auf eines jeden Sinn und dämpft und drückt Heiterkeit und Frohsinn für lange Zeit, bis halt das Bier zu wirken anfängt.

Des Alten Geschau verdüstert sich mit einem Male, und unvermerkt gibt er dem Bauern ein Zeichen, ihm zu geheimer Zwiesprach in die Kammer zu folgen.

»Ihr seid mir ein paar saubere Schandenflecke«, greint er mit vor Erregung zitternder Stimme. »Verstand habt ihr all zwei um keinen Scheingroschen, und wie sie vorbetet, so pappelst du in deiner Dummheit nach. Was meinst denn, was sich die Leut' denken werden? Durchbläuen könnt' ich dich wie einen Nusssack.«

»Gerad' so gehört sich's«, brummt der Lipp und geht kurzer Hand davon.

Dagegen geht aber der Alte nicht zu Tische, als die Bäuerin das Essen aufträgt.

»Na, Ähnl ...!« mahnt sie, aber er schüttelt nur den Kopf, tut einen unverständlichen Brummer und geht aus der Stube ... Alles war recht ist, aber solches gehört sich nicht und ... der Bub ist so gut sein Enkel, wie es die anderen zwei sind. Und in seine Sachen hat sich niemand dreinzumischen. Wenn er mit jemandem trutzt, so wird er seine Ursach' haben, und ein zweites hat sich weder um Ursach' noch um Trutz zu kümmern. Denen hat die Mena nichts in den Weg gelegt, und ihre Kinder haben sel schon gar nicht vermocht; also hätten sie anders zu sein. Aber nein! ...Übrigens merkt er schon allmählich, von wannen der Wind bläst. Dass sich aber nur keins täuscht!

Er geht zum Stadel hinaus und schaut dort ziel- und planlos an dem Gebälke herum, bis die Bäuerin daherkommt und ihn mit Gewalt in die Stube nöten will.

»Aber Ahnl!« redet sie auf ihn ein. »Was habt Ihr denn gerad' auf einmal? Nicht einmal zum Heberbier gehen wollen, wo Ihr Euch so geschunden und geplagt habt bei der Arbeit? Wär' doch eine Schand' für uns ...«

»Ihr kennt sel Ding nicht«, brummt er.

»Wegen dem Buben? Wenn wir gewusst hätten, dass es so weit gefehlt wär', hätten wir ihm halt ein Glas zuerst hingestellt ...«

»Alles, wie es sich gehört hätt'«, fällt er ihr in die Rede. »Er ist in dem Fall so gut wie jeder andere Arbeiter und ... und um meine Sachen habt Ihr Euch nicht zu kümmern, Ihr nicht«, schreit er dann überlings hart auf. »Euch haben die Leut' nichts getan.«

»So schick' ich ihm seine Sach' hinüber«, erbietet sie sich. »Einen festen Krug Bier und eine Schüssel voll Backwerk.«

»Dass der Bot' die Sach' hin- und zurücktragen kann?« lacht er kurz auf. »Die nehmen nichts solches, die haben meinen Kopf ... Hör' mir auf!« wehrt er nachher ab, als sie ihn am Ärmel fortziehen will. »Wenn ich einmal sag', ich mag nicht, nachher mag ich nimmer!«

Eine ungute Rede drängt sich ihr auf die Zunge, aber sie hält sie bei Zeiten zurück und geht zornigen Geschaues ihrer Wege. Wie er sich auf einmal um das Gevölke annimmt? Gut darf es gehen, wenn er nicht doch einmal wieder der gute Narr ist. Wär' es nicht wegen dem Geld, er könnt' zu jeder Stunde tun, was er will und hingehen, wohin es ihm beliebt, aber die Mena soll so etliche zwanzig Hunderter Heiratsgut kriegen, und fast ebenso viel hat er sich noch ins Leibtum mit hinübergenommen. Wenn er einmal anderen Sinnes würde, müsste halt das Geld gezahlt werden. Um sel handelt es sich, und wegen dem muss man ihn allweg hübsch im Zaume halten ... Na, es wird sich schon wieder geben, wie es sein soll.

Nach einer Weile geht der Alte ins Haus, holt sich Stiefel, Joppe, Hut und Stecken und geht ins Dorf hinunter, und als er wieder heimkommt, ist man mit dem Biere fertig, und die Männerleute haben sich verloren.

Verstohlens steigt er die Bodenstiege hinauf und legt sich zur Ruhe. Des andern Tages aber nach der Morgensuppe stopft er sich langsam ein Pfeiflein, und als die Bäuerin gerade aus der Stube geht, wendet er sich an den Buben.

»Du, wenn die Zimmerleut' mit dem Stadel fertig sind, lässt mir mein Leibtumstübel richten«, fordert er.

»Das ... Leibtumstübel?« wundert der und schaut den Vater mit weit aufgerissenen Augen an. »Ja, zu was denn sel? Zu was braucht Ihr denn ein Leibtumstübel?«

»Ich brauch' es halt.«

»Wird aber nicht gehen«, weicht der Lipp aus.

»Z'wegen was nicht? Geschrieben ist es worden, und ich ... will mich allein geben.«

»Aber ... Vater!«

»So oder so. Ich will's haben, und wird's nicht, nachher kannst das Leibtum ins Dorf hinunterfahren. Verstehst mich?«

Er zieht sich an und geht in die Kirche.

»Mir scheint, da wird's auch ein bissel spelzeckig«, mutmaßt der Großknecht den andern Ehehalten gegenüber. »Es muss was geben haben, und wenn der Alte seinen Mutzkopf aufsetzt, muss es ihm nachgehen.«

»Ich mein', wegen dem Gaberl handelt es sich«, rät die Kleindirn sogleich. »Ich hab' es ihm gleich gestern ankennt, dass ihm sel in die Nase geschnupft ist.«

»Hat sich aber auch nicht gehört«, urteilt die Großdirn. »Einem landfremden Arbeiter tut man das nicht an.«

»Dem hätten sie es eh nicht angetan«, lacht der Großknecht. »Ich bin nur neugierig, was aus der Dummheit noch herauswächst.«

»Recht viel Gescheites nicht ...«

Die Bäuerin aber schüttelt nur den Kopf und schupft die Schultern ein paar Male, als ihr der Lipp von des Alten Verlangen erzählt.

»Da muss ein anderes gescheiter sein als er«, sagt sie, und das ist vorläufig ihre ganze Rede, aber es steht keine halbe Stund' an, so hat sie ihren Plan im Reinen: der Lipp muss mit dem Zimmermeister und den Zimmerleuten reden, dass sie keine Zeit haben zu solcher Arbeit. Wo wird er nachher hin?

*

Denselben Sonntag kauft sich der Christoph beim Krämer unten ein Zeitungsblatt um einen Kreuzer, damit er den Nachmittag über etwas zu lesen habe, und dann gehen sie heimzu, er und die zwei Kinder. Schweigend stapfen sie hintereinander dahin, und wunderselten fällt ein Wort. Der Christoph sinnt an den elendigen Zeiten, die nun über sein Haus hereingebrochen – keine Arbeit, kein Verdienst, eine Kost, dass eins gerade das leidige Leben erretten kann, und überall wachsen die Schulden in die Höhe wie Gras und Kraut im Saatfelde, und vergeblich sucht er sich kommende, bessere Zeiten vorzuspiegeln, die das Elend der Gegenwart überflittern sollten, aber es will ihm nicht recht gelingen.

An allem und jedem ist einzig und allein der Lumpenmensch schuld, der Isidori, der sich den Geldweber nennt und ihnen den verächtlichen Spitznamen Notwebersleut' aufgebracht hat. Wenn er ihn so einmal erwischte, er könnte sich wirklich nicht helfen, er müsst' ihn durchwalken nach Gebühr.

Der Gaberl sinnt und ohrt an seinem Handwerk und baut Luftschlösser, wie er sie zur Zeit wünscht, und die Line sinnt auch in ihrer Art vor sich hin. An was so ein Ding denkt und denken mag? Wer weiß es? Weiß nicht einmal sie jederzeit, was ihr gerade durch den Kopf und durch die Sinnen zieht.

Da regt sich überlings vor des Kleebointners Feldkreuz etwas, und gleich darauf hebt einer ein Husten und Räuspern an, das wie ein schriller Misston durch das Zirpen und Singen ringsumher hallt: der alte Kalmann.

»Was tut denn Ihr da?« wundert der Christoph und bleibt jäh stehen. Es fällt ihm augenblicklich keine andere Anrede ein.

»Ich? ... Mein', ich bin halt da in der Kirchen«, schnauft der Alte. »Bis nach Steinbrunn kann ich nimmer hinunterreichen, weil der Blasebalg allweil schlechter wird, so bin ich da herübergewackelt. Wir kennen uns schon, ich und der da oben am Kreuz und ... er hört mich da auch, was ich red' mit ihm. Setz' dich her ein bissel!«

Und der Christoph setzt sich hin auf den mit blühendem Gekraut überwucherten Feldrain, zieht den Duft des Rainelkrautes (Thymian) ein und hört den Reden des alten Schullehrers zu.

»Jetzt geht's gen Feierabend; ich kenn's von Tag zu Tag«, erzählt er. »Und ich frag' nichts danach. Nur jäh wenn es ging', kurz und trocken, wie wenn einer eine Lampe ausbläst.«

»Es wird sich schon wieder geben«, sucht der Christoph zu vertrösten. »Geht oftmals einem so ein Krank an, und nach einer Weil' verzieht er sich wieder von selbst. Und Ihr seid soweit noch gesund und rüstig ...«

»Kunnt'st auch recht haben«, nickt der Alte, aber er denkt sich anders. »Der Mensch geht dahin durch das Leben wie ein blindes Schaf und denkt sich oftmals das und jenes, und es ist zumeist gerad' anders. Kunnt' sich auch wieder ausgehen ... Na, und wie geht's dir in der Zimmerei, Gaberl?« wendet er sich an diesen.

»Recht gut«, bescheidet dieser.

»Das freut mich. Nur auch gleich wieder den obersten Sprissel (Sprosse) ins Aug' nehmen.«

»Das hat er eh' im Sinn«, erklärt der Christoph. »Zimmermeister. Der Pfarrer hat gesagt, das geht. Und es wär auch ein schönes Geschäft.«

»Das will ich glauben, aber ... aber ich mein' alleweil, so ein Talent, was der Bub hat, sel arbeitet sich einmal auf einer ganz andern Seiten durch, oder es macht einen zum Lumpen, weil es nicht Platz findet im engen Rahmen ... Hast schon einmal einen Schwamm gesehen, der unter einem Stein aus der Erden wächst? Nicht? Ich schon. Ist der Stein nicht zu schwer, nachher hebt er ihn und schiebt ihn zur Seiten, kann er ihn aber nicht aus dem Weg schaffen, so wird er ein rechter Zelten, der gar keinem Schwamm ähnlich sieht. So ist die Geschicht' ... Ich muss halt schon wieder husten ...«

»Ich komm' Nachmittag ein bissel zu Euch«, verspricht der Christoph und steht auf. »Ihr seid ja schon drüben beim Rosenbauer?«

Der Alte nickt nur ein paar Male vor sich hin und macht dann auch Anstalten, aufzustehen und heimzugehen.

»Ein Elend!« seufzt der Christoph in währendem Weitergehen. »Krank sein und keine Seel' wissen auf der ganzen Welt, die einem nicht gerad' als einem Fremden aufwartet!«

»Was wird er denn da gemeint haben?« sinnt der Gaberl, aber der Vater weiß es ebensowenig. »Ich hab' mich nicht auskennt«, gesteht er. »Wer weiß, ob er selbst mehr recht weiß, was er sagt?«

Daheim angekommen, vertieft er sich in die Zeitung, bis es zum Essen wird, und der Gaberl arbeitet mit Reißschiene und Winkel und zeichnet des Nachbarn ganzen Stadel auf, nicht gerade, wie es richtig sein soll, aber so doch, dass sich einer halbwegs auskennt daran. Er hat den Bauplan gesehen, den der Zimmermeister gemacht, und er macht ihn aus dem Gedächtnisse nach.

»Ein Jahrl noch, nachher stehst keinem Meister nach«, lobt der Christoph. »Du bist schon im richtigen Wasser, sel kenn' ich. Und ein ander Leben blüht dir, als wie es uns aufgesetzt ist von oben aus. Solche Zeiten wirst nimmer erleben.«

Dem Buben ist, als sollte er irgendein Trostwort sagen, aber er findet keines, nur im Stillen nimmt er sich vor, so rasch als möglich zur geldumglänzten Höhe zu streben, um die Not aus dem Hause der Eltern scheuchen zu können.

Nach dem Mittagessen geht der Christoph zum alten Kalmann hinunter in den Rosenhof, wo dieser seit kurzer Zeit im Stübel des Inhäusels herbergt, da die Bildung einer selbständigen Gemeinde Schönwinkel bewilligt und der Rosenbauer als erster Bürgermeister der neuen Gemeinde gewählt worden. Der Gaberl aber nimmt das Zeitungsblatt und hockt sich damit hinter die Hollunderstaude hinaus und liest.

Was von Politik drinnen steht, dafür hat er kein Verständnis und kein Interesse, und er überspringt die betreffenden Artikel auch. Er liest nur, was da und dort sich ereignet, was an Unglücks- und Glücksfällen vorgekommen in der weiten Welt draußen, und das Geschichtel unter dem Striche liest er auch, aber es gefällt ihm nicht.

So könnte er es am Ende auch.

Und der Gedanke nistet sich ein in seinen Kopf und lässt ihm keine Ruhe. Wie ein ungezogener Bube einen friedlichen Menschen stört und neckt, so macht es der Gedanke mit ihm. Bald raunt und flüstert er ihm etwas zu, bald lacht er als ein rechter Schelm, und da er ihn fassen will, ist er verschwunden. Er liest das Geschichtel noch einmal und wieder, und über dem Lesen und dem Ärgern und Sinnen fängt es auch in der Brust zu krabbeln an.

Dummheiten! Was gehen ihn, den Zimmermann und angehenden Zimmermeister die Zeitungsschreiber und deren Geschichten an? ... Wenn er es versuchte? Was läge denn an einem Versuche? Gerade um Gotteslohn können die Zeitungsschreiber auch nicht arbeiten, weil sie wie der andere Mensch leben müssen, und wenn er etwas Rechtes zusammenbrächte und auch ein paar Sechser dafür kriegte? Die Eltern wären froh darum. Dann stünde sein Name auch bei dem Geschichtel, und in der Kreisstadt und anderwärts könnte man lesen, dass er das geschrieben. Und wenn er dann wieder ein Geschichtel und immer wieder eins schriebe, könnte er es zum Schlusse so weit bringen, dass er nicht bloß ein Zeitungsschreiber wäre, sondern sogar ein Schriftsteller, wie manch' anderer, dessen Bild sie in die Schaufenster der Buchhandlungen hängen.

Er sinnt und grübelt, von welchen er seinerzeit schon gehört und gelesen, dass sie von Kleinem angefangen oder dass sie sich durch Not und Elend haben durchringen müssen und Hemmnisse aller Art zur Seite schieben wie ... wie der Schwamm, von dem der alte Kalmann heute geredet. Ja, wenn er noch in der Stadt wäre und solches wieder zu lesen bekäme! So hat er fast gar nichts an Büchern und Drucksachen als ein paar alte Kalender, die auf dem Boden herumliegen. Die Bücher hat er vom Direktor geliehen bekommen und wieder zurückstellen müssen.

Er trägt das Blatt wieder in die Stube und geht in den Wald hinauf, Schwämme zu suchen, und da er ein paar findet, fällt ihm des Alten Gleichnis wieder ein. Ob es der nicht am Ende so gemeint haben könnte? Wenn er es doch versuchte? Aber ... wann hat er denn Zeit zum Schreiben? Die ganze Woche über muss er in harter, schwerer Arbeit stehen.

Was wird er aber schreiben? ... Es war einmal? Nein, so fangen die Märchen an, und sel sind keine Geschichten für große Leute. Der Menschen Leben, Lieben und Hassen beschreiben? Das kann er nicht. So wird er es denn unterlassen müssen; was einer nicht zu heben vermag, sel lässt er liegen. So ist's bei den Zimmerleuten, und so ist's auch bei andern Menschen.

Er sucht durch den Wald dahin, durch grünen Birkenwald und dunkles Fichtendickicht, schneidet da und dort einen der braunköpfigen Pilze ab, wo er einen findet, sucht wieder weiter und sinnt vor sich hin und kann sich des Zwackens und Drückens in seiner Brust nicht erwehren. Es ist gerade, wie wenn einer gehen wollt', dem die Füße zusammengebunden, oder wenn er emporfliegen möchte gen Himmel, und er kann sich nicht von der Erde erheben.

So kommt er immer weiter und weiter hinauf in den Wald, bis er vor dem Schüsselsteine steht. Er legt das Bündel Schwämme in eine Dickung und klettert den Felsen hinan.

Rings herum breitet sich das Land vor seinen Blicken, Berg und Tal, Dörfer und einschichtige Häuser liegen darauf zerstreut umher, grüne Wiesenflächen, strohgelbe Felder und dunkle Waldungen wechseln ab, und über all dem liegt und fliert der goldige Sonnenschein des Spätsommertages. Wie ein großes, großes Rätsel deucht ihn alles, und doch wieder nicht, da es ja so bekannt ist und so handgreiflich wirklich, und dem Drücken in seiner Brust gesellt sich ein eigenartig Sehnen zu nach etwas, das er gar nicht einmal weiß, was es sein soll und sein könnte. Wenn er ein König wäre und über all dies Land zu gebieten hätte! ... Was aber dann? Nachher baute er sich ein schönes Schloss da auf dem Felsen, und alle Not hätte ein Ende. Wenn noch einmal die Zeit der Märchenwahrheit käme! Es war einmal! Ja, es war einmal, aber das ist heutzutage nimmer wahr, und heutzutage muss eins arbeiten und schaffen, und nachher kommt es noch nicht allemal zu etwas ... Aber wer hat denn da ein Feuer angezunden in der Schüssel? Der Stein ist angeraucht, und es liegen noch vereinzelte Kohlenreste und halbverkohltes Holz darin. Ein ... Opferfeuer, wie es die Altväter angezündet zu der Zeit, als ... O nein, da hat es auch keine Märchenzeit mehr gegeben, wie der alte Kalmann einmal erzählt. Da haben sie der Hel geopfert, die in unterirdischer Kammer die kleinen Kinder verwahrt, bis sie dieselben irgendwo hin tragen darf, die der Leute Lebensweg absteckt und die Toten nachher wieder abholt in die unterweltlichen Kammern und deren Ruhe bewacht. Ist vielleicht so ein Altvater aufgewacht und aufgestanden und hat ein Opferfeuer angezunden? Oder hat dies gar ... einer der Lebenden getan, der – noch an die Hel glaubt? Wer aber?

Alles, was ihm einst der alte Schullehrer da heroben erzählt, da er ihm das Sehen mit geschlossenen Augen hat lehren wollen, fällt ihm wieder ein, und er schließt unwillkürlich die Augen wieder, lehnt sich zurück an ein Felstrumm und träumt über dieselbe Zeit und über das, was er da gehört. Es war einmal ...

Wenn er das aufschriebe, was ihm der alte Mann über den Schüsselstein erzählt? Vielleicht taugte es einem?

Er sinnt und sinnt und reimt Stück an Stück, und ein Mut und ein Eifer überkommt ihn, dass er jählings aufspringt und heimwärts hastet, das Zusammengesonnene auf ein Stück Papier zu schreiben.

Wie er aber in die Stube kommt, sitzt die Sephi bei der Mutter und erzählt ihr in ihrer hastigen Weise allerhand. Nun, freilich ist sie es. Aber die hat sich nicht schlecht verändert da unten! Ihr Gesicht ist so braun wie eine Kastanie, die Hände sind rau, und die Haut daran ist zersprungen und stellenweise wund.

»Na, du schaust aber aus!« wundert er.

»Die harte Arbeit halt«, bedeutet die Mutter. »Aber tröst' dich, Dirndl! Alles gewöhnt der Mensch, und wenn er es einmal gewöhnt hat, fällt es ihm nimmer schwer.«

»Und dass ich Euch geschwind sag': einen Heimatsschein sollt' ich jetzt bringen«, erzählt das Dirndl weiter. »Wo ich aufgewachsen bin, dort sollten sie mir einen geben, sagt der Bauer.«

»Weißt denn das?«

Das Dirndl wird über der Frage dunkelrot. »Wissen tät' ich es schon, aber ... Basel, wenn Ihr nichts sagt, gesteh' ich es Euch ein. Ich hab' selmal gelogen, ich weiß alles. Gerad' nur dass ich nicht wieder heim gemusst hab'; und heut zögen sie mich am End' wieder heim ...«

»Von uns aus wird nichts geredet«, verspricht die Mena. »Hat's so lange gut tan, dass niemand gewusst hat, wo du hingehörst, so wird's auch weiter gut tun. Mir kannst dich zu jeder Stund' und mit jedem Anliegen anvertrauen.«

»Ich wüsst' es recht gut, wo ich hingehör'«, lächelt die Sephi. »Meine Mutter ist ein rechtes Band, und der Vater sitzt den ganzen Tag über in den Schnapsläden herum, und nachher raufen sie. Und ich hätt' ihnen betteln gehen sollen. Ein paar Male hab' ich zu wenig heimbracht, da haben sie mich ein faules Luder geschimpft und eine Weil' durchgehauen, und dann bin ich ihnen davon und ... Ihr habt mich in derselben Christnacht eingelassen ...«

»Solche Leut' gibt's auch?« entsetzt sich die Mena und schlägt die Hände zusammen. »Wo sind denn solche Scheusale daheim?«

Doch das Dirndl reut es mittendrein, dass es sein Geheimnis so weit verraten; mehr aber vertraut es nicht einmal der »Base«, wie es die Mena schon von allem Anbeginne an nennt.

»Seht, jetzt ist mir der Nam' richtig schon abgefallen«, lügt es. »Rindl ... nein, so geht er auch nicht an ...Steindl ... Ich mein', Berg ist noch daran. Ich weiß es aber auch nimmer recht gewiss.«

»Ist sel weit weg?« erkundigt sich der Gaberl.

»Ui je, da hast recht. Ich mein', ich bin schier ein vierzehn Tag' gangen bis her«, lügt die Sephi wieder. Wenn es sonst niemand weiß, so brauchen es die Leut' auch nicht gerad' zu wissen. Kunnt' doch einmal ein Wort auskommen, nachher tät' der Bauer, der jetzt auch noch Burgermeister ist, fortschreiben, und sie müsst' am End' wieder heim. Und sel nicht, wenn sie wieder herumstreichen müsst' von Haus zu Haus.

»Jetzt hast es schon gewonnen«, vertröstet die Mena. »Auf's Jahr kannst dich schon als Kleindirn verdingen, und wenn d' fleißig bist und schaust auf dich ...«

»Ich muss eh' schon der Kleindirn ihre Arbeit verrichten«, hastet die Sephi heraus. »Die Bäuerin hat gesagt, ich krieg' um fünf Gulden mehr Lohn und ein Sonntagskopftüchel.«

So reden und erzählen sie, bis der Christoph kommt, dann hebt sich das Dirndl und rennt die Hänge hinab. Wenn die Abendarbeit losgeht, muss es daheim sein.

»Der Kalmann treibt's nimmer recht lang'«, erzählt der Christoph später. »Aber eine seelengute Haut ist er durch und durch ... Die Red' hat mich wirklich gefreut von ihm. Wenn er einmal einrücken müsst', sagt er, sollt' der Rosenbauer den Gaberl als Gemeindeschreiber aufnehmen ...«

»Zu was lernt er denn nachher die Zimmerei?« fällt ihm die Mena in die Rede.

»Das tät', hör ich, nichts. Im Winter hat ein Zimmermann eh' nichts zu tun, und im Sommer brauchet' er nur zwei Tag' in der Wochen für die Schreibereien aufzuwenden, sagt der Rosenbauer. Und sechzig Gulden das Jahr über ist auch ein Geld. Wenn er einmal Meister ist, kann er das Geschäft wieder weglegen.«

»Sechzig Gulden? Ein Behelf wär's uns auch.«

»Das glaub' ich. Und Neuigkeiten hab' ich eine ganze Menge gehört da drunten. Zu Neujahr kommt die Post nach Steinbrunn, und im nächsten Auswärts sollen die Vermesser anrücken, die was die Eisenbahn ausstecken. In zwei Jahren kunnt' einer schon fahren darauf. Der Kalmann sagt, eine neue Zeit kommt jetzt mit aller Gewalt.

»Von uns aus!« macht es die Mena geringschätzig und sinnt daran, dass der Bub nun doch schon etwas verdienen sollte, wenn der alte Schullehrer verstirbt. Man soll einem jeden das bissel Leben gönnen, das er hat, aber ... recht wär's.

Der Gaberl hat gemeint, daheim braucht er sich nur hinzusetzen und das aufzuschreiben, was er oben auf dem Schüsselstein gedacht und gesonnen, aber daran hat er sich schön geirrt. Wenn die Sephi nicht da gewesen wäre! Aber was kann einer tun, wenn das und jenes geredet und geschwatzt wird neben ihm? Und diese Neuigkeit, die der Vater da heimgebracht, lässt ihn vollends vergessen darauf. Sechzig Gulden im Jahr! Wie viele wohl mehr haben werden? Sechzig Gulden für zwei Tag' Arbeit in der Woche? Wenn der alte Kalmann einmal stirbt, ist alle Not aus dem Hause gejagt.

Er nimmt eine Strohschüssel und das Bündel Schwämme, das er gefunden, und geht damit auf die Gredbank hinaus, die Pilze in dünne Spalten zu schneiden, damit sie an der Sonne trocknen können. Und dabei summt und singt er vor sich hin, als wäre sonst nichts mehr in der Welt denn lauter Glück und Freude.

In der Nacht träumt er von lauter Schreiberei und lauter Geld, und den Sechziger sieht er wohl hundertmal um sich her tanzen und springen und Purzelbäume schlagen. Aber dann sitzt er überlings wieder oben auf dem Schüsselstein, sieht das sonnige Gelände vor seinen Blicken ausgebreitet, und Zwerge und Elfen kommen in dichten Scharen aus dem Gefelse hervor, umringen ihn und schreien in einem Atem: Heil unserm König! Hoch soll er leben und lang' soll er herrschen im Märchenland, wo die Vieher reden, die Blumen lachen und eitel Glück und Freude ist!


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