Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das dreiundzwanzigste Kapitel.

Ein leises Klingen geht durch die Luft.

Safur fühlt sich so frei.

Ihm ist, als würd' er plötzlich emporgetragen hinüber ins andre Reich.

So als wenn er schwebe, ist ihm jetzt.

Er hat das Gefühl, daß etwas Schweres von ihm genommen wurde, er fühlt sich erleichtert – so frei – so frei – garnicht mehr irdisch.

Eine wunderbare Seligkeit umfängt ihn.

Wie froh ist er, daß die Tarub fort ist!

Er sieht plötzlich seine Dschinne vor sich und sinkt auf die Knie – schließt die Augen und fällt zurück.

Wunderbar duften die weißen Rosen.

Safur träumt von Wolken und von Huris.

Plötzlich hört er knatternden Peitschenknall – einen furchtbaren Donner!

Der Dichter will die Augen öffnen, kann aber nicht – er vermag nicht ein Glied zu rühren.

Und der Donner hört nicht auf.

Seine Dschinne ist da – er fühlt es.

Ein Pferd wiehert und dann lacht wer.

Ein hellblaues Licht blendet plötzlich des Dichters Augen.

Er sieht hinein und sieht seine Dschinne auf schwarzem Roß hoch aufspringen – ins blaue Licht hinein.

Die grauen Gewänder der Dschinne flattern und knallen; wieder donnert's!

Und die Dschinne reitet in den Himmel hinein; sie dreht sich um, ihre Peitsche saust knatternd durch die Luft.

Ein Stier springt empor – ein wilder Stier – der sprengt auch in die blaue Luft hinauf.

Safur erhebt sich – ein Sturmwind erfaßt ihn – und im nächsten Augenblick sitzt er auf dem Stier, und nun geht's der Dschinne nach.

Schwefelgelb wird die Luft.

Auf grauen Wolken rasen – der Dschinne Roß und Safurs Stier.

Ein Blitz zerreißt die gelbe Luft.

Aus tausend Kehlen lacht es.

Über die Wolken hin rast vor dem Stier ein unzählbares Reiterheer – König Saiduk mit seinen Dschinnen.

Und die Dschinne, die er verfolgt, stößt ihr Pferd in die Tiefe und schwebt zum König und umhalst ihn – Safur schreit – und da fällt er kopfüber von seinem Stier runter – in die Tiefe – sieht Nichts mehr – – –

Wie Safur erwacht, liegt er am Tigrisstrande, und der Vollmond leuchtet über den Wassern, und die weißen Rosen duften – – – – –

In einigen Wochen wird Safur ein ganz Andrer. Seine Augen liegen hohl im Kopf, und sein Leib ist abgemagert – wie ein Gespenst geht er am Strande auf die Jagd. –

Oft sieht er Hyänen.

Unstet ist sein Blick, scheu – als hätt' er ein Verbrechen begangen.

Ans Essen denkt er nur selten.

Wenn er aber angefangen hat zu essen – dann ißt er mit furchtbarem Heißhunger. Gewöhnlich schlingt er das ungekochte Fleisch wie ein wildes Tier runter.

Jetzt trinkt er mit Vorliebe – heißes Blut.

Und er wird dann immer sehr wild.

In jeder Nacht fiebert er.

Und seine Fieberträume sind entsetzlich.

Er verfolgt immer seine Dschinne.

Auch die Tarub erscheint ihm, und sie ist sehr gut zu ihm, sagt ihm immer:

»Sieh, wenn Du mich nicht gehabt hättest, dann hättest Du doch nie die Dschinne geliebt. Mir verdankst Du Alles. Das Roh-Körperliche hat das Geistige erzeugt – Die Dschinne ist ja meine Tochter – weißt Du das nicht?«

Und diese Rede hört er mehrere Male, und er wird dann immer sehr aufgebracht und zankt sich mit der Tarub.

Nachher jagt er wieder dem König Saiduk nach und prügelt sich mit ihm – der aber würgt ihn immer – was furchtbar ist.

Wenn dem tollen Dichter ein Eremit begegnet – so verbirgt der sich im nächsten Gebüsch.

Zuweilen sind des Dichters Fieberträume sanfter – besonders, wenn der Mond nicht scheint.

Dann träumt er wohl von prächtigen Gärten, in denen er von vielen schönen Frauen ganz langsam umhergetragen wird.

Von Riesensphinxen träumt er auch – deren Haupt ragt hoch in den Himmel bis an die Sterne – und die Brüste der Sphinxe sind so groß wie Erdkugeln – oh – noch größer!

Die ruhigen Träume werden jedoch immer seltener.

Von den beiden Riesen – Harut und Marut – die in der Beluspyramide an den Füßen aufgehängt sind, träumt dann auch mal der Dichter...

Wie er aber ein Mal erst von denen träumte, kann er sie nicht wieder vergessen.

Er glaubt immer, sie verfolgten ihn, sie gingen hinter ihm – mit den Köpfen an die Erde stoßend – und zwischen ihnen – seine Dschinne!

Und diese Vorstellung läßt ihn nicht mehr los.

Er will andre Geister zu Hilfe rufen.

Er betet auf den Knien zum König Saiduk.

Nun will er unter allen Umständen in die überirdische Welt hinein – er muß – er kann nicht mehr anders.

Wenn er in der Lehmkate sitzt und brütet, ist ihm so, als wären Harut und Marut draußen vor der Tür und würgten – seine Dschinne – seine Dschinne!

»Mein Weib! Mein Weib!« schreit er dann und stürmt hinaus.

Indessen da kommt's ihm immer so vor, als wenn Harut und Marut blitzschnell mit der Dschinne ins Haus hineinschlüpfen.

Immer sind sie hinter der einen Wand, ob er nun vor der Kate oder mitten in der Kate steht.

Seine Blicke durchbohren die Wand.

Er will hinter die Wand kommen – hinter die Wand – hinter die dumme Wand!

Wie ein wildes Tier schreit er hin und wieder – daß es schaurig nachts über die Wasser hallt.

Alle seine Muskeln spannen sich an, er fühlt in sich übermenschliche Riesenkräfte; er will Harut und Marut vernichten.

Gräßlich schreit er daher jeden Abend:

»Harut! Marut! Kommt heraus! Harut! Marut! Ich erwürg' Euch! Harut! Marut!«

Wer auf dem Wasser vorbeirudert und das hört – schaudert zusammen.

Niemand wagt dem Dichter zu nahen.

Eines Abends, wie wieder der Vollmond über dem Tigris steht und sanft leuchtet, schreit Safur lauter denn je.

Er will durch die Wand durch – durch die dumme Wand – grade da will er durch, wo eine rote Tontafel eingelegt ist, aus der wunderliche Figuren herauskommen.

Er will da durchaus durch.

Noch einmal schreit er wie ein wildes Tier:

»Harut! Marut! Jetzt komm' ich! Mein Weib! Mein Weib! Harut! Marut! Jetzt!«

Und mit fürchterlicher Kraft rennt er mit dem Kopf gegen die Lehmwand, daß sein Haus erzittert und daß sein Schädel – berstet.

Mit gellendem Schrei bricht der Dichter zusammen.

Die Hyänen kommen langsam näher.

Wunderbar duften die weißen Rosen.


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