Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Abu Hischam spielte mit seiner Pelzmütze. Bald gab er ihr einen Puff mit der Faust, bald streichelte er das schwarze Fell. Er knillte die Mütz' und preßte sie, hielt sie mit zwei Fingern an ein paar Haaren fest und ließ sie baumeln. Dann warf er sie ein wenig empor, fing sie geschickt wieder auf, schlug sie, wie man ein Kind schlägt, versuchte sie auch auszuwringen, wie's die Wäscherinnen mit schmutziger Wäsche zu tun pflegen... schließlich fuhr er sich mit der rechten Hand durch die wüst ins Gesicht hängenden Haare und klopfte gleich darauf dem Battany aufs Knie. Da ihm Jakuby gleichzeitig den Goldpokal reichte, so setzte er rasch seine Pelzmütz' wieder auf den Kopf und trank hastig... aber alsdann sprach er:

»Battany, hör mal! Du, Suleiman, paß auch auf! Sagt doch! Noch einmal! Auf der Sternwarte ließet Ihr mich nicht ordentlich ausreden. Warum sollen wir denn nicht? Ist es denn nicht wirklich an der Zeit, einen großen Gelehrtenbund zu gründen? Alle Gelehrten müssen, wie ich's schon öfters empfahl, diesem Gelehrtenbunde angehören. Wir könnten uns vielleicht ›die aufrichtigen Brüder‹ nennen – oder – oder – ›die lauteren Brüder‹.... Wie denkt Ihr darüber? Könnten wir nicht einmal ganz in Ruhe die Sache überlegen? Was? Ein Gelehrtenbund muß es sein, und alle Gelehrten müssen dem Bunde angehören. Niemand darf fehlen. Auch die Tofailys dürfen nicht vernachlässigt werden. Werde nicht gleich wütend, Battany! Schufte sind es zwar, doch trotzdem sind sehr viele feine Köpfe unter diesen Tofailys. Eigentlich müssen wir uns doch auch zu den Tofailys zählen. Gewiß, Battany! Rede nicht! Glaub's mir! Boshaft sind ja die Schurken, wir sind's aber auch. Du kennst mich ja, Battany. Du wirst mich nicht mißverstehen. Was sagst Du, Jakuby?«

Jakuby versetzte mit seiner Fistelstimme:

»Ich bin der Ansicht, daß eine so gänzlich abgeschlossene Stellung der Gelehrtenwelt dieser nicht zum Vorteile gereichen kann.«

»Und ich«, warf Battany verächtlich die Mundwinkel runterziehend dazwischen, »habe mich niemals zu den Tofailys gerechnet. Ich pflege in andrer Weise die Genüsse der Erde durchzukosten – niemals in bezechter Bewußtlosigkeit.«

Weiche feine Saitenklänge dringen aus den Gärten, die am Ufer liegen, auf den breiten Tigrisstrom hinaus.

Auch eine Flöte ist zu hören.

Abu Hischam fängt nach kurzer Pause wieder an – heftig – also:

»Aber Prasser sind wir dennoch! Jeder praßt nur in seiner eigenen Art. Ich mache mir auch Nichts aus feinen Fressereien. Was geht's mich an, wie eine Torte schmeckt... ich bin froh, wenn ich meinen Hunger stillen kann. Doch – genießen – prassen – will ich auch. Ich bin nur derber als Ihr. Wenn wir auch nicht so reich sind, wie Du, lieber Battany, so bist Du doch nicht mehr als wir. Du bist ein Astronom, und ich bin ein Philosoph. Das heißt: wir sind zwei Gelehrte. Wir sind sämtlich Gelehrte.«

»Außer Osman«, ruft Safur von der Spitze der Barke nach hinten hinüber.

»Ganz recht, Safur«, sagt der Philosoph, »daß hier Niemand etwas vor dem Andern voraus hat – das ist also klar.«

»Ja! Ja!« meint nun Jakuby liebenswürdig, »Dein Buch ›Der Zweifler‹ scheint mir sogar sehr – höchst bedeutsam zu sein. Zwar – ich habe nicht Alles verstanden...«

»Ich auch nicht«, schreit lustig Kodama, klopft dabei dem noch immer nicht so recht vergnügten Osman herzhaft auf die Schulter.

Alle müssen lachen.

Abu Hischam spielt wieder mit seiner Pelzmütz und schwenkt sie schließlich überm Kopf, damit die Andern wieder auf ihn aufmerksam werden.

Kodama jedoch reicht dem Philosophen den Goldpokal; der Philosoph soll erst wieder trinken. Nach dem Trunk läßt der sich aber nicht mehr behindern, er redet wieder – folgendermaßen:

»Kommen wir also zum Schluß! Sagt! Seid Ihr jetzt nicht mit mir der Überzeugung, daß wir gezwungen sind, uns zusammenzutun? Das Verbot des dummen Kalifen sagt doch genug. Die Nacht ist sehr schön. Die Möwen krächzen. Wir segeln einer großen Zukunft entgegen. Der entscheidende Augenblick ist gekommen. Demnach! Brüder! Hört! Wollen wir jetzt nicht gleich unsern Bund, den ›Bund der lauteren Brüder‹, in aller Form begründen? Jetzt gleich muß es geschehen. Warum sollen wir's denn aufschieben?«

»Ihr wollt wohl eine neue Prassergilde schaffen?« stößt nun aufgeregt der dicke Osman hervor.

»Nein, wir wollen«, entgegnet Abu Hischam klug, »der Prassergilde eine Gelehrtengilde gegenüberstellen. Nicht wahr, Battany? Bist Du nicht auf meiner Seite, wenn wir eine Gelehrtengilde gründen, die im vollen bewußten Gegensatz zur Prassergilde der Tofailys steht?«

»Du willst wohl nur«, wirft da höhnisch der Kodama ein, »daß wir uns aufregen und demgemäß rascher zechen als sonst. Nimm! Hier hast Du den Krug! Keiner wehrt Dir heute mehr zu trinken als sonst. Ich trink auch immer mehr – immer mehr!«

Abu Hischam lacht und trinkt.

Battany pfeift dazu.

Jakuby räuspert sich – so verständnisinnig. Osman bricht aber in ein schallendes Hohngelächter aus, sodaß sich selbst der gutmütige Suleiman unwillig umwendet.

Eine andere Barke, auch von Pechfackeln erleuchtet – wird dabei vorübergerudert – stromaufwärts.

Eine tiefe Frauenstimme tönt dunkel und tieftraurig aus dieser Barke hervor; ein südarabisches Totenlied hallt unheimlich übers Wasser hin.

Battany und seine Freunde lauschen.

Abu Maschar, dem vorn allmählich zu häufig die Wellen über Bord spritzen, geht jetzt in die Mitte des Kahnes und setzt sich dem Abu Hischam gegenüber.

Kodama gibt einem Sklaven, der nicht schnell genug dem Sterndeuter Platz macht, einen sanften Klaps auf den Hinterkopf.

Wie das südarabische Totenlied in der Ferne verhallt, ergreift Abu Maschar, der bisher ganz still war, etwas feierlich das Wort. Er spricht leise, fast flüsternd:

»Warum sollen wir eigentlich einen neuen Geheimbund gründen? Wir Gelehrten bilden doch bereits in der Menschenwelt eine so abgeschlossene Gesellschaft, daß wir diese auch schon einen Geheimbund nennen könnten. Sind nicht die alten Gesellschaftsformen, so wie sie sind, für unser Gesellschaftsbedürfnis vollauf genug? Wer wüst prassen und zechen will, kann sich jederzeit unter die Tofailys begeben. Wer feinere Gesellschaftsgenüsse verlangt, findet sie bei unsrem gastfreien Battany auf schaukelnden Barken und auf unsrer Sternwarte. Sind nicht schon in den Verhältnissen, in denen wir jetzt grade leben, eigentlich sämtliche Glückserreger, die uns in den verschiedenen Augenblicken unsres Lebens unentbehrlich erscheinen enthalten? Was wir bedürfen, verlangen und wünschen, das können wir unter den augenblicklich obwaltenden Verhältnissen ebenso leicht und bequem erreichen wie in den erhofften anderen Zuständen, die wir immer erst schaffen müssen. Jedoch – wir haben garnicht nötig, etwas Neues zu schaffen. Alles, was wir wirklich brauchen, ist bereits da. Glaubt Ihr, die Welt könnte noch besser werden? Glaubt Ihr, ein Geheimbund könnte jemals irgend etwas besser machen? Die Welt ist, wie sie war – und – wird – so – bleiben. Wir haben keine Ursache, die sogenannte Entwicklung der Menschheit irgendwie zu fördern. Eine Entwicklung gibt es ja garnicht. Wir werden nicht klüger werden, als wir sind. Die Menschen werden nach tausend Jahren grade so klug und grade so dumm sein – wie wir's heute sind.«

Abu Maschar hielt inne, seine Augen glänzten im grellen Fackellicht – wunderbar schön.

Alle hatten aufmerksam zugehört.

Safur und Suleiman sahen – – bewundernd den großen Propheten an; den Dichtern paßte die Weisheit des großen Sterndeuters.

Jakuby jedoch und auch Battany sträubten sich gegen diese Weisheit, hätten gerne gleich erwidert... wenn sie nur gewußt hätten – wie – und was.

Osman und Kodama fühlten sich auch nicht angenehm berührt. Kodama mochte nicht allzu viel nachdenken, liebte die längeren, umständlichen Erörterungen ganz und gar nicht – liebte die bequeme Kürze, den gedrungenen Witz, das abschneidende Schlagwort...

Und Osman – ja – der wußte nicht recht, ob Abu Maschar die richtige Persönlichkeit sein würde, den Abu Hischam mit seinem dummen Gelehrtenbunde mundtot zu machen. Der dicke Schreiber kannte den leicht erregbaren Philosophen sehr genau – so leicht war der nicht tot zu kriegen.

Und richtig – es dauerte auch garnicht lange, und der Philosoph machte durch deutliche Hand- und Armbewegungen der Gesellschaft verständlich, daß er bereit wäre, dem Propheten mit kräftiger Lunge Bescheid zu sagen. Abu Hischam rief gellend – zornig mit den Fäusten gen Himmel drohend:

»Prophet! Der Unsinn, den Du uns da auftischen willst, schreit zum Himmel wie Abels Blut!«

Die Gesellschaft wird erregt.

Die Sklaven blicken scheu zur Seite.

Doch Battany wird plötzlich auch lebhaft.

»Halt!« stößt er heftig vor, »jetzt haben wir, dächt' ich, für heute genug reden gehört. Sehr schöne Reden waren's – sie waren nur leider zu schön. So was strengt an. Ich möchte was vorschlagen. Wir sind morgen Abend bei Said ibn Selm zum Abendessen geladen. Wir könnten also morgen Abend weiter reden. Überlegen wir uns bis dahin, wie wir dem weisen Abu Maschar am besten antworten könnten! Seid Ihr einverstanden? Ja? Ich bin müde!«

Lautes »Ja!« in den verschiedensten Formen tönt von allen Lippen... erleichtert fühlen sich Battanys Freunde.

Nur Abu Hischam murrt ein bißchen.

Doch das geht vorüber.

Die Sklaven verteilen schon die Wolldecken.

Und Alle freuen sich auf den Schlaf.

Die Fackeln werden ins Wasser geworfen.

Die Sterne werden blasser und blasser.

Die Sklaven ziehen die Segel ein.

Der Steuermann dreht um.

Und die langen Riemen heben plätschernd die Barke immer wieder höher, bringen sie langsam stromaufwärts – langsam.

Dicht am Uferschilf rudern die Sklaven.

Auf Battanys Barke ist es mäuschenstill.

Safur liegt in seiner Wolldecke auf dem Rücken und betastet mit den Fingern das Holz auf seiner rechten Seite. Er blickt zu den verblassenden Sternen hinauf und träumt von seiner Tarub.

Das Boot schaukelt so wohlig, und die Augenlider fallen auch dem jungen Dichter zu. Er tastet im Traum überall umher. Bald befaßt er die Sterne, bald die Kochtöpfe. Dann träumt er, der Kalif hätte ihm befohlen, aller Menschen Nase zu befühlen. Und er atmet sehr schwer, denn die Aufgabe dünkt ihn nicht leicht.

Suleiman denkt an sein stilles Zimmer bei seinem alten Gärtner. Dort duften seine Reseden auf dem Tischchen neben der alten breiten Matratze. Und Rosenduft weht hernieder. Und junge Märchenprinzen beugen sich über das Lager des alten Suleiman – und der Rosenduft entströmt den kostbaren Kleidern der jungen Prinzen. Suleiman sinkt zurück – ihm ist, als läge sein Haupt mit seinem reinen weißen Turban in einem duftigen – Veilchenbeet.

Laut schnarchen jetzt die Schläfer, die langsam – behutsam – fast lautlos nach Hause gerudert werden.

Es wird Tag.

Bagdad – die Stadt – erwacht.

Der glühende Sonnenball taucht im Osten hinter der Stadt brennend empor.

Hellauf glänzt die hohe Kalifenburg im strahlenden Tageslicht.

An den Ufern des Tigris – in den Gärten der – Reichen wird's lebendig.

Hübsche junge Sklavinnen baden hinterm Schilf – kichernd.

Und der Tau blitzt auf allen bunten Blumen im Sonnenschein.

Ein Morgenwind umsäuselt die ruhigen Palmen, die Schläfer und die kichernden Mädchen, die im Tigris – baden.


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