Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das zwanzigste Kapitel.

Die Lehmkate am Tigrisstrande ist sehr hübsch.

Da lebt die Tarub mit ihrem Safur anfänglich viel friedlicher als in Bagdad.

Der Tigris ist da so breit und groß.

Wenn man vor der Türe der Kate steht, die auf einem Hügel erbaut ist, so überblickt man eine große dunkelblaue Wasserfläche.

Die Palmen am gegenüberliegenden Ufer erscheinen ganz klein, so breit ist der Strom.

In Bagdad lassen die vielen reichbewaldeten Inseln den Tigris viel kleiner erscheinen.

Safur steht vor seiner Tür und blickt hinaus in die große Wasserwelt, über die ein frischer Wind hinstreicht, sodaß kleine weiße Schaumkämme das dunkle Blau der Flut durchstreifen.

Unten am Ufer plätschert's und gurgelt's – was sich sehr lustig anhört.

In die Außenwände der gelbbraunen Lehmkate sind rote Tonplatten eingelegt, in die einst unförmliche altertümliche Figuren eingeknetet wurden; was die Bilder darstellen sollen, kann man nicht mehr ordentlich erkennen.

Auf dem Dach des Hauses ragt wie eine kleine Pyramide ein dunkelbraunes Zelt in den blauen Himmel.

Ein paar riesige Palmen stehen rechts, links und hinten auf dem Hügel; Adler nisten in den Kronen der Palmen.

Vor dem Hause ist ein großer viereckiger Platz ganz mit roten Ziegelsteinen ausgelegt, die schon recht ausgetreten sind.

Unten am Ufer wächst hohes Schilf.

Mächtige rosablühende Oleanderbüsche und weißblühende Myrtenbüsche umwuchern den ganzen Hügel.

Und oben rings um die alte Kate blühen unzählige weiße Rosen, die duften wunderbar.

Safur schaut hinaus in die blaue Wasserwelt – die weißen Schaumkämme und die weißen Möwen ziehen sanft über die Flut – wie Geisterhände.

In den Kronen der Palmen pfeifen leise die jungen Adler; der Dichter glaubt, es seien Töne aus einer andren Welt.

Er denkt dabei an seine großen Wüstenreisen – an Damaskus und Kairo. In seinen Gedanken reitet er wieder hoch zu Roß neben den Kamelen der Karawane durch die einsame Wüste wie ein Beduine – mit suchendem Auge und horchendem Ohr – wieder geht das Gesumm und Gesurr durch die Luft; die Sterne funkeln, die Dschinnen locken und rufen, in der Ferne klingen hell die blitzenden Damaszenerklingen, die Rosse wiehern, der heiße Sand knirscht – und überall summt's und surrt's von Käfern und Nachtfaltern – und die Dschinnen reiten schneller – Safur schrickt zusammen und hält die Hand vor den Augen.

Von der blauen Pracht des großen Stromes, der unten rauschend vorüberzieht, sieht und hört der Dichter Nichts mehr.

An das Wasser ist das Auge des Arabers nicht gewöhnt; das Auge des Arabers ist nur gewöhnt, von Wüsten und von Palästen – zu träumen, in die wirkliche Welt blickt es nicht gern hinein – als wenn's sich vor der blendenden hellen Sonne fürchten müßte.

Drum wirkt der große Tigris auf den Safur garnicht befreiend – garnicht groß.

Anfänglich ist der Dichter in viel besserer Stimmung – es ist ihm so Vieles am Ufer des Tigris neu.

Die Tarub ist auch viel verträglicher.

Safur wird sogar wieder ein bißchen lustig und neckt seine Köchin, daß sie lachen muß.

Er neckt sie aber so oft, daß sie sich eines Tags drüber ärgert und zornig sagt:

»Ach, hab' Dich nicht immer so albern!«

Na – da ist es denn wieder mit der Neckerei zu Ende; Safur ist wieder verletzt.

Aber – es geht noch.

Safur zieht morgens gewöhnlich mit einem langen Speer, mit Pfeil und Bogen, mit Schwert und Dolch auf die Jagd.

Abends angelt der Dichter.

So kommt's, daß die Beiden nicht Mangel leiden.

Datteln, Bananen und Feigen gibt's auch in der Umgegend.

Und Battany schickt in jeder Woche Brot und Wein.

Der Tarub ist nur das Leben ein bißchen zu einsam.

Safur ist auch so schweigsam und in sich gekehrt, daß sie sich ihm nicht gern nähern mag.

Sie scheuert daher ihre neue Küche mit großem Eifer, putzt ihre Töpfe, Tassen und Krüge, wischt den Ziegelboden täglich mit Wasser ordentlich auf, vernichtet das Ungeziefer, wo sie's nur findet, kocht und näht, singt und wäscht, klopft die Teppiche, die sie sich in Bagdad kauften, mit größtem Geräusch jeden Morgen aus, pflanzt Bohnen und Salat, begießt die weißen Rosen und melkt ihre Ziege – die berühmte Köchin ist geschäftiger denn je – steht nie still.

Allerdings – ihre Küche kommt ihr recht klein und ärmlich vor – mit stillen Tränen denkt sie oft an Saids große Küche, in der so bequem die Pumpe gleich bei der Hand war – denkt auch an ihre Küche in der langen Straße mit Wehmut.

Indessen – den Safur läßt sie davon Nichts merken.

Ja – die Einsamkeit!

Der Tarub ist oft so zu Mute, als wäre sie in ein Gefängnis eingesperrt worden – trotzdem es doch am Tigris so frei und luftig ist wie selten wo – aber der Natur bringt die berühmte Köchin nicht eine besondre Liebe entgegen – es ist ihr zu still in der Einsamkeit.

Dem Safur ist dagegen das Leben in der Natur beinahe zu laut – überall glaubt er Geisterstimmen zu hören – er spricht oft zu sich selbst – und schrickt zuweilen heftig zusammen – seine Augen blicken nicht mehr kühn gradaus – sie haben eher was Scheues.

Als daher nach einigen Wochen auf flinkem Segelboot die beiden Geographen Kodama und Hamadany der Lehmkate einen Besuch abstatten, werden sie ganz freundlich empfangen.

Bei einem guten Becher Weins lenkt Kodama, der eigentlich in Osmans Auftrage gekommen ist, das Gespräch vorsichtig auf die alte Sphinx der Ägypter.

Indes – Safur will von der Sphinx Nichts mehr wissen, der Dicke hat sie ihm verleidet; das Zwitterhafte in der Sphinx, das der Dichter anfänglich garnicht sah, berührte ihn sehr unangenehm, als er's bemerkte. Seine Dschinne hat mit der Zeit wieder ein andres Gesicht bekommen – das ähnelt jetzt eher dem einer ägyptischen Prinzessin, deren Seele verdammt ist, immerfort auf der Erde herumzuwandern und um einen verlorenen Ring zu klagen – Safurn ist's oft schon so gewesen, als habe sie ihn gebeten, den Ring zu suchen – was er dann auch tat – sehr zum Ärger der Tarub – denn wenn er den Ring suchte, pflegte er nie ein Stück Wild heimzubringen...

Der dicke Kodama hört also nichts Besondres, wie er von der Sphinx spricht, wird demnach allmählich deutlicher, will was von der Antarsage wissen und kommt so schließlich auf Safurs Dschinnengedicht.

Seltsamer Weise ist da der Safur gleich Feuer und Fett, die Flammen der Begeisterung lodern hoch empor, und der Dichter redet mit einem Eifer von dem Gedicht, daß der ziemlich vertrauensselige Kodama gleich glaubt, Safur habe wirklich angefangen, das große Gedicht zu schreiben.

Dem ist natürlich durchaus nicht so.

Safur redet nur über das Dichten im Allgemeinen, führt aus, daß eine wahrhaft treffliche dichterische Arbeit so wirken müsse wie ein feines Brokatgewand, das von jedem andren Standpunkt aus ein andres Gesicht – eine andre Farbenstimmung – zeige – – – das sei auch der Grund, weswegen ihm jetzt so oft seine Dschinne mit einem ganz andren Kopfe, mit ganz andren Händen – ganz anders gekleidet erschienen sei.

Kodama ist bald der Meinung, daß Safur ein schier unendliches Gedicht geschrieben habe, und fährt höchst befriedigt nach Bagdad zurück, um dem Osman diese freudige Botschaft mitzuteilen.

Hamadany bleibt als Gast in der Lehmkate noch über acht Tage, und als auch er nach Bagdad zurück will – kommt grade der Abu Hischam mit dem Abu Hanifa an, und die Beiden verhindern natürlich den Hamadany, nach Hause zu fahren.

Der alte Philosoph Abu Hischam ist in so prächtiger Laune, daß es bald wieder hoch hergeht – wie früher zu Bagdad in der langen Straße.

Alles, was in der Kate eßbar und trinkbar ist, wird an zwei Tagen vertilgt – und dann ist wieder – die Not da.

Diesmal hat aber die Not einen recht lustigen Anstrich.

Wie am dritten Tage die Tarub den drei Gästen und ihrem Dichter – Ziegenmilch, Bananen, Feigen, sieben Möweneier und weiter Nichts vorsetzt – verschwindet das Alles furchtbar schnell – Safur ißt nur ein einziges Ei, sieht sich verwundert nach mehr um – sagt aber Nichts.

Jedoch die Tarub fragt mit ganz ernstem Gesicht: »Nun, seid Ihr schon satt?«

Da werden die Gesichter der vier Männer ganz anders – und – und – nach einer Pause brechen plötzlich alle Vier in ein so fürchterliches Gelächter aus, daß sie Magenschmerzen bekommen – nur vom Lachen.

Es wird wieder gemütlich bei der Tarub.

Die drei Gäste gehen nicht fort, sie gehen mit Safur auf die Jagd – und des Abends hocken sie vor der Tür auf den roten Ziegelsteinen, essen und trinken, was da ist – reden tiefsinniges Zeug!

Das Gespräch wird stets von den jüngeren Gelehrten – von Hamadany und Abu Hanifa – in Fluß gebracht. Die Tarub redet oft altklug mit; die jungen Leute wollen so Manches wissen, was die Tarub weiß.

Safur ist gemeinhin sehr einsilbig.

Abu Hischam ist zumeist zu lachlustig. Trotzdem spricht er zuweilen noch über die schwierigsten Fragen.

Er erklärt den jungen Gelehrten, daß diese Welt garnicht wirklich da sei, daß kein Mensch wirklich da sei, daß nichts da sei, daß Alles nur Trug und Schein sei, und empfiehlt, diese Weisheit immer im Kopfe zu behalten – besonders dürfe man diese Weisheit nicht vergessen, wenn's Einem mal schlecht gehe – denn sage man sich in solchen schlechten Zeiten, daß man eigentlich garnicht lebe, daß die Welt nur ein leeres Nichts, daß demnach die schlechte Zeit auch nur ein leeres Nichts sei – so werde man bald über die Not schrecklich lachen müssen.

»Lachen«, sagt Abu Hischam, »lachen muß der Mensch zu allen Zeiten, und trinken muß der Mensch, wo er nur kann. Lachen und trinken ist die Hauptsache.«

Zuweilen wurde der Philosoph von den jungen Gelehrten veranlaßt, einige Worte über die Entwicklung zu reden – und dabei pflegte dann der lachlustige Zecher ernster zu werden – er erinnerte sich an die vielen Gespräche, die einst auf Battanys langer Barke so heftig die Gemüter erregt hatten – das war schon fast vier Jahre her – – – und die Erinnerung stimmte den alten Philosophen sehr ernst.

Er war's ja gewesen, der einst den Bund der lauteren Brüder feierlich gründete, aus dem jetzt so ganz was Andres wurde – die Inder hatten sich reingemischt und die Ägypter ebenfalls – und an den Gründer des Bundes dachte kein Mensch mehr.

Wie schnell sich die Zeiten ändern!

Abu Hischam schimpfte oft auf den Abu Maschar, der immer behauptete, daß die Welt unveränderlich sei...

Safur wird immer schweigsamer, er sieht so leidend aus – – –

Man besucht öfters die in der Nähe wohnenden Eremiten – und Abu Hischam redet dort wieder so vom Bunde, als wenn er bei der ganzen Geschichte noch was zu sagen hätte.

Abu Hanifa, der sehr boshaft ist, bittet dann immer den Philosophen, ja keine Geheimnisse mitzuteilen – er, Abu Hanifa, könne beim besten Willen weder schweigen noch lügen – – –

Dafür fragt dann gewöhnlich der Philosoph den Safur, ob der ihm nicht sagen könne, wie indische Pfauenpastete schmecke – er, als Feinschmecker, müsse das doch wissen.

So wird Safur, der Feinschmecker, zur Zielscheibe des Spottes –

Der Dichter ärgert sich drüber – nicht bloß, weil er seiner Armut wegen verspottet wird – sondern weil er an die Zeiten, in denen er sich als »Feinschmecker« wohlfühlte, nicht gern erinnert sein mag.

Das Feinschmeckertum kommt ihm jetzt so schrecklich roh und dumm vor – er ist ja schon an ganz andre Genüsse gewöhnt – er verkehrt mit Geistern, mit Wesen aus einer anderen Welt; und dieser Verkehr ist denn doch für ihn so genußreich, daß dagegen alle Pasteten und alle Weine der Erde Nichts sind.

Der Besuch der drei Brüder ist dem Dichter recht lästig.

Nachts, wenn die Sterne glitzern und funkeln, stiehlt er sich oft heimlich aus der Kate fort und fährt mit seinem Nachen auf den Strom hinaus.

Und in der Dunkelheit auf den plätschernden Wellen des Tigris sieht der Dichter wunderliche feine Gestalten vorüberschweben – und er hört Stimmen – laute und leise – die locken und rufen – die Möwen krächzen dazu – die Wellen des Tigris plätschern und gurgeln – es ist so Vieles zu hören!


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