Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das achte Kapitel.

Und als es abermals Morgen ward, schien die Sonne so, als wenn Garnichts los wäre.

Jedoch – die lauteren Brüder, die allmählich erwachten, hatten gleich das Gefühl, daß in ihren Köpfen was los war – oder was losgehen wollte...

Durch die persischen Eichen, die auf der Tigristerrasse mächtig aufwuchsen, wehte ein sanfter Wind, der leider garnicht kühl werden wollte.

Safur erwachte unter einem blühenden Oleanderbaum.

Der Dichter Buchtury erwachte neben großen weißen Lilien, die das eirunde, rot und weiß gemusterte Fliesengetäfel in der Mitte der Terrasse umzäunten.

Buchtury sah die Lilien, den Safur und eine hohe Leiter. Er hob diese Leiter auf, stellte sie senkrecht auf das rot und weiß gemusterte Fliesengetäfel und bat ein paar Freunde, die gerade nicht wußten, was sie anfangen sollten, die Leiter festzuhalten.

Und dann kletterte der Dichter auf die Leiter rauf, sodaß sein Kopf die grünen Blätter einer sehr hochgewachsenen persischen Eiche berührte.

Und in dieser Höhe begann der berühmte Tofaily, der nichtswürdige Prasser – zu krähen.

Mit krächzenden Lauten schrie er drauf in den Morgenwind seine Leib- und Magenverse hinein.

Von seiner Leiter starrte Buchtury auf die Terrasse runter wie ein müdes Pferd.

Des Dichters Augen waren verglast.

Den Safur sah er ganz blöde an und schrie:

»Ihr, die Ihr so viel dichtet,
Ihr habt die Kunst vernichtet!

Die schönste Kunst des Lebens –
Die lerntet Ihr vergebens!

Ihr habt ja ganz vergessen,
Euch gründlich satt zu essen.

Den Magen vollzuschlagen,
Ist doch das Hauptbehagen.

Das ist die schönste Kunst,
Das Andre ist nur Dunst!

Beim Hahnenkampf und Hochzeitsschmaus,
Bei alten Bettlern seid zu Haus!

Wo Kinder geboren, Leichen begraben,
Ist allzeit auch was zum Essen zu haben.

In Keller und Küch', beim Würfelspiel,
Oh, Kinder, da gibt's zu essen viel.

Gut essen, Freunde, ist immer fein –
Ihr müßt nur eifrig dahinter sein!

Ihr schaut viel zu viel nach den Sternen,
Ihr müßt erst das Essen erlernen.

Salbet den Magen an jedem Morgen –
Laßt Euch die Salbe vom Krämer borgen!

Laßt Euch kneten den vollen Leib –
Lustig ist dieser Zeitvertreib!

Vergeßt nicht täglich öfters zu baden,
Oh – baden – baden nie kann das schaden!

Tut überall nur, als wärt Ihr zu Haus!
Seid auch nicht ärgerlich, lacht man Euch aus!

Schlägt man die Tür Euch zu vor der Nas' –
Tut so, als wär's ein lustiger Spaß!

Klettert durch den Schornstein herein!
Mutig muß der Hungrige sein!

Ich hab oft schon Prügel empfangen –
Oft mit dicken eisernen Stangen.

Das war mir Alles ein lustiger Spaß –
Wenn nur erst da war ein leckerer Fraß.

Dann gab's nicht mehr Geschwätz und Getu –
Sofort war fort die freundliche Ruh.

Mit den Fäusten packt' ich die Keulen an –
Mit zween Fingern hab' ich das nie getan.

Wie kleine Mädchen ›zierlich‹ zu speisen –
Das überließ ich schwächlichen Greisen.

Den Nachbarn hab' ich nie angeschaut.
Beim Essen sprach ich nicht einen Laut.

Wie gerne mocht' ich riechen
Gebratne Federviehchen!

Einst konnt' ich wie ein Löwe fressen –
Doch die Zeit hab ich längst vergessen.

Täglich aß ich ein Rind und zehn Tauben –
Heute will mir das Keiner mehr glauben.

Ich könnt' so Manches noch sagen
Von meinem Magenbehagen.

Bei Allah! Wie wetzt ich die stahlharten Zähne!
So wie in der Wüste die böse Hyäne –

Ich leckte, kaute, kratzte, fraß –
Ganz unbezahlbar war der Spaß!

Nun leider wollen die Glieder nicht mehr –
Sie sind zu trocken, sie sind auch zu schwer.

Doch was fletscht Ihr mit Eurem Nilpferdgebiß?
Die Geduld mir bei Eurem Anstande riß!

Was? Faul, alt und gebrechlich tut Ihr?
Was? Mit knurrendem Magen ruht Ihr?

Auf! In die Welt! Den Würsten entgegen!
Kinder! Hier habt Ihr gleich meinen Segen!«

Und Buchtury steht hoch oben auf der Leiter unter der persischen Eiche mit hocherhobenen Armen wie ein Schornsteinfeger da.

Indessen – der junge Safur wird jetzt sehr ärgerlich. Er ist ja der größte Feind der Vielesserei.

Buchtury wollte den Safur nur höhnen.

Dieser ruft daher sämtliche Tofailys zusammen und setzt ihnen auseinander, daß das Sattsein durchaus nicht anständig sei.

Diese Rede wurde mit sehr drolligem Beifall aufgenommen, da's ja die Tofailys gewöhnlich garnicht zum Sattessen hatten.

Daran hatte der kluge Safur garnicht gedacht.

Die Tofailys aber verlangten nun von Safur einige Leckereien, sie hielten es nach der Rede über die Unanständigkeit des satten Magens für notwendig, sich in der Enthaltsamkeit zu üben.

Und dem armen Safur half Nichts – er mußte ein Frühstück besorgen.

Da er kein Geld besaß, mußte er mit schwerem Herzen seinen langen Dolch versetzen.

Suleiman und Kodama hatten sich fortgestohlen.

Abu Hischam besaß nie was.

Die Tofailys ließen sich demnach auf Safurs Kosten ein herrliches Frühstück geben – frische Fische aus dem Tigris.

Safur sprach mit sehr saurer Miene über die Vorzüge dieser frischen Fische und bestellte noch, da er ja den Dolch doch nicht mehr retten konnte, einen dicken Schlauch mit Wein.

Demzufolge war die Gesellschaft sehr bald wieder betrunken – – –

Der Tigris plätscherte unten am Ufer spöttisch lächelnd vorbei, umspülte die Rosengebüsche, die Granatbäume, ein paar stille Palmen und die persischen Eichen – floß dann nach Bassora und dann ins große Meer.

Safur, Abu Hischam und die Tofailys tranken unheimlich.

Und ein toller ausgelassener Geist kam in die Gesellschaft.

Der jüdische Weinwirt schüttelte bedenklich das lockige Haupt.

Buchtury fiel über die Lilien den Abhang hinunter – in den Tigris.

Der jüdische Weinwirt rettete den Betrunkenen, was nicht ganz gefahrlos erschien.

Nach diesem Unfall brachen die Zecher auf und wohnten in der Nähe der Terrasse in der Sattelgasse einem Hahnenkampfe bei.

Safurn kam, als er die wütenden Hähne mit ihren scharfen Sporen aufeinander loshacken sah – eine gräßliche Erinnerung.

Er dachte plötzlich an seine Tarub – – beim Barte des Propheten! – die Erinnerung war peinlich!

Tarub pflegte, wenn Safur betrunken ohne Dolch nach Hause kam, ebenfalls wie ein Hahn auf den betrunkenen Dichter loszuhacken.

Safur ward daher ingrimmig und rannte davon.

Aber er ging noch nicht zur Tarub zurück.

Er trank sich erst in einigen Weinkellern – Mut.

Und dann ging er in die Moschee und zankte sich mit einigen Koranstudenten.

Und dann ging er zu den Sängerinnen der alten Dschellabany und klagte den Mädchen sein Leid.

Er ließ sich ruhig auslachen, lachte sich selber aus – wurde jedoch immer betrunkner und immer gereizter.

Er fluchte auf die Tarub, als wenn sie an seinem Rausch die Schuld trüge.

Wie's Nacht geworden und die Sterne funkelten, stand der Dichter vor Saids Gartenmauer und wußte nicht, wie er da hingekommen. Er knirschte fürchterlich mit den Zähnen.

Der sonst so kluge Dichter konnte sich nicht gerade halten – schwankte wie ein Rohr im Winde.

Schlotternd hing dem Wüstlinge das braun und blau gestreifte Beduinengewand um die Glieder rum.

Und die Welt war so schrecklich heiß.

Und Safurs Kopf war so schwer wie Blei.

Und des Dichters Herz klopfte wie ein Schmiedehammer.

Und des Dichters Hände zitterten wie die Blätter der Pappeln, wenn der Wind hindurchfährt.

Ach – schließlich kletterte Safur über die Gartenmauer, fiel in eine Dornenhecke, zertrampelte ein Tulpenbeet, stieß sich den Kopf an einem Birnenbaum und stieg darauf etwas blutend und voll Schmutz durch das Küchenfenster in Tarub's Küche.

Tarub sieht ihn, erschrickt, wird aber gleich furchtbar wütend und wirft ihrem Geliebten einen braunen Milchtopf mit Milch an den Kopf, daß dem armen Dichter die weiße Milch übers braune Gesicht rinnt.

Dann schreit die Tarub wie eine Verrückte und haut ihrem Geliebten mit einem Schrubber auf den Kopf.

Safurn wird die Sache zu toll. Er packt seine berühmte Köchin an die Gurgel.

Aber ach! – in dieser wüsten Nacht ist er schwächer als seine berühmte Köchin.

Sie verprügelt ihren Geliebten und wirft ihn durchs Fenster in den Garten.

Töpfe, Flaschen, Kruken, Holzstücke, Gläser, Eimer voll Wasser – und alte Fleischstücke – greulich! – alles Dieses fliegt dem fein gebildeten Feinschmecker, dem großen Dichter – an den Schädel.

Und der betrunkene Dichter flieht.

Und die Tarub, Bagdads berühmte Köchin, wütet in ihrer Küche wie eine toll gewordne Dschinne auf dem Demawand.

Niemand wagt es mehr, in Tarub's Küche zu steigen – in dieser Nacht ist es ganz unheimlich in Saids Hause.

Die Tarub wütet und schlägt manchen schönen Topf kurz und klein.

Der Dichter flieht – aus dem Garten raus – weit fort – er flucht jetzt auf die Tarub – wie ein Kameltreiber.

Häßliche Schimpfworte schreit er in die Nacht hinaus und knirscht dazu mit den Zähnen.

In der Ferne blitzt es – greulich grell.

Unheimlich ist diese Nacht!


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