Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das neunzehnte Kapitel.

Wie die Sonne aufgeht, sitzt Safur neben Abu Maschar auf der alten Sternwarte im Empfangssaal.

Da ist es still.

Das Licht der Sonne ist rot.

Rote Wolkenstreifen durchqueren den klaren, blauen Morgenhimmel.

Das indische Götzenbild im Hintergrunde des Saales wird auch rot.

Rot funkeln gleichzeitig die silbernen Querstreifen der Wände und der Goldgrund der Decke.

Die maurischen Ampeln, die noch immer an ihren langen Ketten hängen, zeigen auch rot glänzende Ecken und Flächen.

Am heftigsten wirkt das Licht auf dem kupfernen Himmelsglobus und auf dem kupfernen Waschbecken in der Alabasternische.

Der Prophet und der Dichter sind ebenfalls rot geworden – von oben bis unten.

Die Sternwarte ist auf der Ostseite ganz übergossen vom Morgenrot.

Die beiden Männer, die auf dem alten Teppich sitzen, haben in der Nacht nicht geschlafen.

Doch sie sind drum nicht müde.

Safur ist sogar heiter, denn er hat eben gehört, daß Battany bereits aus Indien zurückgekehrt ist – unten wiehern schon wieder die Rosse der Mongolen wie einst...

Der Dichter will sich am Tigris ein kleines altes Landhaus kaufen, das dort liegt, wo die Eremiten hausen. Er will auch Eremit werden, und Battany soll bloß so viel Geld hergeben, daß er das kleine alte Landhaus, das eigentlich nur eine alte Lehmkate ist, kaufen kann.

Und Safur erzählt von seiner Reise nach Ägypten, von der Wüste – und von seiner Dschinne.

Er setzt dem großen Sterndeuter eifrig auseinander, daß er seine Dschinne liebe. Er wisse sehr wohl, daß sie nicht lebe – und doch glaube er, daß sie ihn verfolge überall – oft sei ihm so, als berühre sie ihn an der Schulter mit ihren Fingerspitzen.

Leidenschaftlich sagt er:

»Sieh, ich weiß, die Dschinne ist für mich unerreichbar – aber ich kann das Plumpe, das Rohe, das Körperliche nicht mehr ausstehen. Ich muß nach einem Geistigen streben, das nicht von dieser Welt ist. Ich will überall jetzt das Unerreichbare haben – in jene Welt – in die andere will ich hinein. Ich sehne mich nach einem Weibe, das so fein und zart ist, wie irdische Weiber nie sein können. Mein Streben mag töricht, meine Liebe mag eine tolle Liebe sein – doch ich kann nicht mehr anders. Ich muß daher in die Einsamkeit. Sieh, Abu Maschar, ich bin ein Genußmensch. Ich will mit meiner Dschinne zusammenkommen. Vielleicht geht's doch. Man kann ja nicht wissen – und wenn ich mir dabei den Schädel einrennen sollte – was schadet's? Die Genüsse dieser irdischen Welt befriedigen meine Lustgier doch nicht mehr. Oh – verstehst Du mich? Sprich doch!«

Abu Maschar streichelt mit seinen langen braunen Fingern seinen langen schwarzen Bart und spricht langsam in wohlerwogenen Sätzen:

»Ich hörte schon von Deiner seltsamen Liebe. Und ich bin nicht überrascht durch Deine Worte. Du gehörst zu den Menschen, die in Allem feiner empfinden als die Andern. Dein Denken ist nicht einfach. Du bist an verwickelte Gedanken gewöhnt. Die Andern verstehen Dich daher nicht und verletzen Dich. So geht's allen Denen, die mehr sind oder mehr sein wollen als das einfache Volk. Und so kam's, daß Du Dir in Deinem Gehirn ein Idol schufest, das Du lieben und anbeten wolltest. Und diesem Idol rennst Du nun im wirklichen Leben nach. Du bist auf der Jagd nach dem Idol. Das schadet Nichts, wenn Du stets im Auge behältst, daß dieses Idol für Dich unerreichbar bleiben muß. Jeder feinere Kopf befindet sich sein ganzes Leben hindurch auf der Jagd nach dem Idol – die Jagd ist was ganz Gewöhnliches. Dieselbe ist auch nicht schädlich, wenn man ihre Nutzlosigkeit einsieht. Du strebst nach dem Unerreichbaren, wie Du sagst, überall. Ja, ich verstehe, Du hast eben viele Idole. Die einfachen Menschen finden ihre Idole verkörpert hier auf der Erde vor, die feineren Menschen finden ihre Idole nicht auf der Erde verkörpert vor – die sind ja dort – hinter den Sternen. Darum ist es nur natürlich, daß Du in jene Welt hinein möchtest. Ich möchte das auch, daher bin ich Sterndeuter und Prophet. Battany und viele Andre lachen, daß ich mich mit so abergläubischen Sachen befasse. Aber will Battany nicht auch bloß wissen, was hinter jener blauen Himmelswand liegt? Und ist etwa die Art, in der er was Tieferes erfahren will, so sehr viel klüger als die meine? O nein! Wir unterscheiden uns nur dadurch, daß er stets glaubt, etwas erreichen zu können, und ich nie glaubte und nie glauben werde, ich könnte je in jene Welt hinein. Ich rechne nicht, um was zu wissen – sondern ich will mich durch das ewige Rechnen nur betäuben. Wir bleiben, wie wir sind. Wir werden später auch nicht mehr wissen, als wir jetzt wissen. Die Welt ist starr und unveränderlich. Es gibt in der Welt keine wesentliche Weiterentwicklung. Und der Einzelne wird sich erst recht nicht weiterentwickeln. Ist man ein feiner Mensch, so bleibt man ein solcher. Ist man einfach, so bleibt man einfach. Geh also nur mit Deiner übersinnlichen Liebe in die Einsamkeit. Geh nur! Battany wird Dir schon helfen. Wenn Du aber glaubst, Du könntest in die andere Welt, in die Welt der Geister, hinein, so wirst Du Dir den Kopf einrennen. Liebe nur Deine Dschinne, aber verlang nicht von ihr, daß sie Dir körperlich erscheine. Du willst doch nach dem Unerreichbaren überall streben. Würdest Du also einmal Deine Dschinne umarmen können wie ein gewöhnliches Erdenweib – so würde Deine Dschinne jeden Reiz durch die Umarmung verlieren.«

Und der Prophet lächelt, streichelt mit seinen langen braunen Fingern seinen langen schwarzen Bart und sieht dem Dichter lange ins Gesicht.

Wie sich die Beiden trennen, lächelt Abu Maschar nicht mehr; er ist besorgt um Safur – dessen Leidenschaft kommt dem weisen Sterndeuter bedenklich vor.

Der Dichter aber geht zum reichen Al Battany durch den Palmenhain über die hohen Hügel am Ufer des Tigris an den Feigenbäumen vorbei bis zur Landstraße, auf der er einst vor Jahren am Himmel das schwarze Gesicht des Weibes sah, das nicht lebt und ihn doch verfolgt.

Er denkt an jenen Morgen, an dem er auch in Fieberstimmung zum Astronomen kam – um der Tarub willen. Jetzt kommt er wieder in fieberhafter Aufregung zum Astronomen – wieder Tarubs wegen.

Und wie damals – sitzt ihm auch jetzt – eigentlich die Dschinne mehr auf den Fersen als die berühmte Köchin.

Er blickt über die Stadt hin, die nun in der heißen Sonne mit den hohen Palmen und den weißen Häusern, mit der hochgelegenen bunten Kalifenburg, mit den bunten Moscheen und den schlanken Minaretts wie ein zartes feines Feenland daliegt – wie eine wirkliche Stadt des Heils.

Blau fließt der Tigris zur Linken des Dichters – in der Tiefe – und drüben wohnt Al Battany.

Safur ist bald wieder in der alten Olivenallee und dann im Bücherkioske, den die bunten Tulpen umblühen...

Auf den kurzgeschorenen Rasen krächzen die alten Papageien.

Auf den orangefarbigen, nicht gemusterten Fliesengängen kommen dem Dichter zwei Inder entgegen, die grade im Bücherkioske Schach gespielt haben.

Die Inder kommen dem Safur noch steifer und stolzer vor als die andren Menschen. Der Bücherkiosk, der wie eine Krone daliegt, wirkt den Indern gegenüber ganz einfach und bescheiden wie ein Fischerhäuschen.

Safur wirft den Kopf in den Nacken zurück und mustert die Inder, sein braun und blau gestreiftes Beduinengewand zieht er dabei geschickt in schwungvolle Falten.

Die Inder lächeln – ihre goldgestickten Kleider sind viel schöner.

Al Battany läßt sich entschuldigen – er wird gleich kommen.

Und Safur muß sich dazu bequemen, die Zeit des Wartens mit den Indern zusammen zuzubringen; der ältere von diesen entfernt sich bald.

Der Zurückbleibende ist jener Schauspieldichter, der in Benares vor Battany so fein von der Empfindlichkeit und von der Qual aller Gebildeten zu sprechen wußte – der diese Empfindlichkeit und die daraus entspringende Qual durch die Religion oder durch die Kunst auflösen – überwinden wollte...

Das Gespräch zwischen dem indischen und arabischen Dichter wird somit naturgemäß nach einiger Zeit recht lebhaft.

Allerdings die frostige Förmlichkeit wird auf beiden Seiten nicht durch allzu große Liebenswürdigkeit verdrängt – man will sich Nichts vergeben.

Safur spielt sich als Genußmensch auf, behauptet, daß jeder Augenblick des Lebens, der nicht einen Genuß biete, ein überflüssiger Augenblick sei.

Der Inder will den leidenschaftlichen Ton des Arabers sanfter stimmen – erreicht aber nur das Gegenteil.

Die Laune des Safur ist so gereizt, daß er sich sofort in gewagten Behauptungen verhaspelt und immer kühner wird – statt sanfter.

»Sieh«, sagt er, »es liegt mir nicht bloß daran, alles das zu genießen, was das einfache Volk auch genießen kann. Früher suchte ich meine Zunge und meine Fingerspitzen auszubilden und glaubte damit was Besondres zu tun. Heute will ich viel mehr. Ich will das Unsinnige, das Tolle, das Unverständliche, das Unbegreifliche, das Übersinnliche – genießen. Versteh mich recht: ich will nicht bloß all Das verstehen – das Verstehen scheint mir nicht so wichtig – genießen will ich das Alles. Ich will in die Welt der Geister dringen, und ich will genießen, was nur die Geister genießen können.«

Der Inder meint, daß das sehr schwer sei und die Ausbildung ganz besondrer Nervenkräfte verlange. Er glaube auch, daß derartige Anstrengungen den Körper und den Geist zerrütten müßten.

Aber da läßt sich der Araber nicht bange machen – weist allerdings die Anstrengungen vornehm ab – anstrengen will er sich durchaus nicht.

Das findet nun der Inder wieder sehr drollig. Lächelnd – etwas sehr überlegen – erwidert er folgendermaßen:

»Die Araber sind doch sehr merkwürdig. Sie kommen aus ihrer Wüste mit ihren Schwertern und Lanzen wie ein Heuschreckenschwarm heraus und bilden sich ein, daß sie Alles gleich mit Beschlag legen könnten – nur weil sie kräftige Arm- und Beinmuskeln besitzen. Ihr wollt überall nur genießen – Alles – Alles! Ihr wollt nicht bloß essen und trinken, ihr wollt auch gleich alle Religionen genießen, auch alle Künste – selbst das Unverständliche und das Unverständige. Ihr traut doch Eurem guten Magen ein bißchen zu viel zu. Lieber Safur, von Dir hat mir Battany viel erzählt. Du bist ohne Frage ein sehr gebildeter Mensch – gereizter denn Viele. Daß Du aber jeder Anstrengung, jeder Müh und Arbeit streng aus dem Wege gehen willst – das wird Dein Untergang – Du müßtest in großen und langen Gedichten Deine Gereiztheit zu lösen trachten – das tust Du natürlich nicht – Du bist ja ein viel zu vornehmer Araber, der nur genießen will, der nur den Genuß für berechtigt hält – – – als wenn der Genuß einem Dichter wie eine reife Frucht in den Schoß fiele.«

Der Inder muß herzhaft lachen.

Er spricht noch in lässigem Tone über religiöse Übungen, Fasten, Rosenkranz, Selbstgeißelung, Gebet und geschlechtliche Enthaltsamkeit – wird dann aber schweigsam, da Safur verächtlich die Mundwinkel runterzieht. –

Die Beiden können sich nicht mehr verständigen. Safurn kommt's so vor, als wär er bei Osman, der immerfort das Dschinnengedicht von ihm verlangt – und er empfindet eine heftige Abneigung gegen den indischen Dichter. Es trennen sich die Beiden, wie Battany naht, noch viel frostiger, als sie sich begrüßten.

Safur erlangt bei Battany sehr rasch das, was er wollte.

Höchst vergnügt und stolz wallt er mit drei dicken Goldrollen davon – zu seiner Tarub.

Draußen auf der Landstraße hört er noch ein paar Adler auf einer Palme so zitternd pfeifen, als hätten auch sie Gold bekommen – Gold...

Der Inder aber erklärt dem Battany unumwunden, daß er von Safur Garnichts halte – aus dem hätte mal was werden können, wenn er mal zu den Füßen eines Meisters gesessen hätte – jedoch jetzt würde aus ihm Garnichts mehr – dem Safur fehle sowohl der religiöse wie der künstlerische Ernst – er hätte als Nabob geboren werden müssen.

Der Inder wird ganz aufgebracht, sagt dem Battany ganz derb über das Arabertum seine Meinung und schließt erregt:

»Lieber Battany! In Safurs Genußwut liegt eine gewisse Frechheit. Es ist unverschämt, dort mühelos genießen zu wollen, wo Andre nur im sauren Schweiß ihres Angesichts kärglich Früchte sammeln dürfen. Safur wird noch für seine Frechheit bestraft werden – seine Art, sich zu benehmen, ist übrigens empörend!«

Nun – Battany ist durch diese Eröffnungen nicht sehr entzückt – ladet aber, ohne zu erwidern, alle Inder, die er mitgebracht hat, zum Abend auf die Sternwarte.

Er prophezeit eine Mondfinsternis.

Stolz ruft er:

»Heute bin ich ein Prophet!«

Und feuriger Wein muß die schlechte Laune des indischen Schauspieldichters rasch fortschwemmen.

Am Abend stehen die Inder mit Battany auf dem fünfeckigen Altane der Sternwarte und schauen in den Vollmond.

Abu Maschar ist auch auf dem Altane.

Und der Mond verfinstert sich wirklich.

Die Inder verneigen sich vor dem arabischen Astronomen.

Abu Maschar steht steif wie ein Stock.

Battany ist empört darüber.

Der Sterndeuter sagt aber leise flüsternd:

»Lieber Freund, was hast Du nun erreicht? Du weißt wieder etwas, das des Wissens nicht würdig ist. Ob der Mond hell oder dunkel ist, bleibt sich so schrecklich gleich, daß ich über Deine Freude lachen muß.« –

Und der Sterndeuter geht langsam davon auf seinen Mittelturm, will wieder rechnen.

Battany sieht dem alten Kräkler wütend nach.

Dann aber blickt der große Astronom starr in den immer dunkler werdenden Mond und wird stolzer – immer stolzer – er ballt die Fäuste – seine Augen funkeln – – – seine Rechnungen stimmen!


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