Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das dritte Kapitel.

Lange feine Lichtfäden glitzern auf den lustigen kleinen Wellen des Tigris; das Licht von vielen Böten und das Licht von den helleren Sternen spiegelt sich in der lauen Flut.

Battany steht auf der äußersten Spitze des großen Bretterstegs, an dem die Lustbarken Bagdads zu landen pflegen, und starrt hinein in den großen breiten Strom, auf dessen Wellen die langen Lichtfäden glitzern.

Der Astronom atmet tief auf.

Er ist einen Augenblick allein.

Die kleinen Wellen plätschern um den Brettersteg.

Ein kühler Wind weht sacht übers Wasser dahin.

Der Tigris ist groß und breit.

Die Rechte hat Battany fest aufs Herz gepreßt. Sein Hals reckt sich sehnig nach vorn. Seine Stirn ist von tiefen Falten durchfurcht. Und seine Augen brennen.

Er murmelt:

»Jakuby ist beneidenswert! Jakuby ist beneidenswert!«

Dem großen Gelehrten treten Wuttränen in's Auge.

Er stöhnt laut – erschrickt dann und spricht zu sich selbst – leise – mit knirschenden Zähnen:

»Jetzt werden sie kommen und mich höhnen! Der Mond ist hell – er steht hinter mir – hinter den Bäumen und lacht! Bei Allah! Ich versteh's nicht! Ich versteh' Nichts! Wir können – Garnichts! Nur die Esel bilden sich ein, was zu können! Wenn ich nur Etwas vollbracht hätte – nur Etwas! Aber – mir ward es versagt! Ich habe gearbeitet wie ein Steinträger und Nichts dafür errungen – Nichts! Ich bin nur einsam geworden. Kein Freund tröstet mich – kein Freund! Ich hab allein meine Qual zu tragen – allein!«

Und er stöhnt wieder und atmet hastig – mit der Linken fährt er sich über die nassen Augen.

Er blickt nach rechts – er wartet auf seine Barke.

Doch die Barke kommt nicht.

»Heute kommt Garnichts«, murmelt er Zähne knirschend.

Seine schwarzen Sklaven stehen mit Pechfackeln am Strande.

Das Schilf wird grell beleuchtet.

Von der Seite, von der Battanys Barke kommen soll, kommt Nichts. Aber auf der andren Seite werden nun vier grüne Lampen sichtbar – es nahen sehr rasch vier große Böte, auf denen sehr laut gelärmt wird.

Battany horcht und will zum Ufer zurück – er kennt die Stimmen, die da in den vier Böten lärmen.

Die Tofailys nahen.

Doch Battany besinnt sich und bleibt trotzig stehen.

Die Tofailys sind tolles Volk – sie bilden Bagdads berüchtigte Prassergilde. Schlemmer sind die Tofailys. Aber sie schlemmen nicht auf eigene Kosten – sie lassen sich immer einladen. Geld besitzen die Tofailys fast niemals – aber betrunken sind die Tofailys fast immer – auch jetzt.

Battany stampft zornig mit dem Fuß auf, daß der Brettersteg poltert und wackelt, denn am Ufer erscheinen grade seine sieben Freunde – Kodama und Abu Maschar an der Spitze.

Ein Zusammenstoß mit den Tofailys ist unvermeidlich.

Auf dem größten der vier Böte steht der alte bucklige Dichter Al Rumy – der hat den Al Battany schon gesehen, ruft ihm gleich höhnisch zu:

»Mondprophet! Die Halbmonde wollen ja nicht so, wie Du willst! Laß den Glanz Deiner Goldstücke heller strahlen, dann werden die Halbmonde sich eher verdunkeln lassen! Halbmondprophet! Du Lichtfeind!«

Da – im Handumdrehen – blitzt Battanys krummer Säbel drohend über seiner indischen Mütze.

Und – wie natürlich – blitzen auf den Böten der Tofailys sofort ebenfalls die Säbel.

Der bucklige Al Rumy holt sein grades Schwert langsam und lachend hervor und deutet mit der Spitze des graden Schwertes tückisch auf den Astronomen.

Die Tofailys sind nur noch wenige Schritte vom Brettersteg entfernt.

Die Zahl der auf den vier Böten aufleuchtenden Klingen ist nicht allzu groß; die meisten Tofailys haben ihre Säbel in den Weinkneipen der Stadt als Pfand hinterlassen – versetzt – was in Bagdad sehr häufig vorzukommen pflegt.

Indes – Battany ist fast allein.

Die schwarzen Sklaven mit ihren Pechfackeln schreien nur, sind nicht sehr tapfer.

Battanys Freunde sind gleichfalls ihrer Tapferkeit wegen nicht berühmt – nur Safur läuft auf den Steg, zieht seinen langen Dolch und hält diesen wie einen kleinen Speer wurfbereit.

Der Kampf erscheint unvermeidlich.

Doch da – plötzlich – spritzt das Wasser am Ufer hoch auf. Unverständliche Flüche schallen durch die Luft – und zwei schnaubende schwarze Hengste schäumen in den Tigris hinein. Auf den Hengsten sitzen die beiden Mongolen; wild funkeln ihre Augen. Die Spitzen der langen Lanzen blitzen im grellen Fackellicht – ganz hoch in der Luft.

Und im selben Nu verschwinden die Säbel der Tofailys.

Die betrunkenen Prasser springen danach lachend, als wenn Garnichts los wäre, aus den Böten raus, patschen durchs Wasser zum Ufer – oder klettern auf den Brettersteg.

Torkelnd und johlend ziehen die Betrunknen die Kähne ans Land.

Die Mongolen senken die Lanzen und sehen zu – reiten dann gemächlich an den Strand zurück.

Die Tofailys sind nicht Bagdads Dummköpfe – im Gegenteil – Gelehrte und Dichter sind's zumeist.

Der junge Geograph Hamadany ist zum Beispiel ein sehr gescheiter Mann – und dennoch hat er wieder viel zu viel getrunken; bewußtlos liegt er in dem einen Kahn, sein Kopf hängt laut schnarchend hinten über. Die Schiffer haben große Mühe, die schlaffen Glieder des Trunkenbolds ans Land zu schleppen.

Die Weinschläuche der Tofailys sind fast sämtlich leer. Ein paar jüngere Weinhändler zanken sich deshalb – denn sie wollen von einander erfahren, wer von ihnen die fernerhin noch für die Gesellschaft nötigen Schläuche beschaffen wird. Ein derartiger Zank dauert immer sehr lange.

Währenddem höhnt ein Krämer den Safur, meint so leichthin: »Na, Freundchen! Hat Dir auch Deine Tarub, Bagdads berühmte Köchin, wieder ein paar Pasteten in die Tasche gesteckt? Gib mir was ab! Ich hab Hunger!«

Safur dreht sich um – nach der andren Seite.

Battanys Barke ist endlich angekommen.

Osman und Kodama sind die Ersten, die in den schönen langen Kahn steigen.

Jakuby und Suleiman folgen gleich dem Beispiel der Dicken – sind aber nicht so sicher wie diese in den Arm- und Beinbewegungen.

Abu Hischam und Abu Maschar sprechen so eifrig, daß sie erst von Safur zum Einsteigen aufgefordert werden müssen.

Wie diese letzten Drei im Kahne Platz gefunden, überreichen die schwarzen Sklaven die Fackeln den Ruderern, heben den Battany sehr gewandt auch ins Boot und stoßen das Fahrzeug in den Strom hinein.

Die Tofailys lärmen wieder lauter.

Der Dichter Buchtury rennt jetzt mit einem halben Dutzend verrufener Tänzerinnen auf den Brettersteg und ruft den Abfahrenden noch einige Bosheiten nach – die versteht man aber nicht mehr.

Battanys Barke wird sacht in die Mitte des Stroms hineingerudert – dort stößt heftig der Wind in die Segel.

Und fort geht's stromabwärts.

Die Pechfackeln knistern, flammen, lodern und werfen lange rote Farbenbündel, die immerfort wackeln, ins Wasser.

Die Wellen klingen plätschernd um die Planken der langen Barke... sie brodeln und murmeln vorn um den weißen Holzschwan, der die Spitze des Schiffes verziert...

Die eine Pechfackel hängt – vorn an einer Stange befestigt – hoch über dem langen Schwanenhals, ragt aber noch weiter vor als dieser... in den dunkelblauen Himmel hinein.

Hinter dem Schwan sitzt Abu Maschar in seinem weißen Beduinengewande und streichelt mit seinen langen braunen Fingern seinen langen schwarzen Bart.

Neben dem Propheten sitzt Safur. Der steckt jetzt seine rechte Hand vorsichtig in die laue Flut, und die Wasser wirbeln schäumend um seine braunen Finger.

Der Dichter fühlt, wie der Tigris wohlig um seine Handfläche strudelt, wieder und wieder durch die Finger gleitet und so weich die Gedanken belebt – auch so voll sich anpackt wie flüssiger Schlamm.

Kitzelnd spülen die Wogen um die Fingerspitzen des Dichters.

Jasminduft weht vom Strande herüber.

Battany und seine Freunde heben lächelnd die Nasen höher – Suleiman besonders – der spricht dabei zu Jakuby von Narzissen und Lilien, von Wasserrosen und Riesenveilchen...

Die Gärten Bagdads liegen an den Ufern des Tigris wie schlafende Jungfraun, und ihre überreiche Blütenpracht schwellt vollen Wohlgeruch auf den breiten Strom hinaus...

Prachtvoll ist die Nacht.

Die Sterne funkeln, die Fackeln flackern, und die Wellen klingen plätschernd gegen die Barke an.

Der Astronom ist leider noch immer nicht heiter – in dieser herrlichen Nacht, in der selbst Indiens verwöhnte Götter selig lächeln würden.

Die Stimmung ist auf der Barke ein bißchen gedrückt.

Osman – der Schreiber – ist entschieden der Traurigste.

Kodama unter seinem gelben Turban scheint am lustigsten zu sein.

Von den Fackeln werden grell beleuchtet – die Dichter, die Gelehrten und die Sklaven.

Dem Philosophen Abu Hischam wird die Pelzmütze zu warm, er nimmt sie ab. Battany wundert sich darüber – – – er sieht den Osman unter dem weißen neben Kodama unter dem gelben Turban, Jakuby unter dem lila gefärbten neben Suleiman unter dem schmutzigen Turban ganz schweigend dasitzen. Auch Safur und Abu Maschar in ihren Beduinengewändern sitzen vorn ganz schweigend da...

Und der Astronom erinnert sich plötzlich, daß er seine Freunde zu einer »Vergnügungsfahrt« einlud.

Und er flüstert einem älteren Sklaven einen kurzen Befehl zu.

Und gleich darauf packen die gehorsamen Diener geschäftig die Wein- und Eßkörbe aus.

Das verbessert die Stimmung.

Der große Goldpokal wird mit Scherbett, dem berühmten würzigen Eiswein, gefüllt.

Bald geht der Pokal von Hand zu Hand.

Alle trinken schmunzelnd mit der Zunge schnalzend das eiskalte duftende Getränk.....

Alsdann werden Datteln und Bananen, Feigen und Kirschen, Äpfel und Mandeln, Weintrauben, Pfirsiche, Nüsse, Oliven, Erdbeeren und kleine ovale Honigkuchen in fein getriebenen Metallschalen herumgereicht...

Kodama knackt eine Nuß und fragt den Safur, der in der Linken den Pokal und die Rechte noch immer im Wasser hält: »Sage mal, lieber Freund, Du siehst so träumerisch mich an – denkst Du an Deine Tarub? wie geht es denn Deiner berühmten Köchin? wird sie nicht bald wieder eine neue Torte backen? – mit Zucker, Zitronen und – und frischen Kräutern oder so was weich Zerfließendes? Hm?«

»Frag sie doch selber«, gibt Safur zurück, »warum soll ich jetzt an die Tarub denken? Die Nacht ist so prächtig, und ich fühle nur, wie wohlig sich das Wasser anfassen läßt. Die Empfindungen der Hand scheinen mir augenblicklich noch viel feinsinniger als dieser Eiswein. Trink Du, Abu Maschar! Und wenn Du mir einen Apfel schälen wolltest, würd' ich Dir dankbar sein. Hier ist mein Dolch.«

Abu Maschar nickt, nimmt den Dolch und schält den Apfel.

Kodama wendet sich an Osman und versucht, ihn wieder zu trösten.

Osman lächelt schwach und meint:

»Die Luft ist sehr erquickend. Wenn jetzt ein Dichter Obstverse vortrüge, würd' ich mich sehr freuen.«

Dabei lächelt der Dicke schon ganz behaglich, ißt eine rote Kirsche nach der andern – und fühlt sich allmählich immer wohler – vergißt sein Geschäft und seine Sorgen.

Die Kirschen sind gut.

Safur, der sonst für jede Speise, für alles Süße und für alles Saure prickelnde Vierzeiler aus seinem Beduinengewande herauszuschütteln pflegt, schweigt – schweigt hartnäckig.

Suleiman, der am Maste sitzt, beugt sich daher bedächtig zu den beiden Dicken hinüber und spricht laut mit emporgezogenen Augenbrauen:

»Ich sah im Traume eine Apfelkrone,
Und die stülpt ich mir behutsam auf den kahlen Kopf.
Doch Osman schenkte stöhnend mir zum Hohne
Einen Kirschenzepter, tragen sollt ich den als Zopf.«

Alle lachen nun sehr laut. Suleiman muß seine Verse wiederholen. Selbst Battany muß lachen.

Nur Osman lacht nicht. Der nimmt behutsam seinen weißen reinen Turban ab und reicht ihn dem alten Dichter, der kopfnickend für den neuen seinen alten gibt.

Jetzt wird's gemütlich.

Wieder geht der Goldpokal mit dem köstlichen Scherbett von Hand zu Hand. Der Wind bläst noch kräftiger in die Segel. Die Wellen klingen hell plätschernd um die Planken. Die Sterne funkeln. Die Barke schaukelt.


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