Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Die nächste Gasse ist leider sehr schmutzig, und die Sandalen der Dichter werden naß, ihre braunen Füße desgleichen. Safur flucht, hebt sein Kleid vorsichtig mit den braunen hagren Fingern höher und ärgert sich – über die Pfützen und über manches Andre.

»Jetzt«, ruft er wütend, »macht ein grüner Schimmel ein größeres Aufsehen als die beste Kasside. Gute Verse werden heute schon schlechter bezahlt als rote Pantoffeln, die allerdings in den Pfützen Bagdads sehr wertvoll sind...«

Der gutmütige Suleiman hat seine Not mit dem Ärgerlichen, versteht es aber – zu trösten, sagt so ganz ruhig: »Sieh, Safur! Der Schmutz der Gasse ist noch nicht das Schlimmste auf dieser schlimmen Welt. Was Besondres haben wir ja nicht vor. Unsre Sandalen werden schon wieder trocken werden. Nebenbei – wundern muß ich mich denn doch, daß Du Dich gleichzeitig über den geringen Preis ärgerst, den man heute für gute Verse zu erhalten pflegt. Warum machst Du nicht ein Lobgedicht auf unsern alten Geizhals Said ibn Selm? Der ist doch für Lobgedichte immer zu haben, würde sich über Safurs Verse sehr freuen und sie sehr gut bezahlen.«

»Das Lobgedicht kannst Du machen«, versetzt ingrimmig der jüngere Dichter.

Und Suleiman meint darauf lächelnd: »Oh! Oh! Das will ich mir gesagt sein lassen. Hast Recht! Ein alter Dichter braucht auch viel eher einen reichen Freund als ein junger Mensch, wie Du einer bist.«

Die nächste Gasse ist wieder trockner, und Safur wird wieder freundlich. Er legt seinen rechten Unterarm auf den linken des alten Suleiman und plaudert – von Tarub.

Dem Alten wird ein bißchen neidisch zu Mute, er spricht bitter: »Ja! Wer eine Tarub hat, der kann stolz sein! Der hat's nicht nötig, einen Said ibn Selm zu loben! Aber erzähl' mir nicht mehr von ihr! Erzähl' mir lieber, was Du jetzt als Dichter vorhast!«

Der zart empfindende Safur hört auch gleich von der Tarub auf und teilt seinem alten Freunde – fast zitternd vor Erregung – mit, daß er unter die Beduinen gehen möchte. Er habe kürzlich wieder die Antarsage gelesen und sei ganz toll geworden, schwärme nur noch für die blauäugigen Dschinnen, jene wilden schwarzen Wüstengeister, die auf feurigen Hengsten nachts durch die Wüste jagen, um die Karawanen zu verfolgen. An die Tarub dachte plötzlich der leicht erregbare Dichter ganz und gar nicht mehr; aber vom König Saiduk, jenem Geisterkönig, der nur die Dschinnen – niemals einen Menschen sehen durfte, konnte Safur nicht genug erzählen. »Mir geht es«, fuhr er mit brennenden Augen fort, »fast genau so wie dem König Saiduk. Mir ist immer so, als müßt ich wie Saiduk beim Anblick eines Menschen sterben. Nur die Dschinnen kann ich ohne Furcht sehen. Die Gespenster sind meine Freunde; die erregen mein Blut. Oh, ich liebe die Dschinnen und möchte nur Verse machen, in denen heiß und toll die rasenden Wüstengeister herumsprengen auf ihren feurigen Hengsten. Meine Verse müssen so heftig werden, daß Jeder, der sie hört, zittern soll vor Erregung. Das ganze Gespensterreich der Wüste möcht' ich nach Bagdad bringen, damit Bagdads faule Dickbäuche mal aufgerüttelt werden. Aber wie die Geschichten anfangen und enden sollen, das ist mir leider noch ganz unklar. Das ist häßlich! Das macht mich recht besorgt. Wer weiß, ob ich was fertig bringe! Eigentlich bin ich ja noch niemals zu was gekommen. Jeden Tag will ich was Andres, denn jeden Tag soll und muß ich auch was Andres. Ich hör' jetzt allerdings jeden Abend ein so seltsames Gesumm, als wenn die Dschinnen in der Nähe sind.«

Und er horcht aufmerksam in die Nachtluft hinein, in der Käfer zirpen und Nachtfalter herumflattern. Der alte Suleiman wird ganz still; er fühlt, daß er dem jüngeren Freunde nicht zu folgen vermag. Er lebte zu allen Zeiten in der Märchenwelt, die vor achtzig Jahren unter Haruns Regierung die Dichter beschäftigte. Suleiman liebt das Liebliche; er träumt nicht gern von Gespenstern; Märchenprinzen und lustige Zaubrer sind ihm viel angenehmer. Die Wüstengeister sind dem alten Dichter ganz fremde Wesen, die er nicht leiden kann, da sie ihn erschrecken. Das Jähe, Stürmische, Gespensterhafte ist Nichts für Suleiman; dessen Träume sind still und sanft.

Doch jetzt kommen die Beiden in die breiteren Straßen; da ist es lauter. Man hört überall Singen, Lachen und Lärmen. Lustige Zecher schwanken Arm in Arm wie vom Winde verwehte Papyrusrollen in Zickzacklinien vorüber.

Vor der großen Moschee prügeln sich ein paar betrunkne Kameltreiber – ihre Kamele sehen verwundert zu, alte Frauen schreien, und das Volk, das gemächlich daneben steht, lacht.

Safur und Suleiman biegen rechts ab in einen schmalen Gang, der Erstere voran. Sie gehn hinter einander schweigend einher an einem niedrigen Bretterzaun entlang, über den sie hinüberblicken können. Es liegt ein großer Garten hinter dem Bretterzaun. Neben den mit bunten spiegelglatten Fliesen gepflasterten Fußwegen des Gartens sind über den Erdboden kurz geschorene Rasen gebettet, auf denen einzeln große rote Tulpen blühen. Weiterhin plätschern kleine Springbrunnen in großen Teichen, die vom Sternenlicht durchstrahlt mit ihren kleinen Wellen glitzern und funkeln wie ein Heer arabischer Krieger mit blanken Helmen und blitzenden Damaszenerklingen.

Lorbeeralleen verdunkeln die weiter hinten gelegenen Parkanlagen. Neben den Teichen ragen hohe Palmen in den Sternenhimmel hinauf. Die Dichter gehen noch an Myrtengebüschen vorbei und gelangen dann durch eine offne Tür in den großen Park. Still wandeln sie hier auf den bunten Fliesen der Fußpfade weiter. Safur denkt an seine Wüstengeister, und Suleiman sucht nach einem feinen Ausdruck für tiefe Gartenstille, in den Vers soll sich gleich Erwartungsstimmung mit hineinweben.

In der Mitte des Parks steht ein leicht gebautes Sommerhaus mit weiten indischen Galerien; in deren zierlichen Spitzbögen schaukeln sich Papier-Ampeln, die ganz mit grellbunten Vögeln bemalt sind. Vor der großen Hallenpforte kauern verdrossen ein paar nubische Sklaven mit krausem Wollhaar.

Der alte Suleiman sagt zu einem der jüngeren Nubier: »Geh hinein und sage dem dicken Kodama, er möchte hinauskommen, wir müßten zur Sternwarte, der Mond wär schon aufgegangen, und die Mondfinsternis wär auch bald da. Geh schnell!« Und der Dichter zeigt dem Nubier den Halbmond, der jetzt über die dunklen Lorbeeralleen im Osten in den Garten schaut. Der Sklave rennt eilig von dannen.

Aus den inneren Gemächern des leicht gebauten Sommerhauses dringen jetzt reine volle Saitentöne heraus. Weiche Frauenstimmen schallen hell und wonnig dazwischen. Die Töne schwellen an und säuseln dann wieder, dann hüpfen sie, trällern, locken und girren wie Tauben, klagen auch sehnenvoll wie verlassene Geliebte, murren und necken, reizen und beruhigen...

Es sind die Sängerinnen der alten Dschellabany. Die singen vor den reichen Jünglingen Bagdads und trinken mit ihnen feurigen Wein. Ein wildes indisches Freudenlied jubelt durch die üppigen Säle.

Die Dichter warten draußen.

Plötzlich wird's still.

Und von zwei Fackelträgern grell beleuchtet schreitet eilig eine stattliche schöne Negerin durch die mit herrlich durchbrochenen Zierleisten umrahmte Hallenpforte hindurch. Die schwarze Schöne streckt den beiden Dichtern die vollen schwarzen Arme entgegen. Ihre goldenen Armspangen glühen im grellen Fackelschein. Ein Perlendiadem schmückt ihr schwarzes Haar. Ihre Brust hebt sich in raschen Atemzügen unter schneeweißem Linnenzeug.

Die Schwarze bittet die Dichter sehr erregt mit den Armen herumfuchtelnd, ihr zu folgen; sie meint, Kodama komme ja sofort mit und bis zur Sternwarte sei's doch nicht so weit. Sie deutet dabei auf ihren breiten grünen Lendengurt, der an Alis grünen Schimmel gemahnen soll.

Das Grün des seidenen faltigen Gürtels unter dem weißen lockeren Busentuche hebt sich prächtig von den weiten rotseidenen Beinkleidern ab, die unten am schwarzen Fußknöchel zusammengeschnürt sind, sodaß die rote Seide in bauschigen Falten überhängt und fast die Steinfliesen streift.

Jedoch die Dichter wollen nicht mitkommen. – Safur sagt: »Das kennen wir schon! Wenn wir zu Euch hineingehen, so gehen wir nicht sobald wieder hinaus!«

Die stattliche Negerin nestelt verlegen an ihrer dicken Perlenschnur, die ihren starken Nacken umkränzt – muß dann aber mit ihren Fackelträgern ohne die beiden Dichter – abgehen.

Wieder klingen die Saitentöne und die hellen hallenden Frauenstimmen durch das Sommerhaus der alten Dschellabany, vor deren gastlicher Tür Safur und Suleiman geduldig warten und den Halbmond betrachten.

Und nach einer guten Weile kommt dann der Kodama, Bagdads dickster Gelehrter, auch endlich zum Vorschein. Er ruft ärgerlich: »Na, ein Glas Wein hättet Ihr doch noch trinken können!« Indes die Dichter zeigen lächelnd auf den Halbmond und erklären dem Kodama, daß die Mondfinsternis sehr bald eintreten müsse.

Die Drei begeben sich daher ohne weiteren Verzug zusammen zur Sternwarte, die einst der gebildete Kalif Mamun für die Astronomen mit großen Kosten erbauen ließ.

Das weite Himmelszelt mit seinen Sternen funkelt.

Der Halbmond steht drüben im Osten über den Lorbeeralleen.

Der Garten ist still, nur die Springbrunnen plätschern.

Die roten Tulpen auf den geschorenen Rasen leuchten wie kleine rote Flammen.

Im lauen Nachtwind schaukeln langsam die ruhigen Palmen.

Aus der Ferne ganz leise dringt von den Gartenmauern hernieder der Lärm der großen Stadt.

Die Drei wandeln schweigend zur Sternwarte.

Bagdads Lachen verhallt.


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