Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das fünfzehnte Kapitel.

Nach einigen Tagen ist wieder Alles anders.

Plötzlich ist wieder zu viel Stimmung in der Gesellschaft der lauteren Brüder.

Die meisten Brüder wollen Bagdad verlassen – da man sich in der Nähe der Kalifenburg nicht mehr sicher fühlt.

Es liegt auf einmal sehr viel Reisefieber in der Luft.

Auf dem Karawanenplatz geht es ungemein lebhaft zu.

Dort ist jetzt der eigentliche Mittelpunkt von Bagdad.

Vor Osmans Bücherbuden, die sich auf der nördlichen Seite des Karawanenplatzes befinden, stehen fast immer Neugierige, die was von den Büchern der lauteren Brüder sehen – und auch kaufen möchten.

Osman macht vortreffliche Geschäfte.

Kodamas Buch »Über die Kugelgestalt der Erde« wird sehr viel gekauft.

Auch Abu Hischams »Zweifler« findet einige Käufer.

Jakubys »Buch der Länder« findet viele Leser, wird aber seltener gekauft, da's zu umfangreich und demnach zu teuer ist.

Die Gebildeten Bagdads – namentlich die Koranstudenten – sprechen mit großer Hochachtung von dem Bunde der lauteren Brüder, obschon die Tofailys ihr Mögliches tun, dem Bunde zu schaden.

Der nichtswürdige Al Rumy hat bereits eine Schmähschrift über die lauteren Brüder geschrieben, in der diesen die ekelhaftesten Geschichten nachgeredet werden.

In einzelnen Weinkneipen, in denen die Tofailys das große Wort führten, erregte die Schmähschrift großes Aufsehen.

Gerüchte über eine bevorstehende Verfolgung der Brüder trugen aber dazu bei, daß man von dem neuen Gelehrtenbunde mit viel mehr Achtung sprach, als den Tofailys lieb sein konnte, die natürlich nur giftig waren, weil sie nicht an der Spitze des Unternehmens standen.

Buchtury hatte daher auch den Versuch gemacht, einen »Bund der treuen Männer« zu gründen. Doch von diesem Bunde hörte nach seiner Gründung kein Mensch wieder was.

Osman zeigte ein sehr vergnügtes Gesicht. Alles ging ihm nach Wunsch.

Er stand sehr bald an der Spitze des Bundes der lauteren Brüder, und das kam vornehmlich seinem dicken Freunde Kodama zu Gute, der täglich berühmter wurde und eine große Gespreiztheit in seinem Wesen zur Schau trug.

Osman wohnte in der Nähe der Kalifenburg in einem alten, sehr gut eingerichteten Hause.

An einem sehr heißen Morgen steht der dicke Schreiber zu Hause zwischen Kisten und Kasten, die mit allerhand Arten Papier gefüllt sind und spricht lebhaft mit zwei Chinesen.

Die Chinesen in fein mit Blumen gemusterten braunroten Seidengewändern zeigen dem Schreiber neues chinesisches Papier und erläutern die Vorzüge desselben.

Osman ist entzückt, er wird immer erregter und setzt dabei den Chinesen auseinander, wie wichtig für den gesamten Buchhandel die Herstellung eines billigeren Papieres sei – er brauche zu viel Papier!

Man plaudert auch über die Vorzüge und Mängel der »Rollenform«, in der die Bücher herausgegeben werden.

Der eine Chinese ist der Meinung, daß man die langen Papierstreifen auch kneifen und in eine »Lattenform« bringen könnte – diese Bücher in »Lattenform« würden sogar handlicher sein.

Und dann zeigen die Chinesen dem arabischen Schreiber ein paar bunte Zeichnungen, die sie aus ihrer Heimat mitbrachten – Drachen, Tempel, krause Wolken und viele Krieger mit großen Schwertern und buschigen Augenbrauen.

Die beiden chinesischen Kaufleute wirken in ihren ruhigen bedächtigen Bewegungen so angenehm auf den dicken bequemen Osman, daß der die chinesischen Zeichnungen für drei recht schwere Goldstücke ankauft.

Außerdem erklärt er den fremden Herren mit den schief geschlitzten Augen, daß er sie gerne öfters sprechen würde, ladet sie ein, erzählt vom Bunde der lauteren Brüder, vom Kalifen und von den »dünneren« Papierarten – von diesen letzteren bestellt er gleich eine ganze große Kiste, denn er weiß, daß die Chinesen, die auf Dschunken nach Bagdad kommen, viel billiger das Papier liefern können als die Perser, die das Papier auf dem Landwege über Indien beziehen.

Osman bemerkt garnicht, daß die Chinesen Eile zu haben scheinen, er erzählt ihnen noch so viel von den neuen Lederkapseln, in denen die besten seiner Bücher aufbewahrt werden, zeigt ihnen noch so viele neue Bücher über Sternkunde, über Alaun, Vitriol, Salmiak und andre Stoffe, daß den gelben Herren ganz schwindlig wird.

Mit größter Hochachtung vor der Bildung der Araber entfernen sich die beiden Herren mit den schief geschlitzten Augen – höflich sagen sie noch dem überaus liebenswürdigen Schreiber, daß sie beim Kalifen von Peking nie so huldvoll aufgenommen seien wie beim größten Schreiber von Bagdad.

Wie die gelben Chinesen weg sind, fängt der dicke Osman an, ganz ernsthaft über die Zukunft des Papiers nachzudenken.

Währenddem schreiben im großen Schreibersaale Osmans Schreiber mit verdoppelter Sorgfalt – denn Jakuby, Kodama und Safur sehen ihnen zu.

Weit über dreißig Schreiber beschäftigt der dicke Osman.

Sie schreiben mit langen feinen Haarpinseln auf vortrefflichem Baumwollenpapier.

Sie tauchen die Pinsel immer sehr vorsichtig in kleine weiße Kruken, in denen sich dünnflüssige chinesische Tusche befindet.

Osmans Bücher sind sämtlich mit köstlicher Sorgfalt geschrieben.

Die Buchstaben verbinden sich in geschmackvollster Art – mit feinen Schnörkeln.

Die Schreiber sind die reinen Künstler – sie malen mehr als sie schreiben.

Das wissen sie, sie sind drum auch ganz gehörig stolz und sehr sauber gekleidet – fast so sauber wie Osman, der in seinen braunen baumwollenen Beinkleidern und mit seinem braunen baumwollenen Jäckchen und mit seinem weißen Leinenzeuge auf der Brust und auf dem Kopf so fein wirkt wie ein schön geschriebenes Buch...

In Osmans Hause herrscht musterhafte Sauberkeit, auf keinem der vielen Bücher ist ein Stäubchen zu sehen.

Und Niemand staunt über diese musterhafte Reinlichkeit so wie Safur – der ist nahe daran, im Reinemachen den Zweck des ganzen Lebens zu sehen.

Safurs Stimmung wird bei Osman immer saubrer.

Kodama sieht unter seinem gelben Turban aufmerksam einem jüngeren Schreiber auf die Finger.

Jakuby hat seinen lilafarbigen Turban abgenommen und streichelt seinen glattrasierten braunen Schädel mit der linken Hand – der Schädel sieht auch riesig sauber aus.

Im Schreibersaal ist es sehr ruhig.

Lauter geht's im Hofraum zu, der auf allen vier Seiten von verdeckten Wandelgängen eingerahmt wird, die auf der Mauerseite in hohen Spinden unzählig viele Bücherrollen zeigen. Die Spinde sind in verschieden große Fächer geteilt.

Nach dem Hofraum zu, dessen Boden ganz mit bunten Fliesen bedeckt ist – in deren Mitte ein kleiner Springbrunnen plätschert – sind die Wandelgänge offen.

Ein paar leichte geschnitzte Holzsäulen dienen den Dächern als Stütze.

Neben der einen Holzsäule, an der's schattig ist, auf einem Teppich sitzt Abu Hischam und spielt wieder mit seiner armenischen Pelzmütze.

Der junge Geograph Hamadany und der junge Geschichtsschreiber Abu Hanifa – Beide mit weißen Turbanen auf dem Kopf – und mit schwarzseidenen Kaftanen bekleidet – sitzen dem Philosophen gegenüber.

Der junge Abu Hanifa hat »Die Geschichte des Kalifen Motawakkil« von Baladory, der vor einigen Wochen starb, auf dem Schoße und verbreitet sich eingehend über die Vorzüge des alten Baladory, der als Historiker jedenfalls die erste Stelle in Bagdad einnahm.

Aus Abu Hanifas wohlgesetzter Rede geht deutlich hervor, daß er jetzt der erste Historiker Bagdads werden möchte – er will auch über die Kalifen schreiben – aber über alle – und dabei durchblicken lassen, daß eigentlich alle Abbassiden – mit Ausnahme Mamuns – nicht ganz bei Verstande waren, sodaß man sich über den blödsinnigen Mutadid garnicht zu wundern brauche.

Die Rede findet bei Abu Hischam sehr viel Anklang, er unterbricht sie mit den derbsten Witzen – der Kalif hätte den Philosophen sofort köpfen lassen, wenn er ihn hätte reden hören.

Doch Hamadany setzt dann etwas auseinander, das dem Philosophen mit der Pelzmütze weniger behagt.

Hamadany hat ein Buch von Abu Hodail Hallâf auf dem Schoß und beweist dem Abu Hischam, indem er verschiedene Stellen wörtlich vorliest, daß Abu Hodail Hallâf vor fünfzig oder sechzig Jahren bereits alles das geschrieben hat, was Abu Hischam in seinem Buch »Der Zweifler« vor drei oder vier Jahren schrieb.

Der Philosoph wird daher sehr wütend.

Aber Hamadany ist unerbittlich in seiner Beweisführung.

Die Unterhaltung wird natürlich sehr laut geführt.

Hamadany läßt es an boshaften Bemerkungen nicht fehlen, weist auch auf den Titel hin, den Abu Hodail Hallâf für seine Arbeit wählte – die nannte nämlich der alte Schriftsteller »Der Zweifel« – die merkwürdige Verwandtschaft mit dem Titel, den Abu Hischam für seine Arbeit wählte, der dieselbe »Der Zweifler« nannte, reizt den jungen Hamadany zu nichtswürdigen Betrachtungen, über die natürlich Abu Hischam fast aus der Haut fahren will.

Indes – gefolgt von Said und Suleiman betreten nun Abu Maschar und Al Battany den Hof. Der Letztere sagt sehr laut, sodaß Abu Hischam und Hamadany ihr unerquickliches Gespräch gleich abbrechen:

»Lieber Abu Maschar! Du scheinst die Verhältnisse in der Kalifenburg durchaus nicht zu kennen. Wir werden tatsächlich verfolgt und sind nicht unsres Lebens sicher. Du kennst doch meinen Freund, den allmächtigen Ssabier Thabit ibn Quorrah, der in der Kalifenburg mehr zu sagen hat als der Vezier – und weißt Du, was mir Thabit schreibt? – da lies! Er schreibt, er könnte uns nicht mehr schützen und bäte uns, in drei Tagen Bagdad zu verlassen und nicht vor Jahresfrist wiederzukommen!«

Abu Maschar liest und schüttelt den Kopf und meint ganz ruhig:

»Ein Ort ist genau so sicher wie der andre. Ich bleib hier. Mir wird Niemand was tun.«

Battany zuckt die Achseln.

Auch Kodama, Jakuby, Safur und Osman sind auf den Hof gekommen.

Alle lesen den Brief des allmächtigen Thabit ibn Quorrah.

Und Alle kriegen nun das Reisefieber in heftigster Form.

Nur Osman will dableiben, er hält sein Leben nicht für gefährdet, da er zu viel einflußreiche Freunde in der Kalifenburg zu haben glaubt.

Said und Suleiman wollen auch in Bagdad bleiben – der Erstere, weil er seine Güter nicht im Stich lassen möchte – der Letztere, weil er unter allen Umständen auf Saids Kosten leben möchte.

Abu Maschar bleibt natürlich aus reiner Halsstarrigkeit, er sagt:

»Ich kann ebenso leicht auf der Reise getötet werden wie in Bagdad. Wir können überall sterben. Dem Tode werden wir doch nicht fortlaufen können. Und einmal müssen wir doch Alle sterben. Die Furcht vor dem Tode ist lächerlich.«

»Und Du ebenfalls!« brüllt ihm Battany zu, der schon gereizt wird, wenn er den Propheten bloß ein Wort sagen hört.

Der Prophet schweigt nun.

Die Andern aber, die Bagdad verlassen wollen, entwickeln ihre Reisepläne – ihnen kommt der Brief des Thabit ibn Quorrah im Grunde genommen garnicht ungelegen – der Brief ist ihnen eigentlich höchst angenehm.

Das Reisefieber liegt ja grade in der Luft –

Es ist auch wieder mal eine entsetzliche Seuche im westlichen Stadtviertel, wo die armen Leute wohnen, ausgebrochen...

Battany will nach Indien.

Abu Hischam gedenkt, nach Persien zu wandern.

Safur sehnt sich plötzlich nach Ägypten.

Hamadany wäre gern in Byzanz.

Kodama wählt die bequeme Karawanenstraße nach Mekka und beabsichtigt, dort längere Zeit zu bleiben.

Jakuby geht nach Nordafrika.

Abu Hanifa möchte nach Südarabien.

Alle wollen in der Welt vom Bunde der lauteren Brüder erzählen – der Bund soll ein Weltbund werden!

Osman streckt dem Safur und dem Abu Hischam bereitwillig Geld vor.

Eine prächtige Zukunft leuchtet vor Aller Augen auf.

Safur ist froh, für einige Monate von der Tarub befreit zu sein.

Das Reisefieber läßt die lauteren Brüder nicht mehr los.

Jetzt geht's in die große Welt – in die große Welt – man weiß sich vor Seligkeit garnicht zu lassen.


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