Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das vierzehnte Kapitel.

Die Sterne verblassen.

Es wird Morgen.

Die lauteren Brüder schlafen und träumen.

Aber sie sind nicht zu Hause oder – wo sie sonst des Nachts zu sein pflegen.

In Saids Garten liegen die lauteren Brüder.

Da schlafen sie – da träumen sie.

Denn Said will ein Morgenfest geben.

Und ein Morgenfest beginnt in Bagdad immer mit Schlaf und Traum.

Die Gäste kommen nachts in das Haus des Gastgebers, legen sich schweigend auf breite Sänften, schlafen da schnell ein – und werden dann behutsam in den Garten hinausgetragen – wo sie bis zum Aufgang der Sonne weiterschlafen.

Nachts werden sehr viel Umstände gemacht.

Die Sklaven schleichen mit kleinen Lämpchen im Garten herum und passen auf, daß die Schläfer nicht – von Schlangen, Fröschen, Kröten, Regenwürmern und andrem menschenfeindlichem Gewürm belästigt werden.

Selbstverständlich wird in solcher Nacht auch sehr viel Räucherwerk verbrannt.

Der Araber hat eine sehr fein gebildete Nase –

Und wenn schlafende Araber was Feines riechen, kriegen sie feine Träume.

Battany mit seinen sieben Freunden, Said selbst und der junge als Trunken- und Witzbold berühmt gewordene Geograph Hamadany – das sind die lauteren Brüder, die nun in Saids Garten träumen – man will die glückliche Rückkunft derer, die den Mondtempel zu Hauran besuchten, feiern.

Kodama und Osman haben deshalb ein halbes Schock berüchtigter Sängerinnen mitgebracht – natürlich, ohne dem geizigen Said was davon zu sagen.

Die Sonne geht wieder über'm Tigris auf – sehr dunkelrot – mit vielen dunkelroten Wolken. ...

Sie ist aber kaum mit dem vierten Teil ihrer Scheibe sichtbar geworden, so erhebt sich in Saids Garten ein ohrzerreißender Gesang – die Sängerinnen tun ihre Schuldigkeit.

Ein keusches Lied singen sie freilich nicht – was sie singen, wird für gewöhnlich nur in den schmutzigsten Gassen von Alt-Bagdad gesungen – in jenen Gassen, in denen man mehr seine Börse als sein Herz in Acht nehmen muß – – –

Doch Osman und Kodama lachen aus vollem Halse – als sie das – Lied hören.

Nicht so lustig wie die Dicken erwachen die Andern.

Namentlich Said – der weiß vor Schreck nicht, was er sagen soll.

Die Andern wissen zuerst nicht, wo sie sind – sie schaun sich ängstlich um.

Wie sie ganz wach sind, verstehen sie bald ihre Lage.

Battany findet zuerst die Sprache wieder – er verwünscht das Geheul der Weiber – in den kräftigsten Ausdrücken.

Die Dicken lachen aber.

Safur hat Magenschmerzen und ist daher auch sehr ärgerlich – außerdem ist er noch müde.

Die Andern haben eigentlich auch noch nicht ordentlich ausgeschlafen.

Das Morgenfest fängt schön an.

Auch in Bagdad ist es nicht alle Mal ein Vergnügen, ein üppiges Fest mitzumachen.

Dem Said bereitet der Gesang das allergrößte Mißbehagen – er weiß: die dreißig Sängerinnen werden ihn mehrere Weinschläuche kosten – – – und er hoffte diesmal grade so recht billig wegzukommen.

Said verzweifelt.

Er weiß sich nicht zu helfen.

Es mag kommen, wie's will – er muß immer mehr zahlen, als er wollte.

Die Unverschämtheit der beiden Dicken grenzt in seinen Augen ans Grenzenlose.

Said beneidet seine Gäste, die Alles umsonst haben, während er für das kleinste Vergnügen immer gleich ein Vermögen opfern muß.

Saids Gäste waschen sich mit Saids kostbarsten Seifen und salben Haupt und Brust mit Saids kostbarsten Ölen.

Und dann werden die Weinbecher bis zum Rande mit Wein gefüllt – und jeder Gast gießt seinen ganzen vollen Becher in den Garten – begrüßt dabei die Sonne und spricht ein paar persische Worte, die er selber nicht versteht...

Das ist das Sonnenopfer!

Den Said wurmt das – aber es ist nun mal Sitte – und Sitte bleibt Sitte.

Die Perser haben in Bagdad noch immer sehr viel zu sagen.

Ja – die reichen Leute – die verstehen's – sich zu ärgern – die armen Hunde ärgern sich nicht halb so viel wie die reichen – Gastgeber.

Doch die Sonne! – bei Allah! – die ist so herrlich – so göttlich – so groß – daß der Ärger der lauteren Brüder bald verdunstet wie der Nebel auf den Blumen und auf den Blättern der Bäume, auf den Rasen und auf dem bunten Fliesengetäfel der Fußwege. ...

Wie die Mädchen verstummen, wird in goldenen Gefäßen seltenes kostbares Zuckergebäck herumgereicht.

Und darauf gibt's Fleisch in würfelförmig geschnittenen Stücken – teils gebraten – teils gekocht – Hammel, Rind und Hühner... aber viele viele Pfunde.

Man ißt mit dem Dolch.

Und man trinkt dazu den Wein in großen Zügen – ein Morgenfest soll immer in großen Zügen gefeiert werden.

Aber – die Stimmung läßt sich denn doch nicht zwingen.

Wohl verdunstete der Ärger der Meisten, doch die gute Laune kam darum noch nicht auf.

Die Sonne der Heiterkeit wollte nicht aufgehen – wollte nicht.

Das hatte so seine Gründe.

Da war zuerst das schiefe Gesicht der beiden Reichen – des Battany und des Said ibn Selm – deren Gesicht wirkte ansteckend.

Als reiche Leute dachten Beide wie alle reichen Leute – die da meinen, sie müßten überall genießen und schwelgen, weil sie doch was »besitzen« – – – als wenn der Besitz ein unbeschränktes »Recht« auf den Genuß gäbe. ...

Fühlten sich die Beiden als Gastgeber – und als solche fühlten sie sich eigentlich stets – so glaubten sie, sie müßten noch viel mehr genießen können – viel mehr als ihre Gäste – die waren doch nur ihretwegen da.

Die guten reichen Leute taten so, als müßte ihre Gutmütigkeit ihre Genußfähigkeit erhöhen – was doch reiner Unsinn ist, da bekanntlich nur große Bildung genußfähig macht.

So – oder so ähnlich dachte Safur, als er grade mit den beiden reichen Leuten vernünftig reden wollte.

Am Reden ward er leider durch seine Magenschmerzen verhindert – er hatte doch in der Nacht allzu viel Aalpastete gegessen.

Das Fastenfest mochte auch Schuld an den Magenschmerzen haben.

Ja – das Fastenfest!

Jakuby konnte sich über den Mondtempel zu Hauran gar nicht beruhigen – er erzählte den beiden Dicken von den Priestern und den Götzen so viel, daß bald Alle dem alten Geographen zuhörten – auch die dreißig Sängerinnen und Saids drei Köchinnen – der junge Hamadany ebenfalls, da er noch nüchtern war.

Jakuby schilderte besonders eingehend die Selbstgeißelung einiger Jünglinge, die sich mit schweren Ketten den Rücken zerschlugen und sich mit Steinmessern gräßlich verwundeten und so fürchterlich schrien und sich die fürchterlichsten Brandwunden beibrachten. Der eine Jüngling hielt sich, als er auf einem Fuße stand, die brennende Fackel unter der Sohle des andern Fußes....

Die dreiunddreißig Frauen kreischten bei diesen Erzählungen so entsetzlich, daß man's gradezu als Erholung empfand, wie sie wieder ein paar abgedroschene Lieder sangen.

Osman und Kodama freuten sich auch jetzt wieder – sie waren in so gereizter Stimmung, daß ihnen der Ärger der Andern das einzige Vergnügen zu bereiten schien.

Ganz Bagdad schien sich in gereizter Stimmung zu befinden.

Es lag so was vom wilden Tiere in der Luft – so was Grausames.

In den acht Wochen, in denen Battany mit Safur, Suleiman, Abu Hischam, Abu Maschar und Jakuby nach Hauran reiste – hoch zu Kamel mit seinen Mongolen und seinen Schwarzen – in diesen acht Wochen hatte sich manches Unangenehme in Bagdad begeben.

In der Kalifenburg hatte man sich mit dem Bunde der lauteren Brüder in sehr gereizter Stimmung beschäftigt.

Der Kalif tobte wie ein toller Hund, als er von dem Geheimbunde hörte.

Ach – mit dem Kalifen Mutadid war's schon damals nicht ganz richtig, er litt am Verfolgungswahn – in der Nacht erschien ihm immer ein weißgekleideter Geist mit einem langen weißen Bart und einem langen weißen Dolch.

Wenn der Geist dem Kalifen erschien – dann konnten sich seine Diener die Hände schütteln – einem von ihnen ging's dann an den Kragen.

Der Kalif verstand keinen Spaß – er ließ gleich den Henker holen – seinen dicken Henker, der immer stolz in roter Seide durch die Paläste der Kalifenburg wandelte und mit rollenden Augen um sich schaute.

Der Kalif sagte in letzter Zeit nicht mehr, warum er Jemanden köpfen ließ.

Er ließ nur seine sämtlichen Hofleute zusammentreten, deutete mit dem linken kleinen Finger auf den, dessen Haupt ihm am besten gefiel – und danach konnten die Andern abtreten.

Die Henkersknechte banden den Auserwählten mit festen Stricken, drückten ihn auf einem Lederkissen auf die Knie, der dicke Henker in der roten Seide holte weit mit seinem krummen Säbel aus – und ein blutiger Kopf rollte über den Teppich. ...

Nach diesem Schauspiel ging der Kalif ganz beruhigt wieder schlafen.

Aber diese nächtlichen geheimen Schauspiele, bei denen eigentlich nur der verrückte Kalif unbeteiligter Zuschauer war, wirkten doch auf die Hofbeamten sehr aufregend.

Und die Aufregung der Hofleute übertrug sich bald auf die ganze Stadt.

Man veranlaßte den Kalifen, alle möglichen neuen Gesetze zu erlassen, um seine Aufmerksamkeit von seiner nächsten Umgebung abzulenken.

Es konnte ja wirklich gar nicht mehr ein Vergnügen genannt werden, ein Diener am Hofe des allmächtigen Kalifen Mutadid zu sein.

Bagdads Kalifenburg war damals die gefährlichste Gegend von ganz Bagdad.

Wohl dem, der da Nichts zu tun hatte.

Diese Zustände in der Kalifenburg und ihr Einfluß auf den Bund der lauteren Brüder bildeten den Mittelpunkt des Gesprächs in Saids Garten.

Man trank langsamer.

Die Sängerinnen und Köchinnen wurden vernachlässigt und dadurch auch gereizt.

Safur, der sonst so vorzüglich zu vergessen versteht, kann heute seine Magenschmerzen nicht vergessen.

Said vergißt den Dicken die Sängerinnen nicht, die obendrein noch sehr anmaßlich tun und die ganze Gesellschaft wahrlich nicht für die geistige Krone Bagdads halten.

Der junge Hamadany erzählt nun noch von dem schlechten Eindruck, den die lauteren Brüder auf die Tofailys machen.

Und das schlägt dem Faß den Boden aus.

Abu Hischam kriegt einen Hustenanfall – so laut hat er gleich auf die Tofailys geschimpft.

Das ist ein so recht mißglücktes Fest.

Stimmung kommt überhaupt nicht mehr auf.

Und doch duften die Rosen so wunderbar.

Und die Riesenveilchen duften noch mehr.

Und der Wein ist so vortrefflich.

Das hilft aber Alles Nichts.

Der Kalif wird immer verrückter.

Und selbst den Reichsten kann es schlimm ergehen.

Mutadids Henker spaßt nicht.

Die lauteren Brüder werden betrunken, sie küssen die Sängerinnen und machen dadurch die drei Köchinnen eifersüchtig.

Was ist der Schluß?

Die Weiber fangen an sich zu prügeln.

Man kann sie kaum trennen.

Die Sklaven müssen die Sängerinnen mit Gewalt zurücktreiben.

Die drei Köchinnen sind in größter Gefahr gewesen.

Die Sailóndula hat eine breite Kratzwunde über der Stirn.

Der Abla hat man das hellblaue Beinkleid ganz mit Wein begossen.

Und der Tarub blutet der ganze Kopf.

Das ist ein sehr erquickendes Morgenfest!

Die beiden Dicken können lachen.

Alle haben sich gründlich geärgert.

In den grellsten Mißtönen schließt das Fest.

Man geht in der denkbar schlechtesten Stimmung auseinander.


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