Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das einundzwanzigste Kapitel.

Und eines Morgens kommt langsam Battanys lange Barke den Tigris hinauf und landet ebenfalls in der Nähe der Lehmkate.

Osman, Kodama, Abu Maschar und der alte Jakuby – entsteigen – der langen Barke.

Tarub freut sich natürlich schrecklich über den neuen Besuch – Safur schneidet ein sauer und süßes Gesicht – das hilft ihm aber nicht.

Er hat nun sieben lautere Brüder als Gäste in seinem Hause – die vier zuletzt angekommenen bringen so viel zu essen und zu trinken mit, daß sich die Tarub gar nicht zu lassen weiß vor Aufregung und Freude.

Osman hat auch ein paar chinesische seidene Fenstervorhänge mitgebracht, die ganz mit bunten Blumen und noch bunteren Vögeln bestickt sind.

Die Tarub hatte nämlich dem Kodama über die eisernen Kraten vor den Fenstern geklagt, hatte ihm gesagt, daß die Kraten, die der wilden Tiere wegen notwendig waren, in ihr stets ein unbehagliches Gefühl aufkommen ließen – als wenn sie sich im Gefängnis befände.

Daher – Osmans seidne Vorhänge!

Osman ist immer schrecklich aufmerksam.

Tarub freut sich – wie'n Kind.

Und der alte Jakuby hat fünf eiserne Flammenschalen mitgebracht – nebst fünf eisernen Dreifüßen – der alte Geograph ist der Meinung, daß man nur bei der richtigen Beleuchtung gemütliche Feste feiern kann – welcher Meinung Alle bereitwilligst beipflichten.

Die Stimmung ist bald eine recht gehobene.

Und abends steht der Vollmond über dem Tigris und glänzt – glänzt festlich.

Vor der Lehmkate flackern fünf mächtige Flammen.

Safur und Tarub sitzen vor ihrer Tür auf dem viereckigen, mit roten Ziegeln gepflasterten Platze, von dem aus man den breiten, im Mondlicht glitzernden Strom wohl überschauen kann. Und dort sitzen auch die sieben Gäste. ...

Die Gesellschaft bildet einen wohl abgezirkelten Kreis.

Man ißt mekkanische Hühner, indische Schnecken, Antilopenschinken und Bagdader Marzipan und trinkt wieder den köstlichen Wein aus Bassora dazu.

Und man gedenkt der Abende bei Said ibn Selm, wird ein bißchen wehmütig, bleibt aber trotzdem guter Dinge.

Daß Al Battany, der all die eß- und trinkbaren Herrlichkeiten hersandte, selber nicht mitmacht und daheim bei seinen Indern blieb, vermag die Stimmung nicht zu verschlechtern.

Die Abwesenheit des alten Suleiman, der sich in so auffälliger Weise ganz von den lauteren Brüdern zurückzog, wird schon eher mit schmerzlichem Gefühl empfunden.

Der Wein macht natürlich die Gesellschaft sehr lebhaft – Alle reden und erzählen und haben sich so Vieles zu sagen. ...

Nur Safur bleibt schweigsam – er trinkt auch nicht.

Und da kommt denn der Augenblick, in dem Osman nach Safurs Gedicht fragt.

Drauf erst tiefes Schweigen in der Runde.

Als Safur ruhig sagt, daß er augenblicklich noch Nichts geschrieben habe, in einigen Wochen aber »vielleicht« anfangen könnte – da wird's so still, daß man sogar die Adler oben in den Palmen leise pfeifen hören kann.

Die hiernach folgenden Auseinandersetzungen sind nicht grade sehr erquicklich.

Kodama sagt höchst ärgerlich:

»Da hört sich doch Alles auf!«

Abu Maschar und Jakuby schütteln bedenklich den Kopf.

Osman ist empört und recht grob, erklärt die Unfruchtbarkeit eines begabten Dichters für das größte Übel der Welt.

Abu Hischam redet sehr altklug mit, salbungsvoll bemerkt er:

»Nichts ist so gefährlich wie die Nichtstuerei – sie allein hemmt die Entwicklung der Menschheit. Durch Nichtstun kommen wir nicht weiter, das prägte mir bereits meine liebe Großmutter in frühester Jugend ein. Die Faulheit ist ein Laster. Nur das unermüdliche Weiterstreben kann der menschlichen Gesellschaft förderlich und nützlich sein. Meine Freunde, ich erinnere Euch an die Gesellschaft der lauteren Brüder, der wir doch Alle angehören – wäre die Gesellschaft, die nun bald vier Jahre besteht, wirklich im Stande gewesen, in die Entwicklung der großen Gesellschaft, die wir die Menschheit nennen, mit Erfolg tatkräftig eingreifen zu können – wenn wir Nichts getan hätten? – Nie und nimmer, meine Freunde. Die Nichtstuerei ist daher ein schändliches nichtswürdiges Laster, das wir mit allen Kräften, die uns zu Gebote stehen, bekämpfen und unterdrücken müssen.«

Schallendes Gelächter belohnt diese köstliche Rede.

Und Osman ruft ärgerlich:

»Na, Du sei doch man still!«

Und Abu Hischam ist es – er trinkt – trinkt lange.

Safur jedoch, der sich das Lachen augenscheinlich abgewöhnt hat – denn er lachte wieder mal nicht – erwidert dem Abu Hischam mit ganz ernster Miene:

»Lieber Abu Hischam, Du bist vollkommen im Irrtum, wenn Du glaubst, daß diejenigen Menschen, die immer was tun müssen, um sich die Zeit zu vertreiben, die Entwicklung der Menschheit fördern. Arbeiten kann schließlich Jeder – das ist nichts Besondres. Du glaubst wohl, Dichten sei auch nur Arbeiten, nicht wahr? Nein, Dichten und Arbeiten sind zwei ganz verschiedene Dinge. Wer wirklich was hervorbringen will, das die Menschheit fördern kann – der muß einem fernen, unerreichbaren Ziele zustreben. Wer das nicht tut, wird nichts Besondres tun. Wenn ich bloß ein Gedicht schreiben wollte, wie's jeder dumme Tofaily fertig bringen kann, so dürft' ich mich nur gleich begraben lassen. Ich will mehr – ich will das Unmögliche, das Unbeschreibliche, das Große, das Bedeutende – das wird aber nicht in einem Tage geboren – das wird vielleicht nie geboren – doch man soll dem Unmöglichen nachstreben – nur so kann was Neues entstehen. Ich arbeite nicht – ich dichte. Und was ich mache, geht Euch Garnichts an. Kümmert Euch doch um andre Dinge. Für Euch ist ja doch nur der ein berühmter Mann, der ein paar tiefe Gedanken in den Dreck ziehen und zu gewöhnlichen Gedanken machen kann. Ihr seid's wahrlich nicht, die die Entwicklung der Welt fördern. Ihr habt nur immer an mir gezehrt und Euch mit meinen Witzen gebrüstet. Ihr habt nie gewußt, was Ihr von mir halten solltet. Nennt mich doch unfruchtbar! Nennt mich doch, wie Ihr wollt. Es ist schon zu viel, daß ich Euch Red' und Antwort steh'. Ihr rennt dem Erreichbaren nach – das tut die Tarub auch – natürlich – Tarubs Brüder seid Ihr – nicht lautere Brüder. Ganz Bagdad ist für mich Tarub – die ganze Welt, die Ihr mit Euren stumpfen Sinnen sehen und begreifen könnt, ist für mich nur Tarub. – Ich aber will in eine andre Welt, in die Ihr nie hinein könnt!«

Da murren die lauteren Brüder, und man muß befürchten, daß es am Strande des Tigris sehr – sehr ungemütlich wird.

Zum Glück ergreift wieder der lustige Abu Hischam das Wort, streichelt Tarubs Zopf und sagt:

»Nun, liebe Tarub, sei nur nicht traurig, daß Du auch ›Tarub‹ bist. Bagdads berühmte Köchin zu sein, ist auch ein Verdienst. Mit dem großen Dichter Safur kannst Du Dich natürlich nicht vergleichen, der ist ja Bagdads berühmter Dichter. Aber wenn ich zwischen Euch wählen sollte, so nähm' ich doch die Köchin lieber als den Dichter – bei der Köchin weiß ich doch immer, was ich habe. Wo bliebe die Literatur, wenn's keine Tarub gäbe? Freunde, seien wir nicht traurig, daß wir von Safur ›Tarubs Brüder‹ genannt wurden! Wir wollen gern den Namen ›Tarub‹ tragen. Die Tarubs werden die Entwicklung der Welt besser fördern als die Safurs. Darum wollen wir zwei volle Becher auf Tarubs Wohl trinken!«

Lachend geschieht's.

Tarub ist gerührt.

Die Stimmung der Gesellschaft wird wieder besser – doch da fängt der Kodama wieder an, sagt der Tarub:

»Du, weißt Du auch, daß Safur in Bagdad Deinen Namen tatsächlich als Schimpfwort gebrauchte? Wenn er einen Tofaily beleidigen wollte, nannt' er ihn Tarub. Wo Andre ›Esel‹ riefen, rief Safur ›Tarub!‹«

»Sieh, sieh!« fällt da schnell der auch boshafte Abu Hanifa ein, »gehörst Du ebenfalls zur Familie Tarub? Das hätt' ich garnicht gedacht! Du verteidigst ja die Tarub vortrefflich! Hetz' nur schön! Du bist wohl Tarubs Großmutter, nicht wahr?«

Nun legen sich die Andern ins Mittel und stellen die Ruhe notdürftig wieder her.

Abu Maschar schüttelt immer den Kopf, er versteht den Safur nicht mehr; den hielt er für seinen Freund und muß nun bemerken, daß dieser Freund ihn nie verstand. Der Prophet seufzt.

Jakuby erzählt von dem Einfluß der Inder auf Battany – der kleidet sich jetzt ganz und gar nach indischem Muster.

Die Tarub weiß nicht recht, ob sie dem Safur oder dem Kodama zürnen soll; des Letzteren Rede hat sie nicht ordentlich begriffen – – –

Hamadany ist außerordentlich liebenswürdig zur Tarub, hilft ihr die übrig gebliebenen Teile der Antilopenschinken in die Küche tragen, so daß die Tarub wieder lustig wird.

Osman möchte gern noch ein bißchen auf dem Tigris herumfahren.

Safur ist sofort bereit, erzählt aber einem plötzlichen Einfalle folgend mit großer Begeisterung von der alten, längst verfallenen Stadt Babylon – von der dort befindlichen Beluspyramide und von den beiden Riesen Harut und Marut, die in dieser Pyramide der Sage nach an den Beinen aufgehängt sein sollen.

Diese Geschichte bringt die Gesellschaft auf andre Gedanken. Man wird neugierig.

Und als Safur den Vorschlag macht, auf der langen Barke gleich mal nach Babylon zu fahren, willigen Alle ein – trotzdem Babylon mehrere Tagesreisen entfernt garnicht so leicht zu erreichen ist.

Tarub ist natürlich sehr traurig, daß sie zu Hause bleiben soll – doch sie fügt sich.

Man trinkt noch kräftig und steigt dann schwankend in die Barke, nimmt Lebensmittel für einen Monat mit und segelt, wie die Sonne aufgeht, mit gutem Winde durch den kürzlich wiederhergestellten Kanal dem Euphrat zu – nach Babylon.

Tarub sieht lange ihren sieben Gästen und ihrem Safur nach.

Da der Wind den acht lauteren Brüdern günstig ist, sind dieselben am zehnten Tage bereits mitten in den Ruinen Babylons.

Hamadany behauptet gleich, daß er, wär' er als alter Babylonier zur Welt gekommen, das Schicksal der alten Stadt hätte voraussagen können.

Er prophezeite auch der jungen Stadt Bagdad den Untergang, denn Bagdad verdanke ebenso wie Babylon nur »zufälligen Zeitumständen« und Machtverhältnissen seine Entstehung und Bedeutung – beide Städte seien nicht wie Byzanz durch ihre natürliche Lage sondern durch die Willkür kurzsichtiger Machthaber groß geworden.

Es war sehr lustig anzusehen, wie die arabischen Gelehrten in ihrer modernen Bagdader Tracht zwischen den Ruinen herumkrochen. Der wie gewöhnlich sehr ruppig gekleidete Philosoph Abu Hischam schien der Gegend noch am besten angepaßt zu sein – aber die schwarzen Kaftane des Jakuby, Hamadany und Abu Hanifa wirkten unter den Tempelsäulen, geflügelten Sphinxen, unter alten Urnen, Töpfen und Scherben sehr fremdartig. Die braunen baumwollenen Kleider des dicken Osman nahmen sich ebenso drollig aus wie Kodamas schwarze Sammetjacke. Selbst die Beduinengewänder des Abu Maschar und des Safur schienen hier nicht herzugehören.

Wie die drei weißen Turbane leuchteten!

Wie lustig Jakubys violetter Turban von dem gelben des Kodama abstach!

Safur sprach fast kein Wort und ging gewöhnlich seine eigenen Wege.... wären ihm die Andern nicht immer in einiger Entfernung gefolgt, man hätte ihn verloren.

Er bestieg auch allein die Beluspyramide – die Andern warteten unten.

Allmählich wurde jedoch Safurs sieben Freunden recht verdrießlich zu Mute.

Des Dichters gereizte Stimmung übertrug sich.

Man aß noch am Fuße der Pyramide bei Mondschein ein bescheidnes Abendbrot, das vornehmlich aus Brot und Früchten bestand, bewunderte die Pyramide, deren Spitze längst fort war und die dadurch einen klotzartigen Eindruck machte, schlief unter den mitgebrachten Zelten so leidlich und rüstete am nächsten Morgen zur Heimkehr.

Nach längerem Suchen fand man die lange Barke wieder, schiffte sich ein und segelte nach Hause.

Indessen die Barke war schwerer als bisher.

Es stellte sich nämlich heraus, daß Jeder eine ganze Masse Scherben, alte wunderlich geformte Eisenstücke, Öllämpchen, Alabasterfiguren, Tonziegel mit babylonischer Schrift u.s.w. in seinen Gewändern verborgen gehalten und in die Barke mitgenommen hatte.

Kodama hatte sogar einen alten Siegelring gefunden, der allgemeine Bewunderung erregte.

Die Folge dieses Sammeleifers war eine Überlastung des Kahnes.

Auf der ganzen Rückreise mußten die Sklaven fortwährend das Wasser ausschöpfen.

Safur sprach zuweilen zu sich selbst und machte ein merkwürdiges Gesicht.

Offenbar paßte ihm die Gesellschaft nicht im mindesten, da Alle nur von den gleichgiltigsten alltäglichsten Dingen sprachen – Abu Maschar nicht ausgenommen.

Des Dichters Gereiztheit wurde so ungemütlich, daß Kodama am siebenten Tage wütend ausrief:

»Safur, wenn Dir unsre Gesellschaft unangenehm ist, so spring doch zum Kahn hinaus und geh zu Fuß zu Deiner Tarub zurück. Das Ufer ist ja hier dicht in der Nähe.«

Und was geschah da?

Safur tat, was ihm der dicke Kodama riet – er sprang wirklich raus aus dem Kahn – drückte dabei leider so heftig mit dem rechten Fuß auf die Bordkante, daß der Kahn Wasser schöpfte und – und – versank!

Na – dies Geschrei!

Die ganze Gesellschaft lag plötzlich im Wasser.

Die Geschichte ist fast unbeschreiblich.

Osman fährt, während er noch mit den Wellen kämpft, wutschnaubend auf den dicken Kodama los, schreit »Du naseweises Rindsvieh!« und stuckst den Geographen so heftig ins Schilf, daß der mit dem Gesicht in den Morast fällt und natürlich dabei Stirn und Wangen, Augen, Nase und Mund so beschmutzt, daß man sich gar keine rechte Vorstellung davon machen kann.

Alle sind pudelnaß geworden.

Ertrunken ist Keiner, da die Barke dicht am Ufer fuhr.

Aber schmutzig sind Alle – brr! – sehr!

Man mag sich garnicht gegenseitig ansehen.

Und man schimpft natürlich auf den Safur – wie nur Wütende schimpfen können.

Abu Hischam ist der Einzige, der lachen kann.

Safur ist verschwunden.

Dafür erscheinen ein paar Eremiten mit langen Stangen am Ufer.

Wie die ollen Eremiten die nassen schmutzigen Brüder schauen, müssen sie so lachen, daß ihnen die Tränen über die hohlen Wangen rollen.

Die Schiffbrüchigen müssen sich das ruhig gefallen lassen.

Der Kodama kriegt am meisten ab – er ist auch ganz kleinlaut.

Von Safur aber sieht man keine Spur; der ist vollkommen verschwunden.

Man beschließt, Safur und Tarub nie wieder zu besuchen.

Alle schwören sich das zu.

Die Eremiten lachen sich krumm dabei.

Die sieben lauteren Brüder reinigen wütend ihre Kleider – ihre schönen guten Kleider.

Die Barke wird mit Mühe gehoben.

Unzählige Schmutzflecke gehn nicht raus aus den Kleidern – schändlich! – gemein! –

Die Wascherei nimmt gar kein Ende.


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