Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das achtzehnte Kapitel.

Viele viele weiße Störche flogen langsam über den Karawanenplatz – die lange Straße hinunter – über den Tigris – nach Norden.

Und Safur stand mitten auf dem Karawanenplatz und sprach mit Said ibn Selm – dem alten verlumpten Bettler.

Said redete wirres Zeug – von großen Geschäften – von Geldverdienen – Ehrlichkeit – Treue – von goldenen Sternen und von goldenen Pferden – von goldenen Herzen und von goldenen Kleidern.

Den Dichter schmerzte das wirre Gerede.

Er wandte sich ab und dachte an seine Tarub.

Ja – jetzt hatte er sie. Seine Sklavin war sie, und er war ihr Herr.

Er seufzte tief – wenn er nur gewußt hätte, was er jetzt mit seiner Tarub anfangen sollte!

Ihm ward die große Köchin »geschenkt« – aber was hatte er davon?

Jetzt hatte er Nichts mehr davon – nur Ärger, Zank und – und – es war kaum zum Aushalten!

»Wohl dem, der nie ein Weib geschaut –
Der fährt niemals aus seiner Haut!«

Also reimte schwach lächelnd der große Dichter, der's jetzt täglich verwünschte, daß er aus Ägypten zurückkehrte nach Bagdad, der Stadt der Qual...

Safur war für Bagdad jetzt wirklich ein – »großer« Dichter, da man Großes von ihm »erwartete«.

Osman hatte ihm ganz ernsthaft mitgeteilt, daß er fünf neue Schreiber anstellen würde, wenn er was von Safur herausgeben könnte.

Doch Safur schrieb weniger denn je.

Er redete nur von einem großen Dschinnengedicht, das er mal in vierundzwanzig großen Gesängen feierlichst der Welt überreichen wollte.

Aber es wurde nichts draus – wie gewöhnlich.

Safur dachte immer erst ans Genießen.

Eine anstrengende Tätigkeit hatte nur dann für ihn einen Reiz, wenn er genau wußte, daß aus dieser anstrengenden Tätigkeit ein großer kräftiger Genuß herauswachsen würde.

Wußt' er das nicht vorher, so ging er der Anstrengung aus dem Wege – denn für ihn gab's nur ein einziges Endziel des Lebens – und das Endziel hieß: Genuß.

Leider wurde das Leben in Bagdad immer ärmer an Genüssen.

Der Kalif Mutadid war längst tot, doch unter seinen Nachfolgern wurde Nichts besser.

Der rasch in kaum zweihundert Jahren erworbene – eroberte – Reichtum ging eben so schnell – noch schneller – wieder zu Grunde.

»Nur was alt wird – hat Lebenskraft. Und alt wird nicht, was gleich am Anfange mit wüstem Ungestüm auftritt.«

Also sprach der weise Philosoph Abu Hischam, als er vor Safur sich verteidigte.

Der Philosoph hatte grade in dem Augenblicke den Dichter getroffen, als dieser mitten auf dem Karawanenplatze die Fäuste zitternd gen Himmel hob und laut ausrief:

»Tarub, erbarme Dich!«

Das sah und hörte sich natürlich sehr putzig an.

Deshalb gingen auch die Beiden schleunigst in die große Teebude zu den chinesischen Teemädchen, allwo auch Hamadany und Abu Hanifa weilten.

Als Abu Hischam zu Tee auch einen vorzüglichen südkaukasischen Kräuterschnaps bestellte, da nahm das der Dichter garnicht gut auf, warf vielmehr dem lustigen Philosophen lüderlichen Lebenswandel und Lauheit in Betreff des Bundes vor.

Und dagegen verteidigte sich der Abu Hischam mit den vorhin angeführten und ähnlich klingenden Sätzen – in Samarkand war der große Apostel mit der armenischen Pelzmütze gemütlich geworden – urgemütlich. Zumeist dacht' er nur ans Festefeiern – am liebsten hätt' er jeden Tag die Gründung der Gesellschaft von Bagdads lauteren Brüdern mit Mut und Durst von Neuem gefeiert.

Was doch aus mancher Gesellschaft werden kann – man sollt' es kaum für möglich halten.

Und wie die vier Brüder wieder zuviel getrunken haben, klagen sie wieder über die entsetzliche Geldklemme, in der sie sich befinden.

Es ist zum Erbarmen.

Ein Teemädchen will den Abu Hischam mitleidig ans Herz drücken, doch der will's nicht dulden, er singt brüllend »das Abschiedslied des Beduinen«, das im Jahre 895 in allen Bagdader Tingeltangeln gesungen wurde – natürlich bis zur Erschöpfung – so:

»Mein Herz gehört der Welt,
Kein Weib mir mehr gefällt.
Ich lieb nicht mal das Geld!
Ich liebe nur die Welt!
Mein Herz gehört der Welt,
Kein Weib mir mehr gefällt!«

Und das immer wieder noch mal.

Dabei gelangten die Vier allmählich in die lange Straße, in der man an Gesang schon gewöhnt war.

Wie Safur zur Tarub kommt, gibt's selbstverständlich wieder einen Höllenlärm.

Töpfe fliegen dem Dichter nicht an den Kopf, denn die sind der Tarub jetzt zu kostbar – aber Schimpfworte hagelt's – unglaubliche Schimpfworte.

Der Dichter ist erst geknickt durch die Rohheit – durch die Gemeinheit seiner berühmten Köchin – dann jedoch packt ihn der Grimm.

Und er faßt seine Tarub fest an, umklammert wütend ihren Hals, rollt mit den Augen, knirscht mit den Zähnen, keucht und stöhnt.

Indes die Tarub schimpft nun erst recht.

Da kann er sich nicht mehr beherrschen.

Er würgt sie plötzlich mit aller Kraft.

Sie will sich frei machen.

Und dabei stürzen Beide hin.

Tarub schlägt sich ein Loch in den Kopf.

Das fließende Blut bringt den Dichter wieder zur Besinnung – und er möchte sich gleich selber den Kopf einrennen.

Er schreit vor Angst, wäscht ihr die Wunde mit Wasser aus, weint und zittert, bittet seine Tarub um Verzeihung, fleht wie ein Kind, kniet vor ihr, küßt ihr die Hände, den Mund, die Augen, die Stirn, bittet in herzzerreißender Weise, nennt sie wieder »Bärchen! Liebes Bärchen! Mein guter Bär!«

Na – und dann wird wieder Alles gut.

Sie sagt nur zuletzt weinend:

»Nein, lange halt' ich's nicht mehr aus. So geht's nicht weiter. Es muß anders werden.«

Er sagt: »Ja, ja – es wird schon anders werden.«

Doch das ist nur so hingeredet.

Die Verhältnisse werden noch immer schlechter.

Tarubs Ersparnisse gehen zur Neige.

Und daran hat nicht bloß der Safur Schuld.

Abu Hischam, Abu Hanifa und Hamadany sind auch sehr oft bei Bagdads berühmter Köchin.

Und die ist sehr gutmütig, sie gibt Jedem zu essen, so viel er will. Sie ist so daran gewöhnt, für Viele zu kochen, daß sie garnicht bemerkt, wie unklug ihr verschwenderischer Haushalt ist.

Safur sagt natürlich nie ein Wort.

Er hört nur jeden Tag geduldig an, wie sie auf die ganze Welt schimpft.

Sie weiß nie, wo das Geld bleibt – und Safur muß immer neues Geld auftreiben.

Das tut er auch – aber wie?

Sie gibt ihm jeden zweiten Tag ein paar Tassen, ein paar Messer oder ein paar Töpfe – und mit diesen Dingen muß der Dichter zum Trödler wandern.

Manchmal bringt Abu Hanifa ein paar Gänse mit, Hamadany bringt Fische, Abu Hischam Wein.

Doch wenn diese Leute mal was mitgebracht haben, so geht's auch gleich hoch her, und schließlich setzt die Tarub doch immer zu.

Der geizige Kodama kommt auch zuweilen – und bezahlt dann alles, was gegessen und getrunken wird – doch bares Geld gibt er nicht – er hält das nicht für richtig, seinen Freunden bares Geld zu geben – die verstehen nach seiner Meinung nicht, mit barem Gelde umzugehen – es ist kostbar!

An einem Tage gibt's Pasteten – am andren trocknes Brot – manchmal nicht mal das.

Safur soll Geld verdienen – das sagt ihm sein Bär jeden Tag.

Der Dichter verzweifelt.

Er soll zu den Tofailys gehen – ist aber nicht dazu zu bewegen – lieber läßt er sich jeden Tag von seinem Bären die Ohren wundreden.

Er ist denn doch fürchterlich vornehm.

Höchstens geht er mit altem Geschirr zum Trödler.

Den Osman mag er nicht mehr sehen, weil der stets nach dem großen Dschinnengedicht fragt.

Wenn Safur in diesem Jammerleben an die Dschinnen denkt, wird ihm ganz wüst im Kopf.

Diese täglichen groben Rohheiten des gewöhnlichen Lebens vertragen sich nicht mit seiner Sehnsucht nach feinstem vergeistigtem Genuß.

Überhaupt – der Genuß!

Wer kann noch an den Genuß denken, wo das Leben auf dem Spiele steht.

Leben – leben – wollen sie Alle – das ist die Hauptsache – an den Genuß können sie Alle vor lauter Sorge gar nicht denken.

Aber das hindert Niemand, jede Gelegenheit zum Trinken fleißig wahrzunehmen.

Es geht Allen schrecklich schlecht, doch – betrunken sind sie Alle – so beinahe jeden zweiten Tag.

Oft ruft Safur, wenn er den teuersten Wein aus Bassora vor sich stehen hat:

»Freunde, eigentlich könnten wir doch gewöhnlichen Landwein trinken – wozu immer den teuren Wein aus Bassora?«

Indessen – wenn der Dichter so redet, macht man ihn darauf aufmerksam, daß er doch der größte Feinschmecker sei und – und – dann trinkt er natürlich Alles, was man ihm vorsetzt.

Das Jammerleben hat sehr viele drollige Seiten – sehr viele.

Schließlich leiden selbst diejenigen, die eigentlich gar keine Veranlassung zum Leiden haben.

Auch der dicke Kodama bekommt ein leidendes Aussehen. Er hat die weiße Abla als Köchin in sein Haus genommen – und die Abla ist ihm davongelaufen.

Die Abla liebt die Veränderung und lebt jetzt bei der alten Dschellabany, die immer älter wird. Dort bezaubert sie mit ihrem Gesange jeden Tag einen anderen Jüngling.

Ihre Worte sind süß wie Honig – sie zerschmelzen auch so leicht wie der süße Honig. Was sie am einen Tage sagt und schwört, hat sie am andern vollständig vergessen – manchen Jüngling hat sie zum trüben Kopfhänger gemacht.

Die Sailóndula hat's beim dicken Osman ebenfalls nicht aushalten können – sie tanzt jetzt auf dem Karawanenplatz unter jenen rotseidenen Zeltdächern, die sich so prächtig von dem tiefblauen Himmel abheben, der so voll und groß Bagdad überwölbt.

Der Sailóndula liegen die dunklen Augen sehr tief im Kopf – man sieht die indische Tänzerin oft mit dem alten Sünder Suleiman zusammen, der immer schleunigst davonschleicht, wenn er einen lauteren Bruder erblickt.

Suleiman tut so, als wenn er ärmer wäre denn je zuvor – er will sein Geld für sich behalten. Nur dem Said schenkt er zuweilen ein paar Kupfermünzen – heimlich, daß es Niemand bemerkt.

Kommt der alte Said zur Tarub, so gibt die auch immer was – ein bißchen Fleisch und ein bißchen Brot, einen Schluck Wein und ein Silberstück.

Said ist bescheiden und kommt nur einmal in der Woche, redet dann von goldenen Sternen und goldenen Pferden, von goldenen Herzen und goldenen Kleidern – in seinen Augen flackert ein seltsamer Glanz – wie ein Abglanz seines einstigen Reichtums.

Armer Said ibn Selm!

Die Tarub wird stets sehr gerührt, wenn sie ihn sieht – die Kinder der Nachbarschaft, die sich scheu hinter den Bananen, die vor Tarubs Küche wachsen, verstecken, bekommen dann auch gleich was ab – was Süßes – Mandeln, Feigen und Rosinen.

Die weichen Stimmungen werden jedoch immer seltener.

Die Wogen des Jammers gehen zu hoch.

Sogar der sonst so vergnügte Osman ist schlecht gelaunt – er ist wütend, daß die neuen Bücher im Grunde allesamt nicht viel taugen und möchte am liebsten nur die guten alten Bücher abschreiben lassen. Er ist wütend auf Abu Hischam – wütend auf Safur – und auch auf Kodama – beinah auf alle Welt. Geld gibt er daher keinem Menschen mehr – den lauteren Brüdern am allerwenigsten.

In Bagdad floß der Wein nicht mehr in Strömen – die Gelehrten und Dichter wurden magrer mit jedem Tag.

Sogar die Tofailys – diese Prasser – sahen sich oftmals vergeblich nach guten Braten und dicken Weinschläuchen um – viel öfter vergeblich als früher.

Manche Freuden haben ja noch die Tofailys – sie freuen sich, daß die Gesellschaft der lauteren Brüder wieder Ruf und Wert verlor; sobald man einen Bruder sieht, höhnt man ihn in nichtswürdigster Art.

Da's in Bagdad nicht mehr so viel zu essen und zu trinken gibt, so dringen die »sinnlichen« Vergnügungen mehr in den Vordergrund; die Zahl der Tingeltangel mehrt sich unheimlich – die alte Dschellabany ärgert sich darüber sehr.

Die Frauen werden eifersüchtig auf die schönen Knaben.

Die Diebe stehlen mit Vorliebe kleine Kinder, was manchen Vätern nicht unangenehm ist.

Hamadany und Abu Hanifa haben gleichzeitig das Glück, von ihren Vaterfreuden in dieser angenehmen Form entbunden zu werden, was unter den Tofailys ein höllisches Gelächter hervorruft.

Kodama beschäftigt sich eingehend mit den Empfindungen der Entmannten und kommt hinter das Geheimnis der Sphinx; er behauptet, um Safur zu ärgern, daß eine Sphinx dasjenige Weib ist, das nicht zur Hälfte einen Löwenkörper sondern einen Manneskörper besitzt – nach Kodamas Meinung unterscheiden sich die beiden Geschlechter nicht so scharf, wie's den Anschein hat; alle diejenigen, deren Geschlecht nicht ganz männlich oder nicht ganz weiblich ausgebildet ist, besitzen nach des dicken Geographen Ansicht – Sphinxnatur.

Osman sagt seinem dicken Freunde, er möchte doch lieber ein Buch über die Kugelgestalt der Sonne schreiben.

Kodamas Lehre findet mehr Anklang bei den Sufys, die sich eifrig bemühen, in Bagdad ausschweifende religiöse Kulte einzuführen.

Safur kümmert sich um keinen Menschen, da er sie sämtlich für zu dumm und zu einfach hält; spricht mal Jemand längere Zeit mit dem Dichter, so wird der zum Schluß gewöhnlich sehr grob und schreit dann:

»Mein Freund! Tarub bist Du, Tarub warst Du, Tarub wirst Du bleiben. Die Familie Tarub ist unsterblich – unsterblich!«

Das verstehen freilich die Meisten nicht – daraus macht sich aber der große Dichter ganz und gar Nichts.

Die Tarub, die mit Müh und Not noch täglich für den Dichter was zu essen kocht, redet nur noch von »Geld« und ringt täglich die Hände zum Himmel, daß sie Safur jemals kennen lernte, der sie nur um all ihr Hab und Gut gebracht habe.....

Und Safur wird, wenn er das Wort »Geld« hört, beinah verrückt, er schreit dabei wie ein wildes Tier, wirft sich auf die Erde und weint zuletzt.

Das ist schon eine Zucht bei der Tarub.

Wenn der gutmütige ehrliche Abu Hanifa kommt, atmet Safur erleichtert auf – dem kann der Bär sein Herz ausschütten, was zu beruhigen pflegt.

Den Abu Hischam mag der Bär nicht – den Kodama und den Hamadany begrüßt er dagegen jedes Mal freundlicher.

Safur wird von diesen Beiden mit seiner Sphinx gefoppt, was die Tarub ganz gern hat.

Kodama behauptet, daß eine Sphinx garnicht leicht zur Liebe zu bewegen ist, weil die Liebe in der Sphinx eine ganz andere Empfindung erzeuge, als in den anderen Weibern.

Safur hält das für Hohn und sucht Beruhigung im Weinschlauch.

Der gutmütige Abu Hanifa ist stets bereit, seine letzten Silberlinge mit dem Dichter zu vertrinken.

Beim Weine beklagt man vornehmlich, daß der reiche Al Battany immer noch nicht aus Indien zurückkehren will. Abu Maschar, der ganz einsam auf der Sternwarte wohnt, wollte Nachricht geben, wenn er was von Battanys Rückkehr erfahren sollte. Doch der Prophet läßt Nichts von sich hören.

Jakuby ist auch noch nicht in Bagdad. Die Tarub wird immer aufgebrachter.

Wie Safur in einer Nacht ganz betrunken in die Küche stolpert und behauptet, daß ihn seine Dschinne als Gespenst verfolge, wird die Tarub so erregt, daß sie ihrem Dichter sagt:

»Jetzt kann ich's nicht mehr aushalten. Ich kann's nicht. Du darfst meine Küche nicht mehr betreten, wenn Du jetzt nicht endlich Geld schaffst. Ich muß jetzt mein Geld wieder haben – mein Geld! Ohne Geld darfst Du nicht zurückkehren!«

Safur sagt Nichts und geht fort – in die Nacht hinaus – die Tarub wird ihm auch zum Gespenst.


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