Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Wie er die Tarub losläßt, eilt sie an den Pumpenschwengel und pumpt einen hohen Silberbecher halb voll Wasser, gießt Wein aus einer kleinen Kanne hinzu und reicht es ihrem geliebten Dichter mit der Linken, lächelt ihn innig an. Der schwarze Zopf liegt ihr dabei auf der linken Brust.

Safur zieht die gute Tarub zu sich nieder – und sie trinken Beide...

Jedoch – leichtfertig hat sie ihn genannt. Das vergißt er nicht so schnell, er mutzt ihr das auf.

»Leichtfertig«, spricht er spitz, »leichtfertig hast Du mich genannt. Das bin ich ja noch garnicht. Ich möcht' es ganz gern werden. Aber:

O! glaube mir, es ist nicht leicht,
Das ganze Leben leicht zu nehmen.«

Pause...

Sie trinken.

Die Tarub bewundert des Dichters weiche Stimme, die jetzt wieder recht nachdenklich durch die Küche hallt – folgendermaßen:

»Ja das Leben! Ich glaube, ich nehme das Leben viel zu ernst. Zwar – ich will nur genießen. Doch ich kann nie fein genug genießen. Ich möchte den Genuß so fein machen wie einen Geist – wie ein Frauenhaar. Man muß so mit allen Fingerspitzen genießen – die feinste Reizung der Haut muß empfunden werden. In jedem Augenblicke müßte man anders erregt und bewegt werden – und zwar bewußt. Man muß die Bewegung jedes fallenden Blattes mitfühlen. Da ich so viel Neues in jedem Augenblicke genießen will – so bin ich auch immer wieder ein Andrer. Jeden Tag will ich auch was Andres.

Was ich gestern war,
Bin ich heute nicht.
Jeder neue Morgen
Zeigt ein neu Gesicht.«

Wieder Pause.

Die kleine Tarub denkt – er hat 'ne Andre.

Er muß sie beruhigen.

Er streichelt sie, ist sehr zärtlich.

Er flüstert ihr Schmeichelnamen in's Ohr, nennt sie »lieber Bär«... »protter Bär«... »Busselbär«...

Sie lachen und essen Oliven und trinken Wein aus Bassora dazu – der schmeckt sehr schön.

»Bär«, fragt er, »wie lange ist es schon her, daß ich zu Dir in die Küche komme?«

Bär weiß nicht, denkt, es sei schon schrecklich lange. Doch das glaubt er nicht, er meint:

»Nicht doch! Mir ist, als wenn es erst ganz kurze Zeit wär'. Oh! Der Genuß der Menschen ist so flüchtig. Man genießt eigentlich immer nur den einzelnen Augenblick. Ich glaube, ein ständiges unveränderliches Glück gibt es garnicht. Wirklich! Wir kennen nur Augenblicksgenüsse. Darum darf man sich nicht darauf beschränken, bloß große hocherhabene Gefühle zu suchen und zu pflegen – die kann man doch nicht immer haben. Man muß auch an Allem, was klein ist, sich ergötzen. Sonst wird man sehr oft unbefriedigt und unglücklich sein. Da drüben die blanken Messingkessel und die bunten irdenen Tiegel – die sind mir auch allmählich lieb und wert geworden. Ich suche an jeder Kleinigkeit etwas zu finden. Deshalb esse ich auch so bedächtig – mit Verstand, wie Du zu sagen pflegst. Man muß sich an den Augenblicksgenüssen festklammern, als wären sie Alles, was wir jemals erreichen könnten. Die großen erhabenen Stimmungen sind eigentlich auch nur für den Augenblick da. Ja – immer kann man sich nicht für große Dinge und für große Empfindungen – für das stark und heftig Erregende – begeistern – oder man lügt sich was vor – oder das Große ist nicht mehr groß.«

»Ich möchte noch viel öfter«, bemerkt zaghaft die kleine Tarub, »mit Dir zusammen sein. Du mußt mir noch Vieles erklären. Ich verstehe Dich zuweilen nicht so rasch. Willst Du noch Wein, Safur?«

»Gutes Kind!« entgegnet er freundlich, »ach ja! ein wenig!«

Safur sitzt da in seinem braun und blau gestreiften Beduinengewande – wie ein hockendes Zebra.

Er stützt den Kopf in die Hand. Das feine schmale Gesicht mit dem ganz schmalen feinen Nasenrücken sieht nachdenklich auf die schimmernde große Muschel, in der noch wie eine große grüne Perle eine Olive ruht.

Aus Saids Garten weht ein starker Blumenduft in die Küche. Vom Feuer her riecht man jetzt das kochende Fleisch – ganz schön ist das.

Im rußigen Schornstein hängen geräucherte Lammrippen.

Der rote Ziegelboden ist sauber gescheuert. Neben dem Herde steht noch der schmutzige Scheuereimer.

Und die Tarub in ihrem grünen Wollrock wirtschaftet in ihrer Küche so eifrig herum, daß Safur ganz erstaunt ist – der versteht niemals, wie man das Wirtschaften so wichtig nehmen kann.

Wieder bringt sie Wein – aber sie hat ihn diesmal gewürzt mit alten getrockneten Kräutern, die sie aus alten Büchsen und Dosen hervorkramte.

Der Wein duftet nun noch schöner als das Fleisch im Kochtopf – fast schöner als Saids Blumen.

Safur und Tarub trinken.

Der Wein macht den Dichter ganz tiefsinnig.

»Der Mensch«, flüstert er – so als wenn er allein wäre, »kann nicht in einem fort lachen, kann auch nicht fortwährend weinen, kann nicht immer traurig sein und auch nicht ewig sich selig fühlen. Dieses glaube ich. Daher muß man die einzelnen Augenblicke des Lebens gesondert genießen und vor allem nicht immer geneigt sein, jeden Augenblick zu verlängern. Jede Lust währt ihre Zeit – wenn sie vorbei ist – dann ist sie vorbei. Daran muß man sich gewöhnen. An jedem Tage – in jeder Stunde sieht unser Wohlbehagen und unsre Erregung ganz anders aus. Oft ist uns auch die Unruhe und das Unbehagen nötig. Die schmerzlichen Empfindungen sind auch von manchen Genüssen gar nicht zu trennen. ...«

Das Alles ist nun Nichts für die Tarub – die will ihn daher auf andre Gedanken bringen, er soll nicht soviel denken – sie erzählt ihm:

»Du, Dichter! Hör bloß! Die Abla steht jetzt den ganzen Tag vor ihrem neuen Spiegel. Schrecklich! Nicht?«

»Das verleidet ihr«, entgegnet der Dichter, »den Genuß. An einer und derselben Sache kann man nicht stets das nämliche Wohlgefallen empfinden. Der Genuß läßt sich nicht wie ein Gummiband verlängern. Wir müssen immer wieder neue Reize suchen – sonst stumpfen wir ab. Selbst gebratenen Windfisch kann man nicht alle Tage essen.«

Der Dichter, der sich jetzt sehr weise vorkommt, erhebt sich, bewundert die Sauberkeit der Küche, vergleicht Tarubs Küche mit einigen andren sehr schmutzigen Küchen und schaut dann nachdenklich in eine tiefe Holzwanne, in der sich ein paar dicke Aale wild herumtummeln; sie winden sich durcheinander und hauen sich mit den Schwanzspitzen....

Tarub rührt Teig – aus dem dunkle Kronenklöße gemacht werden sollen – hurtig zurecht. Alles geht sehr flink....

Und beim Teigrühren erzählt die Tarub, daß sie des Morgens jene schöne gelbe Schüssel, aus der Safur zum ersten Male in ihrer Küche gegessen – und zwar junge Hühner in altmekkanischer Brühe – fallen gelassen habe und daß die schöne gelbe Schüssel zerschlagen sei.

Diese Nachricht stimmt den Dichter sehr sehr traurig, er umarmt seinen Bären und wird ganz gerührt.

Und die Tarub beginnt nun, in alten Erinnerungen zu kramen; das Kramen mag sie für ihr Leben gern.

»Safur«, hebt sie an, »weißt Du auch, daß Du mir damals noch die schöne Zuckerbüchse mit Deinem alten Säbelknauf verbeultest?«

»Ich weiß«, sagt der Dichter.

Er berührt gleichzeitig mit den Fingerspitzen ein paar dicke blutige Rindskeulen, die an kräftigen Eisenhaken vor der weißen Kalkwand hängen.

»Oh!« fährt aber der Bär fort, »weißt Du auch noch, wie Du da drüben an der Wand auf den weißen Mehlsäcken saßest, mit den Füßen strampeltest und mir Dein erstes Gedicht an Deine Tarub vorlasest? Weißt Du noch? Mir waren gerade die Speckstücke ins Feuer gefallen.«

»Ich weiß«, ruft lachend der Dichter.

Er schiebt einen leeren Weinschlauch mit dem rechten Fuße an die Wand, nimmt das Beil vom Nagel und hackt seiner braunen Köchin ein bißchen Holz klein.

Das Kochgeschirr aus blankem Messing, das neben dem Herde hängt, blitzt und funkelt. Die grün und blau gesprenkelten Honiggläser glitzern hinter dem Pumpenschwengel.

Die große Stahlschaufel lehnt am Türpfosten.

Die blau und rot gestickten Leinentücher baumeln – etwas schmutzig sind sie – über dem Kehrichteimer.

In den Eiseimern taut das Eis.

Es ist so schrecklich ruhig in der großen Küche des reichen Said.

Eier quirlen soll der Dichter schließlich.

Er tut es und denkt daran, wie er die kleine Öllampe mit dem langen Docht an der Schnauze zum ersten Mal in einer dunklen Nacht hier in der Küche brennen sah – er half da der Tarub noch die vielen Löffel putzen.

Als er mit dem Quirlen fertig ist, will er die kleine Öllampe, die zwischen kleinen lila gefärbten Näpfchen steht, anstecken.

Aber da kommt er schön an.

»Bist Du verrückt?« schreit die Tarub, »jetzt am hellen Tage willst Du die Lamp' anstecken? Du fängst ja wieder gut an. Solche Dummheiten kann ich nicht leiden.«

»Sei doch nicht gleich so!« spricht milde der Dichter, dem die rauhen Worte wie Faustschläge vorkamen, »diese Heftigkeit ist mir schrecklich – mir wird gleich ganz heiß, wenn Du in so roher grober Weise redest.«

Doch die Tarub geht an den hölzernen Pumpenschwengel und pumpt, daß das Wasser überschäumt und den blank gescheuerten Ziegelboden naß macht... sie lacht darüber aus vollem Halse; ihr Lachen schallt in den Garten hinaus.

»Da hättest Du bald das Wasser in die Milch gespritzt – die großen Milchschalen könnten auch mal bedeckt werden.«

Also der Dichter.

Doch seine dralle Köchin sagt rauh:

»Wasch Dir doch die Hände!«

»Nein – sei nicht so rücksichtslos!« sagt er.

Doch gleich darauf wäscht er sich wirklich die Hände; sie waren ja tatsächlich sehr sauber nicht.

Wie die Hände sauber sind, ist Safur wieder ruhiger – er lächelt sogar, lächelt über seinen protten Bären, der ihn immer wieder verletzt – immer wieder.

Die Erinnerungen an alte Zeiten machen den Dichter wieder friedlich – er freut sich über die vielen Kiepen mit Pfirsichen, Birnen, Gurken, Waldbeeren und Kirschen. Am Fenster in einer Ecke liegen auch ein paar Dutzend Tauben – in einer Reihe – ihre toten Köpfchen hängen trübselig auf der Seite.

Tarub geht hinaus, sie muß nach der eitlen Abla sehen, ob die auch mit ihrer Zuckerbäckerei fertig wird – Saids Abendessen soll fürstlich werden.

»Sollst doch nicht so die Stirn krausen!« ruft sie noch, als sie schon beinahe draußen ist, ihrem Dichter freundlich zu.

Der Safur nickt und befühlt mit seinen reinen Händen die fein getriebene Arbeit des großen kupfernen Eiskübels, in dem künstlich Eis erzeugt wird.

Er denkt – spricht dabei zuweilen ganz laut:

»Wie seltsam alle diese Küchengeräte auf mich einwirken. Ich erinnere mich heute fast an meine halbe Vergangenheit. Als Tarub Kopfschmerzen hatte und ich ihr Eisumschläge machte, da war sie so dankbar – so weich und zärtlich. Dieses Aufbrausen berührt mich so entsetzlich roh. – – Aber die Erinnerung verschärft doch die Genüsse. Wenn ich aus einem alten, mir vertrauten Kochtopf esse – so empfinde ich die früher genossenen Speisen noch einmal auf der Zunge – nur so halb – aber sie würzen doch das neue Gericht. Mit solcher Wiederholung eines Genusses kann man wohl eine sehr verfeinerte verschärfte Empfindung erzielen. ... Wenn man nur alle Arten der Genußverschärfung genauer kennen würde! ... Verschärfen läßt sich ein Genuß, aber nicht verlängern – das ist wichtig. ... Zum Beispiel: eine Liebesstimmung soll man auch nicht länger machen wollen – als sie ist – sie ist auch kein Gummiband. ... Jedenfalls ist mir nun das Eine klar: man muß in jedem Augenblick einen neuen Genuß oder einen verschärften Genuß zu empfinden trachten – man darf nicht kleben bleiben an der einzelnen Lustempfindung. Der verschärfte Genuß ist nur eine besondre Art von den neuen Genüssen... die Erinnerung spielt hier die Rolle eines feinen Gewürzes. – – Und dann darf man nie vergessen, daß man einen andauernden Glückszustand nicht in sich erzeugen kann. Man muß immer im Auge behalten, daß der einzelne Genuß nicht allzu lange genießbar ist – man darf sich daher nicht bloß einer besondren Gattung von Genüssen zuwenden – man muß alle – alle – alle Genüsse durchkosten wollen – immer wieder andre – immer wieder neue, feine, vergeistigte Gefühle – aus dem trockenen Brot muß man ebenso viel Genußerreger rausziehen können – wie aus der rasendsten tollsten glühendsten Liebesleidenschaft. Das höchste Lebensglück besteht in dem Leben, das da aufweisen kann: die größte Zahl von glücklichen Augenblicken – die man nicht verlängern soll – die man auch nicht verlängern kann – die man nur zuweilen durch Erinnerungen und lustige Verse verschärfen darf. Verlieben darf man sich nicht in die einzelnen Genüsse – kleben bleiben darf man nicht an den einzelnen Augenblicken. Man muß ohne Schmerz weiterspringen – wenn die eine Wiese ein bißchen abgegrast ist. Nur nicht traurig werden! Mit geballten Fäusten oder anders will ich unermüdlich danach streben, die größte Zahl fein verzückter Augenblicke zu durchkosten. Ich will der glücklichste Mensch sein. Nichts soll mir zu klein und Nichts zu groß sein. Genießen will ich – genießen!«

Ein durchdringender Blütenwind strömt aus dem Garten kühl in die Küche.

Safur fröstelt. Er dreht sich um.

Die Küchentür steht splarweit offen.

Und die Tarub, Bagdads berühmte Köchin, kniet dort auf der Schwelle – faltet die Hände – tut so, als ob sie ihren Dichter anbetet....


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