Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Der zweite Gang ist saurer Aal in Panthertunke – Al Battanys Leibgericht.

Der Springbrunnen plätschert.

Die Flöten verstummen.

Und die drei Mädchen überreichen jedem Gast einen Becher mit Wein.

Feierlich heben alle die Becher empor, und dann wird getrunken.

Alten Wein aus Bassora trinkt man.

Verständnisinnig trinkt man den alten Wein.

Und dann gibt's indische Schnecken.

Die Gesichter der Gäste glänzen.

Das Gespräch beginnt.

Battany setzt dem Abu Maschar in wohlgesetzter Rede auseinander, daß eine Fortentwicklung der Welt und der Menschen durchaus nicht zu leugnen sei – das sähe man schon an der großen Stadt Bagdad, die einst ein armseliger Marktflecken gewesen – das sähe man an den indischen Schnecken, die in dieser Zubereitung sicherlich in früheren Zeiten nicht gegessen worden wären...

Said lächelt stolz, daß son gelehrtes Zeug bei ihm geredet wird – er versteht natürlich kein einziges Wort von dem ganzen Gespräch, an dem sich außer Abu Maschar und Al Battany auch Abu Hischam und Jakuby lebhaft beteiligen. Man erhitzt sich beinah... deswegen läßt der Hausherr kälteren Wein bringen.

Und die Flötenspieler flöten immerfort.

Man ißt Antilopenschinken mit gefrorenem Wurzelsalat – und zwar nicht wenig.

Die Liebenswürdigkeit der drei Mädchen dringt nicht durch.

Als aber Kamelsgehirn gebacken aufgetragen wird auf flachen silbernen Tellern – da kann sich Safur nicht mehr halten.

»Freunde«, ruft er laut, »Ihr eßt nich' mit der nötigen Andacht. Oh dieses Kamelsgehirn – entzückend – wir müssen auf Tarubs Wohl trinken – auf Tarubs...«

Alle trinken auf ihr Wohl.

Und dann essen Alle Kamelsgehirn und danach – Schildkröten gesotten.

Safur vergeht fast vor Seligkeit.

Er ißt mit so großem Entzücken, daß Alle lachen müssen.

Seine Augen leuchten wie dicke große Glühwürmer.

Und der Said sagt schmunzelnd zum Safur:

»Junger Freund! Gib Verse zum Besten!«

Der junge Freund läßt sich diesmal nicht lange bitten, spricht mit dem Messer drohend:

»Glaubt mir! Den Hund ich töte,
Der mir die schöne Kröte
Zu rauben wagen sollte.

Der Ampeln dunkle Röte
Durchglühet meine Kröte
Als wenn sie brennen wollte.

Weh' dem, der mir verböte,
Die wunderbare Kröte
Zu speisen und zu preisen!

O Kröte! Schöne Kröte!«

Und des Dichters Messer funkelt hell.

Saids Gäste lachen und trinken.

Das Gespräch über die Entwicklungsfähigkeit von Welt und Menschen kommt ganz ins Stocken. Battany kann nur noch dem Abu Hischam versichern, daß der Plan, einen geheimen Gelehrtenbund zu gründen, durchaus nicht übel sei und später wohl zur Ausführung kommen könne.

Abu Hischam reibt sich drob vergnügt die Hände.

Jetzt wird aber armenische Rübenpastete aufgetragen – und die macht den Philosophen noch vergnügter, denn die Rübenpastete ist sein Leibgericht.

»Donnerwetter!« brüllt er stürmisch, »Said, Du bist ja fürchterlich aufmerksam gewesen.«

Den andern Gästen schmeckt allerdings die armenische Rübenpastete ganz und gar nicht.

Sie verziehen die Gesichter.

Said lächelt.

Erst wie die gebratenen Tauben vom Demawand erscheinen, wird die Stimmung wieder gemütlicher.

Wie die Knöchlein der Tauben knacken und knistern, wird dem Safur, der schon sehr viel Wein getrunken, so gereizt zu Mute.

Die Flötenspieler flöten wieder.

Und die drei Mädchen sind so aufdringlich.

Allerdings – das rührt die Gäste sehr wenig.

Dem Battany ist die Liebenswürdigkeit der Mädchen sehr unangenehm – er ist daran gewöhnt, daß die Frauen bescheiden in der Ecke stehen und kaum zu atmen wagen.

Kodama und Osman essen, als wenn sie vierzehn Tage gehungert hätten.

Said ärgert sich – ärgert sich, daß er den Mädchen ganz zwecklos die neuen Kleider kaufte.

Safur aber sieht auch mit Unwillen auf die beiden Dicken – sie essen ihm wieder zu schnell.

»Langsam«, fängt er an, »essen diejenigen Menschen, die das Essen verstehen.«

Said wirft dem Dichter einen dankbaren Blick zu, und der Dichter fährt fort:

»Unbegreiflich erscheint mir doch Manches. Wir haben eigentlich sämtlich hier in Bagdad die beste Gelegenheit, unsere Gaumen auszubilden – wer aber bildet seinen Gaumen wirklich aus? Ich glaube – ich tu' das nur allein. Wer nicht zu essen versteht, versteht auch nicht zu genießen. Wir müssen doch, wenn wir das Leben genießen wollen, alle unsre Sinne ausbilden – den Geschmackssinn dürfen wir nicht vernachlässigen. Wer sich immer den Magen überladet – wie Osman und Kodama – der ist doch eigentlich nur ein ganz gewöhnlicher Tofaily.«

Osman und Kodama grinsen.

Die Andern schweigen und essen bedächtiger.

Said macht ein sehr schlaues Gesicht.

Abu Hischam räuspert sich, er will reden.

Die chinesischen Fasanen, die ihm die Sailóndula anbietet, weist er barsch zurück und beginnt nun – bedächtiger als sonst:

»Lieber Safur! Du wirst uns bei allen Gelegenheiten umständlich auseinander setzen wollen, daß Du Deine Sinne ständig verfeinerst – so als wenn darin die einzige Aufgabe Deines Lebens besteht. Du denkst eben, etwas Feineres als verfeinerte Sinne gäb's garnicht. Es gibt aber doch noch feinere Genüsse, die mit der Verfeinerung der Sinne ganz und gar Nichts zu tun haben. Wenn ich an der Weiterentwicklung der Welt arbeite oder über die wichtigsten philosophischen Fragen nachdenke, so empfinde ich doch mehr als bei Deiner Fresserei.«

Alles lacht.

Kodama sagt mit wohltönender Stimme, während er drohend ein chinesisches Fasanenbein schwingt:

»Oh, Abu Hischam, um die Verfeinerung der Sprache wirst Du Dir auch keine Verdienste erwerben. Redet aber nur ruhig weiter, es ißt sich dabei ganz gut.«

Doch nun reden Alle durcheinander.

Die Süßigkeiten werden herumgereicht.

Abla verteilt ihr Zuckergebäck und eine große Zobaïda-Torte.

Sailóndula bietet ihren mit Mandeln und Bananen gefüllten Kataïf, der in Nußöl schwimmt, so zärtlich bittend an, daß ihr Niemand einen Korb gibt.

Zwar – Abu Hischam will nur noch altmekkanischen Kirschenpudding essen, den die Knaben auch schon herbeigeschleppt haben.

Abla gibt ihm den Pudding, läuft dann aber in den Garten – und singt – sie singt ihr berühmtes Gazellenlied, das sie schon öfters gesungen und das die Gäste schon kennen.

Safur wendet sich während des Gesanges flüsternd an den Philosophen und fragt spöttisch:

»Ei, Abu Hischam, über welche philosophischen Fragen denkst Du denn so eifrig nach?«

»Aber Safur«, erwidert leise der Philosoph, »Du mußt ja nicht das Eine vergessen: wir leben nur in einer Scheinwelt. Du glaubst immer nur, daß Du Dich an die greifbaren Genüsse halten müßtest – und doch – Du mußt nicht vergessen, daß ich in Indien war und auch einmal ein Buch ›Der Zweifler‹ schrieb. Es gibt wirklich noch eine andere Welt als die, die wir mit unseren Sinnen begreifen können.«

Doch was ist das?

Said fallen die Augen zu, der Kopf fällt ihm auf die Brust und nun – nein – hätte ihn nicht der Hausmeister aufgefangen, der Herr des Hauses wäre mit der Nase in den Kirschenpudding gefallen...

Die Gäste springen erschrocken empor.

Aber die Tarub und die Sailóndula kichern – und tanzen vor Vergnügen.

»Er hat ja ein Schlafpulver bekommen«, sagt die Sailóndula, »denn wir wollen mit Euch auf der Sternwarte Wein trinken. Beruhigt Euch!«

Battany und seine Freunde müssen nun so laut lachen, daß Said, den der Hausmeister vorsichtig auf die Seite legte, beinahe wieder aufgewacht wäre...

Ablas Gazellenlied verhallt – sie eilt auf die Estrade und wird vom dicken Kodama stürmisch geküßt.

Die Gäste waschen sich alsdann in bester Laune die Hände – und wandeln davon – zur nahen Sternwarte – die drei Mädchen – und die Sklaven mit den Weinschläuchen folgen – die Flötenspieler ebenfalls.

Auf der Estrade bleibt nur der schlafende Said – der schnarcht.

Die roten Papierampeln schaukeln ein bißchen.

Der Springbrunnen plätschert.

Die Blumen duften stark.

Das Räucherwerk duftet noch stärker.

Wie verwüstete Dörfer liegen die Überreste der Torte und des Puddings auf den kostbaren Teppichen umher – – –

Die sauberen weißen Tücher mit den Fransen sind zerknillt und durcheinandergeworfen.

Die Estrade gleicht jetzt einem verlassenen Schlachtfelde.

Der Halbmond steht schief über der Gartenmauer.

Die Sterne sind wieder sehr hell.

Die roten Ampeln verlöschen allmählich.

Die Nachtigallen flöten wunderbar.

Und Said schnarcht...


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