Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das vierte Kapitel.

Und Safur lehnt an Tarubs Küchentür, er ruft mit seitwärts geschobenem Kopf:

»Ich stünde nimmer ganz allein,
Wenn ich ewig könnte bei Dir sein.«

Doch die Tarub stemmt die Fäuste in die Seiten und sagt zornig:

»Jetzt kommst Du erst? Ist jetzt Morgen? Die Sonne geht ja bald wieder unter. Ich laß mir das nicht mehr gefallen!«

»Tarub!« erwidert wehmütig der Dichter, »sei nicht so böse! Battany lud uns zu einer Kahnfahrt ein. Wir sind eben erst zurückgekehrt. Ärgre Dich nicht! Nein?«

Tarub – schnell besänftigt – sagt rasch:

»Na ja! Ausreden hast Du immer – daran fehlt es Dir nicht!«

Bei diesen Worten hebt sie schon wieder geschäftig einen Kochtopf vom Feuer runter, stellt ihn auf die Platte und holt mit einem Blechlöffel vorsichtig das Fleisch aus dem Topfe heraus. Das Feuer schlägt lodernd in den rußigen Schornstein empor.

In der Küche des reichen Said ibn Selm schaltet die Tarub wie eine Herrin. Sie wird fast rot vor Eifer.

Der Dichter flüstert ihr ins Ohr:

»Ja, ja! sei nur schön ernst – das steht Dir gut – ich weiß ja.«

Und da lacht die Tarub über das ganze Gesicht. Safur aber greift nach ihrer Hand, die noch immer den Blechlöffel hält, berührt sehr demütig mit den Lippen die braunen Finger und sieht dann mit hochemporgezogenen Augenbrauen unter seinem braun und blau gestreiften Beduinengewande zur lachenden Köchin auf.

Tarub schüttelt vergnügt den Kopf, schreit aber plötzlich: »Nein – wie Du wieder aussiehst!«

Indes das kümmert den Dichter, der nie an seiner Schönheit zweifelt, sehr wenig, denn er schließt seiner braunen Köchin den Mund mit einem Kuß.

Safur wandelt alsdann in der mit roten Mauersteinen gepflasterten Küche langsam auf und nieder. Er schaut immer wieder Tarubs grünen Wollrock an, der wie ein Sack in steifen Falten den Körper umschließt.

Der grüne Rock hängt an roten Lederriemen, die über die Schulter gehen und hinten sich kreuzen.

Das weiße Leinenhemd, das den Oberkörper faltig umschließt, sieht auch sackartig aus. Ganz kurz sind die Ärmel des Hemdes, das so bläulich-weiß aussieht wie Kuhmilch, die verwässert wurde.

Die kräftigen braunen Arme wirtschaften am Herde so eifrig herum, daß der für gewöhnlich nicht sehr lebhafte Dichter ganz überrascht ist durch diese flinken braunen Arme...

Die Tarub ist fest gebaut wie aus Erz. Ihr schwarzer Zopf fliegt bei jeder Bewegung bald nach rechts – bald nach links.

Jetzt wendet sie das breite Gesicht zu ihrem Dichter. Ihre großen schwarzen Augen glänzen unter buschigen Brauen. Sie zeigt ihm ihre weißen Zähne, schüttelt sich das schwarze strähnige Haar aus der niedrigen Stirn und fragt leise:

»Was ist Dir denn wieder in die Krone gefahren?«

Safur blickt seine Köchin nachdenklich an und sagt ernst:

»Ich habe Hunger, Tarub!«

»Pfui!« ruft sie da, »schämst Du Dich nicht? Ein solcher Feinschmecker wie Du hat Hunger?«

Safur versetzt ernst:

»Ein wahrer Feinschmecker ist niemals satt.«

Tarub ärgert sich über diese Worte, sagt schnippisch: »Warum kamst Du denn nicht früher? Jetzt, wo ich so viel zu tun habe, bist Du hier. Zieh doch den Vorhang fort!«

Safur zieht den safrangelben Vorhang vom breiten offenen Fenster zurück und schaut in Saids grellbunten Garten hinein.

Die Sonne scheint dem Dichter von links oben ein bißchen auf den Kopf und auch auf die rechts gelegene weiße Küchenwand, an der eine lange Reihe starker Messer mit prächtigen Griffen glänzend aufblitzt.

Tarub geht dann mit ihrem Blechlöffel zu dem sinnenden Dichter, dreht ihn um und blickt ihn an, steht breitbeinig da und wackelt mit dem ganzen Körper lustig von rechts nach links und von links nach rechts – wie ein Bär.

Und indem sie die Augenbrauen so hochzieht wie vorhin der Safur, fragt sie schmeichelnd:

»Nu? Na? Was möchtest Du jetzt wohl essen? Nu? Na? Sag! Ja?«

»Alles!« ruft da lachend der Dichter.

Drob freut sich die Tarub, wackelt wie ein Bär durch die ganze Küche und spricht darauf sehr ernst, indem sie die Hände faltet:

»Oh! Oh! mußt Du aber hungrig sein! Setz Dich gleich da drüben auf die Bastdecke – schnell! Ich werde vor Dir auch ein weißes Tuch auf die Erde breiten. Setz Dich!«

Safur setzt sich denn auch mit untergeschlagenen Beinen und zufriedenen Gesichtszügen auf die Bastdecke. Und Tarub breitet das weiße Linnenzeug auf den roten Ziegeln mit rasch bewegten Händen vor ihm aus.

Danach bringt sie ihm das Essen.

Sie erklärt:

»Hier hast Du hartgesottene Steppeneier mit gelber Sonnentunke. Der Holzteller, auf dem die Eier ruhen, ist ganz neu und von einem ganz alten Beduinen am Rande geschnitzt. Und hier hast Du auf dunkelblauem Porzellan sauren Waldsalat.... Nachher gibt's Bratfisch. Willst Du noch die Ölflasche?«

Safur bittet um die braune mit dem langen Halse.

Und auf einem Wandbrett unter alten Kruken und Gläsern, Bechern und Näpfen findet die Tarub nach längerem Suchen auch diese braune Ölflasche mit dem langen Halse....

Safur freut sich drüber.

Tarub auch – sie hebt die Lederriemen, an denen das grüne Wollkleid hängt, höher. Sie spannt die Sehnen des gedrungenen braunen Halses kräftig an, stößt das Kinn und die Unterlippe vor und sieht zu, wie ihr Dichter ißt. Sie hofft, Safur werde ihr so recht was Nettes über die gelbe Sonnentunke sagen. Der hört aber gleich wieder mit dem Essen auf und redet jetzt die Finger der braunen Rechten groß ausspreizend mit weicher Stimme:

»Ich fühle mich so sehr wohl. Ein großes Wohlbehagen empfand ich soeben. Ich empfinde das jetzt noch. Kennst Du das auch? Es war mir in meinem ganzen Körper so unbeschreiblich wohlig. Es überkam mich so plötzlich eine ganz selige Stimmung. Ich dachte Nichts, ich fühlte nur. Mein ganzer Körper fühlte. Nur ein paar Augenblicke hielt es an. Aber es war nicht eine einfache Sinnesempfindung. Ich schmeckte Nichts und sah Nichts – ich fühlte auch nicht nur in den Fingern – Alles fühlte an mir und in mir. Ob eine so allgemeine körperliche Gesamtempfindung nur eine Magenstimmung ist? Ich habe noch garnicht Lust zum Essen. Ich fühle mich so sehr wohl. Jetzt merke ich etwas über dem Magen – unter der Brust...«

Besorgt fragt die Tarub:

»Hast Du Leibschmerzen?«

Safur schüttelt den Kopf und zerteilt wieder mit dem zierlichen kleinen Spatenmesser die Steppeneier, tut Sonnentunke mit einem Porzellanstäbchen hinauf – und ißt wieder – langsam – bedächtig – schmeckend.

Der Dichter will dann Kamelsmilch.

Und in einer feinen Tonschale, die mit krausen Blumen bemalt ist, reicht Bagdads berühmte Köchin die Milch ihm hin. Und er trinkt in langen Zügen – schlürfend – mit der Zunge schnalzend – lächelnd.

Die Tarub pökert währenddem mit der Feuerzange in den glühenden Holzkohlen herum, rückt den Dreifuß zurecht, setzt eine Bratpfanne hinauf und schmilzt Fett darin. Sie legt sodann einen großen Windfisch ins Fett und bratet den Fisch.

»Mir ist behaglich zu Mute«, sagt der Dichter.

Er kaut den frischen sauren Waldsalat, und dabei schweift sein Blick über die langen Reihen buntfarbiger irdener Kruken und Krüge, die auf den Wandbrettern stehen und sich prächtig von der weißen Kalkwand abheben. Viele Schüsseln stehen auch ringsum an den Wänden.

Neben der Wassertonne liegt gehacktes Holz und brauner Torf.

Auf einem gebeizten schwarzen Holzgestell thronen feierlich Porzellanschalen und Tassen – mit Blumen und seltsamen Figuren bemalt. Das Porzellan ward aus dem fernen China auf Dschunken nach Bagdad gebracht. An diesem Porzellan bleiben Safurs Blicke hängen, und er meint lachend:

»Du, Tarub! Jetzt habe ich bald aus allen jenen Schalen und Tassen, die dort auf dem schwarzen Gestell stehen, gegessen und getrunken, nicht?«

»Ei ja!« erwidert das braune Mädchen, »aber sage mal: schmeckt es Dir denn auch? Du sagst heute Nichts!«

»Wie sollte mir«, ruft der oftmals überschwängliche Dichter, »das, was Du kochst, jemals nicht schmecken? Ist doch unmöglich. Ich habe ja schon Alles aufgegessen. Tarub, Niemand kocht wie Du – glaub's mir! Gib mir Brot und den Salzbottel.«

Tarub nickt vergnügt, als wär' ihr was geschenkt.

Der Windfisch ist gebraten – ganz knusprig. Die große Köchin kostet ihn und sagt: »Hm!«

Danach stellt sie Brot, Salz und Fisch vor ihren lieben Dichter und sagt: »Nun?«

Er streichelt ihre Hand und will noch eine Zitrone – bekommt sie auch gleich.

Der braun gebratene knusprige Windfisch liegt auf einem silberblanken Zinnteller.

Tarub kauert sich Safur gegenüber an die Erde, betrachtet ihn – – – freut sich, daß es ihm schmeckt.

»Weißt Du, Tarub!« hebt nun der Dichter lachend an, wie er sich die letzten Gräten des Windfisches aus den Zähnen zieht, »während ich so aß, hatte ich einen prächtigen Traum, denn der Windfisch schmeckte vortrefflich – den lieb ich – besonders gebraten. Ich träumte – mir war so, als wäre ich ein Riese und säße vor dem großen Meer – und mir kamen die einzelnen Fischteile wie wunderliche kleine Inseln vor. Verstehst Du nicht? Ich glaubte, kleine Inseln zu essen und das Meer brausen zu hören, in dem die Windfische herumspringen.«

»Was Du auch Alles glaubst!« ruft da erstaunt die Tarub.

Safur aber fährt fort:

»Man muß noch viel mehr beim Essen denken. Ich verstehe nur das Eine nicht: denke Dir nur – der große Weltreisende Jakuby, doch sonst ein wirklich feingebildeter Mann, versteht vom Essen Nichts – wahrhaftig – Nichts; er hält die Genüsse der Zunge für ganz niedrige – für tierisch.«

Entrüstet ruft die braune Köchin:

»Ist es möglich?«

Der Dichter spricht nun weiter:

»Ich versuchte den großen Gelehrten, der doch fast alle Länder der Erde kennt – China, Arabien, Spanien, Afrika – zu widerlegen. Ich sagte: warum soll ich mich für eine köstlich schmeckende Speise nicht ebenso herzlich begeistern wie für eine neue Stadt oder für ein neues Buch? Warum nicht? Ich empfinde doch beim Essen ebenso leicht was wie beim Lesen und Reisen. Doch er verstand mich nicht. Und der alte Querkopf Abu Hischam – den Philosophen meine ich – der stand dem Jakuby noch bei.«

»Weißt Du«, erklärt eifrig die Tarub, »vom Essen verstehen eigentlich die meisten Menschen Nichts. Dieser dicke Vielfraß, der Schreiber Osman! ich sage Nichts – aber ich habe sehr oft das Gefühl, als wär's ihm ganz gleichgültig, was er ißt – wenn's nur Viel ist.«

Safur schiebt die Schuld an dieser Vielesserei den Tofailys in die Schuhe – diese Schlemmer müßten Alles unmäßig treiben, anders wäre ihnen nicht wohl...

Jetzt plaudern die Beiden, erzählen sich was.

Der Tarub fällt dabei was Neues ein.

»Bei Allah!« fängt sie erschrocken an, »ich vergaß ja – hast Du denn noch Nichts von dem Morde heute Morgen gehört? Nein?«

Safur hält diesen Mord nicht für besonders merkwürdig, ist der Meinung, daß so was alle Tage in Bagdad vorkommt.

Das bringt aber die Tarub ganz aus der Fassung, sie redet ihrem Dichter ins Gewissen:

»Safur!« sagt sie eindringlich mahnend wie eine Mutter, »wie kannst Du so sprechen? Es ist doch schrecklich, einen Menschen zu morden. Über den Tod darfst Du nicht so ›leichtfertig‹ denken. Sieh, diese wüsten Tofailys haben den Mord begangen – einen alten Wollkrempler haben sie totgestochen. Du solltest doch nicht mehr mit den Tofailys verkehren – sonst stechen sie Dich auch noch tot! Versprich's mir!«

»Hier hast Du meine Hand!« ruft feierlich der Dichter aus, »ich will mich um Deinetwillen niemals totstechen lassen.«

Die Tarub springt ärgerlich auf, sie ist bös – immer, wenn sie ernst wird, ist er spöttisch – so recht nichtswürdig kann er sein.

Safur tröstet seine ärgerliche Köchin in ganz eigener Art, sagt:

»Höre, liebe Tarub! Mord ist Mord – Mord bleibt auch Mord – ob Du darüber traurig oder vergnügt bist, wird aus dem Morde nicht etwas Andres machen – Tatsachen sind und bleiben unveränderlich. Du kannst Dich über Alles grämen, über Alles kannst Du Dich ärgern – kannst Dich aber auch über Alles freuen – über Alles lachen, Alles verspotten – darfst auch Alles beweinen. Wie man sich nach einer Tat – oder einer festen Tatsache gegenüber benimmt, das ist grausig gleichgiltig.«

Diese weisheitsvollen Worte versteht die Tarub natürlich nicht – das ist ihr viel zu schwer.

Sie wird aber immer ruhig, wenn sie das Gefühl hat, daß er doch eigentlich schrecklich klug ist... das weiß natürlich der schlaue Dichter.

Er bekommt jetzt Durst, und sie – vergißt den Mord – reicht ihm in einer Muschel kniend ein paar duftende Oliven dar.

Er beißt in eine Olive hinein und umarmt dann seine Tarub, küßt ihr die Stirn und die Augen, die Wangen und den Hals, die kleinen kalten Ohren und die heißen Lippen.


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