Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das zweiundzwanzigste Kapitel.

Seine Freunde ist also Bagdads berühmter Dichter los – die kommen nicht wieder.

Jetzt hat er nur noch die Tarub, die sich natürlich nicht wenig wundert, als Safur ihr mitteilt, daß er sich mit den »Andern« erzürnt habe und daß die »Andern« schon nach Bagdad gefahren seien.

Der Tarub wird so schwül, sie will Näheres wissen, erfährt aber Nichts.

Sie sagt dann kurz:

»Das wird ja ein schönes Leben werden!«

Und nach diesen Worten geht sie in ihre Küche und wirtschaftet wieder herum, daß Alles klirrt und klappert.

Die Tarub muß immer arbeiten, sonst ist ihr nicht wohl.

Safur aber – fängt jetzt an zu dichten.

Das bereitet der Tarub natürlich eine große Freude.

Sie bedauert allerdings, daß Safur seltner auf die Jagd geht, auch nicht mehr angelt.

Das macht aber nichts, denn Tarub angelt selbst.

Es gibt fast täglich Fische zu Mittag.

Leider schickt Battany nicht mehr Brot und Wein – das ist sehr peinlich!

Es dauert drum nicht lange, und die Tarub ist wieder so wie in der langen Straße.

Doch Safur geht jetzt einfach fort, wenn die Tarub laut zu reden oder gar zu schimpfen beginnt.

Die Tarub wird, so unglaubwürdig das auch klingen mag, schließlich selber schweigsam.

Ein rührendes Zusammenleben!

In der alten Lehmkate wird's immer stiller.

Safur wird immer magrer.

Doch er fängt sein Dschinnengedicht wirklich an – auf prächtigem chinesischem Papier schreibt er die ersten Verse – –

Indessen – er zerreißt gern das, was er schrieb.

Er fängt immer wieder noch mal an.

Mit dem Dichten will's garnicht so recht gehen.

Er kann nicht, er hat das Leben eines Schlemmers geführt – immer nur genossen – nicht gelebt, um dichten zu können – – – sondern gelebt, um genießen zu können.

Was Safur dichtete, waren immer nur Gelegenheitsscherze – mit denen er blendete – Längeres, Größeres hatte er nie fertig gebracht – demnach wollt' es jetzt mit dem Dschinnengedicht nicht vorwärts gehen – wollte nicht.

Die Tarub wird neugierig.

Sie wundert sich, daß Safur immer seine Verse zerreißt – warum zerreißt er sie denn?

Als Safur mal fort ist, setzt sie einzelne Papierteile, die sie in einer Ecke findet, wieder zusammen und liest:

    »Ich sah Dich schon so lange nicht,
        Wo bliebst Du nur?
    Ich hört Dich auch so lange nicht.
        Ach, Alles spricht,
Und die Königin der Wüste will da schweigen?
Nicht! Du sollst mir endlich Alles Alles zeigen –
    Die ganze große Geisterwelt.
        Ich sehne mich zu sehr!
        Komm endlich zu mir her!«

Das war mit riesig großen Buchstaben geschrieben – aus der Schrift leuchtete Safurs Selbstbewußtsein wie eine große Sonne heraus.

Die Tarub versteht die Verse nicht.

Aber sie will wissen, wer die »Königin der Wüste« ist.

Safur sieht so mürrisch und gereizt aus.

Wie er wieder mal ein paar Verse zerreißt, sammelt die Tarub gleich nachher mit großem Eifer abermals die Papierteile, setzt sie zusammen und liest:

»Zum König Saiduk bist Du gegangen?
Zum König mit den schwarzen Wangen?
    Wilde Dschinne, komm' zu mir!«

Die Verse klären die Tarub nicht auf.

Sie wird auch gereizt.

Was will denn der Safur mit der Dschinne?

Die Geschichte ist der großen Köchin unbegreiflich.

Safur bleibt oft Tage lang fort –

Oft fährt er im Kahn den Tigris hinauf – ganz allein.

Zuweilen geht er auch auf die Jagd – bringt aber selten was mit.

Die Tarub wird mißtrauisch und eifersüchtig.

Eines Tages findet sie wieder ein paar zerrissene Verse – die gingen so:

»Nun lach nicht mehr so schaurig!
Dein Lachen macht mich traurig!
Und sprich zu mir ein Wort!
Das Schweigen tötet die Liebe.
    Du sollst mich aber lieben –
    Ach, hörst Du mich denn nicht?«

Da regt sich das Weib in der Köchin –

Sie wird eifersüchtig und schleicht ihrem Dichter nach – doch sie trifft kein Weib – nur ein paar alte Eremiten.

Die Eremiten forscht sie vorsichtig aus, hört jedoch Nichts von ihnen.

Safurs Augen sehen so scheu aus.

Manchmal spricht er zu sich selbst....

Da findet die Tarub eines Morgens im Kahne abermals viel zerrissenes Papier, und auf all dem Papier steht immer dasselbe – immer nur:

»Du bist die Nacht!
Du bist der Tod!«

Diese Worte beruhigen das Weib – denn dem wird's nun allmählich klar, daß die Dschinne garnicht lebt, sonst könnt' er sie doch nicht »Nacht« und »Tod« nennen.

Doch was fehlt denn ihrem Dichter?

Soll das der Anfang des großen Gedichts sein?

Richtig – jetzt fällt der Tarub ein, daß er ein »Dschinnengedicht« schreiben will.

Sie wird ganz ruhig.

Auf einem nichtzerrissenen Papierstreifen steht:

»Und ewig bleibt sie still und stumm!
Ich dreh' mich müd' im Kreis' herum,
    Die Dschinne will mir Nichts sagen.«

»Ha! Ha!« ruft da die Tarub und schmeißt den Streifen fort – daß die Dschinne Nichts sagt, kommt der Köchin so schrecklich natürlich vor – jetzt ist sie nicht mehr eifersüchtig – ganz und gar nicht.

Doch sie fühlt sich jetzt einsamer denn je.

Die Einsamkeit ist ihr gräßlich.

Und sie sehnt sich nach Bagdad zurück.

Mit dem Safur ist es ja nicht mehr zum Aushalten, sein Gesicht wird immer häßlicher – diese krausen Stirnfalten! – diese dicke Unterlippe! –

Manchmal allerdings ist der protte Bär recht in Sorge – Safur sieht so krank aus.

Indes – sie kann um Safurs Dichterei willen nicht ihr ganzes Leben so hinfressen – das geht nicht!

Und Safur mag die Tarub nicht mehr ansehen; ihn berührt das Körperliche an ihr so unangenehm.

Er ist sehr höflich zu ihr, wünscht aber innerlich, daß sie recht bald nach Bagdad zurückkehren kann.

Als Köchin ist sie ihm jetzt Garnichts mehr.

Er mag nur noch ungern was Besseres essen.

Am liebsten ißt er Brot und Früchte.

In der Lehmkate wird nun Alles so merkwürdig.

Die Menschen da drinnen haben sich Nichts mehr zu sagen – sie sind einander fremd geworden.

Zank gibt's nicht mehr.

Einer geht am Andern vorbei, als wär' der nicht da.

Eines Tages kriegt die Tarub aus Bagdad einen Brief vom Schneider Dschemil – sie möcht doch zu ihm kommen und seine Köchin sein, sie soll's gut haben – er, der Schneider Dschemil, sei jetzt sehr reich und wolle öfters Festessen veranstalten u. s. w.

Der Brief kommt der berühmten Köchin nicht ungelegen; sie tut allerdings anfangs so, als wolle sie Nichts vom Dschemil wissen – aber wie Safur ihr ruhig zuredet, gibt sie dem Boten, der ihr den Brief brachte, einen andern Brief mit, in dem sie »Ja!« sagt.

Und dann geht's ans Packen.

Dabei wird ihr allerdings ein bißchen eigentümlich – Safur ist ihr doch noch nicht so ganz gleichgiltig – durchaus nicht!

Sie findet auch jetzt ein sauber geschriebenes Gedicht, das sie noch mal heftig erregt – da steht geschrieben, und es ist nicht zerrissen:

        »Die Dschinne singt:
 
Ja, unter Deinen weißen Rosen
Will ich heut Abend mit Dir kosen.
Horch auf meinen knatternden Peitschenknall!
Oh! der donnert grausig durchs Weltenall!
    Wirst ihn schon hören!
Ich will um Deine Liebe werben
Mit ganz besondrem Wüstenwitz.
Sieh! Die mich lieben, müssen sterben–
Und wen ich küsse, trifft der Blitz!«

Noch einmal ist die Tarub wieder ganz Liebe zu ihrem Safur – noch einmal – unter den weißen Rosen.

Und Safur?

Der wird zuweilen so wehmütig.

Er fühlt, daß die Tarub stets das schwere Bleigewicht war, das ihn, der immer in eine andre Welt hinauffliegen wollte, an die Erde fesselte – die Tarub war seine Sklavenkette.

Aber wenn mal diese Sklavenkette abriß – was dann?

Wird's zu seinem Heile sein?

Wirklich?

War die Sklavenkette nicht auch zu was gut?

Den Dichter fröstelt, als berührte ihn eine Totenhand.

Jetzt kann er fliegen – in das andre Land.

Ist das aber nicht der Tod?

»Du bist die Nacht!
Du bist der Tod!«

Das murmelt leise der Dichter und fährt auf den Tigris hinaus – er will dichten.

Und er dichtet:

»Meine Wüstenbraut!
Mein dunkles Weib!
Komm und küß mich tot!«

Und dann wirft der Dichter all sein Papier und sein ganzes Schreibzeug ins Wasser – er will nicht mehr dichten – es wird ja doch Nichts.

Warum soll er auch dichten – warum?

Er will seine Dschinne sehen – seine Dschinne!

Es flüstert in der Luft.

Safur horcht – und träumt und erschrickt zuletzt, als ihn die Tarub vom Ufer aus anruft.

Der Kahn, der die Tarub nach Bagdad bringen soll, ist angekommen.

Safur küßt seine Tarub noch einmal so stürmisch – als wär's zum »letzten« Mal.

Und dann geht die Tarub fort – weinend.

Die weißen Rosen duften so wunderbar.

Safur steckt noch seiner Köchin ein paar weiße Rosen ins schwarze Haar und streichelt ihren schwarzen Zopf.

Der Abendhimmel ist gelb.

Bagdads berühmte Köchin hebt sich prächtig vom Himmel ab – wie ein ehernes Standbild.

Safur liegt unten am Ufer und sieht seine Tarub da stehen – vor dem gelben Himmel.

Und als der Kahn vom Ufer abgestoßen wird, fängt die Tarub furchtbar an zu weinen.

Safur weint auch.


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