Paul Scheerbart
Lesabéndio
Paul Scheerbart

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Die Spinngewebewolke ordnet sich zu einem gleichmäßigen Ringsystem, was Biba für vorbildlich erklärt. Lesa erinnert den Biba an die Qualen, die die Pallasianer beim Turmbau ausgestanden haben, und kündigt ihnen große Schmerzenszustände an. Die kommen, als sich Kopf- und Rumpfsystem des Pallas endgültig zusammenschließen. Lesa hat dabei die größten Schmerzen auszustehen. Der ganze Pallas wird so gewaltig erschüttert, daß selbst einige Bandbahnen zerreißen und der große Turm zu klirren beginnt. Danach fühlt Lesa, daß er mit dem Doppelstern ein einziges Wesen geworden ist, und es beginnt ein neues Leben für ihn – und alles nähert sich einander – auch die Sterne des Asteroïdenringes nähern sich einander.

Die Spinngewebewolke hatte sich nun auch verändert. Sie war immer weiter vom Kopfsystem abgerückt und hatte allmählich eine ganz regelmäßige Kranzform angenommen. Der Kranz wurde immer flacher. Und man sah schließlich vom Pallas und vom Quikko aus, daß sich auch die roten kleinen Köpfe regelmäßig überall verteilten. Nun sah man auch, daß die feinen Fäden tatsächlich lange Gliedmaßen bildeten. Sie schlangen sich so durcheinander, daß zwischen ihnen immer mehr Raum frei blieb. Der Wolkencharakter des Ganzen verging somit. Eine Annäherung an dieses Miniaturringsystem blieb auch jetzt unmöglich – eine Verständigung mit den feinen Fadenwesen ebenfalls. Das Ganze besaß nach wie vor eine starke zurückdrückende Kraft, die schon in einer Entfernung von tausend Metern einsetzte.

»Das ist beinahe vorbildlich«, sagte Biba, »sowohl für uns – wie für den großen Asteroïdenring.«

Während Biba das neue Ringsystem von einem Balkon der Turmlaterne aus beobachtete, bemerkte er vor sich in der Luft wieder das blaugrünliche Licht, durch das der Lesa seine Nähe anzeigte.

Und Lesa sagte durch einfache Übertragung der Gedanken:

»Wie schnell doch die Pallasianer alles Mögliche vergessen! Ihr wollt nichts von der Bedeutung des Schmerzes wissen – so als hättet Ihr stets in weichlicher Untätigkeit gelebt. Und das ist doch garnicht der Fall. Ihr habt doch mit so ungeheurer Kraftanstrengung den großen Turm gebaut. Habt Ihr dabei nicht genug Schmerzen empfunden? War das nicht für uns alle zusammen eine große Qual? Und als alles fertig war, da kams Euch doch wie eine Erlösung vor. Allerdings dann kam gleich so viel Neues, daß Ihr Eure Arbeit schnell vergaßet. Lieber Biba, sage doch Allen, daß sie den Schmerz nicht unterschätzen dürfen. Vielleicht habt Ihr in allernächster Zeit Furchtbares zu ertragen. Bereitet Euch vor. Ich fühle, daß ich mich Euch nicht mehr lange verständlich machen kann. Vergiß nicht, was die Sonne sagt. Lebe wohl!«

Biba hörte, wie das Licht mit einem leisen Knall erlosch. Und er eilte auf den nächsten Bandbahnen zu einer großen Signalstation und machte von dort aus alle Pallasianer aufmerksam, daß er Neues mitzuteilen habe.

Und es berührte dieses Neue alle Zuhörenden wie etwas Grausiges – noch nie Geahntes.

 

Und gleich danach wars dem Lesa so, als hätte er noch einen Körper wie einst – aber einen viel längeren und breiteren – und es ging ein Schauer durch seinen Körper – und er fühlte, daß alles in ihm zitterte. Und einen stechenden Schmerz empfand er bald da und bald dort.

Und dann fühlte er einen Starrkrampf in seinen neuen Sehorganen – und sie gingen alle nach unten – und verbanden sich mit dem großen Pallas-Rumpf – wurden mit diesem eins. Das aber griff alle seine Sehnen und Muskeln furchtbar an, daß er hätte schreien mögen.

Ganz finster wurde es. Lesa sah nichts mehr. Er fühlte nur noch reißende zerrende Schmerzen, die immer stärker wurden.

 

Und die Pallasianer empfanden plötzlich ähnliche Schmerzen – wie der Lesabéndio. Die Schmerzen waren nicht so stark wie die, die oben der Lesa empfand. Aber die Pallasianer schrieen doch laut auf.

Und das schmerzliche Geschrei hallte unheimlich im Nordtrichter. Dazu brauste die Sofanti-Musik mit tiefen stöhnenden Tönen.

Die kometarischen Ausströmungen des Kopfsystems umflackerten grell mit Tausenden von zuckenden Scheinwerfern den großen Turm und kamen hinunter und blitzten durch den Nordtrichter – und auch durch den Südtrichter. Der ganze Pallas-Rumpf schien in elektrischen Flammen zu brennen. Und der Pallas zitterte.

Und dieses Zittern brachte den großen Turm zum heftigen Schwanken.

Das Schreien der Pallasianer wurde so furchtbar, daß Alle glaubten, der Stern würde gleich entzwei bersten.

Die Sofanti-Häute dröhnten und brausten so heftig, daß einzelne Häute mit lautem Knall entzwei rissen.

Die Quikkoïaner, die auf dem Pallas waren, fielen sämtlich in Ohnmacht und lagen bewußtlos da. Und Niemand kümmerte sich um sie.

 

Biba und Labu, die den Schmerzen am kräftigsten Widerstand leisteten und nur stöhnten – nicht schrieen – blickten durch Teleskope außen nach den übrigen Asteroïden hinüber und sahen, daß dort auf vielen der kleinen Sterne elektrische Ausstrahlungen entstanden.

»Es geht etwas Furchtbares vor!« rief Biba dem Labu zu.

Labu antwortete nicht.

Biba sah danach zur Sonne – und entdeckte auch dort heftige Sturmfackeln auf der Oberfläche – viel mehr als sonst.

»Ich glaube«, sagte er stöhnend, »daß wir vielleicht nur näher aneinandergebracht werden sollen. Und das ist so schmerzhaft. Wenn jetzt der Lesa was sagen würde!«

Aber Lesa sagte nichts.

 

Allmählich ließen die Schmerzen der Pallasianer nach. Und man kam wieder zusammen und besprach dieses allerneueste Wunder, das Allen die Bedeutung des Schmerzes klargemacht hatte. Und Biba sagte, was er für den Grund des Ereignisses hielt.

»Das Kopfsystem des Pallas«, meinte er, »verbindet sich mit dem Rumpfsystem. Der alte Stern Pallas erwacht zu ganz neuem Leben. Das ist eine furchtbare Empfindung – so zu neuem Leben zu erwachen. Der große Zusammenschluß von oben und unten hat stattgefunden. Das ist auch vorbildlich für die anderen Asteroïden; sie haben auf den Pallas-Schmerz reagiert – ich habs gesehen – die Sonne zeigte sich auch dadurch bewegter. Wir sollen uns deshalb auch mehr zusammenschließen. Künstlerische Gegensätze dürfen uns nicht mehr einander entfremden.«

»Ich glaube«, sagte Labu darauf, »daß alles Künstlerische auf dem Pallas vielleicht doch nur Mittel zum Zweck war.«

Dem stimmten sehr viele Pallasianer zu.

Dann suchte man die Quikkoïaner und brachte sie allmählich wieder zum Bewußtsein. Sie waren über das neue Ereignis sehr erstaunt und wollten alle zum Quikko hinüber.

 

Die Pallasianer, die während der Erschütterung des Pallas auf dem Quikko sich aufhielten, hatten nur ein leichtes Zucken in ihren Gliedern verspürt.

Das hatte zur Folge, daß sich jetzt sehr viele Pallasianer zum Quikko hinüberschnellen ließen, um dem nächsten Sturm zu entgehen. Alle Quikkoïaner verließen den Pallas.

Aber auch auf dem Quikko war vieles anders geworden. Der kleine Stern drehte sich nicht mehr um sich selbst.

Auch die Glieder der beiden Meteorgeister, die oben den Pallaskopf umkreisten, waren ganz steif geworden.

 

Lesas Schmerzen waren aber währenddem noch nicht zu Ende. Sein Starrkrampf wurde plötzlich noch viel mehr gesteigert. Er hielt es nicht mehr aus. Er wollte mit Gliedmaßen, die er garnicht hatte, ausgreifen, wollte sich fortwinden und konnte doch nicht. Er fühlte, daß er gefesselt war – unten an den Rumpf.

Und da fühlte er zugleich mit dem Pallas-Kopf und mit dem Pallas-Rumpf zusammen – daß er mit Beiden ein einziges Wesen sei – und daß jetzt ein neues Leben für ihn begann – ein Pallas-Leben.

 

Dieser zweite Starrkrampf, der den ganzen Doppelstern gepackt hatte, wirkte noch viel furchtbarer als der erste.

Der Turm klirrte.

Die Sofanti-Musik zerriß plötzlich, da alle Häute mit einem Ruck zerrissen.

Der ganze Pallas-Rumpf bebte noch einmal so heftig, daß auch mehrere Bandbahnen zerrissen.

Doch danach wurde plötzlich Alles ruhig.

Die kometarischen Ausstrahlungen am Turm und in den Trichtern wurden mit einem Male ganz ruhig und leuchteten – die Turmlaterne leuchtete am hellsten – aber auch ganz ruhig.

Die Pallasianer konnten dieses Mal den Schmerz überwinden. Es schrie Keiner.

Biba sagte still:

»Ich glaube, daß sich jetzt alles zusammengeordnet hat. Es wird nicht mehr Erschütterndes kommen. Wir wollen jetzt auch zusammenbleiben und zu unsern Teleskopen fahren. Die zerstörten Bandbahnen müssen wir auch gleich ausbessern.«

Und man besserte die zerstörten Bandbahnen wieder aus und begab sich dann zu den Teleskopen, um die Asteroïden zu beobachten.

 

Lesabéndio aber fühlte ganz anders als einst; er fühlte, daß er allmählich ganz zum Stern wurde. Die Interessen der Pallasianer berührten ihn nicht mehr. Er bemerkte auch, daß er abermals neue Organe bekam – mit der Atmosphäre seines Sterns konnte er allmählich sehen – die Atmosphäre wirkte auf allen Seiten für ihn wie ein kolossales Teleskop.

 

Und dann sprach Lesa mit dem Quikko und mit den Meteorgeistern und auch mit den feinen Wesen, die einst als Spinngewebewolke dem Pallas so helles Licht spendeten.

Darauf fühlte Lesa, daß er mit seinem Doppelstern auch hinüberreichen konnte zu den andern Asteroïden.

Und dort sprach man überall von der Notwendigkeit der gegenseitigen Annäherung.

»Der Asteroïdenring muß ein Einheitliches werden!« sagten Alle, »wir kommen weiter, wenn wir zusammen sind – wie die Geister der Saturnringe. Es wird natürlich noch viele Schmerzen erzeugen.«

Lesa fühlte, wies ihm noch immer in allen Gliedern zuckte.

Aber das ging vorüber.

Und er fühlte nur, wie er sich langsam drehte. Und er fühlte, daß er allen Sternen immer näher kam.

»Wir wollen einander«, sagte er in seinen Gedanken zu sich selbst, »immer näher kommen, wenn auch furchtbare Qualen zu überwinden sind. Es ist doch eine Seligkeit – wenn man sie überwunden hat. Ich fühls. Auch das Sichunterordnen ist sehr schmerzhaft. Aber notwendig ist es doch. Und ich ordne mich so gerne den größeren Sternen unter – besonders der Sonne.«

Und da reckte er kraftvoll seinen ganzen Leib – und er fühlte, daß sein Leib der ganze Pallas-Rumpf war.

Und der Doppelstern drehte sich weiter.

Und die Asteroïden begrüßten den zu neuem Leben erwachten Doppelstern mit glänzenden elektrischen Lichtern.

Lesa träumte, er sei jetzt ganz frei und könne hinkommen, wohin er wolle – er hätte jetzt Sternkräfte.

Und es war ihm dann, als spräche er mit den Saturnringen und mit den Monden des Saturn – und da kam der Quikko und sagte:

»Bleibe bei uns.«

Und da kehrte Lesa zurück.

Und er sah den ganzen Stern Quikko – auch sein Inneres – das war so milde – als wärs aus lauter streichelnden Händen zusammengesetzt.

»Wir kommen immer weiter!« hörte Lesa leise aus dem Quikko heraustönen.

Doch donnernd rief die Sonne dazwischen:

»Wenn wir Schmerz und Tod nicht fürchten!«

Lesa hörte Beides.

Und er drehte sich ruhig weiter und empfand eine große Ruhe. Und es kam ihm so vor, als ginge er leicht hinüber in ein neues Reich, in dem alles ganz sanft hin und her schwankte – wie flüsternde Manesi-Ranken – unten am großen Turm.

»Mit Allen zusammen!« sagte Lesa ganz still.

Und die grüne Sonne strahlte so hell auf – als wäre auch auf ihr ein neues Leben erwacht.


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