Paul Scheerbart
Lesabéndio
Paul Scheerbart

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Sechstes Kapitel

Es wird erst geschildert, was der frisch geknackte Pallasianer von dem Leben erzählt, das er vor seiner Knackung gelebt hat. Dann fahren Dex und Lesabéndio mit dem Labu in dessen kleinstes Atelier und lassen sich dort erklären, mit welchen Mitteln für die Folge die berühmten Knacknüsse aufgefunden werden können. Nachdem die beiden Turmfreunde in zwei Tagen dem Labu neue Arbeiter besorgt haben, fahren sie zum Manesi, der erklären soll, ob für die neu geknackten Pallasianer auch die genügende Anzahl von neuen Schwamm- und Pilzwiesen hergestellt werden kann. Manesi gibt befriedigende Aufklärung, ist anfänglich traurig, doch zum Schluß sehr vergnügt und zeigt seine neuen künstlichen Sonnen.

Nachdem sich der kleine Pallasianer, der erst nach einigen Tagen die ganze Größe der alten Pallasianer bekam, längere Zeit die Augen gerieben hatte, versuchte er zu sprechen, und er sagte mühsam:

»Bom-bim-ba-ri-zapa-zulli-as-as!«

Danach sprachen nun die alten Pallasianer zu dem Kleinen und setzten ihm auseinander, daß er auf dem Stern Pallas sei – und daß er doch Pallasianisch sprechen könnte und nicht in einer Sprache, die kein Pallasianer verstünde – er kenne doch die pallasianische Sprache – er solle sich doch nicht verstellen.

Der Kleine hörte das eine Weile aufmerksam an, spannte die Kopfhaut wie einen Regenschirm auf und sagte langsam:

»Ich verstehe schon, was Ihr sagt. Aber Ihr müßt mir Zeit lassen. Ich war in andern Welten. Wenn ich Euch die beschreiben könnte! Eure Sprache versteh ich.«

Danach rieb sich der Kleine wieder die Augen, machte sie lang zu Fernrohren und blickte ganz erstaunt umher.

So ungefähr benahmen sich alle kleinen, frisch geknackten Pallasianer, und sie konnten wunderbarerweise alle gleich in den ersten Stunden die pallasianische Sprache verstehen und sprechen – es ging anfänglich nur ein bißchen langsam, und manche Ausdrücke fielen ihnen nicht sofort ein, sodaß man ihnen helfen mußte.

Der Kleine, dem jetzt Lesabéndio, Dex und Labu und viele andre Pallasianer zuhörten, wurde nach seinen ersten Worten Bombimba genannt; nach ihren ersten Worten wurden alle Pallasianer genannt.

Bombimba sprach langsam das Folgende:

»Es war mir so in letzter Zeit, als flögen viele Millionen flockenartige Gebilde, die so groß wie meine Kopfhaut sind, mit mir zusammen durch eine warme Luft. Diese flockenartigen Gebilde sprachen zu mir – so wie Ihr sprecht – so wie ich jetzt auch spreche. Sie sprachen sehr lange mit mir, aber ich konnte nicht sehen, wie sie aussahen – ich hörte sie nur und fühlte sie nur. Wir sahen aber sehr große Sterne, die unzählige Arme nach allen Seiten ausreckten – Arme mit vielen langen feinen Fingern. Wir haben auch solche Finger – ich auch.«

Und der Kleine sah sich seine feinen Finger an – dann sah er sich auch seine groben starken Finger an und sagte lächelnd:

»Solche groben Finger hatten die Sterne nicht. Aber jene Kopfhautwesen haben mir unsäglich viel von den großen und von den kleinen Sternen erzählt. Ich habe auch viel vom Pallas gehört, und die Sprache, die man auf dem Pallas spricht, die hat man mir beigebracht. Doch ich lernte auch Dinge kennen, für die man mir keine Worte gesagt hat – das waren große Gluten und Dinge darin, die so flatterten. Da flog vieles mit furchtbarem Krachen auseinander – und danach zog sich wieder alles so zusammen wie eine weiche bewegliche Haut – und da gabs auch Dinge, die Farbe hatten – aber die Farbe war ganz anders, als alle die Farben sind, die wir hier sehen. Es klangen auch Töne an mein Ohr, die ganz anders klangen als Eure Worte und meine Worte. Und ich schwebte dabei so auf der Seite und hörte durch alle Dinge durch – das, was in weiter Ferne lag. Aber ich kann nicht beschreiben, wies klang. Die Worte fehlen mir dafür. Die Kopfhautwesen waren auch bald fort, und ich konnte sie nicht mehr hören. Und dann kam immer wieder das furchtbare Krachen, und so viele Dinge gingen auseinander – blitzschnell; die Teile sausten nur so durch den Raum. Und dann fühlte ich einen Stich in meinem Körper, und ich flog hoch empor. Und dann sah ich Euch.«

Da erzählten die alten Pallasianer dem jungen, wie sie ihn geknackt hätten. Und darüber lachte der junge, machte sich ganz klein und schnellte sich dann hoch empor in die violette Himmelsluft.

Die ersten Erzählungen der frisch geknackten Pallasianer wurden immer aufgeschrieben; jeder der kleinen Pallasianer hatte immer etwas ganz Neues zu erzählen, was sich mit dem der andern kleinen nicht vergleichen ließ.

Viele Pallasianer beschäftigten sich nur mit diesen ersten Erzählungen, die sehr viel zur Kenntnis der wesentlichen Natur der Pallasianer beitrugen – aber auch unzählige neue Rätsel aufgaben; keiner der Frischgeknackten hatte so die Sprache der Pallasianer kennen gelernt wie der andre – und Alle faßten das Krachen der Hammerschläge als etwas Andres auf.

Und dann schilderten die Kleinen die Welten, in denen sie gelebt hatten, immer so, daß die alten Zuhörer die Empfindung bekamen, jeder von diesen Kleinen wäre ganz wo anders gewesen als der nächste. Der eine hatte unendlich lange Zeiten in langen Röhren gelebt und sprach immerzu von den weiten Perspektiven in diesen Röhren – der nächste kannte nur Wolken, die sich feucht anfühlten – dann sprach wieder ein andrer von flackernden Flammen, die man auf dem Pallas garnicht kannte, wohl aber auf anderen Sternen sah. Auch behaupteten viele Kleine, sie hätten in Wassermassen gelebt, die man auch nicht auf dem Pallas sehen konnte – die Vorstellung von Flüssigkeiten in größeren Massen erhielten die Pallasianer nur durch die Betrachtung einiger in der Nähe befindlichen Asteroïden, auf denen Alles anders war als auf dem Pallas.

Labu wurde nun von Dex und Lesabéndio gebeten, Näheres über die Auffindbarkeit der berühmten Knacknüsse mitzuteilen.

Und der Labu führte die Beiden in sein kleinstes Atelier; er hatte zehn Ateliers – fünf in den Wänden des Nordtrichters und fünf in den Wänden des Südtrichters.

Das kleinste Atelier befand sich im Nordtrichter und war nur eine Viertelmeile hoch und ebenso breit – und nur eine einzige Meile lang.

Hier war die wichtigste Arbeitskammer des Labu; hier stellte er hauptsächlich neue Flüssigkeitsmischungen her.

Aber der Stern Pallas war ein sehr fester, harter – trockner Stern, auf dem es garnicht so leicht war, die Stoffe in die Flüssigkeitsform hinüberzuführen. Und so befanden sich die Flüssigkeitsquantitäten im schreiendsten Gegensatz zu der kolossalen Größe der Apparate, mit denen die Flüssigkeiten hergestellt wurden.

In diesen Apparaten spielten nur elektrische und magnetische Kräfte und diejenigen Kräfte, die mit diesen beiden eng verwandt waren, eine Rolle; das flackernde Feuer, das auf andern Sternen so vielfach in die Entwicklung eingriff, konnte auf dem Pallas nicht erzeugt werden; das lag an der eigentümlichen Komposition der Atmosphäre.

Als nun der Labu gefragt wurde, mit welchen neuen Mitteln er eine Entdeckung der berühmten Knacknüsse herbeiführen könnte, äußerte er sich folgendermaßen:

»Unser Stern Pallas ist sehr hart, und wir können seinen harten Gliedmaßen nur sehr schwer beikommen. Auf andern Asteroïden ist es dem Rindenbewohner zuweilen viel leichter, ins Innere der Sterngliedmaßen zu gelangen – besonders dann, wenn es möglich ist, das freie, hell flackernde Feuer zu erzeugen, das wir nicht erzeugen können auf unserm Stern, da ja die Komposition unsrer Atmosphäre dieses ganz unmöglich macht. Und das Schlimmste in unsrer Feuerlosigkeit ist, daß wir durch diese auch verhindert werden, Sprengstoffe herzustellen. Wir können wohl alles Mögliche zum Glühen und Leuchten bringen – aber die helle Flamme ist uns nicht gegeben. Und so können wir nichts in einfacher Art vernichten, um hinter dem Vernichteten in andre Sphären zu dringen.«

»Daß«, meinte nun Dex, »wir nichts vernichten können, ist auch ein Vorzug unsres Sterns; wir müssen unsern Stern sehr hochschätzen, daß er uns nicht gestattet, etwas in seinen Gliedern zu vernichten. Könnten wir das, so müßten wir annehmen, daß diese Glieder noch keine abgeschlossene, vollendete Form erhalten haben.«

Lesabéndio schüttelte erregt die Finger eines seiner rechten Arme in der Luft herum und sagte ungeduldig:

»Wir wollen aber nicht vom Thema abkommen; Labu will uns doch nur sagen, ob es ihm gelungen ist, mehr Knacknüsse zu entdecken als bisher.«

Der Labu wies mit allen Armen seiner rechten Körperseite auf seine vielen großen Maschinen und Apparate und sagte langsam:

»Wenn Ihr wüßtet, wieviel ich in den letzten Tagen gearbeitet habe, so würdet Ihr nicht so ungeduldig sein. Jawohl, es ist mir gelungen, fünfundachtzig verschiedene Flüssigkeiten herzustellen, und von diesen ist eine einzige so beschaffen, daß sie auf Pallasblei reagiert. Wenn ich nun mehr von dieser Flüssigkeit herstelle – und das wird mir gelingen, so können wir an allen Wänden gleich feststellen, ob wir da auf eine Bleiader stoßen werden.«

»Das ist ja großartig!« rief Lesabéndio.

Aber der Labu sagte lächelnd:

»Und außerdem weiß ich jetzt, daß meine Flüssigkeit, die sonst immer rot aussieht, bläuliche Flocken erhält, wenn –«

»Nun sprich doch!« rief der Lesabéndio.

»Das tu ich«, erwiderte Labu lächelnd, »erst dann, wenn Du Dir die Ungeduld abgewöhnt hast.«

Da lächelten alle Drei, und sie schwiegen ein paar Augenblicke. Und dann sagte der Labu:

»Wenn die bläulichen Flocken kommen, dann sind auch Nüsse im Blei; das weiß ich jetzt ganz genau; dreimal hats gestimmt; es wird auch öfter stimmen – immer stimmen.«

Da reckten Lesabéndio und Dex ihre Körper hoch auf – und dann beglückwünschten sie den Labu – und erzählten ihm nun, wie nötig es wäre, mehr Nüsse zu finden, um Arbeiter für den großen Nordtrichterturm herbeizuschaffen.

Da rief aber der Labu in all die Begeisterung hinein:

»Langsam müssen wir fahren; ich habe erst anderthalb Liter von meiner neuen Flüssigkeit hergestellt. Besorgt mir Arbeiter, daß ich mehr herstellen kann – denn mit anderthalb Litern ist nicht viel zu machen.«

Und darauf erklärte er die Arbeiten an seinen neuen Apparaten, und Dex und Lesabéndio hatten danach zwei Tage und zwei Nächte zu tun, um eine größere Anzahl von Pallasianern zu veranlassen, das Laboratorium des Labu aufzusuchen und dort an dessen neuen Apparaten zu arbeiten.

Nachdem das die beiden Turmfreunde getan hatten, begaben sie sich zum Manesi.

Der Manesi war ganz allein auf dem Pallas imstande, darüber zu entscheiden, ob die neuen Knacknüsse, die man in größerer Anzahl zu finden hoffte, geknackt werden durften – oder nicht.

Wars dem Manesi möglich, die Pilz- und Schwammwiesen zu verzehnfachen, so konnten auch zehnmal soviel Pallasianer als bisher sich auf dem Pallas ernähren. Konnten die nahrhaften Wiesen nur verfünffacht werden, so konnten nur fünfmal soviel Pallasianer als bisher auf dem Stern Pallas leben.

Manesi empfing den Dex und Lesabéndio mit ganz traurigen Worten.

»Ja«, sagte er, »ich weiß schon, warum Ihr zu mir kommt. Ich soll Euch helfen. Und ich will Euch natürlich auch helfen. Wir helfen ja immer einander; alle Pallasianer tun das; und ich wäre kein echter Pallasianer, wenn ich nicht auch Euch helfen wollte. Aber wenn ich Euch helfe, zerstöre ich meine Lieblingsgedanken. Und das werdet Ihr nicht so ohne Weiteres wollen. Ihr werdet Rücksicht nehmen auf das, was mir das Teuerste ist.«

Dex und Lesabéndio beteuerten natürlich, daß sie keineswegs die Lieblingsgedanken des Manesi zerstören möchten. Das klang aber nicht so, daß der Manesi dadurch beruhigt wurde.

Die Drei saßen in Manesis größtem Atelier; Manesi hatte zwanzig Ateliers; das größte lag tief unten in den Wänden des Südkraters. In dem Atelier waren sehr viele neue Pflanzen zu sehen. Die Pflanzen hatten nicht alle rundliche Ballons an Stelle der Blüten – es gab auch Pflanzen mit ganz dünnen scheibenförmigen Ballons, und diese hatten an den Rändern der Scheiben lange spitze Stacheln.

Alle diese Ballons konnte der Manesi durch ein künstliches Mittel jederzeit aufblasen und im Innern phosphoreszierend machen, daß es im Innern flackerte und flirrte in unzähligen Farben.

Das künstliche Mittel, mit dem das hergestellt wurde, was draußen im Trichter nur während der Nacht möglich wurde – bestand in einer besonders gedämpften Beleuchtung von allen Seiten.

»Pilze und Schwämme«, sagte der Manesi, »kann ich in andrer Weise zum intensivsten Leben künstlich reizen: durch eine kolossale Lichtfülle! Und so ist es mir möglich, die Ballonblumen, die sonst nur nachts wachsen, auch am Tage wachsen zu lassen – durch ein besonders gedämpftes Licht. Und andrerseits kann ich die Pilze und Schwämme auch in der Nacht wachsen lassen – durch ein außerordentlich helles Licht.«

»Das ist ja großartig«, rief der Lesabéndio, »dann können wir ja Pilze und Schwämme in allen Höhlen und Ateliers wachsen lassen – dann können wir ja die Zahl der Pallasianer verzwanzigfachen.«

»Ich weiß, wie Ihr seid«, sagte der Manesi, »Ihr bedenkt aber nicht, daß unser Stern wahrhaftig nicht interessanter wird, wenn wir überall nur Pilz- und Schwammwiesen anlegen. Ihr zerdrückt mit Eurem großen Turm alle künstlerischen Errungenschaften der Pallasianer. Wo soll ich denn meine neuesten Ballonpflanzen hinbringen?«

»In die Gerippe unseres Turms!« rief da der Lesabéndio stürmisch und reckte sich hoch auf.

Da sah der Manesi plötzlich ganz lustig ins Weite und rief lachend:

»Das geht allerdings; es sind alles Rankengewächse.«

Und dann führte Manesi die beiden Turmfreunde in seine Lichthöhle und ließ dort alle seine neuen Sonnen auf einmal aufleuchten.

Dex und Lesabéndio schlugen schnell die Kopfhaut vorn zusammen; so blendete das Licht der neuen Sonnen.


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