Paul Scheerbart
Lesabéndio
Paul Scheerbart

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Neunzehntes Kapitel

Nuse gibt den Rat, die Stangen für das nächste Stockwerk auf der Außenseite der Laterne hinaufzuführen. Manesi und Labu werden vermißt. Manesis Auflösung verbreitet Mißstimmung. Labu stellt mit Bombimba ein Pallas-Modell her, das mit Hilfe von hundert andern Pallasianern auf die Ampel hinaufbefördert wird. Als das nächste Stockwerk aufgerichtet und der ganze Turm jetzt neun Meilen hoch aufragt, verbreitert sich die Lichtwolke und kommt in einer Nacht, obschon sie dunkel wird, nicht hinunter, bleibt tellerartig oben. Und die Sterne sind des Nachts zu sehen. Ein Spiegelstern zieht vorüber am Pallas. Lesabéndio wird müde und will, daß das letzte Stockwerk schnell aufgeführt wird.

Oben in der Laterne wurde nun die Aufregung immer größer. Die Lichtwolke war am Tage nicht mehr volle zwei Meilen von der Turmspitze entfernt; hätten sich die Pallasianer nicht durch ihre Kopfhaut schützen können, so wäre der Glanz der Lichtwolke unerträglich gewesen.

Die Haut, die oben die horizontale Seite der Laterne von der freien Luft abschloß, hatte an vielen Stellen durchsichtige Hautplatten, die teilweise verdunkelt einen freien Blick auf die Wolke auch am Tage gestatteten. An vielen Seilen hingen viele Pallasianer unter der oberen Laternenhaut, blickten nach oben und berechneten die Entfernung, die bald ganz genau bestimmt war.

Der Durchmesser der Laterne betrug jetzt oben nur noch dreitausend Meter.

Man wollte weiterbauen – abermals eine Meile hoch höher steigen.

Das war nicht so einfach, da die Nähe der Lichtwolke jetzt viel gefährlicher erschien als in den unteren Stockwerken; obschon sich die Wolke in respektvoller Entfernung hielt, hatte sie doch eine abstoßende Kraft, der man sich jedenfalls nicht mit den Gliedern des Körpers aussetzen durfte.

Da machte Nuse, der sich für den großen Lichtturm mit seiner riesenhaften Laterne am meisten begeisterte, folgenden Vorschlag.

»Wir haben«, sagte er, »bei den letzten Etagen unsre Stangen nur mit Mühe nach oben bringen können, da wir die Stangen, die eine Meile lang sind, nur im Innern der Laterne hinaufführten. Das Umkippen der Stangen ließ sich nicht durchführen, da ja die Laterne im Querschnitt einen Durchmesser hat, der nicht eine halbe Meile beträgt. Darum schlage ich vor, das nächste Stockwerk anders zu bauen. Wir können doch die Stangen von außen hinaufführen – und zwar gleich mit der Haut zusammen; die kann gleich unten rechts und links von den Stangen in der nötigen Breite angebracht werden. Dann haben wir schließlich nur das oben abschließende, horizontal gelagerte Hautstück eine Meile hoch hinaufzuschieben – und das nächste Stockwerk ist fertig und oben gleich wieder abgeschlossen. Das Anbringen der Räder und Rollen auf der Außenseite der Laterne wird nicht große Schwierigkeiten bereiten, da wir ja nicht zu fürchten brauchen, hinunterzufallen; unsre Körper bleiben ja fast mühelos durch ein paar Flügelschläge lange in derselben Höhe.«

Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Dex und Sofanti gingen sofort an die Arbeit. Und viele Pallasianer meldeten sich, die die Räder und Rollen an der Außenseite der Laterne befestigen wollten. Die neuen Turmstangen wurden unten gleich mit weiteren Rädern und Rollen an der Außenseite versehen, sodaß auch die Aufführung des letzten Stockwerks ganz mechanisch ohne weitere Handarbeit arrangiert werden konnte.

Als nun die Arbeiten ruhig und sicher oben zur Ausführung gelangten, fiel es plötzlich auf, daß Manesi und Labu nicht mehr sich sehen ließen. Und man vermutete, daß sie Beide dem Beispiele des Peka gefolgt seien, zumal Lesabéndio ebenfalls nicht sichtbar wurde. Als dieser schließlich kam und nur vom Manesi erzählte, waren Viele mißgestimmt. Man konnte sich aber nicht erklären, wo sich der Labu versteckt hielt – mit ihm war auch Bombimba verschwunden. Und man suchte sie.

Die beiden Verschwundenen befanden sich aber in einem der größten Ateliers des Labu im Südtrichter. Dort hatte der Labu eine kolossale Steinkugel von dreißig Metern Durchmesser aufbewahrt. Von dieser Kugel schnitten die Beiden oben und unten eine Kappe ab und machten dann oben und unten zwei Trichter, sodaß das Ganze ein Modell des Pallasrumpfes darstellte. An diesem Modell wollte Labu alle seine künstlerischen Absichten zeigen. Die Beiden zeigten an verschiedenen Stellen, wie die Trichterwände durch kugelartige und auch durch unregelmäßige hügelige Formen am besten belebt werden könnten, wenn man nicht verschmähen würde, stark wirkende Farben aufzutragen.

Labu sagte öfters:

»Ich verstehe nicht, warum der Peka immer sagte, daß rhythmische Gliederung nur durch Ecken und Kanten und besonders durch rechteckige Formen herzustellen sei. Warum soll Rhythmus nicht auch mit komplizierten, gewundenen Kurven deutlich zu machen sein? Wir sind wohl alle etwas einseitig. Ich will ja das Rechteckige garnicht ausschließen, bevorzuge allerdings auch immer nur die gekrümmte Linie. Doch so halsstarrig wie Peka bin ich nicht. Und deshalb fällt es mir garnicht ein, an der künstlerischen Zukunft der Pallasianer so zu verzweifeln wie der Peka.«

Die suchenden Pallasianer fanden nun schließlich die Verschwundenen, als sie grade eifrig an ihrem Modell arbeiteten.

Als Labu von Manesis Auflösung hörte, wurde er fast zornig und sagte:

»Das ist doch wahrhaftig nicht vernünftig. Ich denke wahrlich nicht daran, zu verzagen. Und um das den Pallasianern zu beweisen, möchte ich mein Modell oben auf der Ampel anbringen – über der Mitte – frei schwebend – nur von Stricken gehalten. Da soll man sehen, daß ich nicht wie Peka und Manesi bin. Ich verzage nicht so leicht. Wenn der Turm fertig ist, kommen auch andre Zeiten. Und da wird man abermals der Kunst, wenn man sie jetzt auch noch immer in die Ecke stellt, ein neues Rückgrat verschaffen. Nun handelt sichs nur darum, das etwas schwere Modell hinaufzutragen.«

Die Pallasianer freuten sich über diese Rede des lebensfrohen Labu außerordentlich und wollten gleich ein paar hundert andre Pallasianer veranlassen, das Hinauftragen des Modells nach Kräften zu fördern.

Und es kamen auch achtzig hilfsbereite Freunde des Labu unten in seinem großen Atelier an.

Man brachte das Modell mit Rädern auf Eisenschienen hinaus, löste ein paar Magnetbahnen auf, knüpfte das Modell an die dadurch frei gewordenen Seile und zog an diesen den kleinen Trichterstern durch das Centralloch durch – so, daß er nicht an die Wände des großen Pallas herankommen konnte. Und dann stieg die schwere Steinmasse – von mehreren Seiten an den Seilen in der Mitte gehalten – nach oben empor, ohne daß man weitere Mühe hatte.

Oben auf der Ampel wurde das Modell frei schwebend angebracht – nur durch ein paar Seile gehalten, daß es nicht höher steigen konnte.

Das Attraktionscentrum rückte zeitweise immer höher hinauf. Doch dann sank es auch wieder mehr hinunter, sodaß man die Ampel zuweilen wieder hängend sah wie am Anfange, als sie angehängt wurde – in diesem Falle mußte das Modell durch Stangen gestützt werden.

Labus Modell machte aber wenig Eindruck auf die oben befindlichen Pallasianer – die dachten fast alle nur an die große Lichtwolke.

Die große Lichtwolke veränderte sich, als das nächste Stockwerk der Laterne fertig in die Höhe gerichtet dastand. Jetzt ragte der Turm schon neun Meilen hoch auf. Seine Spitze war von der Wolke nur noch sechstausendundfünfundfünfzig Meter entfernt. Es schien so, als würde die Wolke ganz unruhig, am Tage zeigte sie oft schwarze Flecke, und des Nachts wurde sie immer breiter. Und eines Abends kam sie nicht mehr hinunter wie sonst. Die Wolke wurde dunkel, breitete sich aber plötzlich nach allen Seiten aus – wie ein flacher Teller.

Man erschrak.

Alle glaubten, jetzt würde gleich etwas Fürchterliches geschehen. Eine Nacht gabs auf dem Pallas, in der alle Sterne zu sehen blieben – grün funkelten sie am violetten Himmel.

Die Sonne leuchtete so hell, daß eine Dämmerungsstimmung entstand, in der die vielen elektrischen Lampen und die Lichttürme des Pallas – besonders der große – sehr seltsam und geheimnisvoll wirkten.

Eine derartige Zwielichtbeleuchtung war den Pallasianern ganz neu.

Um Labus Modell kümmerte sich nun Niemand mehr – selbst Labu selber nicht.

Als sich die Wolke dann gegen Morgen wieder zusammenzog, wurde sie allmählich wieder hell und leuchtete wie sonst.

Alle Pallasianer hatten in dieser seltsamen Dämmerungsnacht nicht geschlafen.

Jetzt aber wurden sie müde und suchten die Pilzwiesen auf – besonders die in den dunkeln Höhlen, wo das Tageslicht nicht hinkonnte.

 

In der nächsten Nacht schwebte neben dem Pallas – ganz in dessen Nähe – ein seltsamer Asteroïd vorüber. Der hatte an der Seite, die er dem Pallas zukehrte, einen zwei Meilen langen, ganz glatten Metallspiegel.

In diesem Metallspiegel spiegelte sich der ganze Pallas – und da sah man erst, wie magisch und geheimnisvoll der große Lichtturm mit seiner hohen Laterne wirkte.

Alle Pallasianer waren entzückt und gaben dem Spiegelstern Zeichen mit Scheinwerfern.

Auf dem Spiegelstern sah man danach plötzlich ebenfalls eine Menge Scheinwerfer hervorbrechen. Und der Spiegel wurde dabei karminrot.

Da veränderten die Pallasianer alle Farben in ihren Lichttürmen durch anders gefärbte Hautstreifen.

Und gleichzeitig geschah das auch auf dem Spiegelstern.

Biba wollte eine Zeichensprache durch Scheinwerfer deutlich machen. Es gelang aber nicht. Der Spiegelstern entfernte sich und zeigte dabei eine andere Seite seines Sternkörpers, die so aussah wie ein Gewirre von unzähligen bunten glitzernden Schlangen.

 

Nun dachte man daran, das nächste Stockwerk anzusetzen.

Doch Dex und Nuse wurden ängstlich.

Sofanti sagte:

»Was dann geschieht, wenn die Stangen mit den Häuten die Wolke oben direkt berühren – das können wir nicht wissen. Ich glaube, die Wolke wird sich dann ganz und gar auseinandertun. Wir stehen jedenfalls vor dem größten Ereignis unsres Lebens.«

»Es wäre«, fuhr er dann später fort, »doch wichtig, daß wir jetzt hörten, was Lesabéndio zu dem Ganzen sagt.«

Lesabéndio aber schwieg.

 

Biba kam nun in Lesabéndios Nähe und sagte leise:

»Lesa, Du beunruhigst mich. Warum sprichst Du nicht? Sollen wir weiterbauen? Oder sollen wirs vorläufig lassen? Du mußt Dich doch jetzt äußern. Deinetwegen ist doch der ganze Turm gebaut. Ich verstehe Dein Schweigen nicht. Sprich doch. Was fehlt Dir?«

Da sagte Lesa müde:

»Quält mich doch nicht mit Fragen. Baut doch weiter. Es eilt.«

Da baute man weiter.


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