Paul Scheerbart
Lesabéndio
Paul Scheerbart

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Zwölftes Kapitel

Die kleinen Quikkoïaner zeigen, was sie können. Der Nax tut sich ganz besonders hervor. Die weiche Natur der Quikkoïaner steht zur harten der Pallasianer in schroffem Gegensatz. Das zweite und das dritte Stockwerk des Turms werden gebaut. Peka ist sehr unglücklich, daß er bei einer Arbeit bleiben muß, die für seine Ideen wertlos ist. Nax will ihn trösten – das gelingt ihm aber nicht. Nax hat Mitleid mit dem Peka und will den Sofanti verhindern, seine Häute auszuspannen, die gegen die Spinngewebewolke, von der die Arbeit oben behindert wird, einen Schutz bilden sollen. Es gelingt aber dem Nax, den Sofanti vom großen Plan abzubringen, ebenfalls nicht. Dagegen gelingt dem Sofanti, die Häute so stark zu machen, daß sie von der Spinngewebewolke nicht mehr zerrissen werden können.

Und alles lachte über Labus Tränenspaß, und der Peka mußte immer mitlachen, was ihm schließlich etwas schwerfiel.

Aber den kleinen faustgroßen Quikkoïanern machte es den allergrößten Spaß, daß die Tränen der größten Wut und des größten Schmerzes zur Heilung kranker Gliedmaßen benutzt werden konnten.

Peka und Labu hatten daher immer einen der Quikkoïaner am Halsbande. Deren lustige ziel- und sorgenlose Gemütsart erheiterte die Pallasianer. Der kleine Nax war ganz besonders ausgelassen; er arrangierte immer wieder etwas Neues.

»Wir sind an Eure große Schwerfälligkeit«, sagte er zwitschernd, »noch nicht gewöhnt. Auf dem Quikko haben wir uns niemals Mühe gegeben, etwas zu verbessern oder auszubauen. Daran dachten wir nie. Der Pallas ist ein ganz besondrer Stern. Der verändert sich nicht so leicht; er ist sehr hart und trocken und undurchsichtig. Der Quikko dagegen ist sehr weich, gallertartig und durchsichtig. Letzteres allerdings nur, wenn er will. Aber wir sind ebenso wie unser Stern – auch so leicht veränderlich wie er.«

Und dann gab er seinem kleinen Körper die Tonnengestalt des Sterns Pallas und wurde undurchsichtig und bekam blaue Flecke und ein Loch in der Mitte und oben und unten zwei kleine Trichter. Von dem Kopf des Quikkoïaners war dabei nichts zu sehen.

Die Pallasianer starrten das Wunder mit Mikroskopaugen an. Der Nax drehte sich und schwebte frei in der Luft. Das machte natürlich auf dem ganzen Pallas großes Aufsehen. Und der Peka interessierte sich so sehr dafür, daß man zwei Tage und zwei Nächte den großen Turmbau auf dem Nordtrichter gänzlich vergaß.

Es hätte nun nicht viel gefehlt – und die Gedankenrichtung der Pallasbewohner wäre durch die kleinen Gäste bald in eine ganz andre Richtung gekommen.

Lesabéndio erkannte die Gefahr und sprach darüber mit dem Biba, und der sagte:

»In diesem Nax steckt zweifellos ein kleiner Spötter. Aber er kann nicht alles, was er will. Er hatte mir schon längst von dieser Umwandlung seines Körpers erzählt. Er wollte auch über sich ein kleines Kometensystem erzeugen, um ganz dem Pallas ähnlich zu sehen. Aber das ist ihm glücklicherweise nicht gelungen. Die Kleinen kriegen es immer fertig, sich lustig zu machen – über alles Mögliche. Aber es hat seine Grenzen. Eine Gefahr für unsern Turm besteht aber in diesen Verwandlungskünstlern, die uns eigentlich sehr scharf verspotten.«

Darin hatte nun der gute Biba Recht, denn die Quikkoïaner gaben immer wieder andre Umwandlungen ihres Körpers zum Besten. Sie übten sich darin, wenn sie unter sich waren – hauptsächlich dann, wenn die Pallasianer schliefen; die Kleinen vom Quikko brauchten sehr wenig Schlaf – konnten außerdem immer schlafen, wenn sie wollten – sie wurden dabei zur runden undurchsichtigen Kugel.

»Wir«, sagte Lesabéndio, »quälen uns, um eine Umwandlung unsres Sterns hervorzubringen, ganze Jahrhunderte hindurch. Und diese Kleinen wandeln sich alle Tage um – bald sehen sie aus wie ein kleiner Pallasianer – dann ähneln sie wieder unsern Glühwürmern – dann werden sie zu Ballonpflanzen – dann zu Kreisringen, die sich um unsre Stirn und um unsern Leib schnallen können wie ein Gurt. Man könnte die Kleinen beneiden. Was wir mit schmerzlichstem Selbstüberwinden kaum erreichen – das machen die zum Spaß – aus Laune. Wir müßten die Kleinen beschäftigen, damit sie die Unsrigen nicht ablenken.«

Biba sagte dazu:

»Nax müßte dem Peka am Halse bleiben, um ihn zu erheitern, Manesi und Labu müssen auch ihre Leib-Quikkoïaner bekommen. Ich werde versuchen, die Kleinen zu überreden. Peka wird uns ganz bestimmt bald sehr gefährlich werden. Auf uns hören ja die Kleinen. Ich bin übrigens sehr sehr ungeduldig und möchte, daß wir den Bau des nächsten Stockwerks noch heute in Angriff nehmen. Bist Du nicht auch der Meinung?«

»Sofort müßten wir«, versetzte Lesabéndio lebhaft, »mit dem Weiterbau beginnen. Ich kanns kaum noch erwarten. Aber Du mußt erst die Kleinen für unsre Arbeit wieder mehr zu interessieren suchen. Sie haben uns ja schon so viel dabei geholfen. Das wollen wir nicht vergessen. Die einmütige Abstimmung auf dem Modellturm wäre ohne die Kleinen nicht möglich gewesen.«

Nun tat Biba, wie Lesabéndio wollte. Und dann begann man am nächsten Tage mit dem zweiten Stockwerk.

Dex war der Meinung, daß man das zweite Stockwerk so schräg wie möglich ansetzen müsse, um an Kaddimohnstahl in den höheren Stockwerken zu sparen.

Der Turmbauer Nuse führte eine Verbesserung der Maschinen ein, mit denen der Stahl aus dem Innern des Sterns herausgezogen werden mußte. Und auch die Maschinen, die den Stahl zu den Höhen emporbrachten, wurden verbessert.

Und so ging dieses Mal die Arbeit viel schneller, und Verletzungen beim Halten und Befestigen der Stahlschienen kamen garnicht mehr vor.

Nach dreiundfünfzig Tagen und Nächten war auch das zweite Stockwerk fertig – wie ein schräges Dachgestell ragte es über dem Nordtrichter zur Mitte zu.

Die Pallasianer waren wieder alle sehr ermüdet und wollten eine größere Pause haben.

Aber Lesabéndio und Biba waren unruhiger und ungeduldiger als bisher. Auch Dex und Nuse waren sehr ungeduldig und wollten nichts von einer Pause wissen. Sofanti war der ungeduldigste von allen, er sagte:

»Jetzt müssen wir aber endlich wissen, ob uns die große Spinngewebewolke gefährlich werden kann. Wenn das wäre, müßte ich für riesige Hautmassen sorgen, damit wir so dem Spinngewebe gegenüber geschützt sind. Ob das mit den Häuten, die ich herstellen kann, möglich ist, das weiß ich natürlich noch nicht. Aber wir werden es wissen, wenn wir nochmals ganz schräge das dritte Stockwerk ansetzen. Darüber müssen wir endlich ins Klare kommen. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Und es gelang dem Sofanti und seinen Freunden, die Andern zu überreden. Und man setzte das dritte Stockwerk auf die beiden andern – so schräge wie möglich.

Und als die ersten vier Türme fest saßen, kletterten einige Pallasianer beim Nachtanbruch hinauf – und da mußten sie der großen Spinngewebewolke weichen – ganz oben konnten sie nicht bleiben. Nun kam wieder eine neue Bewegung in die Bauleute. Sofanti hatte Recht gehabt.

Jetzt handelte es sich zunächst darum, auszuprüfen, ob die Sofanti-Häute vor der Wolke schützten. Um das auszuprüfen, mußte man noch mehr Türme bauen. Und man baute schließlich mit der größten Heftigkeit alle vierundvierzig. An den oberen Teilen konnte nur am Tage gebaut werden. Nun waren die Spitzen der obersten Türme miteinander zu verbinden. Und das beanspruchte sehr lange Zeit, da beim Herannahen der Wolke alle Bauleute wieder runterkommen mußten.

Nach hundert Tagen und Nächten wußte man immer noch nicht, ob die Sofanti-Häute genügenden Schutz zum Weiterbauen gewähren würden.

Und der Peka wurde immer ungeduldiger. Aber seine Ungeduld war von andrer Art als die von Lesabéndio, Biba, Dex, Nuse und Sofanti. Diese konnten beim Turmbau ihre künstlerischen Ideen einigermaßen zur Geltung bringen, Peka aber sah, daß er ganz kaltgestellt war. Und Labu und Manesi sahen, daß es ihnen ebenso ging wie dem Peka.

Der kleine Nax gab sich die größte Mühe, den Peka zu trösten. Aber Naxens Verwandlungsscherze erzielten bald nicht mehr die Wirkung wie bisher. Peka wurde immer trauriger.

Die Quikkoïaner hatten mittlerweile gelernt, ihrem Körper kleine Flügel zu geben, mit denen sie sich ganz frei in der Luft halten und somit vor dem Gesicht des Pallasianers sprechen konnten, wenn dieser oben mit dem Lenken und Befestigen der Kaddimohnstahlstangen beschäftigt war.

In einer solchen Situation sagte der Nax zum Peka hoch oben drei Meilen über dem Nordtrichter, als hell die Spinngewebewolke herunterglänzte, während die Sterne ringsum smaragdgrün im dunkelvioletten Himmel funkelten:

»Lieber Peka! Ich verstehe den Eigensinn nicht. Wenn man sich auch Hunderte von Jahren damit befreundet hat, die Zukunft seiner Umgebung nur in einer harten, kantigen Brillantenarchitektur zu erblicken, so kann man doch, wenn man einsieht, daß die Ausführung dieser Idee nicht gut möglich ist, ganz gemütlich darauf verfallen, sich die Sache in der Phantasie auszumalen und die Wirklichkeit zu lassen, wie sie grade ist. Ich verstehe nicht, warum man eigensinnig grade die Ausführung im großen Maßstabe will, wenn man sie im kleinen Maßstabe haben kann. Der ist doch auch etwas. Unsre Phantasie ist doch auch was Reales. Wie kann man nur so eigensinnig sein wie Du und wie Labu und Manesi, die auch immer jammern. Auf dem Quikko jammerte man nie. Da wollte keine Seele das, was sie nicht konnte. Man wollte nur das, was man konnte.«

»Jawohl«, versetzte Peka, »aber das hat Euch auch grade so weit gebracht, daß Ihr gar keine höheren Ziele kennen lerntet. Ihr habt auch niemals gewußt, was es heißt, nach unsäglichen Mühseligkeiten endlich sein Ziel zu erreichen. Ihr seid immer sehr zufrieden. Aber dafür habt Ihr auch niemals stärkere gewaltigere körpervernichtende Seligkeiten kennen gelernt. Ihr lebt hier immer nur als Zuschauer und als Spaßmacher und seid dabei ganz zufrieden. Was wir aber bei dieser nervenzerstörenden Arbeit empfinden, davon habt Ihr gar keine Ahnung. Du weißt nicht, was ich leide. Und Du wirst meinen Schmerz niemals verstehen.«

Der kleine Nax wußte nicht recht, was er sagen sollte. Schließlich meinte er ganz treuherzig:

»Du, ich werde dem Lesabéndio und dem Biba auseinandersetzen, daß sie doch die ganze Turmgeschichte aufgeben müßten. Wenn höher hinaufgebaut werden sollte, so würde doch alles durch die Spinngewebewolke zerstört werden. Die Sofanti-Häute würden nichts nützen. Das werde ich sagen. Und dann kannst Du unten Brillantenarchitektur machen. Du hast dem Lesabéndio und Biba geholfen, solange es ging. Sie müssen Dir dafür auch helfen, solange es geht. Und dann wirst Du Deinen Schmerz los und wirst wieder so lustig wie ich. Ich kanns garnicht ansehen, wenn Einer so traurig ist wie Du. Ich gebe ja gerne zu, daß ich nicht die stärksten Seligkeiten kenne – aber wenn ich die mit so viel Qualen erkaufen soll wie Du – dann will ich sie lieber niemals kennen lernen. Das kannst Du mir glauben.«

»Du bist eben«, erwiderte Peka, »ein kleiner Flachkopp und hast keine Knochen im Leibe wie die harten Pallasianer. Ich möchte wieder nicht so leicht veränderlich und so wenig fest wie Du sein – das kannst Du mir auch glauben.«

Sie sprachen noch lange so weiter, und der kleine Nax flog zum Sofanti und setzte ihm auseinander, daß seine Häute wohl nicht genügenden Schutz den Wolken gegenüber gewähren würden.

Da kam aber der Kleine schön an.

»Dann machen wir«, sagte Sofanti lachend, »die Häute immer dicker, bis sie gut sind. Die Häute werden ja trotzdem durchsichtig bleiben. Du willst wohl die Pallasianer verleiten, von ihrem Plan abzukommen; der Peka scheint Dir mit seinen Tränen ein wenig imponiert zu haben. Aber glaube nur: wir schätzen jeden Pallasianer, aber deswegen schätzen wir doch unsre Ideen noch viel mehr als alles andre. Da gibt es keine Rücksichten. Wenn wir was wollen, setzen wir das auch durch – mag kommen, was da will. Auch vor den Tränen der Andern haben wir keine Angst. Das, was von uns einmal als richtig erkannt worden ist, das muß zum Durchbruch kommen. Wir verändern unsre Ideen nicht. Wir haben keinen veränderlichen Leib wie Ihr. Und wir haben auch keinen veränderlichen Kopf wie Ihr. Wir können nicht heute dieses und morgen jenes wollen. Wir bleiben immer in derselben Richtung, wenn auch die ganze Welt untergeht.«

»Seid Ihr aber hart!« rief da der kleine Nax aus, und er flog zum Lesabéndio und wollte ihn überreden, die Turmgeschichte aufzugeben – doch er fand die richtigen Worte nicht und wagte es schließlich garnicht, den Mund aufzutun.

Und beim Biba ging es ihm ebenso.

Und dann wurden die Sofanti-Häute oben drei Meilen über dem Nordtrichter ausgespannt. Und – sie rissen entzwei.

Aber Sofanti ließ stärkere Häute hinaufbringen – und die rissen abermals entzwei.

Der kleine Nax lachte und rief, während er sich in ein zwanzig Quadratmeter großes Hautstück umwandelte – ein ganz neuer Scherz, auf den er sehr stolz war:

»Lieber Sofanti, vielleicht verwendest Du die Quikkoïaner als Schutzhüllen. Wir opfern uns gerne, wenn wir auch die größten Seligkeiten der Tatkreaturen nicht kennen.«

Sofanti lachte und ließ sich nicht stören.

Und nach zehn Tagen und zehn Nächten hatte er neue Häute oben, die dem Drucke der Spinngewebewolke – Stand hielten.

Da gabs aber keinen großen Jubel auf dem Pallas; die Bewohner dieses Sterns waren durch die lange Arbeit so erschöpft, daß Keiner mehr was von Neuigkeiten hören wollte.

Auch die Quikkoïaner fanden keine Zuhörer, und sie blätterten daher am Halsbande der Pallasianer in den kleinen Büchern und lasen darin.


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