Paul Scheerbart
Lesabéndio
Paul Scheerbart

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Siebzehntes Kapitel

Dex wird mit den Pallasianern bei der Turmarbeit vorgeführt, die nur noch eine gedankliche Arbeit, keine handliche ist. Peka wird müde, sein Körper wird stellenweise durchsichtig, und er will sich in Lesabéndio auflösen, sagt das dem Bombimba, der den Lesa holt. Peka sieht, daß er nicht so tatkräftig wie der Lesa war und somit diesem weichen mußte. Sie nähern sich geistig einander, obschon sie im Leben immer einander widerstrebten. Pekas Auflösung in Lesa verändert diesen sehr, gibt ihm mehr Ruhe, worüber sich Biba sehr freut. Dex vollendet das nächste Stockwerk, und der Turm ragt jetzt fast sieben Meilen hoch zum Kopf System empor.

Nun war der Dex wieder mitten in seiner Arbeit. Und die meisten Pallasianer halfen ihm, wo sie konnten. Die Maschinen, die den Kaddimohnstahl aus dem Pallasrumpf herauszogen, stampften wieder und ächzten. Und die großen Schmiedehammer dröhnten wie alte Metallglocken. Alles ging durch elektrische Kraft, kein Dampf war zu sehen – die Stoffe auf dem Pallas lassen sich nur sehr schwer in die Dampfform umsetzen; es ist sogar so schwer, daß es die Pallasianer gänzlich aufgegeben, da ein unmittelbarer Nutzen aus der Dampfform nicht zu ziehen ist. Auch das Flüssigmachen der Stoffe ist, wie schon öfters erwähnt, außerordentlich schwer. Flüssigkeiten werden nur zu Heilzwecken verwandt, müssen also gelegentlich hergestellt werden. Das geschieht aber nur in Labus Atelier mit Hilfe der kompliziertesten Maschinen. Die Struktur der Pallasstoffe unterscheidet sich von der auf anderen Sternen so vielfach, daß ein Vergleich garnicht statthaft ist. Die Quikkoïaner, die auf einem gallertartigen Stern lebten, wunderten sich immer wieder über die verblüffende Trockenheit des Sterns Pallas.

Die »Arbeiten« am Turm hatten nur am Anfange die Körperkräfte der Pallasianer in Anspruch genommen. Gleich danach hatten sich ein paar hundert Freunde des Dex bemüht, neue maschinelle Erfindungen einzuführen. Und dann galt es nur, die vielen Maschinen richtig zu bedienen und sie rechtzeitig zu reparieren. Und schließlich bemühten sich Alle nur darum, immer bessere Maschinen zu erfinden. Die »Arbeiten« bekamen somit sehr bald ein ganz anderes Gepräge – es wurde viel gerechnet und immer wieder etwas Neues ausprobiert. Eine gedankliche Tätigkeit trat allmählich überall an die Stelle der handlichen. Und alles wurde so praktisch und bequem wie möglich eingerichtet, sodaß Unfälle schließlich nicht mehr vorkamen.

Besonders wurde die Anlage der Bandbahnen immer wieder verbessert, sodaß oben am Turm bald kein Band mehr vergeblich dahinrollte – die Bänder wurden so geschickt von einer Rolle zur andern übergeführt, daß jedes Stück mehrfach zu gebrauchen war. Für den Stahlstangentransport hatte man ein paar Zahnradbahnen versuchsweise eingeführt – doch sie bewährten sich nicht – durch Stahl versteifte, langsam rollende Bandbahnen bewährten sich für die Überführung der langen Stangen doch am besten.

Und Peka wurde sehr müde, sein Körper begann schon, an einigen Stellen durchsichtig zu werden. Tief unten an einem Nuse-Turm im oberen Teile des Nordtrichters lag er eines Tages auf einem glatt polierten großen Steinwürfel, und Bombimba saß neben ihm.

»Sie hören nicht mehr auf«, sagte der müde Peka, »ihre ganze Gedankenrichtung ist eine technische geworden. Die große Kunst der Rhythmisierung in den Flächen- und Raumpartieen gilt ihnen garnichts mehr; sie wird ihnen nie mehr etwas gelten. Und so ist es mir nicht mehr möglich, länger unter ihnen zu weilen. Ich werde bald fort sein. Das Klagen hat natürlich gar keinen Zweck. Ich wollte unserm Stern Bewohner geben, die in beschaulicher Ruhe dahinleben können. Das war aber wohl nicht die Absicht des großen Unbekannten, der uns führt. Ich habe ihn nicht verstanden. Und darum muß ich fort. Ich bin überflüssig geworden. Man hat in den letzten Jahren so viele Maschinen erfunden, um den großen Stahlturm da oben zu bauen. Hätte man nicht in derselben Zeit so viele Maschinen erfinden können, um mein Steinpolieren zu erleichtern? Dann wäre Alles anders gekommen. Man hätte den Nordtrichter in derselben Zeit köstlich mit funkelnden Kanten und Brillanten durchsetzen können – mit ganz steilen glatten Wänden! Und in den Wänden hätten rechtwinklige Löcher sein können, in denen man jetzt sitzen könnte und hinausstarren und hinunterblicken. Man hätte die Rhythmen des Nordtrichters so oft wieder von einem andern Punkte aus sehen können – von unten sowohl wie von oben. Man hätte in einem Bauwerk gelebt. Und die Ateliers der Pallasianer hätten Aussichten gehabt – in den Nordtrichter hinein. In dem hätte jeder Stein glatte Flächen zeigen können – glatte Flächen, die doch allein den Rhythmus in den Raum- und Flächenpartieen künstlerisch wohltuend markieren können. Das ist nun alles unmöglich. Das Drahtnetz oben zerstörte den Rhythmus im Raum – es kann vielleicht mal eine Kuppel werden – aber das Kompakte – das Bleibende und Feste – das fehlt. Und daß es fehlt – das gibt der ganzen Gedankenrichtung der Pallasianer eine andere Richtung. Ich bin mit meinen schwerfälligen Steinen eine veraltete Erscheinung, nur noch gut genug, dem Sofanti Turmhäute zu liefern. Das genügt mir aber nicht. Mir genügt es auch nicht, wenn ich im Nordtrichter hier und da ein paar glatte Wände und scharfe Kanten anbringen kann. Ich wollte auch mal eine künstlerische Aussicht haben. Die hätte ich aber nur, wenn ich den ganzen Nordtrichter nach rhythmischen Prinzipien durchgearbeitet hätte. Eine Kleinigkeit genügte mir nicht.«

»Hättest Du da nicht«, fragte Bombimba, »auf der Außenseite des Pallas so viel umwandeln können, daß die Aussicht überall Deinen Prinzipien genügt hätte?«

Peka lächelte schmerzlich und sagte nach einer langen Weile:

»Wir haften mit unsern Gedanken nicht immer da, wo wir wollen. Ich habe zumeist im Nordtrichter gelebt, nicht auf der Außenseite des Pallas. Die ist auch garnicht so leicht nach allen Seiten durchzubilden. Man kommt da immer wieder an eine Grenze, wo das Ungeordnete herrscht. Und grade das Ungeordnete in unserm Stern wollte ich ja ganz und gar vergessen. Hätte ich alle Berge auf dem Nordtrichterrande rhythmisch mit graden Linien und glatten Flächen in tausend Winkel gegliedert, dann wäre ich nie darauf gekommen, über den oberen Rand hinwegzublicken – oder unten durch das Loch in den Südtrichter zu fahren. Ja – ich bin eben nicht in der Lage, aus meiner Gedankenrichtung hinauszukommen. Und da ich sie nicht in erquickende Wirklichkeiten hineinzusetzen vermag, so ist meine Gedankenrichtung nicht mehr lebensfähig. Kannst Du alles, was ich Dir sagte, dem Lesabéndio sagen? Ich wäre Dir dankbar. Ich möchte mich in Lesa, der mich vernichtete, auflösen. Vielleicht bleibt dann Etwas von dem, was ich dachte, auf dem Pallas zurück. Willst Du ihm das alles sagen?«

Bombimba nickte und flog davon, um den Lesa zu suchen und zu benachrichtigen.

»Immer«, fuhr Peka, als er allein war, fort, »glaubt man, das Beste zu tun. Und schließlich wird doch Alles ganz anders. Wer kann den unbegreiflichen Führer begreifen? Wer begreift unser ganzes Leben? Einst, als wir Nüsse waren, da ging Alles so wirr durcheinander. Und im Traume gehts auch so wirr durcheinander. Und im andern Pallasianer? Gehts da auch so wirr durcheinander? Wir wissen das alles nicht. Vielleicht habe ich Unrecht gehabt – und Unrecht getan. Vielleicht war ich schon zu müde – vor vielen vielen Jahren. Lesa ist jedenfalls kräftiger. Das ist auch etwas wert. Ja! Ja!«

Bombimba fand den Lesa nicht gleich und mußte dreißig Bandbahnen benutzen, ohne ihn zu finden. Oben im Turm sagte man überall, Lesa sei unten. Und unten auf den Bergen bei den Maschinen war es überall so laut, daß Bombimba sich schwer verständlich machen konnte. Die großen Maschinen zogen den Kaddimohnstahl aus dem harten trockenen Boden heraus, daß der furchtbar knirschte. Dazu kamen die Hammermaschinen, die den Stahl bearbeiteten. Es war garnicht leicht, einen Pallasianer zu finden, wenn er allein sein wollte. Und Lesa wollte jetzt immer wieder allein sein. Schließlich wurde er in dem Aussichtszimmer eines kleinen Lichtturms gefunden, der ganz einsam drei Meilen höher als der Modellturm schon vor sehr langer Zeit gebaut wurde. Lesa hörte, was er sollte, und begab sich gleich mit Bombimba zum müden Peka.

Lesabéndio sagte zum Peka milde:

»Ich danke Dir, daß Du mich grade gerufen hast. Ich habe alles, was Du zu Bombimba sagtest, von diesem gehört. Und ich weiß nicht, was ich Dir zum Troste mitteilen soll. Ich weiß: Du brauchst keinen Trost. Aber es ist doch immer ein seltsamer Augenblick, wenn man fühlt, daß der Körper durchsichtig wird. Wir werden alle von unbekannten Mächten fortgetrieben. Und das Ziel, das uns vorschwebt, scheint uns immer wieder undeutlich zu werden. Was wissen wir von unserm Leben? Vielleicht hast Du mit Deinen künstlerischen Bestrebungen ein Wertvolleres im Auge gehabt als ich. Du wolltest die ruhige Stille. Ich habe die nie gekannt. Und das empfinde ich doch zuweilen als einen Mangel in mir. Ich kümmere mich viel mehr um das, was außer mir ist. Aber – glaube mirs! – auch das muß wohl ein Wertvolles sein. Es kam mir das Leben unsres ganzen Sonnensystems und besonders das Leben unsres Doppelsterns immer viel wichtiger vor als mein eigenes Leben. Wissen wir denn, ob wir jemals ein eigenes Leben erfassen können? Deine Freude am Rhythmischen gab Dir ja mehr die Empfindung, daß Du ein eigenes Leben hattest. Ob das aber nicht auch nur eine Täuschung war? Ich habe viel von dem, was Du wolltest, wohl unmöglich gemacht. Doch ich war nicht Herr meiner selbst.«

»Ich bin ganz ruhig«, erwiderte Peka, »und ich habe jetzt nur noch den einen Wunsch, daß Du recht viel von meiner Ruhe und Beschaulichkeit in Dich aufnimmst. Du bist der Tatkräftige. Das Tatkräftige war mir aber meiner Anlage entsprechend nicht naheliegend. Es entwand sich mir immer. Nun sehen wir beide ein, daß wir nicht leicht, solange wir nebeneinander lebten, zusammenkommen konnten. Da ist es doch ein Trost, daß wir uns zum Schluß noch so nähern können. Das Ende der Pallasianer ist doch ein beneidenswertes. Ich glaube nicht, daß es Ähnliches öfters in unserm Sonnensystem gibt. Ich werde in Dir weiterleben als Dein guter Freund, obschon ich im Leben niemals Dein guter Freund war und immer in andern Sphären meine kühlen ruhigen rhythmischen Ziele erblickte. Zur Wehmut haben wir also keinen Grund. So wie es gekommen ist, wirds wohl das Richtige sein. Das Kräftigere siegt immer. Aber wir müssen auch ein Vergnügen darin erblicken, mal vom Kräftigeren besiegt zu werden. Gib mir Deine Hand, Lesa! Wenn Du bereit bist, so werde ich Dir dankbar sein. Bombimba kann in unsrer Nähe bleiben.«

Die Beiden reichten sich die feinen Hände und drückten sie, Bombimba sah starr zu; er hatte noch niemals einer Auflösung beigewohnt.

Und dann reckte sich plötzlich der Lesabéndio dreißig Meter hoch empor, und die Poren seines Körpers weiteten sich mächtig wie große Rachen auf. Und Peka wurde mit einem Ruck von Lesas Körper angezogen – und war gleich danach verschwunden.

Langsam schlossen sich Lesas Körperporen, und dann wurde er langsam wieder kleiner und blickte langsam im Nordtrichter herum, als sähe er alles mit ganz neuen Augen.

»Es ist mir doch«, sagte er bedächtig zum Bombimba, »als wären wir immer auf einem Irrwege. Wir haben eigentlich niemals das Gefühl, als wäre das, was wir tun, das Richtige. Es gibt immer noch eine andere Bandbahn, die in scheinbar besserer Gegend zum Ziele führt. Ich sehe den Peka, der mir so heftig Zeit seines Lebens widerstrebte, jetzt so deutlich vor mir, wie ich ihn nie in seinem Leben sah. Sein Geist wird in mir immer lebendiger werden. Und ich bekomme dadurch eine neue Seite. Unsre Persönlichkeit schließt sich niemals ganz ab. Auch Peka empfand zuletzt, daß sein Weg wohl nicht der einzige Weg zum guten Ziele sei. Auch sein gutes Ziel wurde ihm undeutlich.«

Bombimba sagte rasch:

»Welch ein geheimnisvolles Leben führen wir auf dem Pallas! Mir ist so, als hätte ich Euch beide jetzt erst verstanden. Aber ich verstehe auch, daß Ihr nie zusammenkommen konntet, solange Ihr lebtet. Die Auflösung Pekas in Dir hat aber das Unmögliche ganz einfach möglich gemacht. Ob es möglich ist, Lesa, daß sich der Pallasianer auch in einem andern höhern Wesen auflösen könnte? Weißt Du das?«

»Ich weiß das nicht«, versetzte Lesa, »aber vielleicht erfahren wirs, wenn wir oben sind. Wir erleben ja auf dem Pallas so große Wunder, daß wir wohl hoffen dürfen, daß wir immer größere erleben werden.«

Die Lichtwolke kam herunter, und es wurde Nacht im Nordtrichter. Alle elektrischen Lampen flammten mit einem Ruck bunt und funkelnd auf. Die Scheinwerfer drehten sich. Bombimba legte sich auf die nächste Pilzwiese, die Haut seines Rückens spannte sich hoch über ihm zusammen. Er ließ seinen linken Arm leuchten und rauchte sein Blasenkraut und dachte über Leben und Sterben auf dem Pallas nach.

Lesabéndio aber fuhr auf zehn Bandbahnen und zwei Seilbahnen zum Biba und erzählte ihm, was vorgefallen war.

Biba lächelte und sagte hastig:

»Das hab ich immer gewünscht. Größere Ruhe ist für Dich ein Bedürfnis. Peka wird sie Dir geben. Jetzt kannst Du auch erfahren, wie der Peka in Dir wirkt – ob er persönlich in Dir lebendig bleibt. Ist das der Fall, so könntest Du auch persönlich oben im Kopfsystem Dich erhalten.«

»Wenn wir nur erst genauer wüßten, was das Persönliche eigentlich ist!« erwiderte Lesa.

Sie sprachen noch lange darüber.

 

Am nächsten Tage aber hatte Dex das nächste Stockwerk fertig gebaut – abermals drei Meilen schräg nach oben, der Ring oben hatte nur noch einen Durchmesser von einer guten halben Meile. Sofanti ließ viele Häute hinaufschaffen.

Der Turm reckte sich jetzt fast sieben Meilen hoch zum Kopfsystem des Pallas hinauf.


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