Paul Scheerbart
Lesabéndio
Paul Scheerbart

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Die Sofanti-Musik verstummt. Und oben auf dem obersten Stockwerk verbinden sich die Lichtstrahlen des Kopfsystems mit der Turmlaterne. Lesa sieht immer mehr von dem Innern der Sterne und von dem, was sie wollen. Der karminrote Lichtkegel geht durch den ganzen Stern Pallas hindurch. Und dann wird der Stern Quikko Mond des Pallas. Lesa kann sich dem Biba verständlich machen. Die Pallasianer wohnen nur noch auf der Außenseite des Pallas-Rumpfes und bauen mit Hilfe der Quikkoïaner große Teleskope. Das Kopfsystem strahlt große Kometenbüschel aus, und die Spinngewebewolke leuchtet so hell wie einst.

Da die Lichtwolke nicht mehr des Nachts herunterkam, war auch die Sofanti-Musik in den Häuten des Centrums nicht mehr zu hören. Anfänglich wurde das nicht beachtet. Als Sofanti darauf aufmerksam machte, schüttelte man mit dem Kopf, hielt das aber für ganz natürlich.

»Wir werden noch«, sagte der Nuse, »das Ungeheuerlichste für ganz natürlich halten. Alle meine Lichttürme sind für die dunkle Nacht berechnet gewesen – jetzt leuchten sie am Tage, der allerdings mehr ein Abend genannt werden muß. Die grünen Sterne bleiben immer für uns sichtbar. Ein Zwielicht wird durch die Lichttürme in der Dämmerung erzeugt. Das ist so köstlich, daß ich behaupten möchte: wir haben etwas Köstlicheres noch nie erlebt.«

»Die Sterne«, sagte Dex, »sind uns jetzt, wie mir deucht, viel näher als bisher. Wir sollen uns wohl mehr um sie kümmern.«

Sofanti aber sagte dazu:

»Wenn soviel wie jetzt auf unserm Pallas sich ereignet, so können wir uns vorläufig noch nicht um die Sterne bekümmern. Kommt rasch hinauf in die Laterne. Ich habe da wieder etwas Neues entdeckt.«

Und die beiden Andern folgten dem Sofanti auf den flinken Band- und Seilbahnen des Turms hinauf in die Laterne. In der leuchtete der karminrote Lichtkegel. Und sie bemerkten, daß der Lichtkegel viel breiter war.

Nun führte Sofanti den Dex und den Nuse in dem letzten Stockwerk durch die Seitenklappen hinaus auf einen Balkon, und da sahen die Drei, daß sich die gelben leuchtenden Schlangenleiber, die man oben im Kopfsystem entdeckt hatte, in ganz merkwürdigen Knoten um den oberen Teil des obersten Stockwerks herumgeschlossen hatten.

»Jetzt hat sich«, sagte der Dex rasch, »das Kopfsystem unlöslich mit dem Rumpfsystem des Pallas verbunden. Jetzt wird Niemand mehr sagen, daß wir den Turm zwecklos gebaut haben. Dazu also haben wir soviel Kaddimohnstahl verarbeiten dürfen. Wir haben getan, was Rumpf und Kopf unsres Sterns zusammen wollten.«

Als das bekannt wurde, kamen Alle hinauf und staunten das neue Wunder an.

 

Lesa empfand nun oben immerfort ganz neue Dinge im Planetensystem. Er konnte garnicht alles erfassen. Er sah in das Innere der Planeten hinein und sah, wie heftig sie lebten – wie sie immerzu bemüht waren, den Bewegungen des Sonneninnern zu folgen. Und dieses glühte so heftig, daß Lesa nicht wußte, was er zuerst sehen sollte. Er fühlte sich einsam und wollte einen Führer.

Kaum hatte er das gewollt, so vernahm er ganz fremde Töne – und er verstand sie – sie sagten:

»Nur ganz allmählich wirst Du mehr von unserm großen Sonnenleben begreifen. Die Asteroïden kamen hierher in großen Scharen, als sie sahen, daß große Planeten die Sonne umkreisten. Wir verstehen selber noch recht wenig von den innern Zusammenhängen. Jedenfalls wissen wir jetzt, daß hier nicht Rücksicht auf die kleinsten Dinge genommen wird. Wir müssen uns daran gewöhnen, daß Vieles an die Seite geschoben wird, damit Wichtigeres Platz bekommt. Das führt zu manchen Brutalitäten. Darüber wird immerzu zwischen der großen Sonne und ihren kleineren Trabanten verhandelt. Was die größeren Planeten, die nach uns kamen, mit der Sonne zusammen überlegen, das wissen wir nicht. Vom Jupiter wissen wir wenig. Einzelne Asteroïden umkreisen deshalb den Jupiter.«

Lesa fühlte einen stechenden Schmerz in dem einen seiner glaskugelartigen Sehorgane – und er sah damit nichts mehr. Er wollte auch nichts mehr sehen.

 

In der Laterne des Lichtturms gabs bald noch eine größere Neuigkeit: während das gelbe Licht der Schlangenleiber schwächer wurde und diese fast vollständig zur Ruhe kamen, verbreiterte sich der rote Lichtkegel zusehends, sodaß er unten bald breiter als die Ampel war und nun nach unten ging durch das Centralloch durch.

Und dabei wurden die Kaddimohnstahlstangen des kleinen Modellturms unten blendend weiß.

Dex befürchtete, daß der Stahl durch das Licht angegriffen werden könnte, er untersuchte den Stahl, fand aber nichts, was ihn beunruhigte. Dagegen merkte er, als er sich längere Zeit dem karminroten Lichte ausgesetzt hatte, daß sein Körper in eine ihm ganz neu erscheinende Erregung versetzt wurde; er sprach danach so lebhaft, daß sich die meisten Pallasianer sehr bald aus seiner Nähe zurückgezogen – nur Biba hielt es aus. Und er flog auch in das rote Licht, und er fühlte dieselbe Erregung.

Nun sagten aber Beide, daß die neue Erregung keineswegs unangenehm wirke – das Licht sei vielmehr belebend. Und so begaben sich bald alle Pallasianer in den roten Lichtkegel, und der durchleuchtete nun auch den Südtrichter des Sterns und leuchtete unten ganz weit über den südlichen Trichterrand hinaus. Und man sah, daß der Strahl einen kleinen Stern traf.

Durch Spiegel versuchte man das rote Licht abzulenken. Und – wo das abgelenkte Licht den Stein der Trichterwände traf, da leuchtete der Stein dunkelviolett und in wundervollem Glänze.

Nuse bemerkte, daß dagegen seine Lichttürme fast verblaßten. Und man beschloß, die Spiegel nicht zu oft so zu stellen, daß das rote Licht seitwärts abgelenkt wurde. Schließlich lenkte mans nur im Südtrichter ab, wo die Lichttürme nicht mehr erleuchtet wurden. –

Lesa aber erinnerte sich plötzlich, daß er ja dem Biba versprochen habe, ihm ein Zeichen zu geben. Und der Biba saß in seiner stillen Klause und dachte fortwährend an seinen verschwundenen Lesa. Und plötzlich sieht der Biba, daß seine Höhle hell aufleuchtet – in ganz zartem blaugrünlichem Licht; einer von Lesas Fühlfäden ist dorthingelangt – mitten durch den Felsen durch. Lesa sieht den Biba; der Kopf seines Fühlfadens ist nicht aus gewöhnlichem Glas geformt – nicht zerbrechlich – der Kopf ist ein ganz besonderes Glas, das für die Augen der Pallasianer nur als blaugrünlicher Lichtschimmer bemerkbar ist.

Lesa will dem Biba etwas sagen, und es gelingt dem großen Kometenkopfbewohner, seine Gedanken auf den Biba ohne weiteres zu übertragen.

»Lebt«, sagte der Lesa, »auf der Außenrinde des Pallas-Rumpfes, der lebt jetzt mit dem Kopfsystem zusammen – und wieder mit den anderen Asteroïden zusammen – mit dem ganzen Planetensystem und auch mit dem Sonnensystem zusammen. Das sollt Ihr auch. Lebt draußen, macht Euch große Teleskope. Die Quikkoïaner werden Euch helfen. Ihr werdet immer mehr entdecken. Ich entdecke auch immer mehr. Es geht nicht sprungweise. Ihr könnt Euch nur allmählich entwickeln. Auch die Sterne entwickeln sich nur allmählich. Ich bin noch kein Stern. Ich komme aber immer weiter. Schon ahne ich etwas von dem, was im Innern der Sterne vorgeht. Die Sonne ist für mich noch viel zu groß. Aber auch die andern Planeten sind noch immerzu zu groß für mich. Das vergeßt nicht. Wir müssen alle zusammen dasselbe große Ziel im Auge behalten. Vergiß den Lesa nicht.«

Danach wars dunkel. Und Biba schrie:

»Ich danke Dir, Lesa!«

Und dann stürmte er hinaus und erzählte Allen, was er erlebt hatte.

Und da legten die Pallasianer auf der Außenseite des Pallas-Rumpfes Pilzwiesen an, und sie schliefen auf diesen Pilzwiesen. Und wenn sie erwachten, starrten sie mit lang ausgestreckten Augen in die grünen Sterne.

Die Quikkoïaner aber dachten darüber nach, wie sie große Teleskope bauen könnten.

 

Und Lesa freute sich oben, daß es ihm gelungen war, sich den Pallasianern verständlich zu machen – und daß sie wieder taten, wie er gebeten hatte.

Und dann gingen Lesas große Weltaugen wieder zur Sonne hin und zu den Planeten, die der Sonne näher waren als der Asteroïdenring.

Lesa bemerkte, daß alle rücksichtslos immer tiefer eindringen wollten in große Geheimnisse, die für ihn noch unverständlich waren. Aber Lesa wurde mitgerissen von dem stürmischen Vorwärtsstreben der Sterne. Und ihn packte eine große Wildheit.

»Ich will auch weiter«, rief er in seinen Gedanken, »wenn ich auch nicht weiß, wohin es führt. Aber es geht ein Trotz durch die Planeten. Sie wollen nicht mehr am Kleinlichen haften bleiben; sie wollen alle nur das Große, Gewaltige. Und das hat nicht träge Ruhe in sich. Da löst sich die schlaffe Seligkeit auf. Und man wird Vulkan – Welterschütterung – tosender Sturm – und berauschender Lichttrubel. Was kommt es darauf an, ob ich lebe oder nicht lebe. Wenn nur der Stern mit mir, in mir lebt – ein Weltenleben. Schwer ist es. Aber durch das Schwere kommt man zu den größten Seligkeiten. Die schlaffen Pausen müssen überwunden werden. Schneller muß sich alles drehen, damit man mehr aufnimmt. Wieder kommt der Rausch, den die ewige Drehung erzeugt – die sich drehenden Kugeln und Räder ersticken das Kleinliche. Vorwärts! Nicht den Schmerz fürchten! Nicht den Tod fürchten! Die Kugeln! Die Unendlichen! Die Räder! Die Kreise! Die Kreise!«

Und Lesas Gedanken verwirrten sich wieder, und er empfand nur noch eine stürmische Seligkeit.

 

Da sahen die Pallasianer plötzlich den Stern Quikko näher kommen.

Nax und die Seinen jauchzten.

»Er wird«, rief der kleine Nax, »Mond des Pallas.«

Und so geschah es.

Und die Pallasianer nahmen die zehn kleinen Quikkoïaner und ließen sich hinschnellen durch Seile – zum Stern Quikko – auch Biba flog hin.

Und da gab es ein großes Wiedersehen. Und die Quikkoïaner lösten vorsichtig einige Quallenstücke von ihrem Stern los. Und mit diesen Quallenstücken flog man zurück und baute auf der Außenseite des Pallasrumpfes viele Teleskope.

Und während der Stern Quikko neugierig den Pallas, auf dem jetzt Kopf und Rumpf immer intensiver zusammenwuchsen, umkreiste – flogen die Pallasianer oft hinüber zum Quikko.

Und die Quikkoïaner flogen zum Pallas oft hinüber.

Und es entstand auf dem Pallas ein ganz neues Leben – und auf dem Quikko ebenfalls.

 

Lesa empfand immer mehr, daß er nicht mehr so empfand und dachte wie einst. Es ging das Streben des Kometensystems allmählich immer heftiger in ihn hinein.

»Wir wollten ja«, vernahm er da, »auch mal zur Sonne. Aber wir blieben am Pallas hängen. In dem war noch so viel Kraft. Aber der große Asteroïd schlief. Und jetzt haben wir ihn wieder erweckt.«

 

Lesa teilte dem Biba gleich mit, was er vernahm und sagte ihm:

»Wenn wir nur wüßten, was die Kometen jetzt wollen.«

 

Da sahen die Pallasianer und die Quikkoïaner, daß das Kopfsystem sehr unruhig wurde. Mächtige Kometenbüschel strahlten nach allen Seiten aus dem Kopf System heraus.

Und die Spinngewebewolke wurde wieder glänzend wie einst. Und der Kranz leuchtete mächtig. Und Funken sprühten in dem Kranz herum, daß er noch heftiger leuchtete.

 

Ganz allmählich wurde das Leuchten und das Funkensprühen schwächer.

Lesa blickte mit allen seinen Augen hinab.

Und man sah auf dem Pallas an vielen Stellen einen blaugrünlichen Lichtschein.


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