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Zweites Kapitel

Georg

Charfreitag, sagte Georg stumpf und verständnislos vor sich hin, als er des Morgens gebadet und angekleidet zum Fenster trat. Der Regen fiel lautlos und nebelhaft, er entdeckte mit einer bitteren Wehmut das Alte, unter sich den Hof zwischen den Schloßflügeln, die Terrasse mit plätschernden Stufen, den Rasen und die altersschwarzen Dächer und Ochsenaugen, naß und traurig vom Regen.

Das sieht traurig aus, murmelte er, weil ich traurig bin, und spürte in allen Gliedern die Zerschlagenheit von der schlaflosen Marter der Nacht. Sich wendend, gewahrte er die nächtlich beschriebenen Blätter noch offen daliegend, empfand Ekel und drehte sich weg. Da der Regen, dachte er ingrimmig, weder traurig noch heiter fällt, warum, o Himmel, warum muß das so sein und warum bin ich so eingerichtet, daß ich ihm Traurigkeit ansehe, weil mir elend zumute ist? Warum kann ich nicht sein wie der Regen?

Charfreitag … wiederholte er gleich darauf leise. Das erschütternde Wort hatte ihm schon als Kind feierlicher und fremder als jedes andre geklungen, und ohne seinen Sinn zu begreifen, machte es, wenn man es sagte, gleichsam eine Lücke in das ganze Jahr; es lag Schatten auf ihm fremder biblischer Erinnerungen, – und später im Leben der niemals ganz zu begreifende Schauder: Die Sonne verfinsterte sich, die Erde bebte, die Gräber taten sich auf …

O Christus, warum bist du gestorben? Für wen, für was starbst du denn? – Georg suchte vergebens, dachte: Wegen des Leidens … Nein! Wegen der Schuld? Ja, oder Erbsünde sagen sie, was ist Erbsünde? Nein, ist das wahr? Wäre das möglich? Er litt, um die Erbsünde aus der Welt zu schaffen, aber wir sündigen nach wie vor, und was soll denn geändert sein? Wir sündigen und wir leiden. O lieber Gott, wenn wir auch Sünder sind, ist es nicht so, daß selber der grausamste, der teuflischste von ihnen mit unaussprechlichem Leiden tilgt, und also was brauchte es Christus? Ich verstehe es nicht. Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Es wird immer verworrener. Übrigens sind das Lehren, die nur die Andern aus seinem Leben und Sterben gezogen haben, und vielleicht haben sie alles gefälscht. Ich müßte nachlesen, aber ich glaube, ich habe selbst die Verfälschung bereits im Blut und würde ganz andres herauslesen, als was dasteht. – Er grübelte weiter.

Hat er nicht allen Sündern Verzeihung und Barmherzigkeit verheißen? Was verlangte er denn? Liebe und wahres Empfinden! Daß man sich reinige, daß man strebe, daß man still und einfältig sei wie die Kinder, – aber die alles aufschrieben, schilderten Engel und Engelstimmen und Tauben, und er selber sprach vom Himmelreich so, daß man doch glauben muß an – an ein Jenseits und – – Seine Gedanken irrten ab, die Briefe Paulus' durchschweifend auf der Suche nach einem haltbaren Wort, aber – ich glaube, dachte er, schon Paulus hat alles in Verwirrung gebracht.

Darüber endlich unwirsch geworden, mußte er heftig gähnen, empfand sich so müde, als ob er nicht eine Stunde geschlafen hätte, und erinnerte sich mit dem Gedanken an Magda, ans Frühstück, Renates.

Die litt auch. Sie weinte. Es war unvorstellbar. Er wußte nur wenig von ihr, nur daß sie Furchtbares erlitten hatte, doch sollte sie ja ganz wieder gesundet sein … Dann hatte sie eine Sehnenentzündung am Fuß. – Früher, dachte Georg, hätte mich das, wenn mans mir mitteilte, ungefähr so betroffen, wie wenn man einem Griechen gesagt hätte, Artemis habe Sehnenentzündung. Sie war keine Göttin, wars nie gewesen, wars weniger heute als jemals, sie war hülflos, und er – liebte er sie immer noch? Beinah hatte er sie doch vergessen, nun begann ihr süßes Gift wieder zu wirken, und er sehnte sich nach ihr, trostlos, aber er sehnte sich.

Neun Monate ist es nun her, dachte er, daß Vater starb. Allein – liebte sie ihn überhaupt? – Er verbot sich diese Gedanken und empfand um so stärker die keimende Hoffnung.

Alsbald entschloß er sich, sie zu sehn, warf einen Blick auf die Uhr, und erkennend, daß es eben die Zeit war, die Magda für ihr Frühstück angegeben hatte, machte er sich vom Anblick des Regens los und ging.

Magda/Benno

Das runde Gobelinzimmer, in dem früher gespeist wurde, jetzt der Frühtisch gedeckt war, erinnerte Georg beim Betreten an ein Aquarium infolge des Regenlichts in Glastür und Fenstern. Rieferling stand dort, in Zivilkleidung wie befohlen, und sagte, nachdem Georg ihm die Hand gedrückt hatte, es sei ein Telegramm gekommen, an ihn adressiert, und zog es aus der Tasche, von Birnbaum. – Georg las: Eintreffe mit Schley und Kurier mittags Birnbaum.

»Verstehn Sie das, Rieferling? Das ist beängstigend. Er weiß, daß ich nicht gestört sein will, es muß also etwas mehr als Dringendes sein. Kann er denn überhaupt reisen?«

Der Hauptmann meinte, er habe ihn bei seinem letzten Besuch schon ganz wohlauf gefunden; er habe stehen und gehen können, nur Mund und linkes Auge seien ein wenig schief gewesen, – wiederholend, was Georg schon wußte. Überdem öffnete sich die Tür, und Anna trat ein, Georg fast erschreckend mit Lichtheit, in einem blaß lachsfarbenen Kleid, das ihn an ein andres erinnerte, von einem Tage, nach dem er noch suchte, während er auf sie zutrat. Heiter lächelnd sah sie so frisch und leicht aus, daß er den Arm um sie legte und sie auf die Stirn küßte.

»Nun, gut geschlafen, Georg?« fragte sie und ließ sich zum Tisch führen.

»Danke, vortrefflich. Du bekommst Besuch, Anna, dein Onkel Birnbaum kommt mit Schley.«

»Wie herrlich! Egloffstein! Egloffstein ist doch da?« Der Alte, jetzt völlig schief, aber mit noch vollendeter Lautlosigkeit, war hinter ihr eingetreten mit einem Regenkragen und einem Strauß weißer Rosen, die er auf einen Stuhl legte, und bediente jetzt am Tisch. Sie bat ihn, gleich in der Küche Bescheid zu sagen.

»Was für ein hübsches Kleid du anhast, Anna!« lobte Georg, um von Birnbaum abzulenken, »so – so geburtstäglich!« fand er auf der Suche nach einem Wort, und sie freute sich sichtlich. Ihre Kleider mache nun alle Renate, erzählte sie, und Georg empfand einen leichten Stich des Vermissens und der Erwartung.

»Und du, Georg,« fragte sie nach einer Weile, mit langsamen Bewegungen, die Georg etwas nervös gespannt verfolgen mußte, sich mit Butter und Gelee aus den Dosen versorgend, die Egloffstein dicht um ihren Teller geschoben hatte, »wie fühlst du dich in Helenenruh?«

»Ach, geärgert hab ich mich!« versetzte er möglich saftig und munter.

»Schon wieder?«

»Nicht nur ›schon wieder‹, mein Kind, sondern sogar aus demselben Grunde wie gestern abend!«

»Ach, Georg, wie kann man so nachträglich sein!«

»Nachträglich? Das verstehe ich nicht! Ach so! Als weibliches Wesen nimmst du die Dinge persönlich. Nein, im Gegenteil, gestern sah ich die Sache nicht einmal so schlimm. Sag, ist es dir nie so gegangen? Zum Beispiel, man lernt abends einen Menschen kennen und findet ihn erfreulich; am andern Morgen steht man und denkt: was war doch das für ein ekelhaftes Schwein? Oder man sieht im Theater ganz zufrieden ein Stück, und hat mans beschlafen, sieht es völlig dumm und verblasen aus.«

»Oh ja, Georg! Es kann aber auch umgekehrt sein, wenigstens ists mir schon so gegangen mit Menschen, die ich beim Kennenlernen gar nicht besonders fand, und dann, am andern Morgen lächelten sie mir zu, und ich war froh, sie bekommen zu haben.«

»Ja. Aber ihr seid auch komische Menschen, du und Renate. Sitzt da und sagt nicht Muck und habt doch ganz gut gewußt, wer im Recht war!«

»Aber lieber Freund, der gute Benno war doch so glücklich mit seiner Oper!«

Georg wollte zischend auffahren, beherrschte sich aber angesichts ihrer heiteren Blindheit. »N–nja,« bemerkte er dann, »laß du nur die Menschheit sich mit Mist zudecken bis an die Augen und sage: daß bloß keiner sie stört! sie ist ja so glücklich!«

Sie lächelte kindlich. »Georg, du bist schartig heut morgen.«

»Nicht nur heut morgen, mein Herz, sondern alle Tage bin ich das. Hast du mal drei Wochen lang mit lauter Narren und Borstigen regiert? Dann sei mal nicht schartig!«

»Ja, du hast nun einmal kein Christentum.«

»Nein, Anna,« bekräftigte er mit scharfer Betonung, »das habe ich freilich nicht!«

»Du wirsts noch lernen.«

»Meinst du? Ja, ich will dir was sagen. Als ich heut morgen erwachte, mußt ich mich fragen: Wozu dies und alles andre, tagein, tagaus? Weißt du eine Antwort? Weiß das Christentum eine? Ich fand da meine Hände zu voll, um nach Antworten zu greifen, aber – – ich muß zugeben, daß etwas fehlt. Rieferling, bitte, wenn Sie aufstehn wollen, Sie sind den ganzen Tag Ihr eigener Herr!« Er sah den Hauptmann sich erheben und nickte ihm zu, während Magda die Hand nach ihm ausstreckte. Nach einem kleinen Zaudern bat er dann noch, Georg einmal am Tage eine Minute in eigener Angelegenheit sprechen zu dürfen, und ging.

»Versteh mich recht, Anna! Ich glaube an einen göttlichen Odem. Aber ich glaube, daß er an uns vorübergeht. Er ahnt gar nicht, daß wir sind. Unser ganzes Treiben, ja selber das tiefste Elend, und wenn wir unsern ganzen Leib wundenbedeckt saugen ließen mit diesen Wunden, so könnte ihn das um kein Haarbreit ablenken von seinem Weg durch die Welt. Wir müssen allein fertig werden.«

»Wenn du es kannst, Georg! Aber die Andern?«

»Bitte, wen meinst du? Die zum Rennen fahren und an den Kinokassen Spalier stehn? Oho, Anna, bist du der Meinung, daß es eine einzige Religion gäbe, wenn kein Leiden wäre?«

»Ja, warum auch sonst, Georg, warum?«

Georg schwieg im Gefühl, daß sie jeder nach einer andern Richtung sprächen. Er sah sie dasitzen, einen Arm flach auf dem Tischtuch, während der letzten Minute mit kleinen unsicheren Aufschlägen der gesenkten Augen, im Ganzen aber in einer Sicherheit, die fast wundervoll schien. Ihr Antlitz, gesammelt und getrost, schien auf geheimnisvolle Weise die Augen ersetzt zu haben und war voll lebendigen Ausdrucks an jeder Stelle. Nichts Ratloses, kaum Tastendes war in ihren Bewegungen, und nur genaueres Hinsehn konnte gewahren, daß sie etwa, um nach der Tasse zu greifen, erst den Unterarm auf den Tisch legte, dann die Finger ausstreckte, die Hand weiter vor schob und, den Teller daneben mit einem Ahngefühl seitwärts lassend, zur Tasse. Schön breit lag nun ihre Stirn unter dem mittwärts gescheitelten und zur Seite gestrichenen Haar, dessen lockere Bäusche über den Schläfen ein liebliches Kapitäl formten. Übrigens war es dunkler geworden und ihre ganze Erscheinung, wie Georg sie umfaßte, heute schöner, als sie vor Jahren anmutig gewesen war.

»Nun, Georg, was denkst du?« hörte er sie fragen, erschreckt inne werdend, daß sie dasaß und all die Zeit nichts sah.

»Wie schön aber deine Singstimme geworden ist!« sagte er liebevoll, und ihr Gesicht glänzte auf. »Ich bin erschrocken gestern, als ich hörte, wie tief sie ist!« Er fand keine Lobesworte mehr, die ihm einfältig erschienen, schwieg und setzte im Innern die Rede fort: Es ist die Stimme eines Menschen, der die nicht sieht, für die er singt. Sie will niemand bezaubern, sie gebärdet sich nicht, sie geht ihres geraden Weges, um Gottes willen.

»Ja, Georg, wovon sprachen wir noch eben?« fragte sie derweil.

»Religion eine Panazee für das Leiden. Und das ist mir zu wenig. Liebe Anna, ist Leiden das ganze Leben?«

»Nach der christlichen Auffassung –«

»Die ich nicht teile! Für das ganze Leben sollte sie sein, für Tun und Lassen, Gut und Böse und – Sieh, da ist Benno! Guten Morgen, Benno!« Georg stand auf und ging dem Freund zu möglichst herzlicher Begrüßung entgegen. Er schien unglückliche Augen zu machen, wie stets, war aber munter, noch ganz rot vom Waschen, und erschöpfte sich in Verbeugungen bis zum Tisch.

»Setz dich, Benno, iß, trink und überlege dabei den Sinn des Christentums.«

Jedoch Benno entschuldigte sich. So früh am Morgen …

»Freilich, Benno,« mußte Georg sofort zubeißen, »über Gott und Glauben läßt sich immer noch abends und übermorgen nachdenken.«

Benno begann langsam, von Egloffstein bedient, dem er für jede Frage und jedes Zureichen besonders danken mußte, zu essen, streifte Georg dann, der aufrecht dasaß, durch den Raum nach draußen blickend, mit einem unglücklichen Blick, legte die Weißbrotscheibe, ohne sie angebissen zu haben, auf den Teller zurück und meinte, das Christentum sei wohl vorwiegend eine Religion der Armen.

Magda beeilte sich, zu sagen, Georg habe sich die ganzen Wochen her mit Geschäften geplagt und wolle nun …

»Vorwiegend!« bekräftigte Georg, ohne sie ausreden zu lassen, sardonisch. »Wie triffst du nur immer den Nagelkopf! Wer aber nicht arm, wer hingegen reich ist, wie du und ich, was macht der?«

»Nun, wenn ich vorwiegend sagte, meinte ich mehr: ursprünglich.«

»So. Ja, das waren allerdings die Armen, das heißt die Elenden, Zermalmten, Leidenden, die diese unmännliche Religion erfanden.«

»Unmännlich, Georg?«

»Zum Beispiel der Gemeindegesang. Singen ist eine weibliche Angelegenheit, Benno, hast du's nie bemerkt? Wenn ich einen Tenor sehe, wie er den Mund verbiegt und eitel süßen Schmelz aus sich zieht wie Syrup mit dem Löffel, sehe ich immer ein fettes Weib, wo er steht. Die Kirchen am Sonntag sieht man gefüllt mit Frauen, die ihre kleinen Seelen ganz süß und dumpf fühlen, wenn sie singen. Überhaupt jeder übermäßige Musikbetrieb – entschuldige schon, Benno! –, aber besonders männlich hab ich ihn nie finden können.«

Benno krümmte sich und meinte, das sei vielleicht eine große Wahrheit. Aber die Musik sei doch –

»Ich bitte, mach mich nicht wütend, Benno, ich rede vom Singen und Musizieren und nicht von der Musik! Dies Hervorziehen der fühlenden Seele, dies Modulieren und Drehen und Drechseln, dies Preisgeben des innersten Wesens, gar Aufputzen und zur Schau Tragen ist auf abscheuliche Weise unmännlich. Musik ist nicht männlich und nicht weiblich, sondern göttlich, aber drei Dinge sind verschieden: Musik, Musik Hören und Musik Machen. Außerdem hab ich das Ganze nur symptomatisch gemeint.«

»Ja, wie denkst du dir denn die Entstehung des Christentums? Die früheren Gottheiten entstanden doch nur – gewissermaßen – aus Furcht.«

»Naturgötter, richtig, aus Naturängsten. Nun betritt einmal Rom etwa im zweiten Jahrhundert oder im ersten. Da hättest du es gepflastert gefunden mit Götterstatuen aller Völker, die sich allesamt überboten und infolgedessen aufhoben. Ängste gabs keine mehr, da die Menschen sicher in behaglichen Wohnungen saßen, und doch hatte jeder Tag, jede Stunde, jede Eigenschaft und fast jede Handlung ihren kleinen Gott, und zum größten Schaden gabs die Divi Augusti, die Gottheiten der letzten Angst, vor dem Wahnsinn der Kaiser nämlich, an die schon der Einfältigste nicht mehr glaubte, wenn sie einen struppigen Adler, wie Pater erzählt, aus dem Scheiterhaufen fliegen und dann verkündigen ließen, die kaiserliche Seele sei sichtbar zu den Göttern heim gekehrt. Übrigens da ich Walter Pater erwähne, fällt mir ein, daß damals besonders der Äskulapkult blühte, wegen gewisser Seuchen, und mir scheint, diese, die Angst vor Leibeskrankheiten war die letzte. So aber war damals die Religiosität verkommen in dem langsam verkommenden Reich des Überflusses, und damals erwachte, unterirdisch, das Christentum, ganz von unten anfangend, mit der Lehre des Leidens. Ist es eine Religion des Leidens oder nicht?«

»Natürlich, Georg, aber –«

»Und da haben wir wieder die Unmännlichkeit. Das Weib bekam das Leiden als Auftrag: sie muß gebären. Sie hatte sich abzufinden mit ihm, sie lernte, sich als Opfer empfinden, sie nahm das Leiden an. Das Leiden annehmen, ist nicht männlich, sondern männlich ist, es abwehren, es befeinden, es bekämpfen, es austilgen wollen. Und was taten jene vorm Kreuz? Sie beteten es an.«

Georg verstummte, überaus erregt. – Was, dachte er, kocht mich denn so auf? – Aber schon mußte er fortfahren.

»Ich hasse das Leiden, das immerhin hab ich gelernt. Sie haben sich innig mit ihm beschäftigt, haben es liebend hingenommen, haben gelernt, daß Dulden göttlich sei, daß kein süßrer Lohn des Leidens sei als im Dulden, anstatt daß sie anpackten und wegschafften, und sie haben gesagt, daß es nichts gebe als Leid, die Welt ein Abgrund des Jammers, sie in ihren Katakomben, und mit einem Schlag ist ihnen das ganze Leben dahier aus der Hand gerutscht und zu einem traurigen Anhängsel geworden, zu einem Blinddarm jenes Lebens, das sie das Ewige nannten.«

Benno erseufzte. »Und wenn du recht hättest, Georg, so ist doch darin nicht die ganze christliche Lehre enthalten.«

»Ja, worin denn noch? Kannst du mir sonst etwas Brauchbares zeigen? Brauchst du denn Christus? Sieh dich doch um in deinem Leben, und begegnest du ihm irgendwo, so ist Sonntag. Oder Kindtaufe, oder Weihnachten. Wochentags ist er nirgend.«

»Aber nun verrennst du dich, Georg! Das sind doch die Menschen und nicht die Lehre.«

Georg sprang auf und stieß den Stuhl unter den Tisch. »Ja, du, Benno,« rief er, geschwollen von Gift und Hitze, »du wirst mich freilich niemals verstehn! Was soll denn eine Religion, die bis zum Wahnwitz überhängt nach der einen Seite, und aus der die Menschen auf der andern Seite nichts herholen können für ihr tägliches Leben. Weil sie nicht aus wahrhaftigem Leben kam, diese Lehre, sondern aus krankem, vergiftetem, weil sie eine Panazee wurde, ein Allheilmittel, eine Kopfsprunganweisung über den Tod, weil sie, mit einem Wort, nichts anzufangen wissen mit ihrem Leben. Und ich, wenn ich einen rechten Glauben bekommen hätte, mir wärs besser ergangen.«

»Meinst du das, Georg?« fragte Magda leise.

Plötzlich fühlte er seine Augen heiß, es übermannte ihn, er ergriff ihre Hand und küßte sie lange.

Dann hörte er sie sagen, ob es noch regne; sie habe ihn bitten wollen, sie zum Grabe zu bringen, – und er ging zur Glastür und stand dort eine Weile, in den leiser fallenden Regen blickend und sich kühlend. »Ich glaube, es wird bald aufhören«, sagte er, sich wendend.

»Hat Egloffstein«, fragte sie, »meine Sachen hereingebracht? Es muß dein Buch dabei sein, das mit deinen Aufzeichnungen von Hallig Hooge, ich wollt es dir wiedergeben.«

»Ach, hast du's gelesen?« Georg sah das Buch unter dem Rosenstrauß, ging hin und nahm es an sich.

»Noch nicht ganz. Li hat mir daraus gelesen, hauptsächlich das von Bogner, und ich wollte dich bitten, mir selber noch draus zu lesen. Vielleicht heut nachmittag, magst du?«

»Aber gerne, gewiß! Ich will mich nun eben etwas regenmäßiger anziehn und komm dich dann holen.« Im Vorbeigehn mit der Hand über ihre Achsel streichend, ging er hinaus.


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