Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Frühstück

Renate, schon in ihrem lavendelblauen Festkleid, wollte sich eben vor ihren Frühstücksteller setzen, als ihr der Herzog gemeldet wurde. Leicht innerlich zuckend, fragte sie sich: Morgens um acht Uhr, was soll denn das bedeuten? – Sie wußte, was das bedeutete, aber sie verschwieg es sich, ging in die Halle und sah ihn eben zur Tür hereinkommen, ein wenig ungeschickt, aber ganz leicht, den Stock kaum benützend, ein großes Bündel Lilien in der Hand. Sie lachte ihn an, er blieb stehn, lachte auch, und – »Lieber Freund,« sagte sie, »das ist ja wundervoll, so früh am Morgen und auf so tapferen Füßen!«

Nun ging sie zu ihm hin und gab ihm die Hand, zugleich die Lilien aus seiner Linken nehmend und an die Brust drückend. Sie neigte das Gesicht in die Kelche und hörte ihn sagen, während er ihre Hand festhielt:

»Ja, Renate, das ist wahr, was Sie sagen: tapfere Füße, und es sind auch – besondre Füße, auf denen ich hereinkomme.«

»Ja?« sagte sie zögernd. Er legte auch die andre Hand um die ihre, zog sie zur Brust empor, wollte lachen, atmete mit ganzer Brust auf und sagte ernsthaft: »Freiersfüße, Renate.«

Hart stand ihr Herz auf und lief. Ich wußte es ja, sagte eine Stimme in ihr, wußte es längst, aber ich wollte es nicht wahrhaben. – Es gelang ihr, ihn anzusehn, da mußte sie lächeln. Wie er keuchte! Sie drehte ihre Hand in den seinen hin und her, bis sie losgenestelt war, ging zum nächsten Fenster, legte die Lilien auf die Fensterbank und stützte das Kinn in die linke Hand, den Ellenbogen in die rechte setzend. Sie blickte auf, ließ die Hände fallen und wandte sich langsam zum Herzog herum. Der schloß eben die hangenden Hände und spreizte sie wieder. Sie sah ihn voll an, fühlte, wie sie errötete, und sagte leise: »Ja – ich möchte – – ich möchte sehr gern – –.«

Hastig lief sie wieder auf ihn zu, legte die Hände auf seine Brust, sah, die Brauen ganz zusammenziehend, angstvoll in sein großes, starkes Gesicht und hörte ihn sagen:

»Ich liebe Sie, Renate, das ist der ganze Grund, ich liebe Sie sehr. Ich bin fünfundzwanzig Jahre älter als Sie, aber ich – ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich in fünfundzwanzig Jahren noch so jung bin wie heut, wenn Sie …«

Er verstummte und tastete nach ihren Händen. Sie merkte, daß er zitterte, und alle Macht strömte aus seinem Zittern frohlockend in sie zurück. Lange stand sie und sah nichts als seine fast schwarzen, flehenden, besorgten, zuckenden, befehlenden Augen. Langsam glitt sie mit den geschlossenen Händen an seinem Gesicht empor und deckte seine Augen zu, drückte sie dann gegen seine Lippen, seine Wangen, trat plötzlich zurück und sagte, aufhorchend bei dem tiefen Klang ihrer Stimme: »Nun Geduld! – Geduld …«

»Geduld«, sagte er mit zuckenden Brauen, »ist das Schwerste auf der Welt.«

Nun konnte sie strahlend lächeln und rief: »Das Schwerste von der Welt ist grade noch leicht genug für Renate Montfort!« Sie stampfte leicht mit dem Fuß auf: »Weißt du das nicht?«

»Doch!« sagte er ehrlich. Alle weiteren Worte schnitt sie mit einer Handbewegung ab, ging zur Tür, drückte auf die Klingel und blieb dort wartend, die Hand am Klingelknopf, indem sie lächelnd auf den Herzog blickte, der sich umgewandt hatte. Als das Mädchen kam, bat sie um eine Vase für die Blumen und um noch ein Gedeck für den Herzog.

»Ich habe Hunger,« sagte sie freundschaftlich, »wollen Sie mit mir frühstücken? Wir müssen uns beeilen, um neun Uhr kommt Georg und holt mich zum Festspiel.« Als sie an ihm vorübergehen wollte, merkte sie, daß er nach ihr greifen wollte, schlug geschwind einen Bogen, raffte ihr Kleid vorn mit beiden Händen und lief schwebenden Schrittes und vor sich hinlächelnd zur Tür des Frühstückszimmers; dort blieb sie stehn, ließ ihr Kleid fallen, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Türfüllung, faßte den Rahmen mit den Händen und sah ihn so von dort aus an, lächelnden Mundes, mit weit offnen, liebevollen Augen. »Komm!« verlockte sie, kaum die Lippen bewegend, und dachte: Ich habe ja Künste in mir aufbewahrt, – oh, dann will ich sie brauchen! – Damit ging sie leicht und die Stirn gesenkt wieder bis zu ihm und reichte ihm die Hand. Während er sie an die Lippen hob, neigte sie den Kopf tiefer und tiefer, unvermögend, einen Gedanken zu fassen.

Renate kam erst eigentlich zu sich, als sie am Tische saß, dem Herzog gegenüber, Kaffee in seine Tasse füllend. Da merkte sie plötzlich, daß ihre Augen heiß und feucht wurden, sie setzte hastig die Kanne hin, schüttelte, den ängstlichen Ausdruck in seinen Zügen gewahrend, den Kopf, daß zwei Tränen abfielen, und sagte ernst: »Lieber, ich habe dies Haus hier zu hüten, was soll ich tun? Ich habe mir geschworen, nicht hinauszugehn, als bis alles wieder so ist, wie ich kam, – ja, das tat ich nun,« sagte sie fest, »das müssen wir behalten. Du weißt ja alles vom Onkel, ich kann ihn nicht im Stich lassen. Was ich mir gedacht habe, kann ich dir auch nicht sagen, aber das ist auch gleich; du bist nun gekommen, und es muß wohl irgend etwas geschehn. Du mußt dich gedulden, bis ich das erledigt habe. Rede ich zuviel?« fragte sie wehmütig, lächelte ihn an und streckte ihre Hand über den Tisch nach ihm hin, zog sie aber schnell fort, als er danach faßte, ergriff ihre Weißbrotscheibe, zog den Honigtopf heran und begann zu essen.

»Mein Sohn Georg«, hörte sie den Herzog sagen, »hatte einmal eine Redensart, die hieß: quid quod? auf deutsch: Was soll man dazu sagen? Also ich sage: quid quod? Nämlich,« fuhr er eiliger fort, während sie leise lachte, »ich wollte ja erst morgen kommen, wenn all das mit Georg erledigt sein würde, aber heut morgen hat es mich doch übermannt.«

»Oh,« meinte Renate nachsichtig, »zu früh aufstehn kann man nie.«

»Und den Tag über heut«, fuhr der Herzog fort, »habe ich keine Zeit; da mein Sohn Festspiele aufführt, muß ich die Gäste empfangen, und heut nachmittag sind ja die großen Vereidigungen.«

Die großen Verneigungen … klang es sonderbar in Renate, sie suchte, wann und wo sie das einmal gehört hatte, hörte zerstreut zu, was der Herzog sagte, ohne etwas zu verstehn, und wurde langsam mit Essen und Trinken fertig. Plötzlich übergoß es sie dann, da sie den Herzog groß dasitzen sah, mit durchdringenden Augen, während er sagte: »Sie sind ja so über alle Begriffe schön, daß – – daß –«

Die drei großen Verneigungen, klang es wieder, die drei großen Verneigungen. Dann merkte sie, daß er Sie gesagt hatte, und gerührt von dieser Zartheit, erhob sie sich, ging um den Tisch zu ihm hin und legte einen Arm um seinen Nacken. Langsam hob er das Gesicht, sie beugte sich und küßte seine Stirn.

»Genug für heut,« sagte sie mit plötzlicher Entschlossenheit, »und nun muß ich mir das Haar machen lassen, in einer Stunde kommt Georg.«

»Georg,« sagte der Herzog aufstehend, »ja, ist er eigentlich blind?«

Renate verstand nicht, obwohl sie gut verstand. »Leb wohl«, sagte sie und streckte die Hand aus.

Wieder stand er vor ihr, sehr groß, fast überwältigend, und sie bebte leicht, bog sich zurück, ließ aus aller Glut, die sie in Schnelle zu sammeln vermochte, einen strahlenden Schein aus ihrem Antlitz über das seine gehn, verschattete sich wieder, neigte kurz das Haupt und ging, von ihrer Seide umrauscht, mit kleinen und festen Schritten hinaus.

In ihrem Zimmer oben stand sie, an unfaßliche Vorstellungen verloren, so lange, bis die Zofe mahnte; die nächste halbe Stunde verging ihr gedankenlos unter dem mühseligen Aufbau ihres Haars und der Zieraten.

Verkleidung I

Georg erwachte, hob langsam die Lider und sah, daß es Morgen war. Ungeblendet sahen seine Augen ins Zimmer, – ja, wie ist mir denn? dachte er, – oh, mir ist wunderbar! – Unvermutet mußte er die Arme mit geballten Fäusten von sich stoßen und aus dem Bett springen; im Aufsprung taumelte er, stolperte auf einen Stuhl zu und hielt sich daran, lachte und hielt erstaunt einen kostbaren Gegenstand in der Hand, eine seidene Strumpfhose, deren eines Bein weiß, das andre schilfgrün war. Das ist ja meine Hose, dachte Georg, ah, nun merke ich, daß der wunderbare Tag anfängt. Er bauschte in den Händen die weiche Seide zusammen und betrachtete entzückt die hineingestickten Wappen, Blumen und Ornamente von Silber auf beiden Beinen. Da hing auch der Rock überm Stuhl, gleichfalls zur Hälfte weiß, zur Hälfte grün, und am Bügel darüber der kurze Mantel, tiefblau, glänzend von Seide, mit Hermelin leicht verbrämt, und am Stuhl lehnte die Laute, still, umschlungen von weißen und schilfgrünen Bändern, – alles genau so, wie er selber es am Abend zuvor aufgebaut hatte. Nun sprang er ans Fenster, riß den Vorhang auf und bemerkte enttäuscht, daß es grau draußen war; aber siehe, der Himmel blendete leicht, naß und schwer hingen die Büsche und die Hopfenranken jenseit des Weges, und schon glaubte er zu sehn, daß dieses Morgengrau mit goldenen Hefteln, zum Abstreifen lose, befestigt war. Die Sonne kommt, frohlockte er, Renate kommt, und nun bin ich Großherzog. Seine Brust dehnte sich schwer, er mußte einen Augenblick die Hände darauf drücken, er suchte die alte Angst im Herzen, aber nichts da, nichts gab es als eine seltsam üppige Kraft, ein stilles Feuer, von dem sein Innres glühte bei seltsam klarem Kopf. Nie war mir so wohl, flüsterte er sich zu, nie im Leben, ach das ist ja herrlich, ich möchte – was möchte ich nur? Einen Kiefernbaum ausreißen und den Staub von Renates Türe kehren, ja, das möchte ich! – Aber erst will ich baden.

Er streifte den Schlafanzug ab, ging nackt ins Badezimmer und stellte sich unter die kalte Brause. Da ward ihm so unbändig zumut, daß er glaubte, er sei berauscht. Ich habe doch Wein getrunken in der Nacht, aber eine solche Wirkung habe ich noch all mein Lebtage nicht bemerkt. Er trocknete sich flüchtig ab, trat dann mit einem plötzlichen Entschluß an das Fenster, und – jetzt in einer süßen Beklommenheit zum Beten entschlossen – öffnete er die Flügel. Er blieb so, die erhobenen Hände an den Fensterflügeln, sehr aufrecht; und nun, aus blinder Beschämung, alles vergessend, hineinwachsend, als ob er sauste, in eine Inbrunst ohnegleichen, in der er, wie in gewaltigen Schwingen stehend, zum sicheren Absturz in unendliche Tiefen bereit war, sammelte er die Worte der Andacht.

»Licht, du selber verhülltes!« sagte er, »sieh mich nun! Verhüllt, siehst du mich doch. Sieh mich nackt, sieh mich auf meinem Gipfel! Groß ist der Tag, zu dem ich entschlossen bin. O Licht, du siehst, ich bin heiter, – aber nicht würdelos, nein. Nein, sieh doch die letzte Stunde der Freiheit, gönne mir, noch einmal heiter zu sein, gönne mir noch einen Flug, noch diesen Trunk aus dem Leichten, diesen Kuß der schönen Vergänglichkeit! Dann will ich die Arme gern ausstrecken, die eisernen Handschellen darumlegen zu lassen, die ich mir selber geschmiedet habe. Verachte mich heute nicht, Licht, entzieh mir nicht deine ewige Gnade, erleuchte mich morgen und allezeit, laß mich, wie in diesem feurigen Augenblick, nur allezeit wahr sein, ganz sein, der ich bin, wahr, wahr, ein Gemächt des Schicksals, aber ein stolzes!«

Er öffnete die schamvoll geschlossenen Augen, da ihn die Worte verließen, wandte sich und atmete, als wäre er in sich zurückgekehrt, tief auf, gleichsam beruhigt, sich so einfach zu finden. So einfach, ja, aber auch so hundertfältig wohl.

Aus den Poren seiner Haut strömte nicht Wärme, sondern Kühle; von sich selber umfächelt trat er vor den Spiegel und war durchaus mit sich einverstanden, außer mit seinem Gesicht, das stark gemagert war, – ja, das war gerechte Folge der Arbeitsmonate, – und dafür hatte er seine Augen noch nie so groß und leuchtend gesehn; sie blitzten wie durch Glas, und die Pupillen schienen ihm vergrößert, als hätte ihm jemand Belladonna eingegeben. –

Georg begann sich anzuziehn, die seidenen Hosen auf die nackte Haut, eine kühle Wonne, in die er sich kleidete. Dabei fiel ihm ein, daß er schwer und seltsam geträumt hatte bei Nacht. Er besann sich, auf dem Bettrand sitzend, die Hosen erst halb übergestreift, und für einen Augenblick wälzte sich schwer und wolkig ein Stück Nacht in sein Innres, gefüllt mit schaurigen Beängstigungen. Ich stürzte ja immer, erinnerte er sich, zuletzt von einer Klippe ins Meer, – wie war es doch nur? Sonnenuhr … aber die Ziffern waren Menschen, und ich – ich konnte meinen Platz nicht finden. Nein, viel schlimmer waren ja diese Gugelmänner! Und wie sie fortwährend schwanden! Dann redeten sie kostbare Dinge, Verse glaub ich, die mich durchschauderten, aber das habe ich schon oft erlebt, daß mir im Traum etwas wunderbar erschien, was sich im Wachen als sinnlos und albern herausstellte. Als Esther noch lebte, träumte ich einmal eine ganze Novelle von ihr, noch im Wachen war ich entzückt davon, und dann zerstob es wie Nebel in sinnlose Stücke; daß eine Droschke darin vorkam, weiß ich noch. – Sieh da – habe ich nicht auch den Orion gesehn diese Nacht? Den Orion, den Winterstern! ist es zu sagen …

Kaja …

Plötzlich sanken ihm die Hände, er erschrak, aber – was war denn zu erschrecken? Er suchte und fand nichts, als wieder dies Wort Kaja, und dann – er lächelte – ach, meine Mutter, sagten die Schwarzen, habe Kaja geheißen. Ich Kajus, nehme dich, Kaja, so hieß doch die alte römische Trauformel, und: Wo du bist, Kajus, da bin auch ich, Kaja. – Es ist aber doch eigentlich schauerlich mit dem Träumen, dachte er, aufstehend und den Hosenbund zusammenschnürend, sie machen, was sie nur wollen, mit uns, wir müssen lieben oder hassen, bekämpfen oder fürchten, ganz ohne unser Zutun, und was uns längst abgetan schien, das kommt wieder, immer wieder, auch die Toten …

Überdem war er wieder vor den Spiegel geraten und vergaß alles über dem unverhofften Glanz seiner Beine. Dann fuhr er in den Rock und hakte ihn zu, von der Achselhöhle zur Hüfte; er fiel über die halben Oberschenkel herab, in der Mitte leicht eingerafft; die Ärmel, der weiße und der grüne, umgekehrt wie die Farbteilung der Beine, lagen eng wie die Haut selber an, aus dem Halsausschnitt kräuselte sich der gewellte Ring des Hemdes am Halse empor. Während er das verwirrte Haar mit dem Kamm glättete, sah er im Spiegel, daß draußen das Grün schon leuchtete und sich vergoldete, und plötzlich glänzte es zu seinen Füßen, und ein breiter Streif Sonne stand, in Milliarden Stäubchen schimmernd, mitten im Zimmer. Ach, und kühl war es, kühl! Er griff nach dem kurzen Schwert, dessen Gürtel über der Stuhllehne hing, und der aus verhakten Quadraten von Silberfiligran und dunkelblauem Email bestand; die Klinge stak in schwarzlederner Scheide mit silberner Spitze. Er nahm den Gürtel auseinander und legte ihn um die Lenden, unterhalb des Leibgurtes, wo er an kleinen Haken festhing. Auf die Uhr blickend, fand er, daß es gleich dreiviertel Neun war, er eilte ins Eßzimmer und aß mit starkem Hunger Eier, Brot, kalten Braten und warmen Haferbrei mit Milch. Im Hause war es still, Egon mußte längst draußen sein, auch die Hausmeistersleute waren gewiß schon auf der Wandrung zu ihrem Tribünenplatz.

Georg legte die Zigarette unangebrannt noch einmal fort, trat in die offne Gartentür, atmete tief und lang die Kühle des Morgens und begrüßte mit immer leichterem Herzen die hervorsegelnden Bläuen überm Nebelmeer der Lüfte. Sein Gesicht zuckte von innen heraus mit Lächeln und Freudigkeit, kein Gedanke tat sich hervor, er konnte nur atmen und sich wohlfühlen und dem Himmel danken, daß er Augen hatte zu schaun, Lungen zu atmen und eine brennende Seele, die alle Welt umher an sich zog wie Luft, um sie zu verzehren und höher davon zu leuchten. Alles funkelte ihn an, jede Farbe, das Grün, das lichte Gelb und Zinnober der Stockrosen; das Blau der Glockenblumen im Garten schien ihm noch einmal so tief, er begriff es nicht, er wollte es nicht begreifen. Keine Kontur war je so deutlich, kein Blatt ihm je so stark und lebendig gekrümmt, gezahnt und beschattet erschienen, ach, wie mußte erst blühen Renate! – und er kehrte um, lief zur Tür, besann sich auf seine Laute, suchte sie in allen Zimmern, dachte: sie wird brausen und klingen unter meinen Fingern, obwohl ich keinen Griff verstehe, fand sie endlich auf dem Bett, halb unter der Decke, sprang auf den Gang und zur Tür hinaus, wo bei Gott ein Automobil stand, als wäre es hergezaubert. Nach einem kleinen Versuch, mit dem Kopf voran durchs Fenster ins Innre zu springen, öffnete er ernsthaft den Schlag, schrie dem Kutscher zu: Güntherstraße fünf! warf sich in den Rücksitz und schloß die Augen.

Wenn wir nur erst zu Pferd wären! wünschte er begierdevoll und öffnete die Augen wieder; sogleich wogten zu beiden Fenstern bunte Stürze von Stoffen, Fahnen, Blumen und Bewegung herein, er packte die Ringe der Vorhänge und zog sie straff herunter, er wollte nichts sehn, wollte die ganze Vollkommenheit des Schauspiels sich bewahren, drückte sich wieder in die Ecke, stöhnte vor unbezwinglicher Ungeduld und kniff die Augen zu. Alsbald brandete die Woge der Erregung wilder und kälter um sein Herz, so daß er sich leiblich umklatscht fühlte von einer großartigen Kühle, die ihn trug und aufrecht machte, ja, deutlich unterschied er im lauten Toben seines Blutes die geistige, fast eisige Stille seiner Kaltblütigkeit. Sein ganzer Leib dehnte sich in allen Fugen und Nähten vor fiebrischer Erwartung Renates, es knatterte in ihm, wie eine Stichflamme aufschießend mitunter, schien er sich als ein riesenhaft gebauchtes Segel, eine tönende Gefäßwand voll praller Windvölle über einem tosenden Geröll strömender Wasser zu stehn, zu prasseln, zu fliegen, unsagbar leicht und straff, strotzend von Kräften. Draußen unsichtbar, dumpf murmelnd und brausend, rollte das farbenreiche Getümmel der sich zur Freude sammelnden Mengen, und mit ihnen – so war es! – rollte aus allen Fesseln die Gewalt seines durchkühlten Bluts, schlug wogenhoch an Häuserfronten, spritzte klatschend zu Fenstern hinein, wirbelte um auf Plätzen und ergoß sich vollen, stürmischen Schwalles durch die Gassen, während er selber dasaß, wie ein Gott in sich zuhaus, in einer flammenden Wolke von Inbrunst, berauschten, tönenden Herzens, in den Ohren Musik und Gelächter, die Lippen überquellend von Jubel; und um so lautloser all dies in langen, lang schwankenden Minuten sich ergoß, um so magischer war es auch, – wie Legende, so wars. Und schon hielt der Wagen an.

Verkleidung II

Und schon sprang Georg, federnd wie ein Ball, von sich selber um- und angeschillert mit seidener Buntheit, durch einen fremden, sonnigen Vorgarten, auf ein fremdartiges, grau und sonniges Haus zu, über Stufen hinweg durch ein gläsernes Tor, warf sich durch einen kühl dämmrigen Flur wohlbekannten Geruches, vorbei an wohlbekannten Bildern, Spiegeln, weißen Türen auf eine dämmerweiße Doppeltür zu, die von selber vor ihm sprang, und schon stand er vor dem Wunder.

Lavendelblaues Wunder! Er stand nicht, er stürzte an den Boden, leicht, in sich gefaßt, geworfen und gehalten, auf das rechte, gebogne Knie, die Arme aufwerfend und breitend und senkend, die flachen Hände angeströmt von Lust und Glanz, das Haupt im Nacken, brausend unter allen Gliedern wie ein niederströmender Aar aus Lüften und Gewölk, und rief mit heller Stimme: »Herrlichkeit! Herrlichkeit über Herrlichkeit! ich bin da, ich bin gekommen!«

Renate, unter sich Georgs lachendes, magres, knabenhaftes, leuchtendes Gesicht, bewegte sich nicht, da Magda hinter ihr den Schleier auf ihrem Kopf befestigte, sah steifen Gesichts, die Augen gesenkt, auf ihn nieder, faßte, um ihn zu begrüßen, in die Falten ihres Kleidrocks über dem Knie und hob ihn an, so daß der starre Saum von Silberbrokat an sein Gesicht rührte. Er faßte mit beiden Händen zu, Inbrünstigkeit spielend, so tief er sie empfand, und küßte sie lachenden Mundes. Dann bat er um Erlaubnis, aufstehn, und nachdem sie ihm gewährt worden, die Wundererscheinung betrachten zu dürfen. – Renates Gelächter schwang über ihm wie eine Glocke, da sie erklärte, das Wunder sei erst halb, noch fehlten die Überärmel und der Mantel, ja, es sei alles schon verpackt, jedes zu seiner Zeit … Georg stammelte, daß er dann nicht wüßte, wie er das Ganze ertragen solle, und fing an, um sie herumzugehn. – Ihr Haar sah er, das bräunliche; es schimmerte durch ein fabelhaftes Netz von großen Perlen, vorne aber fielen die Zöpfe, wie Taue so dick, Haarsträhnen, durchflochten mit Perlenschnuren und schilfgrünen Bändern, über die Brust bis zu den Knieen herab, und die Enden der Bänder bebten bei jeder Bewegung leise dicht über den Füßen in silbernen Schuhen. Die lavendelblaue Seide, grauschiefrig schillernd in der Nähe der Nähte, umschloß Brust, Leibesmitte und Hüften eng, ergoß sich dann in großem, starrem Faltenwurf; vom runden Ausschnitt des Halses senkte sich zwei Hände breit eine glitzernde Borte von Silberbrokat vorn herab bis zum Saum, der starr stand, drei Hände breit, silberner Brokat. Und in all dem Silbernen, dem lichten Blau, Perlweiß und lichtem Grün glühte das meilentiefe Blau ihrer Augen, hauchte die rosene Zartheit ihrer Wangen, glühte das Rot ihrer Lippen, der göttlich geschwungenen, alles in allem ein Pokal voll Unersättlichkeit, in den Georgs Herz hineinsprang mit einem Satz wie ein Panther. – In der Nacht, wo ich dies umarme, dachte er, werde ich sterben und das ewige Leben davontragen wie eine Harfe, auf der ich – ach, ich weiß es nicht, aber warum sage ich es ihr nicht? Ich werde es ihr sagen, doch nicht jetzt, am Mittag vielleicht, am Abend, ich will – noch – noch! – kein Band und keine Fessel zu ihr hinüber als mein trunkenes Empfinden, und er sagte: »Jetzt wollen wir fahren. Aber Magda, – was ist denn mit dir? kommst du nicht mit?«

Sie schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: erstens müßte sie das Haus hüten und den Onkel …

»Und zweitens?«

Zweitens hätte sie kein Kleid. Er erinnere sich ja wohl noch, daß er selber das Gebot erlassen habe, daß niemand in andrer als in alter Tracht sich heut öffentlich zeigen dürfe …

Georg mußte es zugeben. Allein in plötzlicher Liebe zu ihrer dürftigen Gestalt, bestand er darauf, ihr am Abend das Feuerwerk und den Tanz in den Gärten zu zeigen. Ob sie nicht eines von Renates Trachtkleidern anziehen könne, – und nun gab sie gerührt nach.

Und schon saß Georg, nachdem Renate lächelnd zugegeben hatte, daß er die Vorhänge herunterzog, auf dem schmalen Rücksitz des Wagens ihr gegenüber, genau genommen, dachte er, in ihr, denn sie füllte den halben Wagen mit ihrem Kleid und den Luftraum ganz mit Duft und Blühen. Sie schauerte ihn an wie atlantischer Wind, er schloß die Augen und sah sie in brennenden Umrissen dasitzen, in ihrer sinnenden Haltung, die sie liebte, die er liebte, das Kinn in die rechte Hand gestützt, den Ellenbogen auf dem übergeschlagnen rechten Knie, in der Linken im Schoß den kostbaren Haufen ihrer Zopfenden und der Seidenbänder. Ihr leibliches Leben strahlte über und über aus ihr; in allen Falten raschelte, in allen Nähten lief, im äußersten Saume brannte und zitterte noch die Süßigkeit ihres rosigen Lebens. Georg sah und sah, – sah alles Unsichtbare: unter dem lavendelblauen Kleidhimmel wie eine lockre Schar schneeweißer Fittiche das Gewoge ihrer Leibwäsche in weißer Dämmrung; darein stiegen von unten, aus Silberschuhn, die schlanken Schäfte ihrer Beine, glatt bespannt mit blauem Flor; da wölbten sich unbeschreiblich die Rundungen der Knie, blau bespannt bis zu einer Handbreit höher hinauf, wo es kaum sichtbar schimmerte – nicht wie Marmor und nicht wie Rosen, wie Schnee nicht, noch Elfenbein, noch Mandelblüte, – Magnolie vielleicht, – nein, davon nichts, sondern lebendige Haut, unfaßliche Glätte, Süße, Hauch, Schimmer, Duft, Verwirrung aller Sinne unter dem weißen Spitzenschaum und – Georg dehnte ein wenig die Brust, breitete die Arme zu beiden Seiten aus, sich anlehnend, und suchte umsonst zu begreifen, wie er so gelassen dasitzen konnte, die sanften Schwellungen ihrer Brust offnen Auges betrachtend, dazu die zarte Linie ihres Profils, der gebogenen Nase, lieblichste Wölbung der Oberlippe und flügelnde Entzückungen der tiefgezogenen Mundwinkel, von kaum sichtbarem, weißem Fruchtflaum umhaucht, – anstatt in all dies hineinzuwühlen Haupt und Mund und erblindende Augen, an allen Sinnen gesträubt und betäubt, geglättet, unersättlich, rauchend und begraben im klirrenden Schutt seines Daseins.

Fahrt

Renate, still vor sich niederblickend, sehr glücklich, atmete tief und leicht, gewahrte von Georg gegenüber in der sonnigen Dämmrung des kleinen Raums den Schatten seines blassen Gesichts, dachte an seinen Vater, lächelte sanft auf, indem sie bemerkte, daß sie ja seine Mutter sein würde, blickte ihn voll an und fand ihn so hübsch, so liebenswert, so jung und schmal wie je; freilich nur ein schmaler Baum war er neben dem Turmbau seines Vaters.

»Wie mager Sie geworden sind, Georg,« sagte sie leise bedauernd.

Die letzten Wochen, erklärte Georg, seien schon schlimm gewesen, er habe sich hineingefressen in den ganzen Trassenberg und kaum Atem geschöpft.

Sie fand ihn leidender aussehend, während er so sprach. »Und obendrein waren Sie krank«, sagte sie.

»Ach,« äußerte er munter, »das war ganz schön, – die paar Tage! – und da ist mir auch alles eingefallen. Ja, was Sie heute sehn, und ich hoffe, einiges davon wird Sie erstaunen, das habe ich mir ausgedacht, als ich krank lag. Ja, geben Sie schön acht, damals lag ich wie ein brennender Saturnring um Ihre –«

Sie hob warnend den Finger, lächelte und sagte: »Georg! Ich mag sehr gern, wenn man mir schöne Dinge sagt, aber man muß niemals übertreiben, dann verraucht die Wirkung spurlos.« Übertreiben? dachte Georg, ach, du lieber Herr Jesus! »Erzählen Sie mir, wer war Heliodora!« befahl sie.

»Heliodora«, erklärte Georg, »war eigentlich Libussa. Kennen Sie Libussa?«

Renate nickte und sagte, Libussa sei ihre Lieblingsgeschichte gewesen als Kind.

»Meine auch«, log Georg und fuhr fort. »Ich wollte Libussas Geschichte aufführen lassen. Sie sollten Libussa sein, aber als ich mit Onkel Salm darüber sprach – Papa hat ihn mir überlassen, er mußte alle meine Pläne ausführen – sagte er, wieso ich nach Böhmen wolle – er weiß ja alles –«

Wie Georges, dachte Renate gerührt; wie er sich freuen wird, der Gute, und sie unterbrach Georg mit der Frage, was Saint-Georges darstellen würde, aber er wußte es nicht. Ihr hatte er nichts verraten wollen.

»Also, da sagte er,« fuhr Georg fort, »warum ich nach Böhmen wollte, da wir doch die Heliodora hätten. Aus dem Festspiel kennen Sie ja dieselbe, sie war, richtig wie im Festspiel, eine byzantinische Prinzessin, verstand allerdings leider nicht, ihre Legendenschönheit zu vererben, – oder – was meinen Sie?«

Renate meinte, er könne ganz zufrieden sein, aber woher denn die schiefe Nase seines Vaters komme.

»Nicht von Heliodora freilich, sondern eben von dem Bauern, dem Gregor, oder Georg, den sie zum Mann nahm, – es steht ja alles im Festspiel. Auch das weiße Pferd und der Tisch von Eisen ist Legende, nur waren es in der Überlieferung die Sachsen, nicht die Beuglenburger Markgrafen, mit denen Heliodoras erster Mann und sie selber kämpfte, und Trassenberg war damals natürlich noch nicht Herzogtum, wie im Festspiel, sondern Freigrafschaft. Heliodora,« sagte Georg langsam und leise, »Sonnegabe, ein schöner Name …«

Sonnegabe, wiederholte Renate, sich erinnernd, daß der Herzog seinen Antwortbrief auf den ihren, in dem sie ihre Mitwirkung im Festspiel erwähnte, mit diesem Wort begonnen hatte, – und da, dachte sie, wußte ich schon alles, aber ich wollte es nicht wissen … »Zwölfhundertsiebenunddreißig« hörte sie Georg murmeln, und der Wagen stand still. Georg öffnete den Schlag, sprang hinaus und reichte ihr die Hand hinein. So stieg sie gebückt vorsichtig ins Freie hinab. Da standen sie auf der Landstraße neben dem Reitweg und sahen sich um.

Allein Georg, von plötzlichem Argwohn herumgeworfen, mußte vor Renate hintreten und fragen, indem er ihre Hände ergriff:

»Renate! begreifen Sie es, oder nicht, daß ich mich hier unter Trachten und bei Festen herumtreiben kann und heute nachmittag die Verantwortung für ein ganzes Volk auf mich nehmen soll?« –

Renate, sein blasses Gesicht mit angstvollen Augen dicht über dem ihren, sah ihn nur gut an und antwortete nach einer Weile, ihm zu helfen: »Ist es nicht auch Ihre letzte Freiheit, heut? Ich habe ja wohl manchmal gestaunt,« fuhr sie leise fort, »wenn ich im stillen bedachte –« sie lächelte, da seine Züge sich schon glätteten, »– was Sie auf sich nahmen, aber – nun, Sie haben das Herrschen wohl im Blut …«

Was hatte sie gesagt? – Er zuckte zusammen. »Im Blut …« wiederholte er tonlos, »nicht im Blut, Renate …«

Er senkte den Kopf, und sie sagte leise und begütigend über ihn: »Ich weiß …«

Gleich warf er den Kopf auf. »Sie wissen? Ach, dann ist es gut, dann ist es gut! Und Sie verstehn mich doch?« Sie nickte. »Papa hat es Ihnen verraten?« Sie nickte. »Aber ich habe gelogen vorhin,« murmelte er beschämt, »als ich von der Heliodora sprach. Ach, gute Renate,« fuhr er glühend und eifrig fort, »mir ist so unbeschreiblich heute ums Herz, so wild und zugleich sanft und kühl, kräftig und wunschlos und glücklich, nur eins fehlt, nur eins müßte man können!« Er hob die linke Hand und ballte sie: »Sein können, was man ist!« Er trat zurück, wies mit leicht gebreiteten Armen auf seine Tracht und sagte: »Wie locker und gewandelt fühle ich mich nicht schon durch diese Kleider, und doch – von der göttlichen Laune, die mich erfüllt, kann ich nichts nach außen schlagen lassen, da ist alles beladen mit Ketten dieser hundert Hemmungen, ich kann mich nur fühlen, geben kann ich mich mit keinem Blick, keiner Geste und keinem Wort, wie ich bin; ich bin vielleicht nicht einmal geschickt genug dazu, aber selbst wenn ichs wäre, wäre immer mein Anzug von Neunzehnhundert um mich herum, Kragen und Manschetten, Weste und Stiefel und alle Allüren meiner großstädtischen Erziehung, die nur zum Verbergen da sind, nicht zum Ausdrücken, zum Zurückhalten, nicht zum Ausströmen. Anno zwölfhundertsiebenunddreißig wäre ich ein Schwärmer gewesen, ein Dichter, jedem ins Gesicht hinein und – aber genug!« er brach ab. »Jetzt will ich siebenhundert Jahre zurück, geben Sie acht, sehen Sie mich fest an, wo sind wir? Freigrafschaft Trassenberg, Heliodora, Sonnegabe, Zwölfhundertund –« »Siebenunddreißig,« ergänzte Renate lächelnd. »Nun wollen wir uns umsehn!«

Mummenschanz

Georg behielt freilich ihr sonneglänzendes Profil vor Augen, dahinter die Äcker, Roggenfelder, wogend in reifem Gelb, dahinter den grünen Traum der Hügel und ein Stück der dunstigen Stadt, Türme grau und Neubauten, flimmernd im Sonnenglast. Nach links gewandt sah er mit Freude die weiße Straße unter schwer tragenden Kuppeln der Fruchtbäume weithin betupft mit leuchtenden Farben; ein Zitronengelber wandelte ganz vorn heran, weiter hinten zog ein ganzer Haufen, aus dem zwei Zinnoberrote glühten, und er berührte Renates Arm, damit sie es auch sähe.

Dann mußte er aufhorchen. War das wirklich oder nur in seinem Gehirn? Ein weiter Ring von sanft hallendem, ruhigem Glockengeläut schien ihm alle Fernen zu umschließen, – darinnen war tiefe Sommerstille, – nein, es klang wohl doch nur in seinen Ohren, – aber waren nicht alle Weiten erfüllt mit heiter schwirrender Musik? – Ah, Mandolinen und Gitarren, sie kamen auf der Landstraße heran, leise rauschend im Takt. Wo nun die Pferde seien, hörte er Renate fragen, wandte sich und sah mit ihr zur Rechten hinauf; dort enteilte die Straße leer, von den Schatten der Obstbäume leicht gegittert, zur Ferne der Landschaft, und dort flackerte es bunt, rot und gelb. Nahebei drehte ein einzelner Geharnischter sein braunes Pferd um sich selbst und lenkte herbei, die lange Lanze im Bügelschuh, den Kopf im spitzgewölbten blanken Helmtopf, das Kinn vom stahlmaschigen Halskragen umschlossen, im grauen Kettenhemde mit anliegenden Ärmeln, die Beine in ebenso anschließenden, stahlmaschigen Strümpfen, – die Vermummung eines Feldgendarmen, der für Ordnung zu sorgen hatte. Wieder nach links schauend, glaubte Georg in der Ferne, von der Stadt her, hinter den Zinnoberroten etwas schwarzrot Vermummtes mit einem braunen Pferdekopf zu sehn, daneben ein silbernes, dann auch einen Reiter in Weiß und Grün; das waren die Pferde. Er zeigte sie Renate.

Indem war drüben auf dem Fußsteig unter den Bäumen der Wandrer im faltigen Zitronenhemd nahe gekommen, ein rüstiger Greis von fünfzig Jahren in schönen, grünen Strümpfen, am Wanderstabe, einen spitzen Strohhut auf dem Kopf, hager und braunbärtig. Jetzt blieb er stehn und starrte, Augen und Mund weit offen, auf Renate. Georg lachte.

»Mit Permission,« sagte der Gelbe, »ob dies wohl die Heliodora ist?«

Georg zog zwei arg verbogene Zigaretten aus dem Wams, schlenderte frohgelaunt zu dem Staunenden hinüber und reichte ihm eine, seine Frage bejahend und um Feuer bittend. Der Gelbe bedankte sich höflich, krempte sein Hemd auf, eine mächtige, manchesterne Hose kam zum Vorschein und aus ihrer Tasche alsbald eine alte Streichholzschachtel, die der Mann halb auseinanderzog, um Georg in der Höhlung das brennende Streichholz zu reichen. Georg bemerkte, als die Zigaretten beide qualmten, es sei ein schöner Tag.

Jeder Tag, sagte der Gelbe, sonderbar im Stehn beständig die Füße wechselnd wie ein Tanzmeister, jeder Tag sei schön, an dem der Christenmensch sich nicht zu schinden brauche. Er blinkte Georg verschmitzt zu und sagte: »Heliodora, eiweih! die heilige Dora! ha, ha, ha, ha!« und wechselte die Füße, seinen Stock hinter sich aufstützend.

»Frei Essen und Trinken obendrein«, bemerkte Georg leutselig, aber der Mann kratzte sich den Kopf unterm Hut, daß er ihm über das halbe Gesicht rutschte, nahm ihn ab, schwenkte ihn und meinte, was zum Teufel er morgen mit dem gelben Hemde machen solle.

»Menschenskind,« rief Georg entrüstet, »müßt Ihr denn immer was zu sorgen haben?«

Der Gelbe grinste. Indem war die schwirrende Saitenmusik nahe gekommen, Georg sah das bunte Menschenhäuflein, die Zinnoberroten voran, hermarschieren mit Mandolinen und Lauten im festen Takt eines muntern Marsches. Wandervögel, dachte er und hörte den Gelben sagen, er wäre Professor am Orientalischen Seminar, wozu er da ein gelbes Hemd brauchte? – Georg fuhr lachend und erschreckt herum, aber der witzige Professor winkte großartig ab und wanderte fürbaß.

Hinter den Jungens, die ihre Instrumente spielten – sie waren ähnlich wie Georg gekleidet, einer in Schwarz und Gelb, einer in Grün, – kamen die Mädchen, schön flatternd in Gewändern, Kränze im Haar, eine schieferblau, eine rostrot, eine grün und weiß gestreift, Arm in Arm kamen sie daher. Jetzt hoben die Jungens die Instrumente vor der Brust hoch, vollführten ein betäubendes Saitengerassel und fielen mit Klängen und Stimmen in das rasche Lied: Horch, was kommt von draußen 'rein? – Sie sangen aber, kräftig ausschreitend, die Augen stramm auf Renate geheftet:

»Seht, was steht denn dort am Rain?
Hollahe! hollaho!
Das muß Heliodora sein!
Hollahehaho!

Hel–io–do–ra, lächle mal!« damit kamen sie taktfest vorüber. Georg wollte sich umdrehn, um Heliodora lächeln zu sehn, wäre aber ums Haar überritten worden, sprang zurück vor einem feueräugigen roten Roßkopf und sah darüber das volle, brennend braun und rote Gesicht eines Geharnischten, barhaupt, mit gestutztem Armeeschnurrbart und funkelnden schwarzen Augen, der lachend sein Streitroß zur Seite nahm, Georg im Bogen umtrabte und sich verneigte. Georg rief ihm nachblickend zu – erfreut vom Anblick des blauverstählten Panzerhemdes mit aufgesetzten Messingplatten an den Kniescheiben, Achseln und Ellbogengelenken –: »Wer sind Sie?«

Mit schallender Stimme: »Rittmeister Freundlich, königliche Hoheit, vierte Eskadron Beuglenburgische Jäger zu Pferde!« rief der Trabende winkend zurück, und da schaukelte sein weiß und roter Knappe an Georg vorüber, Schild und Lanze seines Herrn in Händen, den Helm am Sattelbug, aber das rosige Gesicht war umflogen von langem, braunem Haar, eine Frau wars, und »Ich bin seine Frau!« rief sie strahlend, aber da war die Eskadron heran und polterte klirrend vorbei, rote schwitzende Bauerngesichter unter den Helmen, auf und nieder, auf und nieder im englischen Trabe, nickende Pferdehäupter, Mähnen, Hufschlag, wirbelnde schwarze Schweife, weißrote Dreieckfähnlein und wogendes Wippen in den sesselartigen Eisensätteln, Geklirr und Geklapper, zwei hüpfende Reihen dunkelgrauer Kettenhemden. Einer der Unteroffiziere oder Wachtmeister hob die Lanze aus dem Schuh, tippte mit der Spitze nach einem der offnen Mundes anstaunenden Mädchen, die bog Brust und Hals zurück und erwischte den Wimpel, hielt ihn schreiend fest und wollte nicht loslassen, scheltend wie ein Sperling und hinterdrein springend; die reitenden Kerle in Eisen lachten dröhnend, da wars vorüber, reitende Schatten verschwanden in weißem, wolkig steigendem Staub, und von den am Straßenrand aufgestellten Musikanten waren schwirrend und rauschend die heitern Takte des Radetzkymarsches zu hören. Sie fielen Georg ins rauschende Blut, oh er hätte tanzen mögen, und eins der Mädchen, das in Schieferblau mit violettrotem Rocke, sah aufs Haar wie jene Riemenschneidersche Madonna aus, Kranz im Gelock, Schultern und Brust glatt bedeckt vom Stoff, der über den Hüften locker auseinanderfiel auf den weitfaltigen Kleidrock, und wie entzückte sie Georg mit Erröten und Knicks und Lächeln, denn nun wußten sie ja Alle, wer er war.

Ritt

Da kamen die Pferde. Ja, da staunten sie. Die Wandervögel staunten, Georg staunte, Renate staunte höchlich. Unkas ging, bis zu den Hufen vermummt im steifen Umhang dunkelroter Decken mit schwarzen Wappen und Ornamenten, was aber neben ihm schwebte, das war die silberne Unwirklichkeit in Gestalt eines Pferdes: milchweißer Kopf und Nacken unter breitfallender, gewellter Mähne und starrer Deckenumhang von silbernem Brokat mit blauen Wappen und Arabesken; ein weißer Gießbach, ergoß sich der gewellte Schweif, und unter den handbreiten, blauen, silbergestickten Säumen hoben sich und traten die versilberten Hufe. Die großen, braunen Augen aber blickten aus vergilbten, faltigen Lidern fremd und fromm wie die eines Fabeltiers. – Renate, ganz gerührt, bedankte sich feierlich bei Georg für diese schöne Erfindung, er aber lachte und sagte, dies wäre nun noch gar nichts, aber jetzt wüßte sie wohl, was ihrer noch wartete … Ferdinands, des Reitknechts, blankes und schurkisches Gesicht – wie das aller Reitknechte – fuhr dazwischen, er schwang sich vom Pferde, weiß und grün halbiert wie Georg, doch nicht so schön, und auf der Brust das silberne Wappen in Metall. Er führte den Schimmel vor, aber nun stürzten sich sämtliche Wandervögel auf den Steigbügel, einer stand ab nach Kampf, nahte sich ritterlich Renate, verbeugte sich tief und bot ihr die Hand. Wie ein kostbares Gefäß aus Kristall wurde sie aufs Pferd gehoben, Georg fragte, ob sichs gut sitze, Renate fand, sie sitze weich wie in einem Heuberg, und Georg saß selber auf. Stracks fuhr sein ganzer, heftiger Geist dermaßen in Unkas, als sei Georgs Leib eine elektrisch geladene Zange; er brachte unleidliche Verwirrung in das alte, kalte Wallachenblut, es drängte ungestüm gegen die Schimmelstute, sie stob schnaufend auf und davon, Georg folgte, Unkas mit voller Armkraft in die Trense nehmend, aber das half alles nichts, er raste wie ein Untier davon, holte den locker laufenden Schimmel ein und bohrte, gegen ihn anstürmend, die linke Schulter gegen seine Hinterhand. Renate erschrak leicht und galoppierte weiter, aber Georg, Unkas zurückreißend, merkte, daß der die Trense aus dem Maul genommen hatte und damit herumfletschte; er stieg ab, schaffte unter milden Verwarnungen Ordnung, stieg wieder auf und folgte einem Hauch von Blau und Silber oben auf dem Hügelrücken, den die Landstraße überstieg.

Oben winkte ihm herrliche Aussicht. Von rechts strömte eine breitere Chaussee heran, über und über bedeckt mit farbiger Bewegung, Kavalkaden von Edelleuten und Frauen, wandernden Mönchen in schwarzen und weißen Kutten, reisigen Pilgern aus dem Morgenland im Schatten ihrer breitkrempigen Muschelhüte. Leiterwagen rollten heran, geschmückt mit Kränzen, unter wallenden Bannern, gefüllt mit schmetternder Musik und Scharen buntfarbener Männer und Frauen in weiten Mänteln, die sich blähten; überall wandelten gelbe, weiße, grüne Hemden, grüne, weiße, rote Strümpfe, bekränzte Mädchen. Stimmen, Zurufe, Scheltworte und Gelächter schollen, der Himmel flammte mit goldenen, weißen und blauen Strahlen hinein, Wolken Staubes ballten sich so leicht wie himmlische dazwischen, ringsum schweiften die Ebenen, Felder in breiten gelben Wogen, Wiesen, kleine, dunkle Haine über Gehöften, – eine Augenlust unbeschreiblich. Schon war Georg das silberne Pferd im Getümmel verloren gegangen, er ließ Unkas die Zügel und stob bergunter, vorbei am rollenden Strom der Wagen, Rosse und Wandrer, an Geharnischten zur Seite, die aufrecht Wache hielten; um ihn sauste die Kälte der durchschnittenen Luft, hinter ihm weg schnellte fortgerissen das schreiende Bunt gelber, violetter, schwarzblauer, brauner und birnengrüner Mäntel und Mantelfutter, ein Knabe vor ihm, dahinwandernd, schwenkte großartig von rechts nach links an kurzem Fahnenstiel ein ungeheures, blau-weiß-schräg kariertes Banner mit grüner Bewimpelung an der unteren Kante, – dann war die Straße vor ihm leer und weiß, in der Ferne schimmerte das silberne Pferd und in dessen Nähe etwas Blutrotes, das Georg im Näherfliegen als zwei Beine in blutroten Strumpfhosen erkannte; auch die linke Schulter des Mannes war blutrot, und was so blendende Blitze von Silber schleuderte, das war – es war ein riesiges Beil mit geschweiften Seiten und konkav gewölbter Schneide. Ein Henker. – Neben ihm trabte der Schimmel, da war Georg heran, der Mensch mit dem Beil auf rotem Mantel über der linken Achsel, im kurzen schwarzen Büffelwams drehte sich um und zeigte Bogners langes, graues Gesicht. »Halloh, Bogner!« rief Georg, »machen Sie den Henker?!«

Der Maler nickte lachend, sprang aber im selben Augenblick mit hurtigem Satz seiner langen roten Beine neben Renate auf den Reitweg, und Georg verstand nicht, was er sagte, denn da kam unter prasselnden Becken und schallenden Posaunen vierspännig ein ganzer Leiterwagen voll Musikanten und schwerer Ratsherren, pelzverbrämt und mit blitzenden Amtsketten, vorbeigerollt, ein zweiter dahinter voll von lustigen Matronen, ein dritter gefüllt mit Töchtern und Schwiegersöhnen und Bräutigamen bis zum Rand; sie schwangen Keulen und ganze Leiber gebratener Hühner, Enten und Tauben, Becher und Gläser und sangen »Weg mit den Grillen und Sorgen!« daß es in Georgs Ohren brauste. Vor ihm saß Renate, weich wie auf einem Stuhl in einem Kahn; auf der silberweißen Kruppe ihres Pferdes saß Rücken an Rücken mit ihr ein kleiner, schmaler Windgott wie ein Faun, der hielt das Ende ihres durchsichtigen Kopfschleiers in braunen Fingern und blies mit vollen Backen hinein, daß der lustige Bogen hinter ihr stand.

»Ist es schön, Renate, ist es schön?« schrie Georg überlaut.

Renate, wohlig dahingleitend, die Finger der rechten Hand mit dem Trensenzügel im Nackenwirbelhaar des Pferdes, in der Linken im Schoß die Enden ihrer Zöpfe und der Bänder, drehte sich um, lächelte und nickte. Bogner getroffen zu haben, war schön, er erinnerte angenehm an den Herzog, er war trotz Beil und Blutfarben ein gewisser Halt in all dem Lärm und Getriebe, der bunten Lautheit, die sie nie gewohnt gewesen, zumal in den letzten, stillen Jahren.

»Seht ihr die Burg?« schrie Georg. »Bogner hat sie ganz neu aus Pappe gemacht!«

Renate sah zur Linken auf dem niedern Berge die längsterblickten klobigen grauen Rundturme, drei, über deren Plattform, weit ausgebreitet, schwer Falten schlagend, die blauweißgrünen Banner standen; dazwischen graue Mauern mit mächtigen Streben und breiten Zinnen, fast so hoch wie die Türme selbst.

Jetzt war eine blauweißgrüne Schranke neben der Landstraße, von zwei Geharnischten bewacht; dahinter führte ein Feldweg zur Burg, der im Bergwalde verschwand. Einer der Reiter erkannte Georg, stieg ab und öffnete die Schranke, sie ritten hindurch, auf schmalem Pfad zwischen dem hohen Roggen, Georg mußte zurückbleiben.

»Sie sehen so schön aus, Maler,« sagte Renate leise, »es ist schade, daß Sie sich nicht immer so kleiden können. Haben Sie die Gesichter der Menschen gesehn, wieviel freier, leichter und schöner sie alle geworden sind durch die Tracht? Und wer ein Gesicht von Bedeutung mitgebracht hat, der sieht gleich wie ein König aus oder mindestens wie ein Minister.«

Georg erinnerte sich des gelben Professors, des Rittmeisters Freundlich und gab Renate eifrig recht. – Es ging bergan, die Sonne glühte schon, doch nahm jetzt der Wald sie in Kühle und grünes Dunkel seiner schönen Wölbungen auf; es roch strömend nach Buchenblättern, Brombeeren und den herben Farnen. Die Hufe der bergansteigenden Pferde rauschten im braunen Laub, Georg saß, träumerisch bewegt vom Schreiten des Pferdes, im Schweigen lauter tönenden Herzens, verklärt aufblickend in die laubigen Baldachine von durchbrochenem Grün und Himmelsblau, hörte im Traum einen schneeweißen Wasserfall rauschen und murmelte sich trunken zu, das sei der Schweif von Renates Stute. Ich träume wieder, dachte er, ich träume, wann werde ich wieder stürzen? Ich werde nicht stürzen, lächelte er, all dies geht vorüber, der Nachmittag naht Schritt vor Schritt mit dem Ernst, mit der Last, mit der Sorge, dann werde ich glücklich sein, all dies gesehn zu haben, und Renate – Renate –, die Gedanken verließen ihn, er sah über sich im Wald den Fuß der grauen Mauern und ringsum die Räume des Waldes bevölkert mit Gestalten, Trupps lediger Pferde, langhalsig angelnd mit dem Maul nach Gras und Gestrüpp, farbige Menschen wandelten umher, lagerten in Gruppen beim Frühstück und waren allesamt unsterblich guter Dinge.

Da ritten sie in den Burghof ein, Renate glitt vom Pferde, sie konnten keinen Schritt weiter, denn der Hof war vollgepfropft mit essenden Menschen. Georg sprang ab und versuchte, sich zur Schenke durchzudrängen, wurde alsbald erkannt, und schon bestürmte ihn vorn und hinten ein Getümmel der reizendsten Frauen und Mädchen, die ihm Schinkenbrote, Gläser voll Wein und Backwerk hinhielten und bettelten: »Von mir, königliche Hoheit, bitte von mir!« oh es war herrlich! So viel er fassen konnte, teilte er weiter an Renate und Bogner, schlang selber, was der Mund halten konnte, mußte aber mit randvollen Backen bald versichern, von jetzt ab nähme er nur schon Vorgekautes. Eine Weile später, umringt, lachend, scherzend, immer ausgelassener, hatte er dunkel das Gefühl, in einen strudelnden Gesundbrunnen verwandelt zu sein, plätschernd in allen Becken, und deren Ränder waren dicht besetzt mit Schwärmen äußerst bunter, wild durcheinander schwatzender, flatternder und zwitschernder Papageien, Kolibris und Eisvögel, oder was es sonst ganz Buntes gab. Diese Vision wurde jählings weggefegt von drei schmetternden, an allen Mauern widergellenden Fanfarenstößen, und schon toste herum die gewaltigste Aufregung; Alles rannte gegeneinander, bekämpfte sich, rang, umschlang und entwand sich einander. Geschrei, Gekreisch und Gelächter. Herrgott, wo ist denn bloß mein Mann? – Mein Hut, um Himmelswillen, mein Hut! Sie haken ja an meinem Hut fest! Und eine ungeheure Baßstimme sagte: Ja, will sich denn keiner meinen Kaffee bezahlen lassen? – – Georg, ob er wollte oder nicht, wurde ins Freie geschoben, dachte, der Traum geht weiter, wo finde ich Renate? wo ist Unkas? Unkas stand da, Ferdinand dabei, das gnädige Fräulein, hörte Georg, wäre schon fortgeritten. Hastig saß er auf, befahl dem Reitknecht, sich hinter ihm zu halten, versuchte, das Getümmel von Bäumen und lauter plötzlich Berittenen zu durchspalten, gab es auf und lenkte den Abhang hinunter und im Bogen auf den Waldrand zu. Die Buchenzweige zur Seite stemmend, gelangte er ins Freie.

Mein Gott, das war ein Ausblick! Er schoß, ein riesenhafter Fächer, aus Georgs Augen so gewaltig nach allen Seiten dahin, daß er taumelnd nach Himmel und Gewölkedunst griff, um sich zu halten, und er schaute …

Ausschau

In der Tiefe, ausstrahlende Meilen weit nach Süden, Westen und Norden hin, nicht zu ermessen mit Augen, lagerte sein Land, Ebenen an Ebenen geschoben, hineingefügt azurblaue Seen und das silberne Geschlängel des Stroms, hauchend von heiterer Glut, rauchend von dunstigem Golde, grüne Flächen, gelbe, und bräunliches Gehügel der sich rötenden Haide, lagernde Bergrücken in den Fernen unter grauen Dünsten. Unten aber, zu Füßen seines Hügels, erst klein im Vergleich zur Unendlichkeit ringsum, sah er die grüne Ellipse der Arena ruhen, völlig leer, im farbenreichen Kranze der Tribünen und Zuschauerringe, und bemerkte nun auch ihre Riesigkeit, denn von hier oben war nichts zu erkennen als ein Gewirr und Gemenge von Farben, Gesichter wie Punkte klein; selbst die vielen großen Banner, an Stellen zu schattigen Wäldern gesammelt, knatternd und schlagend über den glänzenden Tribünendächern, schienen wie Taschentücher klein. Ringsum in dem bunten Kranze lief ein ununterbrochenes Glitzern, Funkeln und Blitzen von sonnegetroffenen Metallspitzen und Schmuck, Wellen von Bewegung rannen zugleich rundum, viele rote Tupfen flammten auf einmal an jener Stelle hervor, plötzlich war alles weiß gesprenkelt, und immer wieder strahlten das Blau, das Weiß und das Grün der Landesfarben hervor, – keine schöneren kann es geben, dachte Georg: des Himmels Blau, Grün der Natur und das schöne menschliche Weiß. – Er entdeckte nun auch den zum Walde den Hügel hinansteigenden Damm, der aus der Arena dort kam, wo sie den größten Durchmesser hatte, und hier unten konnte er allerlei unterscheiden: Strohhüte, rote Hemden, weiße, gelbe, das Rosige von Händen und Gesichtern, und er sah Männer und Frauen, Mädchen und Kinder, hörte ihr leises Brausen und die seltsame Stille, in der sie sich unablässig bewegten, drehten, gingen und setzten und über die Schranken vorbeugten. – Unsichtbar blieb ihm das obere Ende des Damms hinter dem Vorsprung des Waldrandes, er trieb sein Pferd an und erkannte, seltsam deutlich wie manchmal im Traum, daß die Hufe in einer tiefen Furche am Rand eines stillen, wehenden Haferfeldes entlang schritten. – Noch einmal ließ er die Augen ins Weite schweifen, sie flogen wie Greife dahin, schwebten groß unter der bläulichen Kuppel in der Sonne, stürzten herab aus Lüften mit Getön und rissen nun jählings mit Zauberkraft zu sich herauf das Unerkennbare: die Schwärme von Gesichtern, Agraffen, Pelzkragen, Halsausschnitte in violettem Samt, in weißer Seide der Frauentrachten, die schönen, geschatteten Falten ihrer Mäntel, die sie im Arme trugen, und ihre Bewegungen, wie sie lachten und sich bogen, im Stuhl sich drehend, nach oben sprachen zu Männergesichtern, die sich neigten, – und er schnellte ab und warf sich über den breiten Bannerschwarm hin wie über einen faltig rauschenden See, – und siehe, etwas noch Ungesehenes war da, nämlich ein dunkel herwandernder Strom von Geharnischten, der aus der Ebene kam und jenseits in die Arena mündete, tausendfach überhüpft vom Gefunkel der Lanzenspitzen und Helmbügel und den winzigen Segeln der weißroten Dreieckfähnlein. Tausend Pferdeköpfe bewegten sich nickend, die Gesichter der Männer glühten in Staub und Schweiß, – alles sah Georg, die linken Fäuste über der Vorderlehne des Eisensattels, aus denen die vier Zügelriemen flossen, sah die Beine in Stahlmaschen, die ledernen Bügelschuh der Lanzen und unten im Schatten das wirre Durcheinander der braunen und weißfüßigen Pferdebeine. Die ganze Beuglenburgische Kavallerie und Rittmeister Freundlich, murmelte Georg im Traum, Dragoner und Jäger zu Pferd, oder der einziehende Beuglenburgische Heerbann.

Indem schmetterte nahebei aus dem Walde hervor die Fanfare, Georg sah und erblickte undeutlich, hinter einer langen Reihe dunkelgrauer Geharnischter auf lauter Apfelschimmeln: Waldinneres, wie ein Bild, angefüllt mit Fahnen, Standarten, Helmen, Gesichtern und bunten Farben, ganz vorn das brennende Scharlachrot zweier Kardinäle oder Äbte auf Maultieren. Die Reihe der Berittenen setzte sich eben langsam talwärts in Bewegung, alsbald begannen sie zu traben, zwanzig grünweiße Fähnlein senkten sich miteins nach vorn, sie galoppierten leicht rasselnd den Damm hinunter, verkeilten sich unten, schwärmten, entfalteten sich durch den ganzen Durchmesser der Arena und hielten auf einen Ruck in langer, loser Reihe. –

Georg holte den Blick von unten herauf. Jetzt – wo war Renate? – Im Grün des Waldes und der Menge sah er ein braunes, südliches Gesicht auf dem Grund eines weißen Banners von Seidendamast; vorne schritten zwei Reihen von Herolden in Weiß und Grün, an den hochaufgesetzten Trompeten viereckige Standarten von dunkelblauer Seide mit silbernen Fransen. Die Klänge prasselten luftig und leicht umher, sie schritten zu Tal. Unter den Buchenkronen war jetzt ein berittener Halbkreis sichtbar, – ah, die Geistlichkeit, Mönche, Äbte, Kardinäle, – und schon löste es sich vorn heraus, in grandiosem Pomp, Kopf und schmaler Hals eines Maultiers, vorsichtig schreitend unterm großen grünen Behang mit goldenen Wappen und Verzierungen, auf dem Rücken einen schwankenden Turm von Weiß und Gold: der Erzbischof, ein faltig rosiges, mächtiges Gesicht, Kinn und starke braune Augen unter der goldenen und weißen, mittwärts gespaltenen Mitra, den Krummstab in der Hand. Ihm folgte der Klerus, eine erlauchte Schar von hundert Berittenen, Mönche in weißen Chorhemden mit handbreiten goldenen Säumen, alles glitzerte von Gold und weißer Leinwand, da waren scharlachne Pelerinen und Hüte, Kasulen und Stolen funkelten von bunten Steinen, prachtvolles Violett loderte dazwischen, Decken von weißem Samt, von Wiesengrün, ein riesiges gelbes Banner mit schwarzen Greifen entfaltete sich, zeigte sich groß und schloß sich zufrieden, und alles umrahmten, umwallten und trugen die langen Schlangenbänder der blauweißgrünen Fahnen. Es schwankte zu Tal.

Aber jetzt … Wo blieb denn Renate? Georg fieberte, sein Herz tobte nach ihr, wieder war da eine schwarze Mauer Geharnischter, zwanzig Rappen bewegten sich und stiegen Schritt vor Schritt bergab, – da – ach, da war sie, da hielt sie ja, ein wenig blaß, er sah es deutlich, mitten im Halbkreis ihres waldumdämmerten Hofstaats, der Ritter, Knappen, Frauen, hielt sie auf ihrem silbernen Pferd, jetzt weit umwallt von dunkelroten Mantelfalten. Der Schimmel hob den Kopf; in der Tiefe entwogte der glitzernde Haufe der Klerisei, Georg mußte den Kopf senken und seine zitternden Hände sehn, eiskalt vom Kopf zu den Füßen. Er sah auf, – das silberne Pferd bewegte sich und schritt vor, langsam, beseelt von seiner Einsamkeit und sehr stolz; es tänzelte leicht seitwärts, Georg sah Renates Körper sacht nach vorn rucken bei jedem Schritt des Pferdes, einsam lenkte sie den Berg hinunter, – aber jetzt, unten in der Ebene, war wilde Bewegung in den Kranz der Menschen gefahren, ein Brausen, erst dumpf, dann heller brandete herauf, alle Fahnen wankten, senkten sich und stiegen und stürzten wieder, Wellen um Wellen von Geglitzer, Wellen um Wellen von geschwungenen Tüchern, Hüten, Schleiern, Händen jagten sich im Ring, Musikchöre schmetterten hoch auf, unerschöpflich toste der Jubelsturm, – unendlich einsam und königlich trug das kleine, silberne Pferd seine Last, purpurumwogt, langsam, langsam – in die Ebene hinunter.

Georg fuhr mit der Hand über die Augen; sie brannten. Er glaubte nicht, was er sah, fühlte sich nun vom Getümmel des Gefolges aufgenommen und ritt, sich selber unsichtbar, umhüllt von kostbarer Dunkelheit, tief im Traum, Renate nach.

Traumspiel

Ja, nun war der Traum vollkommen.

Georg hielt zu Pferde – weshalb zu Pferde? – und wie war dies Pferd vermummt! aber es war Unkas! – in fremder, grün und weißer Tracht – warum in fremder Tracht? – inmitten einer dichten Menge von Frauen und Männern zu Pferde und in fremden Trachten, deren Gesichter, neben ihm, vor ihm und hinter ihm, fremd ihm eines wie das andre, allesamt unbeweglich gradeaus eingestellt waren. Es erinnerte seltsam an das teilnahmslose Beieinandersein der Menschen auf der vorderen Plattform eines Straßenbahnwagens. Und wie still war es? Was ging hier vor? Wozu war er, waren all diese versammelt?

Er hielt wie in einem Dickicht; es bestand, statt aus Bäumen und Gebüsch, aus verzauberten Menschen; traumhell brannte Sonnenglut herein, und alles beschattete sich gegenseitig. Er gewahrte vor sich einen kurzen, mit schwarzem Pelz verbrämten dunkelgrünen Mantel und die runde Kruppe eines glänzend schwarzen Pferdes, die Wurzel des Schweifs und die rote Schlinge, aus der er wuchs, den Schweif, – wie still er hing auf die starken Pferdehacken; darunter waren die Füße weiß, von den Hufen stand einer fest auf, etwas einwärts, der andre auf seinem vorderen Rand, und dies Bein war gewinkelt; am andern Huf glänzte noch ein Streif der schwarzen Wichse durch den Bezug von Staub. – Und nun, unten wandernd mit den Augen, sah er überall dies andre, dies untere Leben, das für sich war, ganz für sich allein und im Schatten, Pferdebeine und Hufe überall, große Decken, verändert durch das Dunkel, grün und braun und gelb leuchtete nicht mehr und Wappen und Zierate waren stumpf umdunkelt; er sah die still hangenden Falten der Schleppröcke, einen roten, einen grauen, einen violetten, sah die Linien der Pferdebäuche, Gurten, an deren Rand das eingeschnürte Fell manchmal zuckte, und die prallen, runden Leiber dehnten sich atmend, er roch das Pferd. Ein Huf bewegte sich wie ein lebendes Wesen, schlug vor, setzte sich stampfend auf im Gras, – und dort im winklig verhängten Schattendunkel von Kleidern und Decken kam eine weiße Frauenhand nach unten, tastete in grünen Falten, raffte sie, ein farblos dunkler Fuß wurde sichtbar, ein leer hängender Steigbügel, und der Fuß suchte nach dem Bügel, stieß daran, angelte, erlangte ihn, die Falten fielen, Fuß und Bügel waren völlig fort. –

Diese Stille! – Aber sprach nicht jemand, ganz allein?

Georg richtete sich in den Bügeln auf und war plötzlich ganz hoch und im Freien. Ein paar Gesichter links und rechts drehten sich, blickten nach ihm. Fern drüben, wie eine Blumenterrasse, war die Tribüne, menschenvoll, noch eine links von ihr, eine dritte rechts; tausend Farben und Gesichter glänzten in der Sonne, schräg gestreift vom Schatten der Dächer, in dem alles farbloser und dunkel war; darüber glänzten wie Silber die Dächer; schlaff hingen die Fahnentücher, unkenntlich.

Unterhalb war der grüne Rasen, ein Trupp lediger Pferde stand dort, alle Zügelriemen liefen zusammen in die Hände zweier Menschen, die rot und weiß gestreift waren von oben bis unten, sich anstießen und unterhielten. Über die fast leere, grüne Fläche schritten Geharnischte von verschiedenen Seiten heran, einer hatte den Topfhelm im Arm, etliche knieten; mit jedem zog im Grase sein kurzer Schatten und machte jede Bewegung mit, manchmal kaum zu erkennen flüchtig. Diese waren in einer unverständlichen Handlung begriffen. Einer trat vor und verbeugte sich; ganz schnell, als müßte er eher fertig sein, tat sein Schatten dasselbe.

Georg spähte verwirrt und ängstlich nach Renate, – und sieh – – ganz nahe zur Rechten, erschreckend nahe über ein paar Reiter hinweg, sah er einen großen Thronhimmel mit plattem, viereckigem Dach und darunter, in seinem Schatten, ein sehr stilles Bild von Renate, ganz entfremdet, nur ein Bild, ihr beschattetes Profil; sie saß in einem Stuhl mit hoher Rückwand, die Unterarme flach auf den Seitenlehnen; neben ihr, etwas zurück, stand ein Riese in schwarzem Kettenhemd und dem abenteuerlichen Topfhelm mit spitzer Wölbung. Grade vor ihr, zehn Schritt in die Wiese hinein, stand ein andrer Geharnischter und schien zu reden. Jenseit gewahrte Georg den Erzbischof zu Fuß auf der Erde, eine große, weiß und goldne Puppe mit dem Krummstab vor der bunten und glitzernden Mondsichel seiner Kirchendiener.

Georg hörte auf einmal sprechen, horchte, verstand aber keine Silbe. Jählings zusammenfahrend, mit den Augen schon wieder im unteren Schatten, vernahm er Renates Stimme, so hell und klingend, daß er vor Bestürzung die Worte nicht erraffen konnte, er hastete nach und hörte ein paar zerstückte Wendungen, die wohlbekannten vom eisernen Tisch und vom Leibroß. Plötzlich brach Geschrei aus auf allen Seiten, Bewegung, alle Arme fuhren empor und winkten, Georg selber schrie und winkte mit und sagte zu sich: Ah, jetzt ist das Bündnis geschlossen. – Aber da, ganz entsetzt, mußte er denken: Nein, es ist ja genau, genau wie im Traum! wie oft habe ich mir da einen Vorgang mit solchen Worten bekräftigt, die, wenn ich mich im Wachen erinnerte, ohne Sinn und albern waren. Einmal – wie war es doch? – das große Hurra, etwas vom großen Hurra sagte jemand, und im Traum begriff ich es …

Ich träume aber doch nicht! ermannte er sich aufgeregt. Also paß auf! Beuglenburg und Trassenberg konnten sich nicht besiegen und schlossen auf einer großen Wiese vor Altenrepen ein Bündnis. Aber die Beuglenburger verlangten, daß Heliodora einen von ihnen zum Mann wählte, denn sie fürchteten sich sonst vor ihr. Da erzählte sie von der Weissagung, ihrem Pferde, das den vom Schicksal Erlesenen finden würde, und von dem eisernen Tisch, an dem er tafele, und das bezogen sie auf ihre eisernen Schilde, gemeint war aber die Pflugschar des Bauern Gregor … Georg setzte sein Pferd in Bewegung, da Alles umher sich bewegte; er träumte nicht, das war klar, aber diese Wirklichkeit war allzu traumhaft. Dazu ward ihm jetzt sehr müde im Kopf, er schloß die Augen, öffnete sie nach einer Weile wieder, da es bergan ging; rings war blendendes Getümmel, die blauweißgrünen Wände der Fahnen standen ihm riesig und flammend vor Augen, und plötzlich erkannte er nicht weit von sich entfernt, mitten im Gedränge, das Gesicht Ulrika Tregiornis; sie blickte vor sich hin, ganz ernst, sie sah Georg nicht, und er schrie innerlich verzweifelt: Ist es denn doch ein Traum? Auf einmal dies bekannte Gesicht unter all den fremden, und sie ist da und sieht mich doch nicht, ganz wie – wie – wer war es denn? – Renate? – Nein … Dora! Dora Vehm …

Plötzlich, wie ein Gewölk, riß das Gewimmel in bunte Fetzen auseinander und zerstreute sich. Georg hielt auf der Plattform der Dammhöhe nahe dem Walde, ein Geharnischter näherte sich zu Pferd und schien etwas sagen zu wollen, aber, Georg erkennend, wurde sein Gesicht ehrerbietig, er kehrte um. – Der Raum ward leer, mitten darin, einsam, hielt Renate.

Sie war ja todbleich! sah starr gradeaus. Georg sprang ab, eilte auf sie zu, dabei immer müder von Sekunde zu Sekunde, stand unter ihr, streckte die Hand empor. Da schien sie ihn zu sehn, sie wandte das Gesicht herab, unendlich fremd und hoffärtig, – aber langsam kehrte Blick und Erkennen zurück, die Starre schmolz, doch waren die Züge noch ohne Bewegung, als sie das rechte Knie über das Horn weg hob und zur Erde glitt, ohne Georg anzurühren.

Einen Augenblick stand sie geschlossenen Auges, gegen das Pferd gelehnt, wankte dann und fiel gegen Georg. Er glaubte, vor Müde und Seligkeit umzusinken, hielt ihren weichen, seltsam sich lösenden Körper, sah die rotbekleideten Schultern, dicht unter sich die großen Perlen des Haarnetzes, das seltene Braun des Haars, atmete seinen Duft und merkte, daß sie weinte. Ihre Schultern zuckten, sie schluchzte mehrere Male heftig auf, den Kopf auf seiner Schulter, hob ihn dann, öffnete die verschleierten Augen, aber da standen sie mit einem Schrecken starr, über Georgs Schulter hinweg gerichtet.

»Was ist denn?« flüsterte er, sah sich um und starrte schaudernd: da, neben einem weißgolden flimmernden Mönchshaufen, stand einer der schwarzen Gugelmänner aus seinem Traum. – Ach, Unfug! schnob er innerlich, das ist ja Zuf– und sah im selben Augenblick, daß Renates Schrecken in ein süßes Lächeln schmolz.

»Es ist ja …« murmelte sie, denn der Schwarze erhob eben die flache Hand und winkte.

»Wer?« fragte Georg; er hatte nicht verstanden.

»Saint-Georges«, wiederholte Renate, völlig wach. »Ach, bitte, Georg – – ja, wie stehn wir denn da?« fragte sie erstaunt und trat ohne weiteres Befremden zurück. »Bitte,« fuhr sie fort, »gehen Sie hin und sagen Sie ihm, er möchte – ja, er möchte nachher vor dem Ankleidezelt im Burghof auf mich warten.«

Ja, was ist denn nun? dachte Georg. Er schwankte vor Müdigkeit, suchte unwillkürlich nach einem Halt und sah den guten, ruhigen Unkas dastehn, gesenkten Halses, mit geraffter Oberlippe im kurzen Gras rupfend. Er ging zu ihm hin, nahm ihn bei der Trense und schritt, doch wieder schaudernd, auf den unbeweglich dastehenden Gugelmann zu.

»Fräulein von Montfort läßt Sie bitten,« sagte er »nachher am Ankleidezelt zu sein, im Burghof.«

Der Schwarze neigte nur den vermummten Kopf und fuhr fort, durch die Augenschlitze gradaus zu spähn, – denn so schien es. Todmüde wandte Georg sich um und sah Ulrika und Renate zusammenstehn, Renate auf den Gugelmann blickend, wie er auf sie. Er zog Unkas hinter sich her, waldeinwärts, stolpernd mit halbgeschlossenen Augen, und dachte noch schlaftrunken: So führt ein Blinder den andern. – Dann zog sich alles in flimmernde, farbige Kreise auseinander, und mehr wußte er nicht.


 << zurück weiter >>