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Mein Sonntagsmorgen

Keine Dichtung

Welches Glück, am Sonntagsmorgen
In den Tag hineinzuschlafen,
Ruhig liegen in dem Hafen,
Von der Alltagsnot geborgen.
Langsam wird dann angekleidet
Unter Singen, unter Pfeifen,
Und kein Schmollen und kein Keifen
Unser Wohlsein uns verleidet.
Mit unsäglichem Vergnügen,
Angetan mit neuem Rocke,
Mit dem Hute, mit dem Stocke
Steigen wir hinab die Stiegen.
Doch um eins nicht zu vergessen,
Steckten wir in unsre Taschen
Uns ein hübsches Buch zum Naschen,
Bis es später Zeit zum Essen.
Drauf wird in dem Sonnenscheine
Hingeschlendert durch die Gassen,
Ganz gemütlich und gelassen;
Denn sie sind so blank und reine.
Jene grünen Jalousien
Sind geschlossen. Ach die Schönen,
Die sich dort auf Flaumen dehnen,
Träumen wohl von Harmonien!
Laß sie träumen! Die Geliebte
Denket doch des treuen Schäfers
In der Ruh' des Siebenschläfers, –
Daß ihr nichts den Frieden trübte!
Doch ein winzig Kieselsteinchen
Will ich ans Gesimse schleudern,
Etwa daß sie schon in Kleidern
Tänzelt niedlich auf den Beinchen.
Sieh, da öffnet sie die Balken
Mit den zarten Fingerspitzen,
Spähet furchtsam durch die Ritzen,
Wie die Taube auf den Falken.
Ha, nun hat sie mich erblicket,
Wirft mir mit dem lieben Händchen
Küsse zu als süße Pfändchen,
Wer ist wohl wie ich entzücket?!
Und ich wandre selig weiter
Bis hinaus zu den Alleen,
Die vor jenem Tore stehen,
Und das Glück ist mein Begleiter. Draußen wandeln schon die Leute
Fröhlich in des Sommers Prangen,
Freude lacht auf allen Wangen,
Denn es ist ja Sonntag heute.
Auf dem Rasen spielen Kinder
Vor den Eltern, vor den weisern,
Die da glauben, nicht in Häusern,
Nein, im Freien sei's gesünder;
Und geschmückte frohe Paare
Ziehen dort in bunten Reihen,
Die sich lachend, schäkernd freuen
Weiter Welt und junger Jahre.
Abwärts in die dunklen Schatten
Wend ich träumend meine Schritte,
Bis zu jener Büsche Mitte,
Wo sich friedlich Vögel gatten.
Heimlich ist der Ort, die Gegend
Trägt den Stempel tiefsten Friedens
Und nicht braucht es des Ermüdens,
Hold zum Niederlaß bewegend.
Bunte Schmetterlinge gaukeln
Dort auf blumenreichen Wiesen,
Nun zu jenem, nun zu diesem,
Unermüdlich reg im Schaukeln.
Grillen machen tolles Lärmen,
Mit dem monotonen Schrillen,
Und ich höre wider Willen
Summend Käfer mich umschwärmen,
Und ich fürchte, an die Ohren
Möchten sie mir gröblich pochen
Und Gedanken unterjochen,
Die ich eben erst geboren;
Ach Gedanken, teure, welche
Ranken gleich mich rings umgattern,
Mich wie Bienenschwärm' umflattern,
Mir erblühn wie Blumenkelche!
Da gedenk ich meiner Kindheit,
Und des Jubels goldner Tage,
Wo mich eine Märchensage
Glücklich eingehüllt in Blindheit,
Wo die Menschen lauter Engel,
Wo der Winter ohne Schauer,
Und die Seele, sonder Trauer,
Keime trieb, wie Frühlingsstengel.
Später, da ich sehend worden,
Sah ich anders alle Dinge,
Sah die Falle, sah die Schlinge,
Und der Sorge Räuberhorden
Überfielen die Gedanken,
Daß sie von den Lustbezirken
Zu des Tagwerks Wechselwirken
Niederwärts zu Tale sanken.
Ja, ich fühle sie, die Bande,
Die mit eisenfesten Klammern,
Trotz dem Sträuben, trotz dem Jammern,
Trennen mich vom Wunderlande.
Doch wie sehr sie mich beengen,
Wie sie meines Frühlings Blühen
Zu erdrücken sich bemühen –
Will ich, muß ich sie zersprengen!
Will am Wunderborne trinken,
Wo der Dichtung Ströme fließen;
Will die Götterlust genießen,
Ganz ins Innre zu versinken;
Will in zauberhaften Worten
Allerreinste Glut empfinden,
Streuen aus nach allen Winden,
Daß es klinge allerorten.
Keine Fessel und kein Zwinger
Soll ersticken jene Flamme;
Wie mich auch die Welt verdamme,
Bleib ich, Muse, treu dein Jünger! Doch dies Schwärmen, dieses Träumen
Hat ins Weite mich verschlagen,
Leer und lüstern ruft der Magen,
Hoch steht Sonne ob den Bäumen.
Auch des eingesteckten Buches
Hab ich ganz und gar vergessen,
Dünkts mich doch, ich war besessen
Von dem Zauber eines Spruches.
Will mich tummeln, will mich sputen
Durch die schatt'gen Laubengänge,
Bis dorthin, wo heitre Menge
Kostet den Kaffee, den guten.
Schnell, Melange mir und Kipfel,
Und 'ne Pfeife, eine reine,
Ruf ich, und die »Allgemeine«!
Und mein Glück, es steht am Gipfel.
Nun in wollustvollen Zügen
Schlürfe ich den Saft der Bohnen
Und das Los von dreißig Thronen
Hab ich in den Händen liegen.
Erstens an der Reihe Spanien,
Wo sich Freiheit will gebären
Und Partei'n sich wild verzehren,
Dann das glüh'nde Lusitanien.
England, Schottland drauf und Irland,
Wo in heftigen Debatten
Volk am Adel nagt wie Ratten,
Irland ewig bleibt ein Wirrland!
Rußland hackt die Riesenklauen
In Europas weiche Lenden,
Während süße Worte blenden
Und die Blicke ostwärts schauen.
Und im tiefsten Hintergrunde
Lesen wir von jenen Reichen,
Wo des Zeitenrades Speichen
Ewig stocken bis zur Stunde;
Wo ein siechendes Jahrtausend
Allwärts wandelnd, keinen Wandel
Schuf, das Leben nur ein Handel
Ist, mit jedem Laster hausend.
Hoffnung, wende deinen Schimmer
Von den Millionen Sklaven,
Täusche nicht die Schar der Braven,
Denn die Freiheit leuchtet nimmer!
Ach, sie hat sich hingeflüchtet
Nach den andern Weltenbogen,
Wo des Missisippi Wogen
Wälder tränken, die gelichtet;
Wo in herrlichen Gefilden
Herrscht der ruhig freie Bürger,
Und Gesittung, fern vom Würger,
Bändigt selbst den rohen Wilden.


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