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Ausgleichung II

Wenn ich durch die Fluren schreite,
Meiner Kindheit Wiege nah,
Find ich in der Näh' und Weite
Alles noch wie ehmals da.

Alles gleich in allen Räumen,
Wo ich einst gespielt, gekriegt,
Unter jenen Weidenbäumen
Rauscht der Quell noch unversiegt.

Gleich von Stürmen ohne Schonen
Ist der Eichen Haupt durchtost,
Flatternd um die Blumenkronen
Immer noch der Falter kost.

Und die selben Schmeicheldüfte
Lenzgeboren, lau und mild,
Hauchen gleiche Balsamdüfte
Durch die Haine, durchs Gefild.

Baum und Quelle, Blume, Falter –
Gleiches Walten, gleiche Spur,
Menschen kennen nur das Alter,
Ewig jung ist die Natur!

Und zum Herzen tönt die Frage:
»Sprich, was hast du wohl erreicht?
Hat die Freude, hat die Plage
Dich gerötet, dich gebleicht?

Bliebst du einsam in der Menge?
Hat denn niemand dich geliebt?
Haben deine Glutgesänge
Nie ihr göttlich Recht geübt?

Ward dir keine Lust, kein Segen?
Hat der Ruhm dich nicht besucht?
Hast du trotzig und verwegen
Die verhaßte Welt verflucht?«

Und das Herz, es lispelt leise,
Ohne Dünkel, ohne Groll:
Gleich ist's wohl, auf welche Weise
Zahlt ein Herz des Lebens Zoll.

Nicht ein jedes Bäumchen spiegelt
Sich im breiten Seelenstrom;
Manche Nacht bleibt unbesiegelt,
Sternenlos des Himmels Dom!

Manche Blume, still bescheiden,
Blüht versteckt im Schattental,
Selig, sich am Licht zu weiden,
Trifft sie auch kein Sonnenstrahl.

Manche Muschel liegt in Grüften,
Welche nie den Tag erblickt;
Mancher Demant ruht in Klüften,
Welcher nie ein Aug entzückt!

Richte du den Blick nach oben,
Wie die Welt sich trübt und müht,
Laß sie heucheln, hassen, toben –
Einer weiß, was dich durchglüht.

Wonnen hat der Tag unzählig,
Ist nur deine Seele warm;
Nicht die Freude nur macht selig,
Denke, selbst der Wehmut Harm!

Und so wandle rüstig weiter,
Wie du dich zur Freude schworst,
Himmlisch glücklich, weil du heiter
Nie dein tiefstes Selbst verlorst!


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