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Koltoff kam bald täglich zu der schönen Fürstin, ja, es gab Tage, wo er dienstfrei war und sich dafür von früh bis abends dem Dienste der launischen Göttin weihte, und Lubina verfügte in der That über ihn wie eine Olympierin über den Erdgebornen, wie die Gebieterin über den Sklaven. Wenn sie ausritt, war es Koltoff, welcher ihr in den Sattel helfen, welcher sie begleiten mußte, und das Reiten mit ihr war ein gefährliches Ding, denn sie setzte kühn über Gräben Hecken und andere Hindernisse, so daß der dienende Kavalier nicht selten in die Gefahr kam, das Genick oder doch mindestens Arm und Bein zu brechen. Im Parke wurde ein Schießstand eingerichtet, Lubina schoß mit ihrem Anbeter um die Wette, und hier bewährte sich allerdings, daß Amor blind ist, denn der gute Lieutenant fehlte regelmäßig die Scheibe, und alle die schönen alten Bäume, welche dieselbe umgaben, trugen bereits die Spuren seiner Kugeln.

Im Parterre des Palastes war ein kleiner Fechtsaal eingerichtet, in welchem sich die kühne Amazone und ihr Anbeter täglich auf der Mensur gegenüberstanden, Lubina über dem weißen hochgeschürzten Gewande einen leichten Brustpanzer, beide mit Drahtmasken und großen Stulphandschuhen, das Floret in der Hand, und dann, nachdem der Appell gegeben, gab es kaum etwas reizenderes, als die schöne Frau, wenn sie mit schlangenähnlicher Behendigkeit die Stöße des Gegners auffing, zurücksprang, und wieder zum Angriffe übergehend, ihn bis an die Wand trieb, wo sie ihn, gewöhnlich durch eine Finte entwaffnete und ihm die Spitze ihrer Waffe zum Zeichen des Sieges auf die Brust setzte.

Aber es blieb nicht bei diesen Körperübungen, bei denen der Offizier in seinem Elemente war; er mußte der Amazone, welche sich, wie alle vornehmen Damen ihrer Zeit, mit Philosophie, Naturwissenschaften, schöner Litteratur, Geschichte beschäftigte, auch auf den geistigen Kampfplatz folgen, und so eifrig Koltoff war, in jenen Stunden, welche ihm seine Göttin frei ließ, das Versäumte nachzuholen, seinen Kopf mit den Philosophieen der Griechen, Römer und der französischen Encyklopädisten zu füllen, sich mit den herrlichen Werken eines Homer und Virgil, eines Horaz und Ovid, wenn auch nur in schlechten französischen Übersetzungen, bekannt zu machen, die Modedichtungen Voltaire's, Diderot's, Lafontaine's zu verschlingen, die Fürstin, welche mit einem, wenn auch sehr oberflächlichen, doch weitschweifenden Wissen einen lebhaften, weiblich feinen Geist und eine große natürliche Beredsamkeit verband, bereitete ihm viel schwere Stunden; er geriet endlich ganz in die Rolle eines Schülers dem gelehrten Meister gegenüber und stellte sich zu den physikalischen Experimenten und den astronomischen Beobachtungen, bei denen er Lubina beistehen mußte, so naiv an, daß die Fürstin sich an ihm noch mehr ergötzte, als an den erzielten wissenschaftlichen Ergebnissen.

Eine griechische Rotunde auf einer großen Wiese ihres weitläufigen Parkes bildete das Studio der Fürstin; es enthielt im Erdgeschoß einen chemischen Herd und alle die mysteriösen Anstalten der damaligen, noch mit der Alchimie Hand in Hand gehenden Chemie und Physik; in dem oberen Stockwerk befand sich eine große Bibliothek, zwischen deren hohen Fächerkästen Globen, Büsten berühmter Männer der Wissenschaft und Thiergerippe aufgestellt waren; das oberste Geschoß mit weit durchbrochenen Fenstern und die Plattform dienten zu astronomischen Zwecken, und wenn die Fürstin, durch einen weiten schwarzen Samttalar und einer runden Samthaube vor der kalten Nachtluft geschützt, mit ihrem Adepten hier oben erschien und das Sternrohr zu richten begann, machte sie den Eindruck eines weiblichen Faust.

Es schien aber der gelehrten Amazone bald nicht mehr zu genügen, daß ihr Anbeter sich ohne Groll von ihr entwaffnen ließ und ihr mit den Retorten und Quadranten zur Hand war. Er mußte die Flöte blasen lernen, um sie zu begleiten, wenn sie auf dem Piano spielte, er nahm auf ihr Geheiß Tanzstunden bei einem Pariser Tanzmeister, welcher sich in Petersburg niedergelassen hatte, und hatte die Aufgabe, täglich nach dem Essen, während seine Göttin in dem künstlich verdunkelten Zimmer ruhte, ihre Hunde spazieren zu führen.

Endlich gab ihm Lubina förmliche Proben auf, ganz wie die Damen der Troubadours und Minnesäuger es zu thun pflegten. Sie hatte in ihrem Parke unter anderem einen großen braunen Bären, welcher in einem weiten Zwinger verwahrt war. Derselbe war sehr jung in ihren Besitz gekommen und zeigte daher nur noch geringe Spuren von Wildheit. Immerhin war jedoch eine Unterhaltung unter vier Augen mit ihm ein Wagestück.

Lubina verlangte also eines Morgens mit dem liebenswürdigsten Lächeln von der Welt von ihrem Anbeter, er möchte in den Käfig des Bären steigen und den drolligen braunen Gesellen nach der damaligen Mode frisieren.

Koltoff war im ersten Augenblick starr, aber er besann sich nicht lange und gehorchte. Zu seinem Glücke stand er seit langem schon, ohne daß seine grausame Herrin es wußte, mit dem Bären auf gutem Fuße. Er brachte ihm täglich Obst und Honigscheiben, welche derselbe mit einem ganz besonders artigen Knurren und Brummen entgegennahm.

Auch diesmal führte der Gardelieutenant derlei Leckereien bei sich, und nachdem er noch zwei Pistolen und ein persisches Jagdmesser zu sich gesteckt und sich mit Kamm, Bürste, Pomade und Puder versehen hatte, ließ er sich von dem Gärtner den Zwinger aufschließen und trat in das Gefängnis seines gefährlichen Freundes, während die schöne Lubina, vor dem Gitter stehend, mit einem seltsamen, halb neugierigen, halb schauerlichen Reiz die eigentümliche Scene beobachtete. Der Bär blieb anfangs vollkommen gleichgültig, er ließ seinen mächtigen Kopf auf den Vordertatzen ruhen und blinzelte nur mit den kleinen Augen nach rechts und links.

Koltoff rief ihn mit starker Stimme an. Er rührte sich nicht. Hierauf warf der kecke Lieutenant etwas von seinem Obst in die Futterschüssel des Bären und schob sie ihm hin. Der Bär schnupperte, setzte sich auf und leckte an dem Obst. Plötzlich richtete er sich aber in seiner vollen imponierenden Größe auf und wollte, ein eigentümliches Gewinsel ausstoßend, Koltoff umarmen.

Die Fürstin erschrak und schrie auf, sie hielt ihren Anbeter für verloren.

Der Bär hatte indes durchaus nichts Übles im Sinn, der Geruch des Honigs, den Koltoff bei sich führte, hatte ihn aus seiner süßen Ruhe geweckt, und als er sich aufrichtend seinen Freund erkannte, versuchte er nach echt täppischer Bärenart denselben zu liebkosen. Koltoff schob ihm rasch eine große Honigscheibe in den Rachen, worauf sich der Bär artig niedersetzte und, die Augen wie ein echtes Leckermaul schließend, zu naschen begann.

Nun war der Augenblick da, das kühne Wagnis auszuführen. Koltoff besann sich nicht lange, sondern nahm den zottigen Kumpan frisch an die Arbeit, er kämmte ihm, so gut es ging, mit Hülfe der Pomade das Kopfhaar zu einem Toupet zusammen und beeilte sich, so oft das Tier ungeduldig zu werden schien und ihm darüber brummend seine Bemerkungen machte demselben eine neue süße duftende Honigscheibe zuzuwerfen. In wenigen Augenblicken war der große Kopf des Bären dicht eingepudert, schneeweiß gleich dem eines Elegant, und Koltoff zog sich rasch auf den Fußspitzen zurück. Als sich die Thür des Zwingers hinter ihm schloß, atmete er auf. Das gefährliche Abenteuer war überstanden.

Lubina überhäufte ihn mit schwärmerischen Lobeserhebungen, ihr Herz schien bezwungen, aber zur größten Überraschung des armen Lieutenants gab sie ihm noch denselben Abend eine neue Prüfung auf.

»Sie haben mir einen so großen bewunderungswürdigen Beweis von Ihrer Kaltblütigkeit und Ihren, Mute gegeben,« sagte sie, »daß es Ihnen gewiß selbst erwünscht sein wird, mir nun auch eine Probe von Ihrem Geiste und Ihren Kenntnissen zu geben.«

Koltoff erschrak, er fand keine Worte und verneigte sich stumm.

»Ich werde Ihnen eine Ihrer würdige Aufgabe stellen,« fuhr die gelehrte Amazone fort. »Schreiben Sie ein Werk unter dem Titel ›Der Mensch und die Natur‹, weisen Sie in demselben alle Beziehungen nach, welche zwischen beiden bestehen, zeigen Sie, inwieweit der Mensch von seiner großen Mutter abhängig ist, abhängig bleiben muß, worin er sich von ihr befreien, ja sogar über sie stellen und auf sie einen Einfluß gewinnen kann. Aber ich vergesse, daß Sie ja selbst es sind, welcher uns über diese Materie ganz neue, ungeahnte Perspektiven eröffnen wird.«

Koltoff hatte sich noch nie so unglücklich gefühlt, nie in seinem Leben, nicht einmal in jener Nacht, wo er sich erschießen wollte, als heute, wo er die schöne Fürstin Mentschikoff als zukünftiger Verfasser des Buches »Der Mensch und die Natur« verließ. Wo sollte er die Ideen, wo die Kenntnisse, ja, wo nur das leere Papier zu diesem verwünschten Werke hernehmen? Er ließ sich den ganzen folgenden Tag im Palaste Mentschikoff nicht sehen, sondern irrte trübselig in den Straßen umher, sah auf der Wache dem Kartenspiel der Kameraden zu und schlich endlich zu seiner Tanzstunde, und überall war es ihm, als ob ihn eine Stimme verfolge und ihm in das Ohr raune: »Der Mensch und die Natur!« und wie er bei der Menuette in der dritten Position stehend den ersten Geigenstrich seines Tanzmeisters Monsieur Perdrix erwartete, entfuhren ihm unwillkürlich die unseligen Worte: »Der Mensch und die Natur!«

Der kleine Franzose, welcher eben den Bogen erhoben hatte, setzte ab und sah den Lieutenant erstaunt an.

»Der Mensch und die Natur,« wiederholte er, »was haben Sie damit?«

»Bemitleiden Sie mich,« erwiderte Koltoff, »ich soll ein Buch schreiben über diesen Gegenstand, ein philosophisches Werk in der Art der französischen Encyklopädisten, und habe keinen Dunst davon.«

»Nun, so lassen Sie es bleiben,« meinte der kleine Franzose.

»Aber es hängt mein Lebensglück, ja, vielleicht mein Leben von diesem unseligen Buche ab!« rief Koltoff.

»Ihr Leben?« entgegnete der Tanzmeister lächelnd.

»Ich schwöre es Ihnen, mein Leben,« rief der Russe, und dabei sah er so verzweifelt aus, daß der kleine Franzose dadurch überzeugt wurde und mit ihm auf Rettung zu sinnen begann.

Als Koltoff ihn zum Vertrauten gemacht und in alle Umstände eingeweiht hatte, machte der kleine Franzose plötzlich einen Luftsprung und begann dann, seine alte verstimmte Geige mörderisch mit dem Bogen bearbeitend, in der Stube herumzutanzen, und zwar alle nur denkbaren Schritte und Takte durch einander, dann schlug er eine Pirouette und sagte, vor dem erstaunten Koltoff in einer graziösen Positur stehen bleibend:

»Ich rette Sie, ich schreibe Ihnen das Werk.«

»Wie,« schrie Koltoff, »Sie wollen, herrlicher, goldener Monsieur Perdrix?« Er umfaßte den kleinen Mann, hob ihn in die Luft und sprang mit ihm herum. »Nun, wie aber machen wir das?« sagte der Lieutenant, als er Monsieur Perdrix wieder der Erde zurückgegeben hatte; »denn ich für meinen Teil will lieber täglich zwei Mal den Bären frisieren und pudern, als eine Zeile daran schreiben.«

»Wie? wie ich das mache, junger Leonidas?« schmunzelte der alte durchtriebene Tanzmeister. »Sie bekommen das Werk, parole d'honneur, aber Sie fragen mich nie, wie ich es gemacht habe.«

Es vergingen einige Wochen.

Koltoff kam gegen Abend stets nur für Augenblicke zu der Fürstin, und war auch sonst wenig zu sehen, er gab sich ganz die Miene, in seinen Studien vergraben zu sein.

Indes war der Tanzmeister Monsieur Pertrix in der That in einem wahren Gebirge von Büchern vergraben, er hatte alles, was an philosophischer und naturhistorischer Litteratur in der Residenz Katharina's der Zweiten aufzutreiben war, um sich angehäuft und schrieb, auf das Geratewohl in die Masse hineingreifend, und bald den, bald jenen Band, jetzt Aristoteles, jetzt Hippokrates, dann Voltaire, Quesnay, Baco, und wieder einmal Aristoteles amputierend – denn abschreiben oder bestellen ist kein Wort für die mörderische literarische Schlächterei, welche der Alte unter den Philosophen anrichtete – und schrieb und las und schrieb wieder und hatte in nicht vier Wochen ein ganz stattliches Manuskript beisammen. Allerdings gehörte davon kein Gedanke, keine Phrase, kaum eine Wendung ihm, aber er hatte mit der seinem Volke eigentümlichen Geschicklichkeit alles klar geordnet und – was nur in einer streng entwickelten, akademischen Sprache, wie die seine, dem Halbgebildeten möglich war – in gutem klarem, ja elegantem Französisch niedergeschrieben.

Koltoff war, als er das Manuskript las, auf dessen Titelblatt in schöner Frakturschrift die Worte: »Der Mensch und die Natur, ein philosophischer Versuch von J. Koltoff, Lieutenant in der Preobraschenstischen Garde,« standen, von seinem eigenen Werke so begeistert, ja gerührt, daß er Thränen vergoß, Monsieur Perdrix seinen Lebensretter nannte, ihn umarmte, küßte, in fünf Kneipen schleppte, in jeder auf Kosten Lapinski's glänzend bewirtete und ihm endlich, gleichfalls aus Lapinski's Tasche, ein Honorar von zehn Rubeln, damals in der That eine stolze Summe, einhändigte.

Lapinski, der von »dem Menschen und der Natur« kein Wort verstand, zeigte sich gleichfalls entzückt.

Koltoff konnte also mit dem Bewußtsein einer Leuchte der Wissenschaft vor die schöne Lubina treten. Noch denselben Abend las er die Schrift des Tanzmeisters, von der er jetzt schon selbst überzeugt war, daß es seine Schrift sei, der Fürstin vor, welche ihn von Zeit zu Zeit durch ein »wie geistreich!« oder »vortrefflich!« oder »in der That ganz neu, vollkommen neu!« unterbrach, so daß er zuletzt, mit gerechtem Stolz erfüllt, ihr und sich selbst das Wort gab, bei diesem ersten Schritt, den er so bescheiden einen »Versuch« genannt hatte, nicht stehen zu bleiben, sondern zu seinem und seines Vaterlandes Ruhme auf dem so glücklich betretenen Pfade fortzuschreiten.

»Der Mensch und die Natur« aber kam aus den Händen des schönen Majors in jene der Fürstin Daschkoff und wurde von dieser der Zarin vorgelegt. Und Katharina die Zweite, dieses geniale Weib mit dem kühnen Blicke eines großen Mannes, las es. Sie las es und sagte: »Es enthält nichts neues, aber es verrät umfassende Kenntnisse und ist sehr gut geschrieben.«

Damit war das Glück des jungen Offiziers gemacht.

Einige Tage nach der kaiserlichen Lektüre erhielt er das Patent eines Kapitäns im Regimente Tobolsk, welches damals gleichfalls eine Dame, die schöne Amazone Frau von Mellin, befehligte. Das Manuskript des französischen Tanzmeisters aber wurde auf Kosten der Petersburger Akademie gedruckt.

Der Siegesjubel des philosophischen Offiziers wurde nur dadurch ein wenig getrübt, daß auch der »Kapitän« Koltoff, der Verfasser des Buches »Der Mensch und die Natur,« die schöne Amazone mit nicht größerem Erfolg belagerte, als der Lieutenant Koltoff, der Friseur des Bären.

Die kokette Schöne wich mit ebensoviel Geschick als Ausdauer jeder Auseinandersetzung aus.

Und endlich geschah es, daß Koltoff eines Abends bei der liebenswürdigen Lubina einen Anderen fand. Dieser andere war ein schöner Pole Czartoristi, welcher den polnischen Gesandten nach Petersburg begleitet hatte; er zeichnete sich durch die seiner Nation nächst der französischen eigentümliche Eleganz und Feinheit des Benehmens aus, hatte in Paris die Modeschriftsteller kennen gelernt und verstand es, über das physiokratische System und die Rechte des Menschen ebenso blendend zu sprechen, wie über die Toilette der Marquise von Pompadour und die Einrichtungen des Hirschparkes.

Als er die Fürstin verließ, küßte er ihr mit einem mehr liebenswürdigen als ehrerbietigen Blick die Hand, und die Fürstin erwiderte diesen Blick mit einem Lächeln.

Koltoff, in dem längst alles wogte, begann zu fiebern. Kaum hatte der Pole das Gemach verlassen, so überhäufte er Lubina mit Vorwürfen, welche ihn ruhig, ja gleichgültig anhörte.

»Also dies ist Ihr neues Ideal?« rief der von Eifersucht entstellte wütende Kapitän endlich.

»Sie sind in der That ein Mann von Geist,« erwiderte die Fürstin. »Sie erraten, was andere kaum ahnen. Sie haben mich in diesem Augenblicke über meine eigenen Gefühle aufgeklärt. Ja, dieser Pole ist mein Ideal, er –«

»Für wie lange?« unterbrach sie Koltoff barsch, »es gab eine Zeit, wo Sie ein anderes Ideal hatten.«

»Ja wohl, ein anderes,« lispelte die Fürstin mit einem müden Lächeln, »ich habe schon viele Ideale gehabt.«

Koltoff ging mit großen ungeduldigen Schritten in dem duftigen Boudoir auf und ab, so daß sich die weißen Fenstervorhänge wie Segel aufblähten und die Porzellanchinesen auf dem Kamin mit den großen Köpfen zu nicken begannen. Jetzt blieb er vor der übermütigen Frau, welche er gegen seinen Willen köstlich unterhielt, stehen und sprach sehr ernst, beinahe feierlich: »Wir müssen zu einem Resultate kommen, Madame!«

»Also kommen wir zu einem Resultate,« spottete Lubina.

»Heute noch?«

»Heute noch!«

»Sie werden offen und ohne Rückhalt auf meine Fragen antworten!«

»Ja.«

»Offen und ohne Rückhalt?«

»Offen und ohne Rückhalt.«

»Lieben Sie mich noch?« begann Koltoff sein Verhör.

Die Fürstin schwieg.

»Ich bitte um Antwort,« rief Koltoff schon etwas unartig. »Lieben Sie mich noch?«

»Wie soll ich darauf antworten?« lispelte die Fürstin.

»Sie versprachen mir zu antworten, offen und ohne Rückhalt,« fuhr Koltoff vor Wut zitternd fort, »also antworten Sie.«

Die Fürstin zögerte noch immer.

»Lieben Sie mich noch?« fragte Koltoff immer heftiger.

»Ich weiß es nicht,« erwiderte die Fürstin, die Achseln zuckend.

»Nun, vielleicht wissen Sie, ob Sie jenen Herrn lieben?« schrie Koltoff.

»Ich weiß es eben so wenig,« sagte die Fürstin. »Jedenfalls scheine ich hier überflüssig zu sein,« sprach Koltoff und nahm seinen Hut. In demselben Augenblick sprang die Kokette auf und hielt ihn zurück. »Sie dürfen nicht gehen,« sprach sie ebenso stolz als dringend, »ich verbiete es Ihnen.«

Koltoff stieß ein grobes bäuerisches Gelächter aus und ging, er war auf das Äußerste gebracht, da – er war eben im Begriffe, die Thür hinter sich zu schließen – geschah, was er am wenigsten erwartet, die Fürstin brach in Weinen aus, sank zu Boden und bekam Krämpfe. Koltoff eilte ihr zur Hülfe, er war von neuem gefangen.

Der Monat, welchen sich Lapinski zu seiner Verheiratung ausbedungen, war längst verflossen, aber Koltoff schien es nicht zu bemerken, er dachte nicht im Entferntesten mehr daran, sich zu erschießen. Er kam täglich wie zuvor zu der Fürstin, war täglich nahe daran, vor Wut und Eifersucht zu ersticken, nahm jedesmal seinen Hut, um für immer zu gehen, und blieb jedesmal von der schönen Kokette im neuen Netze gefangen.

Er wäre nie in seinem Leben zu einem Ende gekommen, wenn nicht Lapinski, sein treuer Kamerad, neuerdings interveniert hätte.

»Es ist klar, daß die Fürstin Dich liebt,« sagte dieser eines Tages zu Koltoff, der ihm seine Leiden klagte, »denn liebte Sie dich nicht, so hätte sie längst den Polen genommen und Dich gehen lassen, denn Du bist wahrhaftig weder so liebenswürdig, noch so geistreich, wie Du Dir einbildest, trotz Deinem Werke ›Der Mensch und die Natur‹; es kann also nicht bloß der Reiz Deiner Unterhaltung sein, der Dich ihr so wert macht, daß sie sofort Krämpfe bekommt, wenn Du an das Desertieren denkst. Sie liebt Dich, also benutze Dein Heidenglück, dringe auf eine Entscheidung von ihrer Seite, und wenn sie, wie ich erwarte, Dich abweist, bleibe einmal wirklich aus, sei ein Mann, trotze nur eine Woche ihren Thränen, ihren Krämpfen, ihren Bitten, ihren Briefen, und sie ist Dein.«

Koltoff ging noch an demselben Abend an die Ausführung dessen, was ihm sein Freund so klar entwickelt hatte. Er nahm eine gewisse ernste, ja, würdevolle Miene an und blieb anfangs so einsilbig, daß die Fürstin ihren Anbeter herzlich langweilig fand, und als nicht einmal das wärmste Lob, das sie dem Polen spendete, ihn aus seiner Ruhe brachte, begann die schöne Frau zu gähnen und endlich mit ihrem Affen zu spielen.

»Dies muß ein Ende nehmen,« begann der Kapitän ziemlich rauh.

»Was muß ein Ende nehmen?« erwiderte die Fürstin, welche mit Vergnügen Leben in die Situation kommen sah.

»Das Spiel, das Sie treiben,« sagte Koltoff.

»Wer will mir verbieten, mit meinem Affen zu spielen?« antwortete Lubina boshaft.

»Also Ihr Affe bin ich.« schrie Koltoff auf.

»Wer spricht denn von Ihnen?« unterbrach ihn die Fürstin mit einem kühlen Lächeln.

»Von wem sprechen wir denn?«

»Von meinem Affen, diesem reizenden Tierchen hier,« entgegnete Lubina, indem sie dasselbe zärtlich an ihre Brust schloß.

»Ich aber spreche von mir,« begann Koltoff von neuem, »von Ihnen, von uns.«

»Ach! thun Sie das,« lispelte Lubina, »ich höre Sie so gern sprechen.«

»Sie haben mir erlaubt, um Ihre Gunst, um Ihre Hand zu werben,« fuhr der Kapitän fort; »ich bin heute gekommen, um mir eine Entscheidung über mein Schicksal zu holen, und ich werde nicht gehen, ohne dieselbe von Ihnen empfangen zu haben.«

»Aber bedenken Sie doch, Kapitän, was die Leute sagen würden, wenn Sie sich bei mir einlogierten,« erwiderte Lubina spöttisch.

»Sie wollen mir also keine entscheidende Antwort geben?«

»Nein!,« erwiderte die Fürstin, »aber wenn Sie fortfahren, so zu schreien und zu poltern, werde ich mich erinnern, daß ich Ihr Vorgesetzter bin.«

»Auch das noch!« stammelte Koltoff, dem der Zorn den Atem benahm. »Wissen Sie, daß Sie eine Kokette sind, eine herzlose Kokette?«

»Möglich,« erwiderte Lubina und begann zu lachen.

»Verspotten Sie mich nur,« schrie der Kapitän außer sich, »Sie sind doch mein und kein Mensch soll Sie mir entreißen!« Zugleich stürzte er auf seinen schönen Vorgesetzten los und schloß ihn in seine Arme. Die Fürstin schrie um Hülfe, während Koltoff sie mit Küssen bedeckte, aber es kam ihr niemand zu Hülfe, als der kleine Affe, welcher seine Herrin in Gefahr sah, Koltoff auf den Rücken sprang und ihn so lange biß und kratzte, bis der wahnsinnige Anbeter die Fürstin losließ und auf ihren Befreier, blutend, den Degen in der Hand, Jagd machte.

Aber jetzt kam Lubina ihrem Liebling zu Hülfe.

Mit voller Majestät trat sie dem Wütenden entgegen. »Herr Kapitän,« rief sie mit Kommandoton. »Ich befehle Ihnen, sofort Ihren Degen einzustecken,« Und als Koltoff, wenn auch sichtlich betroffen, nicht gleich Folge leistete, fuhr sie, mit dem Fuße stampfend, im Zorne fort:. »Wissen Sie, was Sie begehen? Das ist Insubordination. Ich sende Sie hiermit auf die Wache!«

Koltoff wollte sich entschuldigen.

»Kein Wort!« rief der schöne Major. »Geben Sie mir Ihren Degen ...«

Koltoff übergab der Geliebten seinen Degen, verneigte sich und ging.

Nachdem Koltoff volle vierundzwanzig Stunden auf der Wache gewesen, erhielt er seinen Degen zurück. Die Fürstin begleitete diesen Akt mit keinerlei Kundgebung von ihrer Seite; sie saß in ihrem Boudoir und lachte mehr als je und erwartete ihren Anbeter sofort nach seiner Freilassung als reuigen Sünder vor sich zu sehen.

Aber er kam nicht.

Es verging ein Tag. es vergingen zwei, eine Woche, Koltoff kam nicht. Der Major vom Regiment Simbirsk und der Kapitän vom Regimente Tobolsk trotzten miteinander, wie ein paar unartige Kinder. Koltoff schweifte zu Fuß und zu Pferde ruhelos in der wüsten Landschaft von Petersburg umher, er schlief nicht, er aß nicht, er fühlte sich im höchsten Grade unglücklich; aber er hatte sich geschworen, nie und nimmer den ersten Schritt zur Aussöhnung mit der Fürstin zu thun, und er blieb fest. Lubina Mentschikoff quälte ihre Kammerfrauen, ihre Soldaten, ihren Affen, ihre Hunde, vor allem sich selbst; aber sie war zu stolz, einzugestehen, daß sie zu weit gegangen war, daß sie mit Koltoff ein kokettes Spiel getrieben, und vor allem zu stolz, einzugestehen, daß sie ihn liebe; und das fühlte sie jetzt beinahe zu ihrer Beschämung täglich mehr; sie entbehrte ihn, sie sehnte sich nach ihm, sie weinte vor Zorn in ihre Kissen, aber sie brachte es doch nicht über sich, ihm zuerst die Hand zur Versöhnung zu bieten, so gern sie auch die seinige ergriffen hätte.

Da geschah es, daß eines Tages den Offizieren des Regiments Tobolsk bei der Wachtparade von ihrem Obersten Frau von Mellin ein neuer Kamerad vorgestellt wurde, der Lieutenant Sophia von Narischkin.

Dieser neugeschaffene Lieutenant war eines der reizendsten Mädchen der damaligen russischen Aristokratie. Auf dem Lande, in der idyllischen Umgebung eines russischen Dörfchens, in den patriarchalischen Sitten russischer Landedelleute aufgewachsen, war Sophia von Narischkin, wie viele Frauen und Mädchen jener Tage, von der Erscheinung Katharina's geblendet, durch eine abenteuerliche Phantasie dem Kreise ihrer Familie, der engen weiblichen Sphäre entrückt, zur Amazone geworden, aber zu gleicher Zeit das unschuldige, gute, ehrbare Landmädchen geblieben, das mit aristokratischem Anstand und angeborenem Mutterwitz eine edle Einfalt der Gesinnung verband, welche damals an dem Hofe von Petersburg nicht weniger selten war, als an jenem von Versailles.

Man ist nie mehr geneigt, sich zu verlieben, als wenn man von einer Geliebten beleidigt, getäuscht oder verlassen worden ist

Koltoff sah in sich ein Spielzeug, das die schöne Lubina zu ihrem Zeitvertreibe benutzt und dann wegworfen hatte. Alles, was die Natur des Mannes ausmacht, empörte sich in ihm bei diesem Gedanken, und es ist natürlich, daß er im ersten Augenblicke, wo er das schöne hochgewachsene Mädchen mit den wunderbaren blauen Augen sah, es liebte und beinahe in dem nächsten schon es demselben gestand. Der Eindruck, den der junge Kapitän auf Sophia machte, war auch kaum weniger günstig. Das kameradschaftliche Verhältnis erleichterte die Annäherung, und so waren Koltoff und Fräulein von Narischkin bald unzertrennlich, und sie fanden es beide so natürlich, sich zu lieben, daß sie vollkommen darauf vergaßen, es sich zu sagen, und sich über ihre Absichten für die Zukunft zu verständigen.

Um so mehr beschäftigte sich die Welt mit denselben, und man nannte Fräulein von Narischkin längst die Braut des Kapitäns Koltoff, ja, man bezeichnete schon den Hochzeitstag, ehe die Liebenden über den ersten Kuß hinaus waren.

Das Gerücht drang natürlich auch zu der Fürstin Mentschikoff, und die schöne Frau entdeckte plötzlich, daß sie den Mann, den sie so raffiniert auf die Probe gestellt, den sie selbst von sich gestoßen, mit der heftigsten Leidenschaft liebte; sie verzehrte sich vor Eifersucht und war sofort entschlossen, alles aufzubieten, um ihn wieder zu ihren Füßen zurückzuführen. Er liebe sie noch immer, sagte sich ihre Eitelkeit, nur weil sie ihn so schlecht behandelt, habe er sich aus Verzweiflung in die Arme einer anderen geworfen. Welche Reize konnte das simple Landmädchen für ihn haben! Ein Wink von ihr, dem schönen, eleganten, geistvollen Weibe, und er war ihr Sklave wie zuvor.

Sie schrieb an ihn, indes noch immer hochmütig, wenige Zeilen nur, sie erlaube ihm zu kommen. Aber Koltoff war unartig genug, von der Erlaubnis keinen Gebrauch zu machen. Sie schrieb ein zweites mal, es klang schon wie Entschuldigung, und als Koltoff dennoch nicht kam, bat sie ihn um Vergebung und ersuchte ihn zu kommen. Koltoff gab noch immer kein Lebenszeichen. Da war der Stolz der schönen Kokette gebrochen; sie hatte den Mann, den sie liebte, dessen Besitz ihr zu ihrem Glücke unentbehrlich schien, für sich verloren und noch dazu verloren an eine andere, die ihn liebte und die er wieder liebte. Sie schrieb noch einmal, sie gestand ihre Liebe, sie verriet ihre Leidenschaft, ihre Eifersucht und sie flehte um eine Unterredung.

Koltoff erwiderte in ebenso höflicher wie entschiedener Weise, er habe der Fürstin nichts zu sagen, und nichts, was es auch sei, was sie ihm etwa mitzuteilen hätte, könne jetzt noch die Situation ändern. Wie sie über ihr Ideal längst enttäuscht sei, so sei er fern von seinen früheren Illusionen, fern davon, sie noch anzubeten. Er bitte sie also, auf die gewünschte Unterredung zu verzichten.

Eine Laune des Zufalls wollte es indes, daß Koltoff zwei Tage, nachdem die Fürstin seine Antwort empfangen hatte, ihrer Karosse in einer engen Gasse begegnen mußte, wo ein Ausweichen unmöglich war

Die Fürstin ließ halten und wartete nicht ab, bis der Lakai herabsprang; sie beeilte sich, den Schlag selbst zu öffnen und Koltoff beide Hände entgegenzustrecken.

Der Kapitän nahm sie jedoch nicht, sondern verneigte sich mit kalter Artigkeit, und nachdem er sich über das Befinden der Fürstin beruhigt hatte, entfernte er sich rasch mit einem ebenso ceremoniellen Gruße.

Die Fürstin aber warf sich in eine Ecke des goldverzierten Wagens und weinte.


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