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II.

Die Zarin gab Audienz im Sommerpalaste.

Zwei Weltteile hatten die seltsamsten Typen in ihrem Vorsaal zusammengeworfen. Neben dem runden Kaufmann von Nowgorod mit vollem Barte, dicken goldenen Ringen in den fleischigen Ohren, stand ernst der magere Tartar mit bronzenen Zügen, langem schwarzem Schnurrbart. Über den gelben, kahlen geschlitzten Kopf des Kalmücken blickte das edle Antlitz, das kühne Auge des Kosaken. Leibeigene Bauern, mächtige Große, Soldaten, Popen, Juden, Lipowaner, Jesuiten. Eine wunderliche Antichambre.

Mitten drin stand ein junger Offizier, schlank, wohlgebaut, mit dem bleichen träumerischen Gesicht, den großen ruhigen Märtyreraugen eines Fanatikers.

»Lieutenant Mirowitsch vom Regiment Smolensk«, rief der dienstthuende Kammerherr. Wenige Augenblicke darnach stand der junge Offizier vor seiner Kaiserin.

Sie trug über dem schwarzen Kleide, das sich knisternd über dem weiten Reifrock bauschte, ein breites blaues Ordensband, in dem hohen weißen Toupet einen kleinen Reichsapfel aus einem einzigen großen Diamanten mit dem griechischen Kreuze, als die einzigen Attribute der Herrschaft.

Der junge Offizier sah aber nur den weißen Busen, der das blaue Band hob, die üppigen Locken, welche von dem gekrönten Haupte hinab fielen, er sah zum ersten male das schönste Weib seines Reiches, das ihn vom Kopfe bis zum Fuße wohlgefällig musterte und gnädig wie einen Sklaven. Er kniete nieder und überreichte seine Bittschrift.

»Steht auf.«

»Ich huldige der schönen Frau«, sprach bescheiden der Offizier, »von der Monarchin verlange ich mein Recht.« Damit erhob er sich und sah Katharina II. furchtlos in das Auge, über dem sich die stolzen Brauen etwas zusammenzogen.

»Wie ist Ihr Name?«

»Mirowitsch.«

»Lieutenant?«

»Im Regiment Smolensk.«

»Sie bitten um eine Gnade?«

»Um mein Recht.«

Wieder zogen sich die stolzen Brauen zusammen.

»Nun, was wollen Sie?«

»Vor allem eine Frage an Eure Majestät richten.«

»Nun, die Audienz ist mindestens originell. Fragen Sie also, Lieutenant – wie gleich?«

»Mirowitsch.«

»Lieutenant Mirowitsch, Sie unterhalten mich.«

Mirowitsch biß die Zähne zusammen und wurde blutrot.

»Nun fragen Sie mich. Ich befehle es.«

»Ertragen Sie die Wahrheit, Majestät?«

Die neronischen Brauen zuckten, aber im nächsten Augenblicke schon ruhte das schöne Auge der Monarchin mit wollüstigem Interesse auf dem jungen Offizier.

»Nun eine Frage an Sie, Lieutenant – wie gleich?«

»Mirowitsch.«

»Lieutenant Mirowitsch, lieben Sie die Lektüre?

»Leidenschaftlich, Majestät.«

»Sie lesen Romane, ich merke, Ihre Phantasie ist darnach. Ihr Ton – nun, ich habe auch lange Zeit Romane gelesen. Lesen Sie gute Bücher, Mirowitsch, allenfalls Voltaire. Ich lese eben seine Geschichte Peters des Großen und habe die Absicht, die Briefe des Monarchen, in denen er sich selbst malt, herauszugeben. Wissen Sie, was mir an seinem Charakter am besten gefällt? Daß auf ihn – so zornig er auch war – die Wahrheit jederzeit ihre volle Wirkung übte.«

»Majestät!«

»Nun, sagen Sie mir jetzt, was Sie wollen.«

»Ich bin ein Ukrainer, Majestät, der Sohn eines stolzen, freien Volkes, der Enkel jenes Mirowitsch, der mit Mazeppa focht, dessen Name in den Liedern der Kosaken lebt. Er büßte wie viele seines Volkes den Abfall vom Zar mit dem Verluste seiner Güter. Hier steh' ich als sein Enkel, Majestät, mit einem großen edlen Namen, arm und dürftig, und bitte um mein Recht. Vergebens habe ich dies Recht bei allen Ämtern, allen Gerichtshöfen dieses Reiches gesucht. Da dachte ich, das größte Herz in diesem Reiche müßte auch das beste sein und das gerechteste, und nun steh ich vor Eurer Majestät und bitte jenen Spruch der Willkür aufzuheben, mich in das Besitztum meiner Väter wieder einzusetzen.«

Die Kaiserin lächelte. »Sie haben viel zu viel Romane gelesen, Mirowitsch«, sagte Sie mit der Gutmütigkeit der Löwin, »Ihr Recht soll geprüft werden, so sehr ich mir auch erlaube, an demselben zu zweifeln. Vertrauen Sie aber auf meine Gnade und – lesen Sie gute Bücher.«

Die großen Augen des armen Ukrainers fieberten der Kaiserin entgegen, er verneigte sich und machte eine Bewegung nach der Thüre.

»Küssen Sie mir die Hand, Mirowitsch.«

Der junge Offizier warf sich der Zarin zu Füßen und zwei Thränen fielen auf ihre Hand.

»Sie sind ein Kind, Lieutenant,« rief Katharina II. überrascht, »lesen Sie Voltaire und – warten Sie hier meine Entscheidung ab. Verstehen Sie, Mirowitsch?«

Verwirrt preßte dieser die kleine warme Hand der Kaiserin noch einmal an seine Lippen und noch einmal. Dann erhob er sich und stürzte aus dem Kabinett.

Katharina II. blickte einen Augenblick lächelnd zu Boden, dann klingelte Sie und berief den Polizeiminister.

»Notiren Sie –«

Die Excellenz zog ihr Portefeuille.

»Mirowitsch, Lieutenant im Regimente Smolensk.«

»Alter?«

»Sie sollen ja keinen Paß schreiben.«

»Also dieser Mirowitsch –?«

»Jung, schön, mutig, ehrgeizig. Legen Sie mir so schnell als möglich seine Konduite vor.«

Der Polizeiminister verneigte sich.

»Apropos, ich will auch wissen, ob er Liaisons gehabt hat und mit wem und – ob er in diesem Augenblicke eine Geliebte hat. Verstehen Sie?«

»Ich verstehe. Eine Geliebte.«


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