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Drittes Kapitel.

Der Herbst hatte den Hof der nordischen Semiramis früher als sonst aus Zarskoje Selo vertrieben, auch Tomasi war nach Petersburg übergesiedelt, wo er in Gesellschaft seines Freundes Boschi den Hintertrakt des Palastes Protasow bewohnte und die schöne Gebieterin desselben in allen möglichen Stellungen und Toiletten zeichnete und malte. Der ganze Olymp wurde entvölkert, um ihren Palast zu schmücken; hier stieg die Geliebte als Anadiomene aus dem Meeresschaum, dort verwandelte sie, von ihren Nymphen umgeben, Tomasi-Acteon in einen Hirsch, während sie in dem nächsten Saale als Götterkönigin, den Pfau zur Seite, neben Jupiter-Boschi thronte.

Der Winter verging den Liebenden in Gesellschaft der Musen und des kleinen schalkhaften Liebesgottes ganz vortrefflich. Die Kaiserin hatte in dem bacchantischen Strudel ihrer verschwenderischen Hofhaltung, ihrer Bälle, Assembleen, Schlittagen und winterlichen Volksfeste den schönen italienischen Maler samt seinen Blattern vergessen.

Und wieder war es Frühling geworden und wieder Sommer, und Katharina II. residierte neuerdings in dem reizenden Landsitz der russischen Zaren. Ein Zufall wollte, daß sie eines Abends mit der Prinzessin Mentschikoff promenierend an jenem Gebüsche vorbeikam, in welchem sie Tomasi damals zeichnend überrascht hatte.

Mit einem Male stand, durch eine leicht erklärliche Ideen-Assoriation hervorgezaubert, das Bild des schönen Italieners in voller Farbenfrische wieder vor ihrer Seele.

» A propos!« begann sie, »haben Sie nie mehr etwas von jenem italienischen Maler gehört, Prinzessin, welcher mich im vorigen Jahre malen sollte, jedoch durch einen merkwürdigen Zufall an demselben Tage, an dem er zu beginnen hatte, an den Blattern erkrankt ist?«

»Wie hieß er, Majestät?« erwiderte die Prinzessin. »Ich habe nie etwas von ihm gehört.«

»Sein Name ist mir entfallen,« sprach Katharina II., »aber seine jugendlich schlanke Gestalt steht deutlich vor mir.«

»Ein italienischer Maler?« sann die Prinzessin nach. »Doch nicht jener am Ende, den Frau von Protasow diesen Winter geheimnisvoll in ihrem Palaste beherbergt hat, der die Plafonds und Wände ihrer Säle mit den prächtigsten Bildern aus der Mythologie geschmückt?«

»Unmöglich!« rief die Zarin, »aber nein, doch nicht unmöglich, Prinzessin. Wenn diese Protasow, wenn sie mich hintergangen hat, Sie sollen dann einmal sehen, wie ich strafen kann.« Ihre Augen rollten unheimlich, und die ganze Fettmasse, Katharina II. genannt, begann gleich einer Gallerte zu zittern.

Kaum war die zentnerschwere Despotin in den Palast zurückgekehrt, befahl sie Frau von Protasow in ihr Arbeitskabinett, in dem sie, an eine zornige Ente mahnend, mühsam auf- und abwackelte.

» Bon soir, meine Teure!« begann sie. »Sagen Sie mir doch, was aus dem italienischen Maler geworden ist, den vorigen Sommer die Blattern verhindert haben, mich zu malen.«

»Er hat – er ist – er wird –«, stammelte die Vertraute in unbeschreiblicher Verwirrung.

»Man beschuldigt Sie, ma chère, ihn in Ihrem Hause in St. Petersburg gefangen zu halten«, inquirierte die Monarchin, mit den Fingern ungeduldig auf der Fensterscheibe trommelnd.

»Zu welchem Zweck?« entgegnete die Protasow mit einem erzwungenen Lächeln.

Katharina trat auf sie zu und heftete ihre durchdringenden blauen Augen forschend auf ihr Antlitz. »Soll ich es Ihnen sagen?«

»Ich kann beim besten Willen nicht erraten,« sagte die Vertraute, welche ihre Ruhe so ziemlich wiedergewonnen hatte.

»Man erzählt, daß er Ihren Palast mit Gemälden geschmückt hat,« fuhr die Zarin fort.

»Allerdings,« hauchte die Protasow.

»Sie kennen also seinen Aufenthalt?«

»Ja.«

»Sehr gut. Ich gebe Ihnen also drei Tage Zeit, um diesen – wie heißt er doch – diesen Maler aufzutreiben. Ich will mich von ihm malen lassen, es ist einmal eine Laune von mir, und ich wünsche nicht, daß Sie in irgend einer Weise sich nachlässig zeigen oder meine Absicht durchkreuzen. Bon soir!« Damit wurde die am ganzen Leibe bebende Vertraute von der auf das Höchste gereizten Kaiserin entlassen. Sie bestieg sofort ihre Portechaise und ließ sich nach dem Höfchen des alten Freibauern tragen, bei dem sie, wie im vorigen Jahre, Tomasi und seinen Freund Boschi einquartiert hatte.

»Ich bin die unglücklichste Frau der Welt«, rief sie in dem Augenblick, wo sie die Schwelle der Isba überschritt, in der die beiden Maler hausten.

»Was ist geschehen?« fragte Tomasi erregt.

»Die Kaiserin – ich weiß nicht, wie sie sich Ihrer wieder erinnert hat – genug, sie will sich von Ihnen um jeden Preis malen lassen«, berichtete die geängstigte Schöne; »sie hat mir befohlen, Sie längstens binnen drei Tagen zu ihr zu bringen. Mir droht Ungnade, Entlassung, ja, vielleicht noch weit mehr.«

»Nun, so lassen Sie mich denn in Gottesnamen das Monstrum malen,« fiel Tomasi ein.

»Aber die Blattern, sie wird die Spuren derselben vergebens suchen und erraten, daß wir sie getäuscht haben. Oh! sie ist furchtbar in ihrem Zorne, grausam, unerbittlich,« seufzte die schöne Frau.

»Verdammt!« murmelte Tomasi.

»Ich habe einen glücklichen Einfall«, rief plötzlich Boschi, der indes vor sich hingebrütet hatte. »Sehen Sie einmal meine Visage an, wie die von den Blattern zerrissen ist, ja, sie haben mir sogar das linke Auge zerstört. Ich habe so ziemlich Tomasis Gestalt, ich werde bei der Zarin seine Rolle spielen, und uns allen ist geholfen. Ihre Idylle erfährt keine Unterbrechung, und ich mache noch mein Glück an diesem kuriosen Hofe, so wahr ich Adriano Malefuzzi Boschi heiße.«

»Boschi, Du bist ein Prachtkerl«, schrie Tomasi auf, »ein wahres Genie, ich habe es immer gesagt.«

»Wir sind gerettet,« jauchzte Frau von Protasow. »Morgen Abend schon will ich Sie der Zarin vorstellen, versuchen Sie, was Ihr Mutterwitz und die Kühnheit, an der es Ihnen ebensowenig fehlt, über die launenhafte Herrscherin von Gottes Gnaden vermögen.«

Während die Liebenden sich an dem nächsten Tage gleich mutwilligen Kindern in dem Obstgarten, welcher die Isba des Freibauern umgab, sorglos umhertrieben, schien Boschi mit einem Male ganz verwandelt; er, auf dessen Zunge sonst stets irgend eine Bosheit oder ein Witz saß, ließ den Kopf hängen und machte die trübseligste Miene von der Welt. Seine Mappe in der Hand, schlenderte er in der Gegend hin und her und hielt allerhand tragikomische Monologe.

»O, warum bin ich nicht schön!« sagte er immer wieder zu sich selbst, »ich könnte jetzt der Günstling der mächtigsten Monarchin der Erde werden. Sie ist zwar rund wie ein Heringsfaß, und riecht auch wie ein solches, aber sie kommandiert ein großes Reich, unermeßliche Schätze stehen ihr zur Verfügung.«

Er blieb vor einem Bache stehen, welcher murmelnd über die Steine sprang und ihn zu verspotten schien.

»Bin ich denn wirklich so häßlich?« fragte er und beugte sich über das Wasser, aus dessen bewegtem Spiegel ihn sein verzerrtes Gesicht angrinste. »In der That ein abscheulicher Kerl, aber dieser Bach hier ist ein mutwilliger Geselle, der seinen Scherz mit mir treibt. Ich will einen redlicheren fragen!«

Einige hundert Schritte weiter lag ein kleiner Teich. Boschi lief zu demselben hin und betrachtete sich neugierig in demselben. »Nun sehe ich viel besser aus«, seufzte er, »aber zum Verlieben doch nicht. Verflucht sei die Stunde meiner Geburt!«

Er befand sich jetzt auf einer großen, frisch gemähten Wiese, welche mit zahlreichen Heuschobern bedeckt war; in einiger Entfernung lag ein hübscher Landsitz, dessen weißgetünchte Mauern von dem frischen Grün der sie umgebenden Baumgruppen wirksam abstachen. Das Ganze gab ein freundliches ländliches Bild, so verschieden von den Landschaften seiner toskanischen Heimat, daß Boschi von demselben gefesselt sich in den nächsten Heuschober setzte und zu zeichnen begann.

Plötzlich war es ihm, als ob der Heuschober seufze.

»Seltsam«, brummte er, »ein Heuschober, der ebenso unglücklich zu sein scheint wie ich, am Ende ist er verliebt. He! wer ist da?«

Keine Antwort.

»Also doch der Heuschober.«

Nach einiger Zeit ertönte hinter ihm ein deutliches Schnarchen.

»Nicht übel«, lachte Boschi, »nun schläft er gar. Hier in diesem von Menschenhand noch ziemlich unentweihten Lande scheint die Natur beseelt zu sein wie zu Aesops Zeiten in Griechenland. Aber wir wollen doch sehen.«

Boschi erhob sich und umschritt langsam den Heuschober, da lag plötzlich ein Jüngling von außerordentlicher Schönheit vor ihm im Heu auf dem Rücken und schlief. Rasch holte er sich seine Mappe und begann den herrlichen Fremden, der weit mehr als das Seufzen des Heuschobers an Hellas mahnte, zu zeichnen. Boschi war mit seiner Skizze beinahe fertig, als der schöne Schläfer seine jungen Glieder zu strecken begann und zugleich die vollen roten Lippen zu einem lauten Gähnen öffnete.

»Rühren Sie sich nicht, mein Herr, Sie verderben mir mein Bild!« schrie der Maler.

Der Fremde war jetzt vollkommen wach geworden, setzte sich auf und sah ihn erstaunt an.

»Legen Sie sich nur noch für wenige Minuten auf den Rücken«, rief Boschi.

»Zu welchem Zweck?« fragte der Fremde, der den Italiener nicht begriff.

»Sehen Sie nicht, daß ich dabei bin, Sie zu zeichnen?«

»Mich?«

»Ja, Sie.«

Der junge Mann lachte hell auf.

»Lachen Sie, so viel es Ihnen Vergnügen macht,« erklärte Boschi, »aber nehmen Sie Ihre frühere Stellung ein.«

Der Fremde, dem das Abenteuer Spaß machte, fügte sich endlich den Bitten des Italieners, und dieser konnte ungestört seine Zeichnung vollenden. »So, jetzt sind Sie frei«, sprach er, seine Mappe zusammenpackend, »darf ich schließlich noch fragen, mit wem ich die Ehre habe?«

»Mein Name ist Platon Zuboff«, erwiderte der Jüngling sich erhebend, »ich bin Lieutenant in der Preobraschenskischen Garde und im Augenblick hier auf Urlaub bei meinen Eltern. Das Gebäude, das Sie dort sehen, ist der Stammsitz unserer Familie. Und Sie?«

»Boschi, Maler aus Florenz«, sprach der Italiener.

»Aber wissen Sie, mein junger Herr, daß Sie ein Glückskind sind?«

»Ich?«

»Ja, Sie.«

»Sie irren«, sagte Zuboff, »ich bin der unglücklichste Mensch in ganz Rußland, vielleicht in der ganzen Welt.«

»Unmöglich.«

»Doch«, fuhr der schöne Lieutenant fort, »ich kann nicht avancieren, und meine Geliebte hat einen anderen geheiratet, wollen Sie noch mehr?«

»Nicht zu glauben. Sie – ein junger Mann von so seltener Schönheit –?«

»Oh! Sie schmeicheln –«

»Nicht im mindesten.«

»Mir hat noch nie jemand gesagt, daß ich schön bin, und so vergeben Sie mir, wenn ich Ihren Worten wenig Glauben schenke.«

»Das verstehen Sie nicht«, schrie Boschi. »Wenn ich Ihnen sage, Sie sind schön, so können Sie überzeugt sein, daß Sie es sind. Und Sie lassen sich so ohne weiteres vom Schicksal verfolgen, Sie, ein Mann, von der Natur mit allen jenen Gaben beschenkt, um an dem Hofe der nordischen Semiramis die erste Rolle zu spielen? Lassen Sie mich machen, junger Held, wir müssen Freunde werden, und wenn Sie diesen Lieutenantsrock mit der Generalsuniform vertauscht haben, dann vergessen Sie Ihren treuen Boschi nicht ganz.«

»Sie halten es für möglich?« rief Zuboff.

»Ich werde Sie protegieren«, sprach Boschi mit komischer Würde, »und das ist in diesem Augenblicke mehr, als wenn Potemkin Sie beschützen würde.«

»Aber ich verstehe nicht –«, stammelte Zuboff.

»Sie brauchen auch gar nichts zu verstehen.«

*

Am folgenden Tage wurde Boschi, der sich auf das lächerlichste aufgeputzt hatte, durch Frau von Protasow bei der Kaiserin eingeführt, welche in einem Fauteuil saß, die Füße auf einen Sessel ausgestreckt, und ein neues französisches Buch las. Sie sah den Maler lange forschend an und begann endlich über seine Toilette, welche an seinen Farbenkasten mahnte, zu lächeln.

»Sie also sind der Maler Tomasi?« fragte sie. »Ja, Majestät.«

»Ich hätte Sie beinahe nicht wieder erkannt,« fuhr Katharina II. fort, »es ist zu lange her, daß ich Sie nicht gesehen habe.«

»O! Majestät sind zu gütig gegen ihren submissen Knecht«, erwiderte Boschi mit einem plumpen Kratzfuß, »Majestät wollen mir nicht sagen, daß mich in der Zwischenzeit diese abscheulichen Blattern so zerrissen haben, daß mich mein bester Freund, der Maler Boschi, beinahe nicht mehr kennt.«

»Ich bedaure Ihr Unglück lebhaft«, sprach Katharina II., das Buch weglegend, »Sie waren ein sehr hübscher Mann, ja, sehr hübsch ohne Uebertreibung, man mußte Ihnen auf den ersten Blick gut sein.«

»Und jetzt finden Majestät, daß ich eine Art Ungeheuer geworden bin,« rief Boschi, »aber ich hoffe, daß eine Dame von Ihrem beispiellosen Genie mir deshalb ihre Gunst nicht ganz entziehen wird.«

»Ich hatte die Absicht, mich von Ihnen malen zu lassen«, begann die Zarin.

»O! geben Sie diese Absicht nicht auf, Majestät«, flehte Boschi. »Wenn Sie mich der außerordentlichen Gnade würdig finden, durch meinen Pinsel die Reize der schönsten Frau der Welt zu verewigen.«

»Sie dachten damals anders über diesen Punkt«, fiel die Zarin lächelnd ein.

»Damals habe ich noch nicht Rubens studiert«, beteuerte Boschi, »aber jetzt schwöre ich, daß Sie an Reizen nicht Ihres Gleichen haben, Majestät, ich schwöre dies, so wahr ich Tomasi heiße.«

»Gut denn, Sie sollen mich malen«, entgegnete Katharina II., Boschi stürzte in überströmender Dankbarkeit zu ihren Füßen nieder und küßte die kleine fette Hand, welche sie ihm huldvoll reichte. »Ich will aber kein Porträt, sondern irgend ein mythologisches Bild«, fuhr sie fort. Es war die Eitelkeit aller durch Korsett und Stöckelschuhe entstellten Damen der Rokokozeit, auf der Leinwand in der Rolle irgend einer stark dekolletierten Frau zu prangen.

»Natürlich ein mythologisches Bild«, schrie der schlaue Italiener, noch immer vor der nordischen Semiramis auf den Knien, »und wenn ich Sie so vor mir sehe, Majestät, in Ihrer ganzen unwiderstehlichen, kolossalen Schönheit, so sage ich mir, Sie können nur die Liebesgöttin vorstellen, keine andere. Ich werde ein großes Bild malen in dem Genre wie jenes Paolo Veroneses in Palazza Manfrei zu Venedig, ›Venus und Adonis‹.«

»Ja, aber wo nehmen wir den Adonis her, mein lieber Tomasi?« seufzte die Zarin.

»Schade, daß die Blattern Sie so mitgenommen haben, Sie wären ein prächtiger Adonis gewesen. O! wie schön Sie waren, armer Tomasi!« Sie legte ihm zärtlich die Hand auf die Schulter.

»Das ist einmal nicht zu ändern, Majestät«, rief Boschi, »aber ich werde mir schon ein passendes Modell auftreiben, lassen Sie das nur meine Sorge sein.«

Schon am nächsten Tage begann Boschi zu malen, er skizzierte die ganze Scene und ließ dann die Zarin sitzen. Es gelang ihm vortrefflich, das schwierige Problem zu lösen, ein gutes Porträt zu liefern und doch zugleich ein berückend schönes Weib auf die Leinwand zu zaubern. Katharina II. erschien auf seinem Bilde um mindestens dreißig Jahre verjüngt, mit allen Reizen geschmückt, welche sie zur Zeit besaß, als sie, den Hut mit Eichenlaub bekränzt, bei der roten Schenke die Truppen zur Empörung gegen ihren Gemahl, den Zaren Peter II., fortriß. Sie war sehr zufrieden und konnte sich kaum von dem Bilde trennen, als Boschi es in seine Wohnung bringen ließ, um auch den Adonis zu malen, der vorläufig nur mit ein paar kühnen Strichen gezeichnet, zu ihren Füßen lag. Es wurde Herbst, und der Hof war wieder in St. Petersburg, als er das Gemälde beendet hatte. Er stellte es in einem Saale des Winter-Palastes auf und ließ die Zarin einladen, es zu prüfen. Katharina II. kam so rasch, als es nur ihr Körperumfang gestattete. Boschi zog den Vorhang, welcher das Bild verhüllte, weg. In diesem Augenblicke stieß sie einen Schrei der Verwunderung aus. »Herrlich!« rief sie, »entzückend! Sie sind ein ausgezeichneter Künstler, Tomasi, aber dieser Adonis, dieser Jüngling, welcher an süßer Schönheit seines Gleichen sucht, ist wohl nur Ihr Ideal?«

»Nein, Majestät,« erwiderte Boschi trocken, »dieser Adonis ist ein wirklicher lebendiger Mensch und nennt sich Platon Zuboff.«

»Unmöglich,« rief Katharina II., das Bild anstarrend, »mindestens haben Sie ihn sehr verschönert.«

»Nicht im mindesten«, entgegnete der Maler, »übrigens können sich Majestät selbst davon überzeugen.«

»Ja, das will ich auch«, sagte die Zarin in unbeschreiblicher Aufregung, »und heute noch, ja, auf der Stelle.«

Als Boschi mit dem schönen Zuboff in den Saal trat, in welchem die Zarin noch immer in dem Anschauen des Bildes sich vertiefte, blieb diese anfangs sprachlos, dann stammelte sie, bald den Adonis auf der Leinwand, bald den Jüngling, der errötend vor ihr stand, mit den Augen verschlingend: »Ja, Tomasi, Sie haben recht, das ist Adonis, wie er leibt und lebt.« Dann näherte sie sich Zuboff, der sich demütig auf sein Knie niederließ, und sprach, ihn auf die Wange klopfend: »Sie gefallen mir sehr gut, junger Mann, wenn Ihre Geistesgaben in keinem zu großen Mißverhältnis mit Ihrer körperlichen Schönheit stehen, werden Sie Ihr Glück machen, ich sage Ihnen das, ich, die Kaiserin.« Mit gnädigem Lächeln reichte sie ihm die Hand, und Zuboff preßte dieselbe stürmisch an seine Lippen.

Die Kaiserin seufzte. Sie hatte sich im ersten Augenblicke sterblich in ihn verliebt, aber so schwach dieses große Weib auch war, sie verlor ihre äußere Würde, den Glanz ihrer Krone nie aus dem Auge und hätte um alles in der Welt keinen unbedeutenden Menschen durch ihre Gunst Einfluß auf die Geschicke ihres Staates gewinnen lassen wollen.

Sie sandte also Zuboff zu Frau von Protasow und beauftragte die letztere, den Adonis so vertraut als nur möglich zu machen und im intimen Verkehr mit ihm seine Talente, sowie sein Wesen und seinen Charakter zu studieren und ihr dann Bericht zu erstatten.

Die ganz außerordentliche Schönheit Zuboff's machte auf Frau von Protasow denselben Eindruck wie auf die Zarin. Die junge, weltgewandte Frau fand anfangs keine Worte, denn – als sie ihn mit der kindischen Bewegung eines schwärmerischen Mädchens einlud, neben ihr auf dem Sofa Platz zu nehmen, schoß ihr das Blut verräterisch in die Wangen, und als Zuboff, den das reizende Weib, mit dem er sich allein sah, gleichfalls entzückte, ihre Hand berührte, begann sie zu beben. Der Pfeil Amors hatte ihr Herz ebenso ernstlich verwundet, wie jenes ihrer kaiserlichen Gönnerin.

Eine Stunde verrann in zärtlichem Geplauder und eine zweite. Frau von Protasow hatte ihre Ruhe wieder gewonnen und ließ alle die feinen gefährlichen Künste ihrer Koketterie spielen, um den schönen Adonis zu fesseln, zu erobern, was sehr überflüssig war, denn er lechzte ja förmlich darnach, sich in ihr Netz zu stürzen.

Aus einem ceremoniellen Besuch war zuletzt eine Schäferstunde geworden. Beide hatten an diesen Ausgang nicht im Entferntesten gedacht. Die Thür war offen geblieben, und so geschah es, daß Zuboff zu den Füßen der reizenden Frau lag und sie ihn mit den üppigen Armen umschlungen hielt und Tomasi, der wirkliche Tomasi, der begünstigte Anbeter der Frau von Protasow, plötzlich im Boudoir der schönen Verräterin vor der Gruppe stand, welche, so malerisch sie war, ihn in beispiellose Wut versetzte.

»Sofie!« schrie er auf, »was muß ich sehen! Schlange! Satan! Ich erwürge Dich.« Er stürzte auf die Geliebte los, aber Zuboff hatte sich rasch erhoben und seinen Degen gezogen.

»Was will dieser Mensch?« fragte er, gleichfalls von Eifersucht ergriffen.

»Beachten Sie ihn nicht«, entgegnete Frau von Protasow mit unglaublicher Kaltblütigkeit, »er ist nicht ganz bei Sinnen, und wenn er seinen Anfall hat, quälen ihn die merkwürdigsten Einbildungen, lassen Sie mich allein mit ihm, ich werde ihn schon zur Raison bringen.«

»Einbildungen?« schrie der Italiener, »ich bilde mir also ein, daß Sie mich lieben?«

»Gewiß bilden Sie sich das ein«, unterbrach ihn Frau von Protasow mit einem mutwilligen Gelächter, »gehen Sie, Zuboff, seien sie ohne Sorgen, ich fürchte mich nicht vor ihm«.

Zuboff steckte seinen Degen ein, küßte die Hand der schönen Frau und verließ mit einem triumphierenden Blick auf Tomasi das Gemach. Kaum war Frau von Protasow allein mit dem Maler, schnellte sie vom Sofa empor, ergriff Tomasi bei beiden Ohren und begann ihn, gleich einem unartigen Jungen, bei denselben hin und her zu zerren. »Wie können Sie mich so bloßstellen«, rief sie dabei, »wir sind geschieden, für immer geschieden. Verlassen Sie mich auf der Stelle!«

Kaum hatte sie ihn losgelassen, fiel Tomasi vor ihr auf die Knie und begann sie um Vergebung zu bitten. Sie schmollte noch einige Zeit, dann sagte sie: »Gut ich will diesmal noch mit Ihnen gnädig sein, aber wehe Ihnen, wenn Sie noch einmal eifersüchtig sind.«

»Habe ich denn keine Ursache dazu?« wendete der arme verliebte Maler schüchtern ein.

»Nein.«

»Wirklich nicht? – aber die Situation, in welcher –«

»Zuboff ist seit heute der Günstling der Zarin« sagte Frau von Protasow rasch, »Sie wissen, daß Katharina II. kleine Stücke in französischer Sprache verfaßt und von ihrem Hofe aufführen läßt. In ihrem neuesten Produkte spielen ich und Zuboff die Liebenden, und so waren wir eben daran, eine Scene zu probieren.«

»Wirklich?«

Alle weiteren Zweifel erstickte die Frau mit ein paar feurigen Küssen.


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