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IV.

Das war ein böser Tag für das Regiment. Der schöne Oberst erschien in der bösesten Laune beim Morgenrapport, in jener Laune, in der die gefürchtete Soldatendespotin stets »gerecht«, aber mit unerbittlicher Strenge und ohne das geringste Erbarmen so lange Knute und Spießruten spielen ließ, bis die Falten von ihrer Stirne verschwunden waren. Auch heute mußte sie Strafen diktieren, Seufzer hören, Blut sehen, und das alles nur, weil sie Iwan gestern Abend trotz seiner Versicherungen nicht verstanden hatte.

Ihre düstere Toilette, ein Oberkleid von schwarzem Samt mit dunklem Zobelpelz besetzt, das über dem Unterkleide von gleichem Stoff und gleichen Farben eng in die Taille schloß und dann weit nach rückwärts auseinanderfloß, paßte vortrefflich zu ihrer neronischen Stimmung. Sie hätte am liebsten gleich die Kaserne angezündet und ihr ganzes Regiment verbrannt.

Vor ihr standen Offiziere und Unteroffiziere und erstatteten ihre Berichte.

»Der Soldat Peter Repkin wurde auf frischer That bei einem Einbruch in das Gewölbe des Kaufmanns Nowasilkoff ergriffen«, meldete ein Kapitän.

»Ist dies sein erster Fehltritt?« fragte Frau von Mellin.

»Allerdings, er hat sich bisher ganz gut aufgeführt –«

»Er soll also nur gepeitscht werden.«

»Wie viel Hiebe?«

»Fünfzig.«

»Dimitri Paschkan hat seinen Kameraden bestohlen –,« sagte ein anderer Kommandant.

»Paschkan? War der nicht schon abgestraft?« fragte der militärische Nero, die Brauen zusammenziehend.

»Allerdings, wiederholt abgestraft.«

»So, da muß man den Burschen diesmal schärfer fassen,« entschied Frau von Mellin böse lächelnd, »er soll mir vorerst durch eine Woche in den Bock gespannt werden und zwar in einem finstern Kerker bei Wasser und Brot, und dann soll er Spießruten laufen, zehn Mal durch zweihundert Mann.«

»Das wird der Mann kaum aushalten,« sagte der Kommandant, »er ist noch jung und schwächlich.«

»Nun, soll er meinetwegen in der Gasse sterben!« rief die schöne Frau, »an so einem Menschen verliert die Gesellschaft nichts.«

»Der Sergeant Isidor Tscholowik hat sich bei einem Raufhandel in der Schenke seinem Lieutenant widersetzt und die Hand gegen ihn erhoben.«

»Solche Fälle müssen besonders streng gestraft werden,« sagte Frau von Mellin, »sonst lösen sich alle Bande der Disziplin. Der Mann ist zu degradieren und zwanzig Mal durch zweihundert Mann zu jagen. Hält er es aus, so ist er nach Sibirien abzuführen.«

Nach einem köstlichen Diner sich halb träge, halb mißmutig auf dem Balkon ihres kleinen Palastes die Zähne stochernd, sah Frau von Mellin den Exekutionen zu, welche auf ihren Befehl auf dem großen Platze vor der Kaserne vollzogen wurden. Sie sah kaltblütig die von ihr Verurteilten an den Pfahl binden, unter der Peitsche des Profoßen bluten oder in der Gasse vor den Bajonetten, welche dieselbe sperrten, zusammenbrechen, und warum nicht? – Sie that kein Unrecht, sie quälte niemand, sie fand nur Vergnügen an der Gerechtigkeit, welche sie nach Recht und Gewissen übte.

Plötzlich trieb es sie, in die Kaserne zu gehen. Sie konnte sich keine Rechenschaft von dem geben, was sie dahin zog, aber sie mußte hin. Sie setzte eine kleine runde Mütze von Zobelpelz auf ihr weiß gepudertes Haar und schritt, ihr spanisches Rohr in der Hand, rasch über den Platz hinüber. Welch' ein Schauspiel bot sich ihr im Kasernenhofe! Vor der Front seiner Kompagnie stand Pauloff auf den Degen gestützt, während zwei Korporale ihren Günstling Iwan, welcher die Hände gebunden hatte und in höchster Verzweiflung Verwünschungen ausstieß und weinte, auf die bereit stehende Prügelbank zu schnallen suchten. Schon schien der Widerstand des schönen Grenadiers fruchtlos und die Kameraden freuten sich, ihn, der längst ihren Neid erregt, unter dem Korporalstock stöhnen zu hören, da brachte Frau von Mellin Hülfe zu rechter Zeit.

»Was geschieht hier?« rief sie von weitem schon.

Sofort hielten die Korporale ein.

»Ich strafe einen Soldaten«, sagte Kapitän Pauloff kalt, während in ihm alles kochte, denn auch er hielt Iwan für seinen glücklicheren Nebenbuhler.

»Wofür?« fragte der weibliche Oberst, »und mit welchem Recht?

»Mit dem Rechte, welches mir als Kompagniechef zusteht, meine Leute für Dienstvergehen zu strafen,« erwiderte Pauloff noch immer gelassen.

»Was hat der Mann begangen?« warf Frau von Mellin ein, »gewiß wieder eine Bagatelle, ist er diesmal vielleicht bleich geworden, als er im Gliede stand?«

»Er ist gestern Abend eine volle Viertelstunde nach dem Zapfenstreiche nach Hause gekommen«, sagte der Kapitän.

»Wahrhaftig, eine volle Viertelstunde?« höhnte der weibliche Oberst, »und dafür eine so unmenschliche, entehrende Strafe?«

»Ob der Zapfenstreich um eine Minute oder um eine volle Stunde überschritten wird«, entgegnete Pauloff, »ist gleichgültig – übrigens handelt es sich hier noch um etwas ganz anderes. Dieser Mann verschmäht es, sich zu rechtfertigen, ja, er verweigert trotzig jede Antwort darüber, wo er den gestrigen Abend zugebracht und auf welche Weise er abgehalten wurde –.«

»Wenn es nichts weiter ist,« sagte Frau von Mellin, »darüber kann ich Aufklärung geben. Ich weiß wo Iwan Nahimoff gestern Abend war. Dies wird Ihnen wohl genügen, Herr Kapitän.«

»Nein, dies genügt mir nicht«, rief Pauloff, dem die Zornesadern auf der Stirn schwollen, »ich muß wissen, wo der Mann war.«

»Müssen Sie das wirklich wissen?« spottete Frau von Mellin, »nun gut, Iwan Nahimoff war gestern Abend bei mir! –«

Pauloff entfärbte sich, in der Kompagnie entstand eine unbeschreibliche Bewegung.

»Wenn der Mann trotzdem eine Strafe verdient,« sagte Frau von Mellin mit einer Würde, welche Pauloff förmlich zu Boden schmetterte, »so strafen Sie ihn menschlich... vergessen Sie nie, daß es einer Ihrer Brüder ist, der gefehlt hat.«

»O! wir kennen diese lächerlichen Sentenzen, diese modernen Ideen französischer Philosophen,« erwiderte Pauloff, welcher die Herrschaft über sich vollkommen verlor, »es stünde Ihnen besser an, nicht zu vergessen, was Sie mir, dem Edelmanne und Offiziere, schuldig sind, als mich – und sich selbst – eines gemeinen Soldaten wegen dem Gelächter Preis zu geben.«

»Glauben Sie?« sagte Frau von Mellin, deren Augen Blitze schossen, welche aber immer ruhig, ja spöttisch blieb. »Ich finde dagegen nichts lächerlicher als Pretentionen, welche sich auf Vorzüge stützen wie Adelsbrief und Offizierspatent, die man jeden Augenblick zerreißen kann. Was bleibt dann übrig, wenn das einzige nicht vorhanden ist, was heutzutage noch geachtet wird, der echte Menschenwert?«

»Noch bin ich Offizier!« rief Pauloff.

»Sie sind es nicht mehr,« gab der Oberst im Reifrock keck und schneidend zur Antwort und riß zugleich Pauloff die Epauletten herab.

»Sie wagen ...?« stammelte dieser, nach dem Degen greifend.

»Ich bin hier an der Zarin Stelle, wer mir ungehorsam ist, verletzt seine Pflichten gegen die Monarchin,« fuhr Frau von Mellin fort, während ihr Samtkleid drohend knisterte; »ich habe strengstens verboten, meine Soldaten mit dem Stocke zu strafen. Sie haben mein Verbot verhöhnt, Ihre Pflicht als Offizier mit Füßen getreten. Sie sind ein Rebell, Sie verdienen exemplarisch gestraft zu werden. Ich degradiere Sie hiermit zum gemeinen Soldaten und Sie, Iwan Nahimoff, ernenne ich zum Kapitän und Kompagniechef.«

Pauloff war nahe daran umzusinken. Er brachte keinen Ton hervor, Thränen füllten seine Augen, während Iwan, dessen Bande rasch gelöst wurden, vor der schönen Amazone dankend seine Kniee beugte.

»Darf ich Sie an einem Tage, wo Sie mich so mit Gnaden überschütten«, sagte der neue Kapitän, »noch um eine besondere Gunst bitten, gnädige Frau?«

»Nun?«

»Geben Sie mir den Gemeinen Pauloff in meine Kompagnie«, bat Iwan mit feindselig lauerndem Blicke.

Ein diabolisches Lächeln überflog das schöne erbarmungslose Antlitz der beleidigten Frau. »Es sei, aber unter einer Bedingung –«

»Sie haben zu befehlen,« sagte Nahimoff.

»Ich befehle also den Gemeinen Pauloff zu Ihrem persönlichen Dienst, Herr Kapitän,« sagte Frau von Mellin, »und was die lächerlichen philanthropischen Sentenzen der französischen Philosophen betrifft, so suchen Sie dieselben bei dieser Gelegenheit zu vergessen, lieber Nahimoff, und kaufen Sie sich bei Zeiten eine Peitsche, denn Hunde und Diener muß man peitschen!«


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