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Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von dem Attentate Tschoglokows und seiner Gefangennahme in Moskau. Mascha wurde am folgenden Tage in aller Frühe durch den Schreiber der Reichskanzlei, Herrn Jamrojewitsch, von dem Ereignis unterrichtet, welcher die weitgehendsten Konjekturen an dasselbe knüpfte. Obwohl sie überzeugt war, recht und auch klug gehandelt zu haben, und ihre Eltern sowohl wie Jamrojewitsch ihren Schritt billigten, fühlte sie doch eine peinliche Angst um den Geliebten, und ihre Thränen flossen unaufhörlich, bis ein Kammerherr der Zarin erschien und sie zu derselben entbot.

Jetzt wurde sie sofort ruhig. Die Kaiserin wird ihr Wort halten, dachte sie, deshalb läßt sie mich rufen. Sie zog rasch ihre besten Kleider an und stieg mit dem Kammerherrn in den bereit stehenden Hofwagen. Im Palaste angelangt, wurde sie in das Boudoir der Kaiserin geführt, wo man sie warten ließ.

Katharina ließ sie nicht lange im Zweifel, sie trat majestätisch, den Kopf in den Nacken zurück geworfen, herein in einem schwarzen Samtkleide, das ihr in langer Schleppe nachfloß und ihre herrliche Büste im vollen Leuchten blendender Üppigkeit sehen ließ. Mascha näherte sich der Kaiserin und kniete vor ihr nieder.

»Ich bedaure Dich,« sprach Katharina mit einem bösen Lächeln, während sie das Mädchen vor sich knieen ließ, »es ist anders gekommen, als wir dachten, trotz Deiner Warnung hätte Tschoglokow seinen Mordanschlag auf mich ausgeführt, wenn nicht meine Geistesgegenwart ihn entwaffnet, meine List ihn in mein Netz geführt hätte. Denke Dir, der arme Mann, der den Brutus spielen, mich erstechen wollte, lag zu meinen Füßen und flehte um meine Gunst, ja, so wahr ich lebe, armes Kind, aber er soll es büßen, daß er Dir untreu war, wenn auch nur wenige Sekunden. Wir lassen ihn auf das Rad flechten, was meinst Du?«

Mascha begann heftig zu schluchzen.

»Nun sprich,« fuhr die Zarin fort, sie ließ das Mädchen noch immer vor sich auf den Knieen liegen, »bist Du einverstanden, oder willst Du noch weitere Qualen für den Elenden ersinnen?«

Mascha schüttelte traurig den Kopf. »Wenn mein Geliebter von der Macht Deiner Schönheit besiegt wurde, erhabene Frau, so kann ich ihm deshalb nicht zürnen? Welcher Mann kann Dich sehen, Dir nahen, ohne Dich anzubeten?«

Katharina lächelte und diesmal freundlich, die ungezwungene Huldigung des schlichten Mädchens schmeichelte ihr.

»Ich vergebe ihm, daß er, von Deinen göttlichen Reizen berauscht, mich vergaß,« fuhr Mascha fort, »und ich flehe zu Dir, Herrin, des Wortes zu gedenken, das Du mir gnädig gabst.«

»Ich gab es für den Fall, daß Deine Warnung den Anschlag des Wahnwitzigen vereitelt.«

»Nein, nein, Du gabst es ohne Bedingung.«

»Wirklich.« Katharina zog die Brauen zornig zusammen. »Und wenn ich mich meines Versprechens für entbunden halte, wo willst Du mich verklagen?«

»Bei Dir selbst,« rief Mascha, »denn Du kannst nicht so unedel sein, Du bist groß und daher auch großmütig. Was soll noch heilig sein, wenn nicht das Wort einer Monarchin?«

»Ich kann Tschoglokow nicht begnadigen,« entgegnete Katharina II. scharf und abweisend, »das hieße die Unzufriedenen ermuntern! Und er selbst! Wäre ich vor seinem Hasse je sicher? Glaub mir Mascha, ich muß unerbittlich sein: Nur die Toten kehren nicht wieder

»Bei allen Heiligen,« schrie das arme Mädchen auf, »Du tötest mich mit ihm! Erbarme Dich meines jungen Lebens.«

»Genug, Mascha,« sagte die Kaiserin plötzlich stehen bleibend mit jener ihr eigentümlichen Strenge, durch die sie jeden zittern machen konnte, sobald sie nur wollte, sogar den rauhen Orlow, »genug, ich werde sonst ungeduldig und schicke Dich fort. Tschoglokow muß sterben.«

»Auf der Stelle?«

»Nein, vorher werde ich ihn foltern lassen, um zu erfahren, ob er Mitschuldige hat.«

»Er hat keine.«

»Deshalb schenke ich ihm die Martern doch nicht,« höhnte die Zarin.

»Um Gotteswillen! Hast Du vergessen, was Du mir versprochen hast?«

»Ich habe es in der That vergessen.«

Mascha sprang auf und blickte die Zarin mit allem Haß und Abscheu, der ihrer sanften Seele zu Gebote stand, an. »O, ich sehe zu spät, daß Tschoglokow Recht hat, ja, Du bist die neue Semiramis wie sie Dich nennen, Du bist ohne Erbarmen, Du kennst die Güte nicht, Blut klebt an Deinen Kleidern, und Du wirst Blut vergießen, so lange Du lebst. O, ich Wahnsinnige, die Dich retten wollte! Es ist eine gute That, Dich zu ermorden.«

»Mädchen!« schrie Katharina II. zornig, die geballte Faust gegen Mascha erhebend, aber sie besann sich sofort und zuckte nur verächtlich die Achseln. »Ich sehe, Du hast wirklich Deinen Verstand verloren.«

»Besser den Verstand als die Ehre.«

»Was sagst Du?«

»Ich nenne Dich ehrlos, wenn Du Dein kaiserliches Wort nicht hältst.«

Katharina trat einen Schritt zurück, ihre hellen Augen schossen grüne Blitze, ihre Lippen zuckten krampfhaft, während ihre Brust heftig wogte. »Das hat mir noch niemand gesagt.«

»Ich sage es Dir,« rief Mascha, »ich, die Dich nicht fürchtet. Töte mich, ich sage doch, daß Du ehrlos, daß Du wortbrüchig bist.«

Katharina sah das mutige Mädchen lange an, dann sagte sie mit imposanter Ruhe und einem Lächeln voll Liebreiz um die vollen, wollüstigen Lippen. »Ich werde mein Wort halten, genau so halten, wie ich es Dir gab. Wiederhole mir also, wie lautet mein Versprechen?«

»Du versprachst, ihn nicht zu töten.«

»Ist dies alles?« fragte Katharina II. lauernd.

»Und Du gabst mir Dein Wort, ihn nicht länger als ein Jahr gefangen zu halten.«

»So ist es,« bestätigte die Zarin, »dies versprach ich, und dies will ich Dir auch halten, genau so, wie ich es Dir versprach, keinen Buchstaben weniger und keinen mehr. Ich werde Tschoglokow nicht hinrichten lassen und nur ein Jahr im Kerker halten, verstehst Du wohl, aber es ist seine Sache, in diesem Jahre nicht zu verhungern, denn er wird weder Speise noch Trank erhalten.«

»Alle Heiligen!«

»Und heute noch lasse ich ihn auf die Folter spannen und befragen, denn Du sagst nicht, daß ich Dir versprach, ihn nicht zu martern.«

Mascha wurde es Nacht vor den Augen, sie tappte längs der Wand hin, aber sie fand die Thüre nicht.

»Bleibe,« herrschte ihr die Zarin zu, »Du wirst dabei sein, wenn man Tschoglokow befragt, als Zeuge und als Angeber.«

Das arme Mädchen raffte sich noch einmal auf und that einen Schritt auf die Kaiserin zu, aber ihre Kniee brachen, und sie stürzte vor der unerbittlichen Feindin nieder, mit dem Antlitz zur Erde. Katharina zog die Glocke und ließ sie fortbringen.

Als Mascha zu sich kam, befand sie sich in einem großen Saal, in welchem fünf reichgekleidete Männer an einer rotbedeckten Tafel saßen. Vor ihnen stand Tschoglokow, die Hände auf den Rücken gebunden, der Henker schnallte ihn an ein Seil, das von der Folter herabhing, und seine Knechte begannen ihn aufzuziehen.

Während der furchtbarsten Martern sagte Tschoglokow genau so aus, wie im gewöhnlichen Verhör. Er leugnete nicht, daß er den Plan entworfen, sein Vaterland zu befreien, die Zarin zu ermorden, aber er blieb unerschütterlich dabei, daß er keine Mitschuldigen habe und daß niemand um seinen Anschlag gewußt habe als seine Verlobte.

Nun wurde Mascha befragt. Sie hielt sich mit Mühe aufrecht, und ihre Stimme erstarb fast auf ihren Lippen.

Ihre Aussage stimmte mit jener des Kapitäns vollkommen überein.

Nachdem Tschoglokow alle Grade der Folter durchgemacht hatte und standhaft geblieben war, beschloß der Gerichtshof, das Urteil zu schöpfen. In diesem Augenblicke erschien die Kaiserin auf den Arm Orlows gestützt.

»Hat er gestanden?« fragte sie scheinbar gleichgültig.

»Die That allerdings, Majestät,« erwiderte der Präsident, »aber er leugnet, Mitschuldige und Mitwisser zu haben.«

»Man soll ihn foltern und zwar ohne Gnade.«

»Es ist geschehen.«

»Gut,« fuhr Katharina fort, indem sie zuerst Mascha, dann Tschoglokow scharf in das Auge faßte, »und hat man das Mädchen belohnt?«

»Majestät haben nichts angeordnet.«

»Angeber muß man immer bezahlen,« sagte die Zarin rasch, »und zwar gut bezahlen.« Sie zog eine Börse mit funkelnden Goldstücken hervor und warf sie Mascha zu, ganz so, wie man Bettlern eine Kopeke zuwirft.

Das arme gequälte Mädchen stieß einen gellenden Schrei aus und stürzte ohnmächtig nieder.

Die Börse fiel zur Erde.

*

Nur die Toten kehren nicht wieder!

Tschoglokow starb im Kerker. Mascha siechte langsam dahin, bis die Eltern sie auf das Land, weit weg von Moskau brachten. Dort erholte sie sich, und dort verlangte sie für immer zu bleiben. Ihr Vater kaufte ihr ein kleines Haus mit einem Garten, in dem sie einsam, nur mit ihren Blumen beschäftigt und von einer alten Bäuerin bedient, ihr Leben fortspann.

Sie erreichte ein hohes Alter; die Türkenkriege, die Teilung Polens, die Kämpfe mit den Franzosen rauschten an ihr vorüber; sie sah Napoleon nach Moskau marschieren und die große Armee auf ihrem Rückzuge; sie erlebte es noch, daß Zar Alexander siegreich aus Frankreich zurückkehrte und daß Nikolaus den Thron bestieg.

An dem Tage, wo die Nachricht von dem russischen Siege bei Navarin eintraf, schlief sie in ihrem Lehnstuhl sitzend für immer ein, in ihrem Schoße lag ein Medaillon, das eine Locke enthielt, auf dem Deckel standen die Worte: »Apostol Tschoglokow« und »für immer.«


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