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Ungnade um jeden Preis

Es war im Winter des Jahres 1775, zu derselben Zeit, wo die Kaiserin Katharina II. in der alten Zarenstadt Moskau die Sieger im Türkenkriege durch Festlichkeiten von nie gesehener phantastischer Pracht ehrte, als sich mehrere Familien russischer Landedelleute in der Gegend von Tula vereinigt hatten, um auch in ihrem Kreise und nach ihrer Art die neuen Triumphe ihres Vaterlandes und Heeres zu feiern.

So versammelten sich denn an dem ersten Tage, wo die Lustbarkeit in echt nationaler naiver Weise in dem Hause der Urussow begann, um an den folgenden bei den Matschkowski und Repnin fortgesetzt zu werden, die Diener eingerechnet, nahe an zweihundert Personen, welche beinahe alle zugleich in großen, zum Teil recht märchenhaft aufgeputzten Schlitten in den großen Hof eingefahren waren. Es entstand ein unbeschreiblicher Wirrwarr von Menschen, Tieren und Tönen, denn jeder suchte zuerst die schweren Winterhüllen abzuwerfen, und in den warmen Saal, in dem die riesige Tafel gedeckt war, zu gelangen; die Herren fluchten, die Damen erteilten Befehle, Kutscher und Lakaien schrieen, die Pferde wieherten, und drei Musikbanden spielten mit unerschütterlichem Gleichmut zu gleicher Zeit drei verschiedene Stücke, die Spielleute Repnins, in Bärenfelle eingenäht, auf einem großen Schlitten stehend, einen wilden Janitscharenmarsch, jene Matschkowski's, unter der Freitreppe stehend, eine erhabene altslavische Hymne zur Ehre Gottes, und das auf dem hölzernen Balkon postierte Orchester Urussow's den lustigsten Kosakentanz, dessen es nur mächtig war.

Während der Hausherr und die Hausfrau bemüht waren, ihre Gäste mit barbarischer Herzlichkeit zu begrüßen und in ihr Haus zu geleiten, stand seitwärts unter dem Schutze der Freitreppe der junge Urussow, halb keck, halb scheu die Hände in den Taschen seiner weit pludernden Hosen, und musterte die geigenden und blasenden Bären, deren infernalische Musik und riesige türkische Trommel ihm ungeheuer zu gefallen schienen. Von der Galanterie eines französischen Edelmannes jener Tage, von der Pflicht, als Sohn des Hauses den jungen Damen seine Dienste anzubieten, hatte er eben so wenig eine Ahnung, als von den philosophischen oder moralischen Skrupeln eines deutschen Jünglings der Wertherzeit.

Da blieb sein Blick zufällig auf einem jungen, von der Kälte rosig angehauchten Gesichtchen haften, das einem reizenden weiblichen Bären anzugehören schien, denn nicht anders saß die kleine Dame in ihrem Schlitten, bis in die Nase in Pelz gewickelt und bis über die Kniee mit allerhand warmen Fellen bedeckt und rief unablässig bald den danebenstehenden, mit ein Paar Nachbarn Komplimente wechselnden Eltern, bald ihren mit den Dienern Urussow's den Willkomm-Schnaps saufenden Leibeigenen zu: »Helft mir doch, ich kann nicht heraus!«

Da geschah ein Wunder. Der junge Maxim Urussow sprang, alle Scheu bei Seite setzend, herbei und zog das allerliebste Persönchen aus all' dem Rauhwerk hervor, und wie er sie einmal in den Händen hatte, besann er sich nicht weiter und trug sie gleich über die Schneehaufen, die ihm den Weg versperrten, in das Haus hinein, wo er seine schöne Last ehrerbietig zur Erde setzte. Die kleine Dame, welche der warme Herzschlag des hübschen Jungen noch röter gemacht hatte, als die scharfe Winterluft, bedankte sich nicht im mindesten bei ihm, sondern sprach, ihm den Rücken kehrend: »Helfen Sie mir doch aus dem garstigen Mantel hervor, Maxim Petrowitsch.«

Maxim beeilte sich, der schönen Bärin zu gehorchen, und jetzt, wo er nichts von ihren großen hellen Augen zu befürchten hatte, sagte er sehr rasch und sehr laut: »Aber Sie sind doch groß geworden, Angela Iwanowna, seit den zwei Jahren, wo Sie im Kloster waren und ich Sie nicht gesehen habe, groß und schön.«

»Sie scherzen, Maxim Petrowitsch.«

»Ich scherze nicht.«

Jetzt begegneten ihre hellen Augen seinen tief dunkeln, und jetzt trieb es auch ihm das Blut in die Wangen.

»Maxim, da steht der Tölpel,« rief in diesem Augenblicke der Hausherr, welcher, Frau Repnin am Arme, die Treppe hinaufzusteigen im Begriffe war, »führe doch Mademoiselle Angela, mach' den Kavalier, lerne Manieren, man sieht gleich, daß der nicht in Paris war.«

Angela, die einzige Tochter der Repnins, gleich ihrem Jugendfreunde Maxim unwissend und naiv, wie es eben nur Russen des vorigen Jahrhunderts sein konnten, nahm ohne Umstände selbst den Arm des ratlos Dastehenden und sagte mit einer Art, die Maxim unendlich vornehm erschien: »So macht man es, Maxim Petrowitsch, ich sehe schon, ich muß Sie in die Schule nehmen.«

»Ja, thun Sie das, Mademoiselle Angela,« erwiderte Maxim, »Sie haben sich sehr verändert im Kloster, eine ganze Dame sind Sie geworden, Mademoiselle Angela.«

Die Kleine lächelte nur.

Bald war Alles in dem großen Saale versammelt, und das Mahl begann, ein echt russisches Mahl, bei dem sich die Tische bogen und der Wein im vollsten Sinne des Wortes in Strömen über den Fußboden floß, und das von zwölf Uhr Mittag bis zum Abend währte. Dann stürzten fünfzig Diener herein und schleppten die Tische fort und stellten die Stühle an die Wände, die Musik spielte eine Polonäse, und Alt und Jung stellte sich ein Paar hinter dem andern in endloser Reihe zu dem gravitätischen Tanze auf, mit welchem damals jeder Ball eröffnet wurde.

Maxim Urussow und Angela Repnin saßen bei der Tafel nebeneinander und tanzten fast die ganze Nacht zusammen. Am nächsten Tage, nachdem man sich nach einem gesunden Schlafe bei einem solennen Frühstücke zusammengefunden und erquickt bestieg die ganze Gesellschaft von neuem die Schlitten, nur daß jetzt die jungen Damen nicht mehr bei ihren Eltern saßen, sondern bei ihren Kavalieren. Maxim führte Angela und jagte mit seinen vier feurigen Pferden aus der Ukraine allen voran, das schöne Mädchen schmiegte sich warm an ihn und lachte vergnügt über hundert Dinge, die es sonst mit der größten Gleichgültigkeit gesehen hatte, über die Krähen, die auf den Weidenbäumen saßen, über die großen roten Federbüsche, welche auf den Köpfen der Pferde tanzten, über die lustige Musik der Schellen und Maxim's lange Peitsche, welche er von Zeit zu Zeit, um sie zu erschrecken, gleich einer Pistole knallen ließ.

Schon sahen die jungen Leute den Herrensitz der Matschkowski aus großen kahlen Pappelbäumen hervorwinken, da rief Angela, deren Übermut keine Grenzen hatte: »Ach, Maxim, wie schön wäre das, wenn wir jetzt umwerfen würden!«

Und schon war es geschehen, und sie lagen lachend auf dem weichen Schnee, wie in einem Hermelinpelz, die Pferde waren stehen geblieben, Maxim hob Angela auf seine Arme, trug sie in den Schlitten, der sich von selbst wieder aufgerichtet hatte, und sie waren doch die Ersten, welche unter Peitschenknall und Geklingel in den Hof der Matschkowski einfuhren.

Hier schloß sich der heiteren Gesellschaft eine ziemlich reife, aber nicht üble Frau, Gräfin Labanoff, an, welche als Hofdame der Kaiserin Katharina II. großes Ansehen in dem ländlichen Zirkel genoß. Eine echte Modedame der Rokokozeit von pedantischer Zierlichkeit und Manierlichkeit, konnte sie es nicht unterlassen, an jedem, der in ihre Nähe kam, zu mustern und zu erziehen, heute schien sie sich das junge mutwillige Pärchen als Opfer ersehen zu haben, denn sie begann damit, als sie Angela ansichtig wurde, über deren derangierte Taille zu seufzen, und machte sich dann unter immerwährenden mon Dieu's an Maxim, dessen Halsbinde sie ordnete.

»Wie das hier aufwächst,« murmelte sie, »gleich wilden Sperlingen, um die sich keiner kümmert, der Umgang mit Frauen fehlt ihm, Monsieur Urussow, mit gebildeten, feinen, erfahrenen Frauen, die verstehen es, einen jungen Mann zu erziehen, nicht aber derlei junge Gänschen.«

»O! die Gänse sind nützliche Tiere,« erwiderte Maxim in seiner derben Art, »und bei Weitem nicht so dumm, als wofür man sie hält, und jedenfalls passen Gans und Gänserich besser zusammen, als Gans und Pfau, der Letztere mag noch so ein prunkvolles Rad schlagen, auch sollen die Pfauen ein sehr hartes Fleisch haben.«

Angela hätte Maxim in diesem Augenblicke küssen mögen, so freute sie sich darüber, daß er den Mut hatte, die Hofdame, vor der alles scherwenzelte, abzutrumpfen. Aber damit war die Sache nicht abgethan. Die Gräfin, der der schmucke Junge gefiel und die um alles in der Welt gerne seine Erziehung übernommen hätte, gesellte sich zu den Eltern Urussow's und setzte ihnen auseinander, wie der prächtige Junge hier vollkommen verwilderte und wie es ein Leichtes sei, ihn als Pagen an dem Hofe der Zarin zu placieren. Zufällig waren die Eltern Angela's in der Nähe und stimmten der Gräfin zu und sprachen es wiederholt aus, daß sie es als hohes Glück ansehen würden, wenn ihre Tochter Gelegenheit hätte, sich am Hofe zu einer vollkommenen Dame auszubilden.

»Ja, ja,« sagte der alte Urussow, »für ein Mädchen mag das ganz gut sein, aber mein Maxim soll kein Geck werden und kein Riechfläschchen tragen, sondern den Degen. Ich habe nicht umsonst mit Potemkin gedient, der jetzt die Gunst unserer Kaiserin in so hohem Maße besitzt. Maxim soll Soldat werden, gegen die Türken kämpfen.«

Am dritten Tage bei Repnin tanzte Angela nur noch mit Maxim, die zwei galten allgemein als ein Paar, ehe sie selbst nur im Entferntesten daran dachten. Bei dem Kehraus, einem wilden Kosak, verlor Angela, deren los gegangene Flechten sich bereits gleich Schlangen um ihren Nacken ringelten, endlich auch einen Schuh; sie lachte, und als Maxim ihn aufhob, rief sie: »Was soll ich damit, er hält nicht mehr, werfen Sie ihn zum Fenster hinaus.«

»Da weiß ich etwas Besseres damit anzufangen,« rief Maxim, lief zur Kredenz hin – füllte Angela's Schuh mit goldenem Wein von Toikai und leerte ihn mit einem Zuge auf ihr Wohl.

»Besuchen Sie uns bald wieder,« flüsterte das schöne Mädchen, als die Gäste sich am nächsten Morgen mit schweren Köpfen trennten, dem hübschen lustigen Jungen zu.

»Wenn Sie mir es erlauben,« sagte Maxim zu Boden blickend.

»Ich erlaube Ihnen nicht länger als einen Tag auszubleiben,« entschied Angela, »und nun adieu, und träumen Sie von mir.«

»Ich werde mir alle Mühe geben,« erwiderte Maxim.

Als er mit seinen Eltern davon fuhr, stand sie auf der Freitreppe und winkte mit ihrem Tuche, und er zog ihren Schuh aus der Brust hervor und führte ihn an die Lippen.

Wirklich verging nur ein Tag, den alle Teilnehmer an dem Siegesfeste mehr in als außer dem Bett zubrachten, und Maxim kam in seinem Schlitten mit den vier Ukrainern, sich nach dem Befinden des ganzen Repnin'schen Hauses und insbesondere der Mademoiselle Angela Iwanowna von Repnin zu erkundigen. Die alten Leute, welche die Annäherung des jungen Urussow an ihre Tochter gerne sahen, begrüßten ihn mit gesteigertem Wohlwollen und ermunterten dann Angela, welche sittsam bei Seite stand, dem lieben Gaste etwas auf dem Klimperkasten, den Herr Repnin etwas euphemistisch ein Klavier nannte, vorzuspielen. Mademoiselle setzte sich und begann zu präludieren; jetzt zog Maxim aus seinem Mantel eine Guitarre hervor und unternahm es, zu accompagnieren, die Alten hörten einige Zeit zu, dann eilte Frau Repnin in die Küche, für ein ordentliches Essen zu sorgen, und Herr Repnin ging davon, sich eine türkische Pfeife zu stopfen.

Das war der entscheidende Augenblick.

Mit einem Male lag die Guitarre auf dem Klimperkasten und Maxim zu Angela's Füßen, der er eine glühende Liebeserklärung machte, an der selbst die manierliche Gräfin Labanoff nichts auszusetzen gehabt hätte.

Angela aber brach in ein lautes Gelächter aus. »Sie lachen, Angela Iwanowna,« sprach Maxim tief getränkt, noch immer auf den Knieen, »Sie verachten also meine Gefühle.«

»Nein, nein,« rief sie, »aber ich lache, weil Sie mir so ernsthafte Dinge mitteilen, die ich längst weiß.«

»Sie wissen?«

»Ich weiß, daß Sie mich lieben, und ich – ich liebe Sie auch,« sagte das reizende Mädchen, ihre weißen Arme um seinen Nacken schlingend. Da sprang er jubelnd auf, hob sie auf, drehte sich mit ihr wie toll herum und küßte sie ordentlich ab.

Bis jetzt hatte Angela noch immer mit ihrer großen Pariser Puppe gespielt, jetzt begann sie Maxim zu striegeln und zu putzen, und es war heiter anzusehen, wie ruhig er es sich gefallen ließ, wenn sie ihn auf einen Schemel niedersetzte und seinen wilden Kopf mit Kamm und Bürste zu bearbeiten begann, oder ihn mit allerhand farbigen Bändern zu verschönern suchte.

Endlich war es so weit, daß Maxim's Vater feierlich für seinen Sohn um Angela's Hand warb. Die Repnins gaben mit vieler Freude ihre Zustimmung, aber von beiden Seiten wurden Bedingungen gemacht, Angela sollte zwei Jahre am Hofe zubringen, und Maxim ebensolange dem Vaterlande dienen. Die Liebenden fügten sich, weil sie sich fügen mußten, und weil es keine vollständige Trennung galt, denn sie gaben sich das Wort, sich in der Residenz, so viel es nur ihr Dienst erlaubte, zu sprechen, oder mindestens doch zu sehen. So machten denn die beiden Väter mit ihren Kindern gemeinschaftlich die Reise nach Moskau und kehrten dort in demselben Gasthofe ein.

Repnin führte gleich am nächsten Tage Angela zu der Gräfin Labanoff, welche das hübsche Kind mit freundlicher Herablassung aufnahm, sie ihrer Protektion versicherte und in der That schon nach wenigen Tagen der Zarin vorstellte. Angela fühlte ihr Herz heftig pochen, als sie der mächtigen Frau gegenüberstand, welche in zwei Weltteilen gebot und mit ihrer kleinen weißen Hand so entscheidend in die Geschicke der Menschheit eingriff. Katharina II. war damals sechsundvierzig Jahre alt, aber, von einer, an Pracht und Geschmack ihres Gleichen suchenden Toilette unterstützt, noch immer eine der schönsten Frauen von Europa. Ihr durchdringendes blaues Auge ruhte kurze Zeit forschend auf dem lieblichen Mädchen, dann spielte ein reizendes Lächeln um den kleinen herrischen Mund der geistvollen Despotin, und sie sprach: »Ich ernenne Sie zu meinem Kammerfräulein, Angela Iwanowna, Sie gefallen mir, ja, Sie gefallen mir sehr gut, wir werden bald Freundinnen werden, hoffe ich.«

Angela ergriff in ihrer naiven Freude, ohne erst abzuwarten, daß die Kaiserin ihr dieselbe reichte, die Hand und küßte sie.

Katharina II. strich ihr leicht über das Haar und gab der Gräfin, welche in ihrer Manierlichkeit über das bäuerische Benehmen ihres Schützlings einer Ohnmacht nahe war, einen Wink, das Mädchen den Verstoß nicht merken zu lassen.

Beinahe zur selben Stunde stellte Herr Urussow seinen Sohn dem mächtigsten Manne Rußlands, dem Günstling Katharina's, Potemkin vor.

Obwohl er einst als Kapitän mit dem Lieutenant Potemkin zusammen gedient hatte, stand er doch jetzt ziemlich kleinlaut und mit einem gewissen Beben vor dem General-Adjutanten Potemkin, dieser aber, so roh und unverschämt er auch gegen Personen war, welche neben oder über ihm standen, zeigte sich überall leutselig, ja freundlich, wo man ihm anspruchslos oder gar, wie es hier geschah, in Ehrfurcht ersterbend nahte. Der junge Urussow gefiel dem General, und damit war alles abgemacht, er erhielt in wenigen Tagen das Patent als Fähnrich und trat in das Regiment Simbirsk ein, während Angela ihren Dienst in der Nähe der Monarchin begann. Die beiden Väter kehrten beglückt auf ihre Landgüter zurück, wo sie lange Zeit ein Gegenstand der Bewunderung und Neugier für ihre Nachbarn blieben, welche alle weder die Zarin gesehen, noch mit Potemkin gedient hatten.

Maxim befreundete sich rasch mit dem Dienst und seinen Kameraden. Unter den Letzteren schloß sich einer, welcher gleich ihm in der Gegend von Tula geboren war, besonders zärtlich an ihn an. Er hieß Arkadi Wuschitschinkoff, und wenn er nicht die Uniform ihrer Majestät getragen hätte, wäre er wohl von aller Welt eher für einen wohlhabenden und wohlgenährten Kaufmann oder Wirt, als für einen Helden oder nur einen Soldaten gehalten worden. Obwohl noch sehr jung, denn der Flaum sproß ihm noch kaum um das Kinn, hatte er doch den Umfang von zwei gewöhnlichen Männern, und dieser Kontrast seines Riesenkörpers und seines kindischen weißroten Gesichts mit den dicken roten Negerlippen gab ihm etwas unwiderstehlich Komisches, so daß er denn auch die verdächtige Auszeichnung genoß, zugleich der Liebling und das Stichblatt des ganzen Regiments Simbirsk zu sein; bisher hatte er in einer wahrhaft imposanten Vertilgung von verschiedenen Schnäpschen für die Leiden, welche ihm die oft bösen Witze der Kameraden bereiteten, Trost gesucht, jetzt schloß er sich mit überströmender Liebe an den gutmütigen einfachen Maxim, dem Einzigen, dem es nie beifiel, seine Spottlust an seinem Schmerbauch und seiner roten Nase zu üben. Die beiden waren bald unzertrennlich, um so mehr, als es sich fand, daß sie in derselben Kompagnie, ja, in demselben Gliede neben der Fahne des Regiments standen.

Nicht lange, nachdem Maxim den Soldatenrock angezogen hatte, sollte eine große Parade aller in Moskau garnisonierenden Truppen vor der Zarin stattfinden.

Den Tag vorher war alles, was Gamaschen trug, rastlos beschäftigt, die Uniformen, das Riemenzeug und die Waffen zu putzen. Nach kurzem Schlaf begann in der Nacht das Frisieren und das Eindrehen der Zöpfe, wobei einer der Soldaten dem andern half, und zuletzt alle, um das reglementmäßige Haargebäude nicht zu zerstören, sitzend schlummerten, bis die Trommler Reveille schlugen.

Während die Regimenter mit fliegenden Fahnen auf den Paradeplatz herauszogen, war die Kaiserin noch mit ihrer Toilette beschäftigt, denn die große Frau war nicht damit zufrieden, zu herrschen, sie wollte auch gefallen.

In dem Augenblicke, wo Angela bemüht war, die Schleppe der Monarchin in schöne Falten zu legen, wendete sich Katharina II. plötzlich zu ihr und sagte »Du hast noch keine Parade gesehen, ich erlaube Dir mitzufahren.«

Angela schoß vor Freude das Blut in die Wangen, denn sie hatte den Geliebten, seitdem sie am Hofe war, noch nicht gesehen. Sie machte sich rasch bereit und bestieg dann mit der Zarin, der Fürstin Daschkow und der Gräfin Labanoff den kaiserlichen Wagen, welcher sie rasch zum Ziele brachte.

Angesichts der Truppen verließ Katharina II. denselben, um zu Pferde zu steigen, und von einer glänzenden Suite von Generälen und Offizieren begleitet, die Front der Regimenter abzureiten, während ihre Damen vom Wagen aus dem Schauspiele zusahen. Das Regiment Simbirsk stand am linken Flügel, Angela, welche die Soldaten mit unbeschreiblicher Aufregung musterte, stieß plötzlich einen Schrei aus.

»Was haben Sie, Fräulein Repnin?« sagte die Gräfin zurechtweisend.

»Ich – ich bin erschrocken –,« stammelte das arme Mädchen.

»Erschrocken, weshalb?«

»Ich dachte, es wird geschossen.«

Die Damen lachten, indes hatte Angela nicht die mindeste Furcht vor dem Schießen, aber sie hatte Maxim entdeckt, der in seiner Uniform schön wie ein Gott dastand, so schön, wie er ihr noch nie erschienen war; er trug die Fahne und blickte mutig vor sich hin, ohne sie zu bemerken. Jetzt spielte die Musik, die Trommeln wirbelten. Katharina II. kam huldreich dankend im Schritt vorbei, Maxim senkte die Fahne, in diesem Augenblicke schien das Pferd der Zarin zu stutzen, oder hielt sie es selbst an, genug, sie blieb einen Augenblick vor dem schönen Fähnrich stehen und wechselte dann einige Worte mit dem General, der die Parade kommandierte und mit gesenktem Degen an ihrer Seite ritt.

In diesem Augenblicke erfaßte Angela eine namenlose Angst, eine Empfindung, von der sie sich keine Rechenschaft zu geben wußte.

»Du bist ein Glückspilz – die Kaiserin hat Dich angesehen,« murmelte Arkadi.

»Mich? Was wäre an mir merkwürdiges?« erwiderte Maxim.

»Das Pferd der Zarin ist über Arkadi's Bauch erschrocken,« flüsterte ein anderer lächelnd, und das Lächeln pflanzte sich durch die Reihen fort.

Nach beendeter Revue begann das Defilieren, diesmal war das Regiment Simbirsk das letzte, das vorüberzog.

»Gieb acht, jetzt,« sagte Arkadi leise, indem er Maxim mit dem Ellbogen stieß, und diesmal war es kein Zweifel, das schöne Weib, das stolz und gebieterisch gleich einer Königin der Amazonen auf dem prächtigen Schimmel saß, ließ ihre großen hellen Augen mit unbeschreiblichem Wohlwollen auf Maxim ruhen, der unter diesem Blick zu zittern begann, wie ein zum Tode Verurteilter.

Nach der Parade waren die Generale und die Obersten der Regimenter bei der Kaiserin zur Tafel. Nachher zog sich Katharina II. in ihre Garderobe zurück und warf die prachtvollen Staatsroben ab, um es sich in einem kaum minder kostbaren Schlafrock von persischem goldgesticktem Scharlach bequem zu machen, nachdem sie sich auf einer Ottomane aus grünem Damast ausgestreckt, entfernte ein Wink der schönen Despotin ihre Frauen, nur Angela hieß sie bleiben.

»Gieb mir einen Zahnstocher,« begann sie.

Das Kammerfräulein beeilte sich, den Befehl der Gebieterin zu vollführen.

»Nun, was sagst Du zu der Parade?« fragte die Zarin.

»Es war ein glänzendes Schauspiel, von dem mir jetzt noch der Kopf wirbelt,« erwiderte Angela.

»Und was gefiel Dir am besten dabei? Hast Du Dir irgend einen jungen Offizier in den Reihen unserer Krieger ausgesucht, den Du durch Deine Gunst beglücken willst?«

Das schöne Mädchen errötete und schlug die Augen nieder.

»Du bist ein Kind, Angela,« sagte Katharina, »komm zu mir.« Sie zog das Mädchen zu ihren Füßen nieder und legte den vollen Arm nachlässig um ihren Nacken. »Weißt Du, wer mir bei dem ganzen Spektakel am besten gefiel? Du bist so gut, so unschuldig, Angela, ich habe Zutrauen zu Dir und will Dich zur intimen Freundin meines Herzens und seiner Geheimnisse machen. Sahst Du im Regimente Simbirsk –«

Angela begann am ganzen Leibe zu beben.

»Was hast Du? Du zitterst,« fragte die Monarchin rasch.

»Die Huld Eurer Majestät ist so groß –«

»Daß sie Dir Furcht einflößt,« lächelte Katharina. »Höre also. Hast Du im Regimente Simbirsk den jungen Offizier bemerkt, welcher die Fahne trug?«

»Allerdings, Majestät.«

»Findest Du nicht, daß er wunderbar schön ist?«

»Allerdings.«

»Ja, jeder Mensch muß es finden, es ist eine Erscheinung, wie wir sie nur noch aus den Gebilden der Antike ahnen konnten,« sprach die Kaiserin, »da steht sie aber verkörpert vor uns, mit warmem pulsierenden Leben. Ein Mann, berufen, alle Frauen wahnsinnig zu machen, und alle andern Männer als Sklaven zu seinen Füßen zu sehen. Dies Schicksal hat die Natur in sein Antlitz geschrieben, und zu seinem Glücke habe ich die Macht, es ihm zu erfüllen.«

Angela war das Weinen nahe, aber Katharina bemerkte es in ihrem Enthusiasmus nicht. »Ich liebe diesen auferstandenen Apollo und Adonis,« fuhr sie fort, »aber obwohl die unumschränkte Gebieterin eines mächtigen Reiches, habe ich doch alle Ursache, vorsichtig zu sein, und darf ihm meine Gunst nicht gleich offen vor aller Welt zuwenden. Potemkin bewacht eifersüchtig die Rechte, welche er an meinem Hofe besitzt, es könnte schlimme Folgen für mich, wie für den schönen Fähnrich haben. Ich bin mit mir zu Rate gegangen und habe mir eine Intrigue ersonnen, zu der Du, Angela, mir die Hand leihen sollst. Du wirst ihm vorerst schreiben und ihn zu einer Unterredung einladen. Das weitere wird sich finden.«

»Majestät haben nur zu befehlen,« stammelte Angela.

»Fürchte nichts,« bemühte sich die Monarchin sie zu beruhigen, »Dein Ruf soll bei dieser Affaire keinerlei Gefahr laufen. Nun aber wollen wir an ihn schreiben.«

Katharina II. erhob sich und ging, von Angela gefolgt, in ihr Arbeitskabinett, wo sie das Mädchen an den mit hellem Holze kunstvoll eingelegten Mahagonisekretär setzte und auf- und abschreitend zu diktieren begann:

»Mein Herr!

Eine Dame vom Hofe, welche Sie durch Ihre Erscheinung bezaubert haben, wird von dem unbezähmbaren Wunsche gequält, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Wenn Ihr Herz noch frei ist, so finden Sie sich morgen Abend um neun Uhr vor dem kleinen chinesischen Pavillon im Garten der Zarin ein. Der süßeste Lohn erwartet Sie.«

»Nun die Adresse.«

Angela erbleichte.

»An den Fähnrich im Regimente Simbirsk, Maxim von Urussow.«

»So, jetzt besorge den Brief auf der Stelle an seine Adresse,« sprach die Zarin.

Angela verließ rasch das Kabinett, draußen stürzten ihr die hellen Thränen über die Wangen, sie kam in einem Zustande vollkommener Verzweiflung und Auflösung in das Appartement der Gräfin Labanoff, warf sich vor ihr auf die Knie und schluchzte. Die Gräfin suchte sie zu beruhigen und forschte nach der Ursache ihres Gemütszustandes, als aber Angela ihr alles erzählt hatte, schüttelte auch sie bedenklich den Kopf. Sie meinte, so wie die Dinge stünden, bliebe nichts übrig, als sich dem Willen der Monarchin in allem zu fügen, Widerstand könnte den Liebenden nicht allein ihr Lebensglück, sondern vielleicht Freiheit und Leben kosten. Katharina II. sei bei aller ihrer Seelengröße nur ein Weib und habe Launen, welche oft ebenso schnell verschwinden, als sie gekommen sind.

»Und ich soll ihm den Brief der Zarin übergeben.« klagte Angela, »soll ihm noch selbst zu ihren Füßen führen?«

»Ja, das mußt Du, mein Kind,« sagte die Gräfin, »wenn Du nicht Maxim opfern, oder zum mindesten für immer verlieren willst. Aber wir wollen gleich nach ihm senden und ihm seine Instruktion erteilen.«

Eine Stunde später trat Maxim bei der Gräfin ein und schloß Angela, welche mit einem Aufschrei an seinen Hals flog, stürmisch an seine Brust.

Staunend hörte er die Eröffnung der beiden Frauen an, dann las er den Brief, den die Zarin diktiert hatte.

Das erste, was er sagte, war: »Aber sie fragt ja ob mein Herz noch frei ist, wie wäre es, wenn ich offen sagte: nein! Da ich nicht wissen soll, daß sie es ist, kann sie sich durch meine Aufrichtigkeit nicht beleidigt fühlen, dieselbe gilt ja nicht der Monarchin, sondern einer namenlosen Unbekannten.«

»Sie braucht nur zu wissen, daß Ihr Herz einer anderen gehört, Maxim,« erwiderte die Gräfin, »um noch heftiger nach Ihrem Besitz zu streben. Ihr müßt Euch fügen, mir in allem gehorchen lernen, noch ist alles zu gewinnen.«

»Ach, wäre er nur häßlich,« lächelte Angela unter Thränen, »es ist doch ein wahres Unglück, einen Geliebten zu haben, der so schön ist.«

An dem nächsten Abende, es hatte eben neun Uhr geschlagen, traten zwei junge Männer, der eine hoch und schlank, der andere klein und von erstaunlicher Breite, aus den Gebüschen, welche den chinesischen Pavillon der Zarin umgaben, und näherten sich demselben. Es war Maxim, von seinem Freunde Arkadi begleitet.

»Du Glückspilz, Du Narr Gottes,« seufzte der letztere, dem sein riesiger Bauch dem Atem benahm, und ihn so zu einer gewissen Sentimentalität im Ausdruck zwang, »kaum vierzehn Tage beim Regimente und bereits ein Liebling einer hohen Dame, und am Ende noch einer schönen Dame, denn kannibalisch reich und voll Einfluß sind sie alle. Morgen bist Du Lieutenant, in einem Monate Kapitän, in einem Jahre Oberst. Aber wer nur die Dame sein mag? Am Ende gar die Zarin selbst.«

»Was fällt Dir ein!«

»Warum nicht. Ich habe den Blick gemerkt, den sie Dir gestern bei der Parade zuwarf, ganz wie ein Geier, der auf ein Täubchen stoßen will. Sei nur nicht zu furchtsam, Maxim.«

In dem Pavillon brannte Licht, zwei Frauen standen hinter der fest verschlossenen Jalousie, beide dicht verschleiert.

»Sie kommen,« sagte jetzt die größere, zog mit einer majestätischen Bewegung die dunklen Vorhänge zusammen und verbarg sich hinter denselben. »Thue jetzt, wie ich Dir gesagt.«

Angela verlöschte das Licht und setzte sich auf den Divan, der in der Nähe des Fensters stand; ihr Herz klopfte heftig. Maxim stieg leise die Stufen empor, öffnete die Thüre und blickte hinein.

»Sind Sie da?« fragte er.

»Treten Sie ein und schließen Sie die Thüre,« gebot Angela mit zitternder Stimme.

Maxim gehorchte und näherte sich dann dem Divan, plötzlich faßte eine Hand den Schößel seiner Uniform und zog ihn an sich. »Madame,« stammelte der arme Junge, der eine entsetzliche Angst ausstand.

»Fürchte Dich nicht, ich bin es,« flüsterte Angela, »aber die Kaiserin lauscht hinter dem Vorhang.« Jetzt hatte Maxim mit einem male seine ganze Kühnheit wieder. »Sie haben mir geschrieben, Madame oder Mademoiselle,« fuhr er fort, »daß ich das Glück habe, Ihnen zu gefallen, lassen Sie mich jetzt auch Ihr Angesicht sehen, damit ich Ihnen sage, ob ich Sie lieben kann.«

»Das ist unmöglich.«

»Aber ich muß mich doch überzeugen.« Er umschlang Angela, und seine Hand suchte die ihre. »Eine reizende kleine Hand,« sagte er, »und glühend wie Feuer, und diese schlanke Gestalt, o, Sie sind jung, sehr jung und gewiß auch schön.«

»Nein, nein,« erwiderte Angela und versuchte sich los zu machen.

Aber Maxim gefiel die Rolle, die er spielte, nur zu gut. »Sie sind jung und schön, ich habe bis jetzt nur meine Kaiserin geliebt, aber ich fühle jetzt schon, daß ich auch Sie lieben, Sie anbeten werde. Ihre Nähe, Ihr Atem – möchte ich sagen – haben etwas, was mich unwiderstehlich berauscht.« Er warf sich auf beide Kniee vor ihr nieder, und seine Lippen brannten in einem leidenschaftlichen Kuß auf den ihren.

»Aber, mein Herr, wie können Sie wagen,« rief Angela.

»Sie haben mich hierher beschieden,« sagte Maxim, »und jetzt wollen Sie grausam gegen mich sein, nein, nein, Ihr Herz gehört mir, wie Sie mir selbst gestanden haben, und ich bin der Mann, mir jetzt alles übrige dazu zu nehmen.«

Der Vorhang rauschte zornig.

Maxim kümmerte sich aber wenig um den Zorn der Kaiserin, er hielt die Geliebte in seinen Armen und bedeckte sie mit Küssen; Angela wehrte sich lange Zeit vergebens, bis es plötzlich von außen an die Jalousie klopfte.

»Was ist's?« fragte Maxim.

»Man kommt, machen wir, daß wir fortkommen,« gab Arkadi zur Antwort.

»Ja, ja, Sie müssen mich verlassen und zwar auf der Stelle,« gebot Angela.

»Auf Wiedersehen!« flüsterte Maxim, indem er sie nochmals an seine Lippen zog.

»Auf Wiedersehen!«

Er stürzte hinaus und verbarg sich mit Arkadi in dem Gebüsch.

Die Damen verließen jetzt gleichfalls den Pavillon und gingen langsam auf dem weißen Kieswege. Da kam ihnen rasch ein Mann entgegen, der bei ihrem Anblick stutzte und den Hut abnahm.

»Sie hier, General –?«

»Ja – Majestät – ich –.«

»Habe ich Ihnen nicht ein für allemal verboten, mich bei meinen Spaziergängen zu belästigen,« sagte die Zarin strenge.

»Ich dachte nur –«

»Gehen Sie,« gebot die Despotin, ihr Fuß trat heftig auf den Kies, so daß Funken unter ihm hervorstoben, dann drehte sie ihm den Rücken, und er schlich davon wie ein gezüchtigter Leibeigner.

»Weißt Du, wer das war?« fragte Maxim.

»Ich kenne ihn nicht.«

»Es war Potemkin.«

»Potemkin!« staunte Arkadi, »dann war die große majestätische Dame niemand anders, als die Kaiserin Ich gratuliere Sr. Excellenz zu dieser Eroberung und bitte nur, seinerzeit dero gehorsamsten Diener Arkadi Wassiliew Wuschitschinkoff nicht ganz zu vergessen. Jetzt aber wollen wir uns für den ausgestandenen Schreck bei meiner lieblichen Anastasia erholen.«

Damit nahm er Maxim unter dem Arme und führte ihn durch ein Labyrinth von Straßen in ein enges schmutziges Gäßchen und hier in eine rauchige, niedere Schnapsbudike, in der die Witwe Anastasia Nikitischna Srebrna das Regiment führte. Es war niemand mehr in der Spelunke als die Wirtin und eine große weiße Katze, der sie apathisch den Rücken strich.

»Hier stelle ich Euch meinen Freund Maxim Repnin vor,« sagte Arkadi nachlässig, »und das, mein Lieber, ist meine Nastka, meine schöne reizende Anastasia; habe ich zu viel gesagt?«

Die kleine runde Witwe war wirklich gar nicht übel, und dabei hatte sie eine Art, ihren trägen, langsamen Anbeter zu behandeln, welche demselben sehr wohl bekam.

»Seid Ihr von Sinnen oder seid Ihr betrunken,« sagte sie, »zu dieser Stunde zu kommen, bei was für einem verruchten Weibsbild seid Ihr wohl gewesen? Geht nur!«

»Mein Freund hatte eine Affaire mit einer vornehmen Dame, versteht Ihr,« entgegnete Arkadi, die hübsche Witwe umschlingend, »das hat uns aufgehalten, ich aber liebe nur Euch, treu wie Gold.«

Anastasia lächelte, die Katze machte einen Buckel und richtete dann gähnend ihre Krallen, Arkadi aber gab der runden Schönen einen herzhaften Kuß. Sie drückte ihn auf einen Stuhl nieder und sprach wie erzürnt: »Da bleibt und rührt Euch nicht. Was wollt Ihr etwa trinken?«

»Was Ihr uns gebt.« Während sie mit der rechten zwei Gläser vollschenkte, küßte Arkadi ihre linke Hand. »Rührt Euch nicht, sage ich,« sie schlug ihn auf den Mund.

»Ein herrliches Weib,« murmelte Arkadi, »sie hat eine Art, wie eine Zarin, die würde Euch regieren, trotz einer Katharina!«

Anastasia zuckte verächtlich die Achsel, setzte sich auf Arkadi's Knie und begann mit seinem Zopf zu spielen. – – –

Maxim lag noch im Bett und träumte, als Arkadi spornklirrend in seine Stube trat und ein großes gesiegeltes Schreiben auf seine Decke warf. »Habe ich es Dir nicht gesagt,« schnaubte er, »da hast Du Deine Ernennung zum Lieutenant.«

»Wie? Was?« sagte Maxim.

»Lieutenant bist Du!« schrie Arkadi dem Schlaftrunkenen zu.

»Nein, doch Fähnrich?«

»Lieutenant, sage ich Dir.«

»Ich?«

»Ja, Du, und Adjutant.«

»Wie ist das möglich?«

»Durch einen Unterrock ist heut zu Tage alles möglich,« brummte Arkadi; »besonders, wenn es ein Unterrock ist, der nicht unter einem gewöhnlichen Weiberkittel, sondern unter einem mächtigen Hermelinpelz steckt. Steh' auf, Glückspilz, kleide Dich an, Du bist von der Zarin zur Audienz beschieden.«

»Ich – zur Audienz?«

»Wer sonst, aber ich will Dir helfen,« und er zog ihn bei den Füßen aus dem Bette und begann seine Kleider instand zu setzen.

Als Maxim zur bestimmten Stunde im Audienzsaal unter den Bittstellern stand, war ihm durchaus nicht wie einem Glückspilz zu Mute, sondern wie einem jungen Mädchen, das die Eltern, ohne es zu fragen, verheiraten wollen, und das nun angstvoll der Ankunft des Bräutigams entgegensieht. Der dienstthuende Kammerherr nannte seinen Namen, und Maxim trat in das Zimmer, in welchem die Kaiserin den Bitten und Klagen ihrer Unterthanen Gehör zu schenken pflegte. Sie ging, die Arme auf der Brust gekreuzt, auf und ab und stand plötzlich in einem schwarzen Samtkleide, eine kleine Krone aus Diamanten in den weißen Locken, in ihrer ganzen Majestät vor dem jungen Offiziere.

»Ich habe Sie zum Lieutenant und zum Adjutanten in meinem Palaste ernannt,« begann sie, »weil Sie mir wohl gefallen und ich Ihnen sehr gewogen bin.«

»Ich weiß nicht, Majestät, wie ich so viel Gnade –« stotterte der unglückliche Günstling.

»Gnade kann man niemals verdienen,« fiel die Kaiserin ein, »sie kommt unerwartet wie ein Geschenk von oben, ein Wunder oft selbst für jenen, der sie spendet. Deshalb kann man aber auch ebenso leicht und unerwartet in Ungnade fallen. Merken Sie sich das, Maxim Petrowitsch, und richten Sie alle Ihre Schritte hier am Hofe darnach ein.«

Die Kaiserin lächelte ihm huldvoll zu und wendete ihm dann den Rücken, sie suchte, indem sie den Anblick des schönen jungen Mannes mied, ihre Leidenschaft für ihn zu bekämpfen, er aber nahm es für ein Zeichen, daß er entlassen sei, verneigte sich stumm und wollte gehen.

»Sie dürfen mir danken, ehe Sie gehen,« sprach Katharina II., sich rasch zu ihm wendend, »küssen Sie mir die Hand, ich erlaube es Ihnen.«

Maxim ließ sich auf ein Knie nieder und führte die Hand der Monarchin an seine Lippen.

»Wie respektvoll,« spottete Katharina, »Sie halten mich wohl für eine grausame Tyrannin, ja, für Semiramis selbst, wie mich Voltaire galant getauft hat, und ich, ich will von meinen Unterthanen nicht allein verehrt, sondern auch geliebt werden, und Sie behaupten doch, mich zu lieben, Maxim Petrowitsch.«

Der junge Offizier kniete wie auf Kohlen. »Stehen Sie auf,« befahl die Kaiserin leise und schmeichelnd, »ich sehe, daß ich selbst mich der angenehmen Mühe unterziehen muß, Sie küssen zu lernen.« Maxim erhob sich, und das schöne, gebieterische Weib legte sanft die vollen Arme um seinen Hals.

»So, mein junger Freund, so machte es Venus, als sie Adonis am Abhänge des Libanons traf, und der schöne Jüngling verlor allen Respekt vor der Göttin und küßte sie. Nun, fehlt Ihnen auch jetzt noch der Mut dazu?«

Katharina zog ihn an sich, und ihre Lippen berührten feucht und glühend die seinen.

»Nun – ich will sehen, ob Sie auch gelehrig sind.«

Maxim hatte trotz seiner Angst bei dem sinnbethörenden Kuß des herrlichen Weibes eine Art Rausch erfaßt, er ließ es sich nicht noch einmal befehlen. Rasch entschlossen umfaßte er mit seinen kräftigen Armen die Zarin und küßte sie noch einmal.

Jetzt zitterte sie an seiner Brust, und das Blut schoß ihr verräterisch in die Wangen.

»Jetzt gehen Sie,« sprach sie, »ich liebe Sie, Maxim Petrowitsch; dies auf den Weg.«

Als Maxim in einem Zustand unbeschreiblicher Verwirrung in den Audienzsaal zurückkehrte, stand Potemkin in einer Fensternische und winkte ihn zu sich. »Also das nennen Sie Dankbarkeit, Herr Lieutenant,« begann er mit unterdrückter Wut.

»Excellenz, ich verstehe nicht,« stammelte Maxim.

»Ich weiß alles,« unterbrach ihn Potemkin, »die Zarin ist in der Laune, einen Roman mit Ihnen zu spielen, und Sie hoffen, mich zu verdrängen und an meine Stelle –«

Jetzt unterbrach Maxim eben so heftig den mächtigen Günstling Katharina's.

»Kein Wort weiter, Sie treten meiner Ehre nahe, Exzellenz. Ich strebe nicht darnach, Sie zu verdrängen, im Gegenteil, die Gunst der Kaiserin setzt mich in Schrecken, denn sie droht mir, mein Glück zu rauben. Ich liebe meine Braut, Angela Repnin, von ganzem Herzen, habe keinen anderen Ehrgeiz, als von ihr wieder geliebt zu werden, und verwünsche die Stunde, wo wir beide an diesen Hof gekommen sind.«

Die Art und Weise, in der der junge Mann sprach, trugen so sehr den Stempel der Wahrheit, daß Potemkin, der stets Mißtrauische, Vorsichtige, ihm Glauben schenkte.

»Sie sollen Ihr braves Mädchen nicht verlieren,« sprach er, Maxim die Hand bietend, »wir haben hier ein gemeinsames Ziel zu erreichen und wollen daher redliche Freunde und Verbündete sein.« »Wie soll ich es also anfangen, Excellenz,« erwiderte Maxim aufatmend, »um bei der Kaiserin in Ungnade zu fallen?«

»In Ungnade?« Potemkin brach in ein lautes Lachen aus, »es klingt unglaublich, hier, wo alles um Gunst und Gnade buhlt, intriguiert, kriecht und kämpft, hier sucht der ehrliche Bursche Ungnade.«

»Ja wohl, Ungnade,« rief Maxim, und zwar Ungnade um jeden Preis!«

Noch denselben Abend erhielt Maxim durch eine vertraute Kammerfrau der Zarin einen Brief derselben, in welchem sie ihn zu sich berief.

Er ging zu Potemkin und beriet sich mit demselben. Der erfahrene Mann, der einzige, unter dessen Einfluß Katharina II., so lange sie lebte, stand, gab ihm eine eingehende Instruktion, in der er jeden nur denkbaren Fall vorsah und besprach. Beruhigt ging der junge Lieutenant an das Werk. Er begann damit, daß er nicht bei der Zarin erschien, ja, nicht einmal ihren Brief beantwortete.

Am nächsten Tage wurde er in das Kabinett der Kaiserin befohlen, welche die Stirne zornig runzelte, als er eintrat. Potemkin hatte ihm gesagt, daß die Zarin geistreiche Männer liebe, und ihm den Wink gegeben, sich so albern als möglich zu stellen.

»Weshalb sind Sie gestern Abend nicht gekommen?« herrschte ihn Katharina II. an, »Sie verdienten, gezüchtigt zu werden, wie ein unartiger Knabe.«

»Hätte ich kommen sollen?« entgegnete Maxim erstaunt.

»Haben Sie meinen Brief erhalten?«

»Ja.«

»Also?«

»Ja, Majestät, erhalten habe ich ihn wohl,« sprach Maxim mit dem dümmsten Gesicht von der Welt, »aber nicht gelesen.«

»Nicht gelesen? Was soll das?«

»Weil ich nicht lesen kann, Majestät.«

»Sie können nicht lesen!« sagte Katharina II. starr.

»Und – und – da ich wußte, daß der Brief – daß er von Eurer Majestät – wagte ich nicht, ihn mir von jemand anderem vorlesen zu lassen,« stammelte Maxim.

»Das fehlte noch,« rief Katharina II., »gut, für diesmal sind Sie entschuldigt, aber Sie sollen mir sofort lesen lernen, ich selbst will Ihre Lehrerin sein. Heute Abend, um acht Uhr ist die erste Lektion, wagen Sie es nicht, dieselbe zu versäumen.«

»Würde ich in Ungnade fallen?« fragte Maxim angenehm überrascht.

»Mehr als das,« sagte Katharina II. streng, »eine neue Beleidigung würde ich unerbittlich strafen.«

»Mit Degradation?«

»Ja wohl, mit Degradation und dann –«

»Dann?« rief Maxim erschreckt.

»Ja, dann sind Sie gemeiner Soldat, mein lieber Freund,« fuhr die Zarin fort, »und ein Soldat, den man dem strengsten Kommandanten übergiebt. Bei dem geringsten Vergehen – und ein guter Kommandant sorgt dann dafür, daß Sie bald eines begehen – sind Sie ohne Pardon der Knute verfallen.«

»O, ich werde pünktlich sein, Majestät,« seufzte Maxim, der mit schlotternden Knieen vor dem schönen Weibe stand, das ebenso grenzenlos grausam sein konnte, als es zu lieben imstande war.

»Auf heute Abend denn –« Der Abend kam. Schon eine halbe Stunde vor acht Uhr stand Maxim vor der Thüre des kaiserlichen Boudoirs, in das er diesmal beschieden war, und hinter dieser Thür mußte Angela der Zarin bei dem Negligee behilflich sein, das diese machte, um ihren Bräutigam zu berücken. Die reizende Unordnung der weiß gepuderten Locken und Löckchen schien gelungen, Reifrock und Korsett der Rokokodame, ähnlich den Rüststücken eines mittelalterlichen Ritters, waren abgelegt, über einem Brüsselerhemde floß ein langer Rock von weißer Seide von den Hüften der Zarin bis zur Erde hinab und in schimmernder Schleppe nach. Jetzt schlüpfte Katharina langsam, sich selbstzufrieden in dem Spiegel betrachtend, in den weiten Schlafpelz von blutrotem Samt, der mit glänzendem Hermelin gefüttert und verschwenderisch ausgeschlagen war. Indem sie ihre Arme anmutig in dem reichen Pelzwerk badete, drohte das arme Mädchen hinter ihr in die Kniee zu sinken.

»Was hast Du?«

»Ach! der Pelz ist so schwer.«

Die Augen voll Thränen befestigte Angela zuletzt noch einen weißen Spitzenschleier auf dem Haupte der Kaiserin, welcher auf ihren Schultern herabfallend alles das, was er zu verbergen schien, sinnbethörend durchschimmern ließ.

»Glaubst Du, daß er mich so lieben wird, Angela,« sagte die Zarin, sich mit einem stolzen Blick im Spiegel musternd.

»Ich fürchte,« wollte das Mädchen zur Antwort geben. »Wem wäre es möglich, Sie nicht zu lieben!« sagte sie dann.

Katharina küßte sie auf die Stirne und entließ sie, dann warf sie noch einen Blick in den Spiegel und öffnete die Thür.

»Treten Sie ein.«

Sie ließ sich nachlässig auf einem Fauteuil nieder und betrachtete mit unverhülltem Vergnügen den schönen, jungen Menschen, der demütig und in sein Schicksal ergeben wie ein Sklave vor ihr stand. Und war er nicht in der That ihr Sklave, der Sklave ihrer Leidenschaft, ihrer Laune? »Reichen Sie mir das Buch, das dort auf dem Toilettentisch liegt,« befahl die Kaiserin. Maxim gehorchte. »So, jetzt setzen Sie sich.« Sie schob ihm mit dem Fuße den Schemel hin, und als er zu ihren Füßen saß, legte sie die Hand leicht auf seine Schulter und zeigte ihm die Buchstaben und hieß ihn, sie nachsprechen. Maxim benahm sich so einfältig bei der Lektion, daß Katharina II. nur zu bald die Geduld verlor und ungeduldig mit dem Fuße stampfend das Buch wegwarf.

»Wie gefällt Ihnen meine Toilette?« fragte sie dann kokett, »dieser Pelz?« Sie schlug ihn einen Augenblick auseinander, so daß der Hermelin wie weißes Mondlicht an ihr herunterfloß.

»Als Kaiserin müssen Sie ihn wohl tragen,« entgegnete Maxim mit absichtlicher Naivetät, »aber er muß entsetzlich heiß machen.«

Die Zarin begann sich über ihren Adonis zu ärgern. »Ich will versuchen, Sie die Buchstaben schreiben zu lassen,« sagte sie nach einer kleinen Pause, »stellen Sie den kleinen Tisch dort hierher vor mich.«

Nachdem Maxim es gethan, verlangte sie Feder und Tinte. Nun winkte dem Günstling, der um jeden Preis in Ungnade fallen wollte, die verlockendste Gelegenheit zu einem Hauptcoup; er nahm das Schreibzeug, schickte sich beim Tragen so tölpelhaft als nur möglich an, und als er ihr nahe genug war, ließ er es mit einem lauten Schrei fallen, die Zarin sprang auf, der schwarze Strom rieselte über den Schnee ihres Schlafpelzes und das Silber ihrer Robe zur Erde hinab. Im selben Augenblicke klatschte eine derbe kaiserliche Ohrfeige auf der Wange Maxim's, dem dabei vor Seligkeit das Herz zerspringen wollte. Es war ihm gelungen, die schöne Despotin in Zorn zu bringen. Er schien gerettet.

»Wie kann man so ungeschickt sein?« grollte Katharina II., und ein zweiter Schlag ihrer kleinen energischen Hand illustrierte ihre Worte. Aber jetzt geschah etwas, was die ganze schöne Wirkung des Coups, den Maxim ausgeführt, vernichtete, die Kaiserin hatte in der Aufregung nicht bemerkt, daß sie, bemüht, ihre Toilette zu retten, ihre Hände in Tinte gebadet hatte. Jetzt sah sie plötzlich, daß die beiden Ohrfeigen, welche Maxim rechts und links empfangen hatte, ihn in einen Neger verwandelt hatten. » Mon dieu! Wie sehen Sie aus?« rief sie und schüttelte sich vor Lachen.

Maxim trat vor den Spiegel, und als er sich sah, begann er gleichfalls herzlich zu lachen. Die Zarin gewann zuerst ihre Ruhe wieder.

»Ach, jetzt ist es mir in der That heiß geworben,« sagte sie, »reichen Sie mir ein Glas Wasser.« Nachdem sie getrunken, gab sie es Maxim zurück. »Sie dürfen auch trinken,« sagte sie, »ja, ich erlaube Ihnen sogar, Ihre Lippen an die Stelle zu legen, auf der die meinen geruht haben.«

»Ich danke, Majestät.«

»Sie danken –?«

»Ich – ich – trinke kein Wasser,« stammelte Maxim, zum Äußersten entschlossen.

»Ja, was trinken Sie denn?«

»Schnaps.«

»Schnaps? – pfui! – Marsch! Aus meinen Augen.« Katharina kehrte ihm empört den Rücken, und er, überzeugt, daß er jetzt endlich wirklich in Ungnade gefallen sei, eilte aus ihrem Boudoir und tanzte im vollen Übermut der Jugend durch die Zimmer und die Treppe hinab.

Des unglücklichen Maxim Erstaunen kannte keine Grenzen, als er wenige Tage nach der heiteren Katastrophe mit der Zarin durch Potemkin die Eröffnung erhielt, daß Katharina II. durchaus nicht gesonnen sei, das Spielzeug, das sie sich erwählt hatte, so leichten Kaufes aufzugeben. Sie ließ ihm zwar wissen, daß er auf unbestimmte Zeit aus ihrer Nähe verbannt sei, aber nur, um sich gründlich und fleißig mit seiner Ausbildung in jeder Richtung zu befassen. Von der Monarchin beordert, kam zuerst ein Tanzmeister, der ihn bei dem Gesang einer alten Geige in allen möglichen Pas jener steifen ceremoniellen Zeit exerzierte, nach ihm erschien ein französischer Sprachmeister, der die Aufgabe hatte, ihm die Sprache Voltaires in möglichst kurzer Zeit einzutrichtern, und zuletzt kam ein deutscher Professor, der ihn in den Wissenschaften unterwies. Das tägliche Tête-à-Tête mit diesen drei Perücken gefiel Maxim ungleich besser, als jenes mit dem schönen verliebten Weibe im kaiserlichen Pelz. Er war, wie alle Russen, von großer Begier, sich zu unterrichten, erfüllt und machte überraschende Fortschritte. Drei Monate waren vergangen, in denen der junge Offizier weder die Zarin, noch die Geliebte gesehen hatte, da wurde er eines Tages wieder zur Monarchin beschieden.

Die Rolle des Dummkopfs und des Tölpels konnte er nicht mehr spielen, das gab sogar Potemkin zu, er stand also mit aller Grazie, die ihm der Tanzmeister verliehen hatte, vor Katharina, ihrer Befehle gewärtig.

»Sie haben fleißig gelernt, Maxim Petrowitsch,« begann diese mit rosigem Wohlwollen, »Ihre Lehrer stellen Ihnen die besten Zeugnisse aus. Ich will Ihnen also Ihre Ungeschicklichkeit in Bausch und Bogen verzeihen und mich ein wenig mit Ihrer Karriere befassen. Heute noch soll ein Courier nach Berlin abgehen, ich habe Sie zu dieser Mission ausersehen, weil ich Ihnen Gelegenheit geben will, sich auszuzeichnen. Aber einem Lieutenant kann man so wichtige Depeschen nicht anvertrauen. Ich habe Sie also zum Kapitän ernannt.«

»O! Majestät!« rief Maxim freudig überrascht und ließ sich vor der Kaiserin auf ein Knie nieder, nicht mit jenem wilden Enthusiasmus, wie er es sonst gethan, sondern mit der ganzen Anmut eines französischen Kavaliers, ganz so, wie es ihn der Tanzmeister gelehrt.

»Wie hübsch Sie jetzt knieen,« sprach Katharina II., ihn durch die Lorgnette betrachtend. »So, jetzt küssen Sie mir auch die Hand.«

Maxim führte die Hand der Zarin mit galanter Zärtlichkeit an die Lippen.

»Sie haben auch im Küssen Fortschritte gemacht,« sagte Katharina II. lächelnd, »verdanken Sie dieselben auch Ihrem Tanzmeister, oder haben Sie darin andere Lehrmeister gehabt?« Sie schlug ihn mit der Hand leicht auf die Wange. »Holen Sie jetzt Ihre Depeschen bei dem Generaladjutanten, Herr Kapitän, und reisen Sie mit Gott.«

Als Maxim bei seinem Gönner Potemkin eintrat, rief ihm dieser von Weitem schon entgegen:

»Ich gratuliere, Kapitän, ich gratuliere,« dann setzte er leise hinzu:

»Aber die Depeschen werden Sie nicht überbringen, ich habe bereits einen Anderen damit abgeschickt. Wir werden einen neuen Streich ausführen, auf den Sie gewiß in Ungnade fallen. Gehorchen Sie mir nur blind. Sie werden es nicht bereuen.«

Gegen Abend ließ sich Potemkin bei der Monarchin melden.

»Was bringst Du, Gregor Alexandrowitsch, Du scheinst sehr aufgeregt?« rief die Zarin.

»Und mit Recht, Majestät,« entgegnete Potemkin, »Sie haben diesen Urussow gegen meinen Rat heute Vormittag mit wichtigen Depeschen abgeschickt. Wenn ich nun nicht wäre, hätte sie der unvorsichtige Knabe, ohne es zu wollen, dem Feinde in die Hände gespielt.« »Wie?«

»Herr Urussow ist, seitdem er durch die mütterliche« – Potemkin betonte das Wort absichtlich sehr stark – »Vorsorge Eurer Majestät aufgehört hat, ein Einfaltspinsel zu sein, dafür ein Raufbold, Spieler und Trinker geworden.«

»Er trinkt Schnaps –«

»Ja wohl, gemeinen Schnaps,« fiel Potemkin ein, »und so kam er denn vor vier Stunden vollständig betrunken zurück und meldete mir, daß er die Depeschen verloren habe.«

»Verloren, der Elende!« schrie Katharina II. auf.

»Majestät wissen, daß es in Rußland von Spionen unserer Gegner wimmelt. Wie leicht konnten diese für uns kompromittierenden Papiere in ihre Hände fallen. Ich bestieg also auf der Stelle selbst ein Pferd und eilte auf der Straße, welche der Courier eingeschlagen hatte, von Schänke zu Schänke, denn in jeder hatte dieser Urussow Halt gemacht und getrunken.«

»Schnaps?« fragte die Zarin.

»Ja, gemeinen Schnaps,« fuhr Potemkin fort, »und endlich fand ich einen klugen Wirt, der das dem Betrunkenen entfallene Paket aufgehoben und wohl verwahrt hatte. Ich sandte auf der Stelle einen anderen Courier nach Berlin und habe den Kapitän Urussow auf die Wache führen lassen, wo er der Strafe harrt, welche Eure Majestät über ihn zu verhängen geruhen werden.«

»Er muß exemplarisch bestraft werden,« entschied die Kaiserin, welche zornig auf- und abging, »ich degradiere ihn hiermit zum Gemeinen und verurteile ihn zu hundert Knutenhieben.«

»Majestät, dieses Urteil ist etwas hart,« bemerkte Potemkin, der nicht im Entferntesten daran dachte, die Strafe vollziehen zu lassen, und dem das Lachen nahe war.

»Ich will aber hart sein,« rief Katharina, II., »und mehr als das, ich will in diesem Falle sogar grausam sein, die Exekution hat morgen um zehn Uhr vormittags stattzufinden, und ich selbst werde derselben zusehen.«

Potemkin, welcher seine Gebieterin kannte und wußte, daß im Augenblicke nichts weiter zu machen war, verneigte sich und ging. Nach einer Stunde wurde er von neuem zu ihr beschieden.

»Es wäre doch unmenschlich, diesen schönen, jungen Menschen unter der Knute des Henkers sterben oder nur verstümmeln zu lassen,« sagte Katharina II.

»Gewiß, Majestät.«

»Aber bei der Degradation bleibt es.«

»Wie Eure Majestät befehlen.«

Am nächsten Tage war auch die Degradation aufgehoben, und als Maxim bei Potemkin erschien, eröffnete ihm dieser lachend, daß die Kaiserin ihm die überstandene Angst als Strafe anrechne und ihn zum Obersten ernannt habe.

Maxim hielt es anfangs für Scherz, aber als er das Patent sah, konnte er nicht länger zweifeln und war in seinem Jubel nahe daran, Potemkin die Hand zu küssen.

»Aber die Angst, die ich ausgestanden habe?« sagte er dann, »was für eine Angst habe ich denn ausgestanden?«

»Ja, das ist eine große Geschichte,« erklärte ihm Potemkin, »während Sie mit Ihren Kameraden zechten, waren Sie zuerst verhaftet, dann degradiert und zur Knute verurteilt und dann wieder begnadigt.«

»Also sie wollte mich im Ernste knuten lassen,« fragte Maxim mit einigem Schauder.

»Allerdings, und noch selbst dabei zusehen,« lachte Potemkin, »ja, die Frauen sind unberechenbar, mein lieber Maxim Petrowitsch, und vor allem dann, wenn sie uns lieben.«

Bald, nachdem der junge Oberst sein Regiment übernommen hatte, fand in der Nähe von Moskau ein großes Manöver unter den Augen der Kaiserin statt. Ein Teil der Truppen unter dem Kommando Suwarows stellte die Türken vor und sollte durch eine kühne Flankenbewegung umgangen und gezwungen werden, sich der Kaiserin, an deren Seite Potemkin die Russen befehligte, auf Gnade und Ungnade zu ergeben.

Aber die Sache kam anders.

Nicht umsonst hatte Potemkin dem Obersten Urussow die Führung der Truppen anvertraut, welche das geniale Manöver ausführen sollten und mit demselben Tags vorher die Karte studiert.

Als der Moment kam, wo die Russen unerwartet den Türken in Flanke und Rücken fallen sollten, wartete Katharina II. vergebens auf die Reiter Urussows, welche die Reserve Suwarows anfallen, auf seine Geschütze, welche den Feind in ein Kreuzfeuer nehmen sollten. Eine Viertelstunde verstrich und eine zweite, dann sprengte Suwarow durch eine plötzliche Attacke seiner Kavallerie das Centrum der Russen und nahm die Kaiserin gefangen.

Die Kaiserin machte gute Miene zum bösen Spiel sie reichte Suwarow lachend die Hand, aber ihr ganzer Zorn entlud sich jetzt auf das Haupt des schönen Obersten.

Ein Adjutant wurde abgeschickt, ihn vor die Zarin zu laden.

Er kehrte allein und mit einer reglementwidrig heitern Miene zurück.

»Wo ist der Oberst,« fragte Katharina II. mit einer gewissen Heftigkeit.

»Der Herr Oberst läßt sich entschuldigen, es ist ihm unmöglich,« –sagte der Adjutant, der in Gefahr war, sich die Zunge abzubrechen.

»Unmöglich, wenn ich es befehle?« rief die schöne Despotin.

»Der Herr Oberst steckt mit seinen Kanonen, Soldaten und Pferden bis an den Hals in einem großen Sumpf,« sagte der Adjutant.

Die Kaiserin stutzte einen Augenblick, dann brach sie in ein schallendes Gelächter aus, in das der Generalstab und endlich die ganze Armee einstimmte.

»Glauben Majestät nicht, daß es an der Zeit wäre, diesen Herrn Obersten in Pension zu schicken,« sagte Potemkin, als er auf dem Rückweg neben ihr ritt.

»O! Durchaus nicht an der Zeit,« rief Katharina II. mit einem Blitz ihrer kühnen geistvollen Augen, »dieser Oberst ist, wie ich sehe, imstande, Sie eifersüchtig zu machen, lieber Potemkin, und das macht mir so viel Spaß, daß ich ihn jetzt erst recht protegieren will.«

Die Kaiserin hatte mit ihrem Vertrauten Potemkin in ihrem Kabinett gearbeitet, sie war zu dem Entschluß gekommen, eine Reihe drückender Steuern aufzuheben und ein ganz neues System der inneren Verwaltung einzuführen, bei welchem zum ersten male die Grundsätze der französischen Philosophen zur Anwendung kommen sollten. Sie hatte die Entwürfe, welche vor ihr lagen, mit dem außerordentlichen Scharfsinn, der sie charakterisierte, schnell erfaßt und auf der Stelle die Schwächen derselben erkannt und Potemkin jene Verbesserungen diktiert, welche sie nötig fand. Nun streckte sie sich müde in den weichen Samtpolstern aus und ihr Auge mit ruhigem Spotte auf den einzigen Mann heftend, der ihrem Herzen wirklich nahe stand, fragte sie, in der Absicht, sich mit seinen Qualen die Zeit zu vertreiben:

»Bist Du noch immer eifersüchtig, Gregor Alexandrowitsch?«

»Auf wen?«

»Auf Urussow.«

»Nicht mehr.«

»Nicht mehr? Und was hat Dich so schnell geheilt?«

»Die Überzeugung, daß meine Eifersucht grundlos war,« sagte Potemkin.

»Du glaubst also nicht, daß ich ihn liebe?« fragte Katharina II. lauernd.

»Ich glaube nur nicht, daß der Oberst Dich liebt.«

»Wie das?«

»Oder besser gesagt, ich glaube, daß er eine andere liebt.« Potemkin blickte mit einer Siegesgewißheit auf die Kaiserin, welche dieselbe verwirrte.

»Eine andere? Du lügst.«

Potemkin zuckte die Achseln. »Überzeuge Dich selbst.«

»Wie kann ich das?«

»Noch heute Abend, wenn Du willst.«

»Gut denn, noch heute Abend, und wenn Du Recht behältst?« sprach Katharina, sich erhebend.

»Versprichst Du mir, daß er in Ungnade fällt und den Hof verlassen muß?« fiel Potemkin rasch ein

»Ha! Mein Freund, doch eifersüchtig,« sprach Katharina II. angenehm überrascht, »und wenn ich Recht behalte, Potemkin, was dann?«

»Dann schicke mich nach Sibirien,« sagte Potemkin.

»Das kann ich so auch thun,« entgegnete Katharina II. mit boshafter Eile, denn sie ließ keine Gelegenheit vorübergehen, den Mann, dessen Macht sie fühlte, zu demütigen.

»Was könntest Du nicht, wenn es Dir beliebt,« sprach Potemkin, ohne einen Augenblick seine Miene zu ändern, »ich bin Dein Unterthan, Dein Sklave.«

Katharina sah ihn, ohne ein Wort zu sagen, an und reichte ihm dann die Hand.

»Ich werde mich hüten, Dich nach Sibirien zu schicken,« sagte sie herzlich, »ich brauche Dich hier viel notwendiger. Also, heute Abend.« –

Als es vollkommen dunkel geworden war, ging Maxim, wie es ihm sein Gönner geboten hatte, durch den kaiserlichen Garten, die von beschnittenen Taxuswänden eingerahmte Hauptallee hinauf, bis zu dem Springbrunnen, der seinen silbernen Strahl hoch in die Luft warf und in tausend Diamanten zerschellt in die von einer nackten Nymphe gehaltene große Muschel zurückfallen ließ. Er setzte sich auf die Rasenbank, welche ihm bezeichnet war; sie war durch einen Amor kenntlich, der im Begriffe, seinen Pfeil abzuschießen, in der von der Taxuswand gebildeten grünen Nische hinter ihm stand. Hier blieb er sitzen, betrachtete die wunderbaren Gebilde der Sterne an dem wolkenlosen Himmel und dachte an Angela.

Plötzlich stand eine weiße Gestalt vor ihm. War es die Kaiserin? Er erhob sich und nahm ehrerbietig den Hut ab.

»Ich bin es, Maxim,« sprach eine wohlbekannte Stimme, deren süßen Klang er so lange entbehrt hatte, und zwei weiche Arme umfingen ihn. Nach einem langen Kusse machte sich Angela los. »Das ist nicht genug,« sagte sie, »ich werde auf der Bank sitzen und Du mußt vor mir knieen und mir Liebe schwören.«

»Muß ich?«

»Denke, daß wir die Kaiserin aufbringen müssen.«

»Wie?«

»Frage nicht weiter, Potemkin will es so, und das sei Dir genug. Auf die Knie!« Sie deutete mit ihrer weißen Hand auf den Boden und erschien Maxim mit einem male so majestätisch, daß er ihr gehorchen mußte. Da lag er nun zu ihren Füßen und beschwor das Auge bald zu ihr, bald zu den Sternen erhoben, allerhand Unsinn, und die Sterne hörten geduldig zu, aber Angela gab ihm einen leichten Backenstreich und flüsterte: »Nicht so toll!«

Und wie sie ihn jetzt an ihre Brust zog und sein liebes Antlitz mit Küssen bedeckte, stand Katharina II. mit Potemkin hinter der grünen Wand und fieberte vor Wut und Eifersucht.

»Ich könnte ihn zerreißen,« murmelte sie, und da sie es nicht konnte, kneipte sie Potemkin heftig in den Arm.

»Hören wir, was sie sagt, die Schöne spricht mit ihm,« entgegnete der Günstling, der seine Heiterkeit mit Mühe verbarg.

»Jetzt, Maxim, jetzt gilt's.« flüsterte Angela, so daß es niemand als er hören konnte, »die Zarin ist da, ich höre den Sand unter ihren Füßen knistern.«

»Und ich sehe ihren Hermelinpelz durch die grüne Wand schimmern,« wisperte Maxim. »Also schieß los.«

»Mein lieber Oberst,« begann Angela laut, »Sie schwören mir, daß Sie mich lieben und, doch scheint es mir, daß sie eine andere Dame vielmehr als mich lieben.«

»Wer sollte das sein?« erwiderte Maxim ebenso vernehmlich.

»Die Kaiserin, sagt man, und man sagt auch, daß Sie sehr in ihrer Gunst stehen,« fuhr Angela fort.

»Ich will es nicht leugnen, daß sie sehr gnädig gegen mich ist,« gab Maxim zur Antwort, »aber wie können Sie glauben, daß eine Frau von ihrem Genie und ihrer Würde sich so viel vergeben könnte, einen jungen unbedeutenden Menschen wie mich zu lieben?«

»Hörst Du?« sagte Potemkin leise zu Katharina. »Aber Sie, Sie lieben sie,« fuhr Angela fort.

»Ich?« antwortete der junge Oberst, »Katharina II. ist die schönste Frau der Erde.«

»Hörst Du,« flüsterte jetzt die Zarin ihrem Vertrauten zu.

»Ich verehre die große Herrscherin,« fuhr Maxim fort, »und bete das schöne Weib in ihr an, aber eben deshalb wage ich es nicht, die Augen zu ihr zu erheben, und ich hätte nicht einmal den Mut, sie zu lieben.«

»Hörst Du,« sagte Potemkin.

»Ich liebe Sie, teure Angela,« schloß Maxim, »Sie allein.«

»Nun denn, Herr Oberst, auch ich liebe Sie,« gab Angela so laut als nur möglich zur Antwort, und sie begannen sich von neuem zu küssen wie zwei Täubchen, die beim Sternenlicht im grünen Busche schnäbeln.

»Die Verräterin!« murmelte Katharina, »sie soll es mir büßen.«

»Sie?« sagte Potemkin, »das wäre eine Ungerechtigkeit und noch mehr eine Unklugheit, und dieser beiden weiblichen Schwächen halte ich meine große Kaiserin nicht für fähig.«

»Du hast Recht, aber sie regen mich auf und thun mir weh, und das Geküsse nimmt kein Ende, ich könnte rasend werden, komm', Gregor.« Sie eilte mit den raschen Schritten eines jungen Mädchens die Allee hinab, dann durch einen grünen Seitengang, immer von Potemkin gefolgt, bis zu einer zweiten Fontaine, und ließ sich hier auf einer Rasenbank nieder, über der eine weiße steinerne Venus mit einem steinernen Adonis koste. »Sei doch kein Bär, Gregor, was thut man, wenn man unter dem flimmernden Sternenhimmel allein ist mit einer Frau?«

»Mit dem schönsten Weibe der Erde, willst Du sagen, Katharina,« rief Potemkin mit aufrichtigem Enthusiasmus, »man kniet nieder und betet an.« Und er warf sich zu ihren Füßen nieder, und sein Antlitz in dem schimmernden Pelzwerk begraben, bedeckte er die herrliche Büste der Zarin mit feurigen Küssen. Katharina lächelte. »Aber wir sollten die beiden doch strafen,« sagte sie.

»Du hast Recht,« erwiderte Potemkin, »und zwar recht empfindlich.«

»Wie meinst Du?«

»Indem wir sie zusammen verheiraten.«

Als die Kaiserin in ihrem Schlafgemach allein war, im Begriffe zur Ruhe zu gehen, erwachte mit einem male, je mehr sie desselben Meister geworden zu sein glaubte, ihr Gefühl für den treulosen Adonis mit erneuter Gewalt. Sie war zu stolz, ihm ferner von Liebe zu sprechen, aber sie war Weib genug, zu wünschen, daß er sie liebe, sie wollte ein Netz von Koketterie und Wollust um ihn spannen, ihn ahnen lassen, daß ihr Besitz für ihn nicht so unerreichbar war, als er dachte, und ihn dann fortschicken, den Pfeil im Herzen, nicht sie durfte die Verschmähte sein, sondern er sollte zu ihren Füßen liegen, verschmäht und verlacht.

Sie schrieb an ihn: »Undankbarer! Ich weiß, daß Sie eine andere lieben, aber dennoch will ich Sie noch einmal sehen, morgen um Mitternacht im chinesischen Pavillon.«

Diesen Brief erhielt Maxim am nächsten Morgen, diesmal ging er aber nicht zu Potemkin, sondern ersann sich selbst einen tollen Spaß. Er schloß die Zeilen von der Hand der Zarin in ein anderes Couvert ohne Adresse und sendete damit einen treu-verläßlichen Diener in die Kaserne des Regimentes Simbirsk, wo sie dem dienstthuenden Unteroffizier für Herrn Arkadi Wuschitschinkoff übergeben wurden. Es währte nicht gar zu lange, und Arkadi trat schwer atmend bei seinem Freund, dem Obersten, ein.

»Lies diesen Brief,« sprach er feierlich. Er schien um mindestens fünf Zoll gewachsen. Maxim las mit großem Ernst und gab dann das Billet Arkadi zurück.

»Was sagst Du?«

»Daß Du der eigentliche Glückspilz bist.«

»Ich – aber ich weiß ja gar nicht, von wem diese Zeilen sind. Ein Lakai hat sie gebracht, das steht fest, aber es giebt viele Lakaien!« seufzte Arkadi.

»Gewiß, aber es giebt nur eine Frau, welche diese kühnen, ich möchte sagen, despotischen Schriftzüge hat,« gab Maxim zur Antwort.

»Wer soll das sein?«

»Sieh' die Unterschrift.«

»Katharina.«

»Nun?«

»Nun.«

»Die Zarin, wer sonst.«

»Aber die liebt ja Dich,« sagte Arkadi mißtrauisch.

»Was Dir einfällt, die Dame damals war eine ganz andere, ihr danke ich, daß ich Oberst geworden bin, denke Dir nun, welche Laufbahn erst Dir winkt, wenn die Zarin selbst –«

»Laß' mich niedersetzen, mir wird schwül,« seufzte Arkadi.

»Aber sie schreibt da, sie will mich noch einmal sehen,« fuhr er fort, » noch einmal!«

»Sehr einfach. Erinnerst Du Dich genau aller Umstände damals bei meinem Rendezvous im chinesischen Pavillon?«

»Ja.«

»Erinnerst Du Dich der großen majestätischen Dame, welche meine Schöne begleitete?«

»Ja.«

»Das war Katharina, und damals hat sie Dich gesehen, als Du an die Jalousie klopftest, und sich in Dich verliebt,« schloß der Oberst seine Auseinandersetzung.

»Wie aber hat sie erfahren, daß ich eine andere liebe?« frug Arkadi, der noch immer zweifelte.

»Frage sie selbst.«

»Hm! hm! heilige Mutter von Kasan, Du meinst also, daß ich so, wie ich bin, heute Nacht zu dem Rendezvous gehen soll!«

»Gewiß, ich fürchte nur eins, daß Du nämlich bei der schmalen Thüre nicht hinein kannst,« lachte Maxim.

»Ich will also gehen, aber nur, wenn Du mich begleitest, Maxim.«

»Abgemacht.« Sie schüttelten sich die Hände. –

Gegen Abend kam Arkadi wie gewöhnlich zu der hübschen Schnapswitwe; diesmal tiefe Falten auf der Stirne und die rote Nase hoch erhoben.

»Guten Abend, Frau Srebna,« begann er mit Würde.

»Seit wann stehen wir so feierlich miteinander,« erwiderte Nastka, die Arme in die Seiten stemmend »trägt er die Nase wie ein General und spricht er wie, ein Metropolit?«

»Ja, die Zeiten ändern sich, Frau Srebna, und die Menschen mit ihnen,« seufzte Arkadi, »heute noch Fähnrich, morgen vielleicht in der That General. Sie wissen, Anastasia Nikitischna, daß mein Herz nur für Sie schlägt, aber es sind Verhältnisse eingetreten –«

»Was schwatzt der Esel da?«

»Eine hohe Dame hat ihr Auge auf mich geworfen.« fuhr Arkadi fort.

»Auf ihn? Ha! ha! ha! wohl die Zarin selbst, nicht?« spottete Nastka.

»So ist es, Anastasia, die Zarin selbst,« erwiderte Arkadi mit einem Anflug von Rührung, »mir bleibt als getreuem Unterthan Ihrer Majestät nichts übrig, als zu gehorchen. Wir müssen scheiden, Anastasia Nikitischna.«

»Aber das ist sehr traurig,« sagte Nastka plötzlich in verändertem Tone, denn es ging ihr ans Herz.

»Sehr traurig, Anastasia Nikitischna,« flennte Arkadi, »geben Sie mir einen Schnaps.«

Sie schenkte ein und ihre Thränen perlten mit in das Glas. –

Als es vom benachbarten Turme Mitternacht schlug, stand Arkadi mit einem Herzen voll Angst, das wie eine ganze Bauernschmiede hämmerte, an Maxim's Seite vor dem chinesischen Pavillon.

»So, jetzt ist es Zeit,« flüsterte Maxim; »geh' hinein.«

»Aber Maxim,« seufzte Arkadi, »sich einmal die, kleine enge Thüre an, wie soll ich da hinein?«

»Nur vorwärts.« Maxim verbarg sich im Gebüsch, und Arkadi schob sich sachte in den Pavillon hinein, der vollkommen dunkel war. »Pst! ist wer da?« fragte er. Keine Antwort. »Pst! Majestät!« fuhr er fort. Alles blieb stille wie zuvor. Er hätte sich am liebsten gleich wieder aus dem Staube gemacht, aber da fielen ihm allerhand angenehme Dinge ein, wie Sibirien, Knute und Ketten, und er blieb mitten im Pavillon stehen und begann andächtig zu beten.

Endlich ging die Thüre hinter ihm, und Katharina trat ein. »Sind Sie da?«

»Ja, ich bin da, und erlöse uns von allem Übel, Amen,« murmelte Arkadi mit tiefer Grabesstimme.

»Sind Sie heiser, Oberst,« sprach die Zarin, »Ihre Stimme klingt ganz anders als sonst.« »Schon Oberst,« dachte Arkadi, »das geht schnell, wenn das so fortgeht, bin ich, wenn sie fortgeht, mindestens General.«

»Ich sollte Ihnen eigentlich zürnen,« sprach die Zarin.

»Wegen der anderen,« fiel Arkadi ein; »keine Ursache, Majestät, ist schon aus.«

»Schon aus?«

»In Folge hochdero Briefes abgebrochen.«

»Ist das möglich? Sie lieben mich also?« flüsterte Katharina, Arkadi umschlingend.

»Wie ein Narr, Majestät.«

Katharina gab dem dicken Fähnrich einen feurigen Kuß. »Aber Sie sind ja dick geworden, Oberst,« sagte sie dann erstaunt, »überhaupt erkenne ich sie nicht mehr, Ihre rauhe Stimme und Ihre Ausdrücke, die ein wenig nach der Schnapskneipe duften.«

»Vergebung, Majestät.«

»Und Sie riechen auch nach Schnaps, fi donc!« rief die Zarin, »nun machen Sie aber Licht.«

Arkadi gehorchte. In dem Augenblicke, wo er die Kerzen des silbernen Armleuchters angezündet hatte, stieß die Kaiserin einen Schrei aus.

»Was ist das? Wer sind Sie? Wer hat es gewagt?« rief sie im höchsten Zorne mit dem Fuße stampfend. »Dieser Brief – Majestät – ich glaubte – ich dachte – o! heilige Mutter von Kasan, ich bin unschuldig!« stöhnte der Koloß und warf sich vor Katharina auf die Knie, daß der ganze Pavillon dröhnte.

»Da ist der Brief.«

Die Kaiserin nahm ihn. »Diese Zeilen sind allerdings von mir.«

»Ich habe sie durch einen La – La – kaien erhalten,« stotterte Arkadi mehr tot als lebendig.

»Und ich habe Sie geküßt,« rief Katharina mit flammenden Augen.

»Nein, nein, nein; ich schwöre, Majestät, daß es kein Kuß war;« schrie der dicke Fähnrich in der Angst seines Herzens.

»Können Sie das wirklich beschwören,« sprach die Kaiserin, welcher es bei dem Anblick ihres unfreiwilligen Seladons und seiner Verzweiflung immer heiterer zu Mute wurde.

»Ich will schwören, daß dies alles ein Traum ist und ich jetzt auf meiner Stelle in der Kaserne liege, nichts als ein Traum, ein schwerer Traum.«

»Ja, so ist es,« sagte die Kaiserin, welche die Hand gnädig auf Arkadi's Schulter legte, »und im Traume sagt Ihnen Ihre Kaiserin, daß Sie Kapitän sind.«

»Ka – Ka – pi – tän?«

»Und wenn Sie erwachen, liegt das Patent unter Ihrem Kopfpolster.«


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