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VII.

Der Tod des Prinzen Iwan rief in der Hauptstadt eine ungeheuere Aufregung hervor, man beschuldigte den Hof, die Kaiserin, geradezu des Mordes. Der Pöbel, die Garden zeigten eine verdächtige Bewegung.

Die Fürstin Daschkow gab sofort im Namen der Kaiserin dem Generallieutnant Wegmare den Befehl, die Feldregimenter in den Kasernen zu konsignieren und ließ scharfe Patronen an dieselben austeilen.

Mitten in der Verwirrung erschien die Kaiserin, ruhig, siegesgewiß. Sie betrachtete die Volkshaufen, welche ihrem Wagen folgten, mit einem verächtlichen Lächeln, indem sie mit den Fingern auf dem Wagenschlage trommelte.

Noch an demselben Tage trat sie vor den Senat mit eiserner Stirne im vollen kaiserlichen Pomp.

»Eine entsetzliche, blutige That ist geschehen«, sprach sie majestätisch, »eine Schar von Wahnsinnigen hat sich gegen Uns empört und in der Absicht, den unglücklichen Prinzen Iwan zu befreien und auf Unseren Thron zu erheben, dessen Tod herbeigeführt. In bezug auf diesen von meinen Vorgängern als Staatsgefangenen behandelten Prinzen habe ich nur die Befehle bestätigt, welche den mit seiner Bewachung betrauten Offizieren von der letzten Regierung erteilt worden sind. Ich hätte als absolute Herrscherin in diesem Reiche das Recht, den Zusammenhang des Schlüsselburger Attentates durch eine von mir ernannte Kommission unmittelbar unter meinen Augen untersuchen zu lassen. Mir ist aber dieses verabscheuungswürdige Verbrechen so sehr zu Herzen gegangen, daß ich mich für diesen ganz besonderen Fall meiner höchsten Gewalt entkleide und dem Senate hiermit die Machtvollkommenheit erteile, die Untersuchung über die bei diesem Attentate verwickelten Personen zu führen und in letzter Instanz ohne Appellation über dieselben die rechtskräftigen Urteile zu fällen.«

So groß die augenblickliche Wirkung dieser Erklärung auf den Senat war, nahm das Volk dieselbe doch nur mit Mißtrauen auf und in der Gesellschaft flüsterte man, die zwölf Senatoren, welche in diesem Gerichtshof gewählt wurden, seien durchaus ergebene Kreaturen des Hofes, das Ganze ein abscheuliches abgekartetes Spiel.

Indes waren Mirowitsch und seine Mitschuldigen in Ketten nach Petersburg gebracht worden. Der erstere zeigte einen Gleichmut, ja, eine Heiterkeit, welche neuen Verdacht erregte. Gleich im ersten Verhör sagte er ruhig, er habe die Absicht gehabt, die Kaiserin zu stürzen, den wahren Herrscher zu befreien. In diesem Sinne beantwortete er alle Fragen, welche im Laufe des Prozesses an ihn gerichtet wurden, klar, besonnen, ohne Umschweife, ohne sich nur ein einziges mal in Widersprüche zu verwickeln. Der »Nero im Reifrock« konnte mit seinem Opfer zufrieden sein.

Am 20. September 1765 wurde endlich das Urteil in diesem historischen Prozesse gesprochen.

Mirowitsch wurde mit Zustimmung des Synods, der Inhaber der drei ersten Rangklassen und der Präsidenten der Kollegien als Aufrührer und Reichsverräter schuldig erkannt und zur Enthauptung durch das Beil verurteilt. Er hörte das Urteil schweigend, mit kaltem Blute an, dann senkte er das Haupt und ein seltsames Lächeln flog über sein bleiches Gesicht. Seine Mitschuldigen, 68 an der Zahl, wurden teils zu Spießruten, teils zu Zwangsarbeit verurteilt.

Das Urteil wurde der Kaiserin durch den Senator Neglujew zur Bestätigung vorgelegt.

Katharina II. saß an dem riesigen holländischen Kamine ihres Arbeitszimmers und las der Daschkow einen launigen Brief Voltaire's vor. Neglujew übergab das Aktenstück, Katharina blickte hinein, warf es gleichgültig auf den Kaminsims und entließ den Senator mit einer gnädigen Kopfbewegung.

»Es ist das Urteil«, sprach die Daschkow erregt.

»Ja, Mirowitsch ist zum Tode durch das Beil verurteilt«, entgegnete die Kaiserin nachlässig.

»Wirst Du es unterzeichnen?« fragte die Fürstin rasch.

»Hör' erst den Brief zu Ende«, sprach Katharina heiter. Die Daschkow überlief es.

Als die Zarin zu Ende war, hob sie das Urteil vom Kaminsimse und breitete es auf ihren Knieen aus.

»Gieb mir eine Feder, Katinka.«

»Du wirst sein Todesurteil unterzeichnen?« schrie die Daschkow auf.

»Gewiß. Die Feder!«

Die Fürstin erhob sich langsam.

»Rasch!« Die Kaiserin ergriff die Feder, welche ihr die Daschkow zögernd reichte, und setzte mit einem energischen Zuge ihren Namen unter das Todesurteil des Geliebten.

»Du wirst es aber nicht vollziehen lassen, Du kannst es nicht!« rief die Fürstin.

»Und warum nicht, Kleine?«

»Panin war bei mir«, fuhr die Daschkow fort, »Mirowitsch rechnet zuversichtlich auf Gnade.«

Katharina zuckte die Achseln. »Ich könnte ihn begnadigen«, sprach sie lächelnd, »ihn verbannen, aber wird er leben können ohne mich? und könnte er es, dann ließe ich ihm das Haupt erst recht mit wahrer Lust herunterschlagen.«

»Du kannst noch scherzen!«

»Nun denn, Ernst, Katinka«, fuhr die Kaiserin mit strengem, unerbittlichen Gesichte fort. »Man klagt uns des Mordes an in ganz Europa, man beschuldigt uns des Einverständnisses mit Mirowitsch, wenn ich ihn schone, bestätige ich den Verdacht. Ich muß ihn opfern.«

»Und wenn Du Dich in seinem Charakter irrst?« warf die Daschkow ein, »er hofft auf Gnade. – Wenn er sich getäuscht sieht? Wenn er auf dem Schaffote Enthüllungen macht?«

»Auch das ist zu bedenken«, sprach die Kaiserin, »er liegt nun zwei Monate in Ketten, und es muß erbärmlich kalt in einem Kerker sein. Wenn seine Gluten verloschen sind, wenn sein wollüstiger Rausch verflogen ist?« – –

Die Kaiserin lehnte sich zurück und hob die Augen zum Plafond empor. »Ich möchte ihn sehen – ich sollte ihn sehen. Der arme Teufel! Nichts kann ihn retten, er muß sterben, aber er muß bis zum letzten Augenblicke glauben, daß ich ihn liebe, daß das Ganze nur ein grausames Spiel ist, und in diesem Glauben muß ihn das Beil des Henkers treffen.«


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