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Diesmal war Herr Jamrojewitsch wirklich gut unterrichtet gewesen. Das kaiserliche Manifest, welches Abgeordnete aller Nationen und Stämme des großen Rußlands zur Beratung neuer Gesetze nach Moskau berief, erschien in den nächsten Tagen und versetzte Europa in Staunen, die Russen selbst aber in nicht geringe Furcht.

War die Absicht der absoluten Selbstherrscherin, der mit dem Blute ihres Gemahls und so vieler Unglücklichen, welche sich zu ihrem Sturze verschworen hatten, befleckten Despotin, ihrem Volke, das zum größten Teile noch in den Ketten der Sklaverei schmachtete, mit einem male die Freiheiten Englands, die Teilnahme an der Gesetzgebung aus eigenem Antriebe einzuräumen, ernst zu nehmen, oder war es ein kühner Scherz im Stile Iwan des Schrecklichen, der die Großen des Reiches aufforderte, einen Nachfolger zu wählen, und als sie erklärten, sie fänden keinen Mann, der würdig sei nach ihm, den Thron einzunehmen, ihnen höhnisch zurief: »Das ist Euer Glück, wenn Ihr einen gefunden hättet, hätte ich ihm und Euch die Köpfe herunterschlagen lassen!«

Die treuen Unterthanen Katharinas sträubten sich zuerst überhaupt, Abgeordnete zu wählen, und als man ihnen befahl, von ihrem Rechte Gebrauch zu machen machten die Gewählten Schwierigkeiten, nach Moskau zu gehen, und entschlossen sich, erst dann, dem Rufe der Monarchin Folge zu leisten, als man sie mittelst Polizei hinzuschicken drohte. Ein Parlament, dessen Deputierte mit Eskorte wie Verbrecher eingeliefert werden müssen, das wäre denn doch für das Rußland Katharinas zu skurril gewesen. Endlich fanden sich die Gewählten in Moskau ein. Seit dem Turmbau zu Babel hatte man nicht so verschiedene Racen und Nationen, so seltsame Menschentypen an einem Orte vereint gesehen, sie kamen aus den Eisfeldern der Polargegenden und aus den grasreichen Steppen des Südens, von den Ufern des Intis und der Wolga. Es war eine Versammlung, die ihres Gleichen suchte, aber sie endete auch genau so wie der Turmbau zu Babel.

Die Deputierten waren unfähig, sich untereinander zu verständigen, als man ihnen aber die Absichten der Monarchin verdolmetschte, waren sie sofort einig, dieselbe als groß, weise und als Mutter des Vaterlandes zu bezeichnen.

Im Übrigen schienen sie nicht zu verstehen, was man von ihnen begehrte, und blieben unerschütterlich dabei, keine Meinung über die ihnen vorgelegten Gesetze zu haben. Alles, was das Mütterchen Zarin habe niederschreiben lassen, sei ohne Zweifel über jeden Tadel erhaben, erklärten sie immer von Neuem, und sie seien nur da, um ihren Befehlen zu gehorchen und ihr in Allem zu dienen. Mit einem solchen Parlamente zu regieren, das zu Allem »ja« sagte, widerte sogar die neronische Natur einer Katharina an.

Sie entließ also die Abgeordneten huldvoll nach Hause – es war für dieselben der schönste Moment ihrer Thätigkeit für das Wohl der Völker Rußlands – und die Freiheitskomödie war zu Ende.

Denkmünzen aus Gold wurden zur Verherrlichung derselben geschlagen und an die Deputierten verteilt. Die Mehrzahl derselben verkaufte sie gleich in Moskau an dortige Goldschmiede.

An dem Tage, wo die merkwürdige Versammlung auseinander ging, kam Tschoglokow in ungewöhnlicher Aufregung zu seiner geliebten Mascha. Er fand sie mit ihrer Schwester Elisabetha im Gärtchen hinter dem Hause, in dem chinesischen Pavillon mit dem Aufnehmen kleiner Knaben beschäftigt.

Der Kapitän begrüßte die Mädchen und warf einen Blick auf Mascha, den diese in unzweideutiger Weise an ihre Schwester weiter gab. Elisabetha entschuldigte sich mit einer Arbeit, die sie im Hause zu verrichten hatte und ließ die Liebenden allein.

»Weißt Du bereits die große Neuigkeit?« begann der Kapitän.

»Wie soll ich etwas wissen? Der Vetter war heute noch nicht da, wir erfahren alle Neuigkeiten nur durch ihn.«

»Erinnerst Du Dich meiner Vorhersagung am ersten Mai?« fuhr Tschoglokow fort.

»Ich erinnere mich,« sagte das schöne Mädchen.

»Alles ist so eingetroffen, wie ich sagte. Die Versammlung der Deputierten ist eben heimgeschickt worden. Die Zarin hat keine andere Absicht gehabt, als Europa eine Komödie vorzuspielen, aber ihre getreuen Unterthanen benahmen sich bei derselben so über alle Erwartung albern, daß sie nahe daran war, sich vor allen civilisierten Nationen lächerlich zu machen, und es daher vorzog, die allzu diensteifrigen Werkzeuge nach Hause zu senden. Und dieses Weib preisen Männer wie Voltaire und Diderot! Die Maske der Humanität, der Liebe für Künste und Wissenschaften soll aber Europa nicht länger über das Medusenantlitz täuschen, das sich hinter derselben verbirgt!«

»Apostol, Du führst sehr gefährliche Reden,« rief das gute Mädchen entsetzt, »sprichst Du auch so zu Deinen Kameraden oder anderen Leuten?«

»Nein, Geliebte, nur zu Dir.«

Mascha atmete auf. »Besänftige Dich,« sagte sie mit ihrer freundlichen, silberhellen Stimme, zugleich zog sie ihn auf den gepolsterten Sitz nieder und umschlang den teuren Mann mit beiden Armen, »was kümmern uns diese Dinge, ist es für unsere Liebe, unser Glück nicht gleichgültig, wer auf dem Throne sitzt und wie die Minister sich nennen?«

»Das ist sehr selbstsüchtig gedacht,« erwiderte Tschoglokow, »nur weil Alle – vielleicht mit einer einzigen Ausnahme – so denken, ist diese Tyrannei, diese Mißregierung möglich. Hast Du denn kein Gefühl für Dein Vaterland, für Dein Volk, Mascha?«

»Aber, Geliebter, es hat sich ja eben gezeigt, daß dieses Volk keine Veränderung wünscht.«

»So ist es, Mascha,« sprach der Kapitän, »ja, Du hast die Wahrheit gesprochen, und das ist eben das Entsetzliche. Der unaufhörliche Druck der Tyrannei, dieses ununterbrochene Frauenregiment, diese weibliche Sultans- und männliche Paschawirtschaft hat uns Russen so erniedrigt, so aller Menschenwürde beraubt, daß wir nicht einmal dort mehr von der Freiheit etwas wissen wollen, wo sie uns von unseren Bedrückern gleichsam anbefohlen wird. Ich muß vor Scham erröten, wenn ich daran denke, wie die Nachwelt von uns urteilen wird, die wir diese Schmach ruhig, ohne Widerstand, beinahe vergnügt ertragen. Haben wir deshalb unter Peter dem Großen einen Schritt vorwärts gethan, der so kühn, so überraschend war, daß alle Völker Europas uns anstaunten, um dann wieder unter vier Zarinnen, ebensoviel Despotinnen, die nur von ihrer Laune, und niemals von einem großen Gedanken geführt werden, in die Reihe der asiatischen Horden herabzusinken? Katharina I., Anna, Elisabeth, Katharina II. Welche Aufeinanderfolge von Entwürdigung, Schmach und Elend! Aber die Entsetzlichste von Allen bleibt doch diese Semiramis des Nordens, wie Voltaire unsere gegenwärtige Gebieterin nennt, Semiramis wohl nur, weil sie gleich der asiatischen Herrscherin über die Leiche ihres Gatten hinweg den Thron bestieg, aber die Asiatin breitete über ihr Verbrechen, ihre Laster und Ausschweifungen den Purpur großer Thaten und weiser Einrichtungen. Katharina II. ist aber nichts weiter als eine neue Messalina, eine zweite Königin von Achem. Man sagt, daß die Menschheit unablässig vorschreitet. Ich kann es nicht glauben. Da habe ich mir vor wenigen Tagen bei einem Trödler ein Buch gekauft, das ihm, mit vielen anderen ein französischer Tanzmeister verhandelt hat. Lies das einmal –« er zog einen französischen Plutarch hervor und gab ihn Mascha, welche den Deckel aufschlug und, mit dem Finger die Buchstaben verfolgend, zu lesen versuchte.

»Was ist das,« sagte sie endlich, »ist das französisch? Du hast wohl vergessen, daß ich nur die russische Kirchenschrift lesen kann und auch diese nur, wenn die Buchstaben recht groß sind, wie in den Gebetbüchern und Evangelien.«

»Wie schade!« rief der Kapitän, »aber warte, ich will Dir einiges daraus übersetzen.« Er suchte in dem Buche, fand endlich die Lebensbeschreibung des Lykurgos und begann Satz für Satz, so gut er es eben traf, der Geliebten zu verdolmetschen, während sie den Arm um seinen Nacken geschlungen mit ihm in die vergilbten Blätter blickte und aufmerksam zuhörte.

Als er zu Ende war, wendete er sein von Begeisterung glühendes Antlitz der Geliebten zu. »Waren das Menschen in jener alten, längst verflossenen Zeit, war das ein Volk in Sparta, und dieser Lykurgos, welch ein Mann! Welche Vaterlandsliebe! Er geht freiwillig in die Verbannung, er giebt sich den Tod, weil die Spartaner ihm mit einem heiligen Eide geloben, an den herrlichen Gesetzen, die er ihnen gegeben hat, nichts zu ändern vor seiner Rückkehr.«

»Wie schön Du jetzt bist,« sagte das Mädchen, »ich erinnere mich nicht, Dich je so gesehen zu haben. Dieser Mann muß sehr gut und groß gewesen sein, da er nach so vielen, vielen Jahren noch imstande ist, bloß durch die Erinnerung an ihn, Dich so schön zu machen, mein Geliebter.«

Tschoglokow zog Mascha gerührt an seine Brust und küßte sie mit jener Innigkeit, welche nur gute und reine Herzen empfinden können, dann nahm er den Plutarch wieder zur Hand und las weiter von Solon, Themistokles, Cato und den beiden Gracchen, er las so lange, bis Frau Eudoxia Samsonow auf der Schwelle erschien.

Die gute, dicke Frau paßte vortrefflich in den Rahmen des chinesischen Pavillons, sie stand da, seltsam und merkwürdig wie eine Pagode, und nickte mit dem Kopfe so ernsthaft wie eine solche.

»Es ist Zeit, etwas zu essen, meine Kinder,« sagte sie lächelnd, sie lächelte immer, wenn sie sprach.

Einige Tage später, an einem kalten, unfreundlichen Herbstabend, während draußen der Regen in Strömen herabfloß und der Sturm in den Schornsteinen heulte und an den Fensterscheiben unheimliche Lieder sang, saß Samsonow mit seiner braven Frau in der Nähe des warmen Ofens beim Dominospiel, Elisabetha bereitete den Thee, Basja durchstickte einen roten Scharafan mit Gold, und Mascha spielte mit einem weißen Hündchen, das ihr Tschoglokow zum Geschenke gemacht hatte. Alle blickten von Zeit zu Zeit auf die große Schwarzwälderuhr, sie erwarteten den Kapitän und mit nicht geringer Sehnsucht, denn alle liebten ihn.

Endlich trat er ein und begrüßte zuerst die Eltern dann die Mädchen herzlich und scherzhaft wie immer, aber Mascha hatte sofort entdeckt, daß er furchtbar bleich war. Sie zog ihn in eine Fensternische und faßte besorgt seine Hand, die sich wie ein Stück Eis anfaßte.

»Was hast Du?« fragte sie, »bist Du krank?«

»Ich habe die ganze Nacht gelesen,« antwortete er.

»Sollte dies allein die Ursache sein –?«

»Und – ich bin zu einem großen Entschlusse gekommen, Mascha.«

»Zu was für einem Entschlusse, Geliebter, Du erschreckst mich.«

»Ich habe heute Nacht von Cäsar gelesen, mein teures Mädchen,« sagte der Kapitän, »und von Brutus. Der Erstere war ein großer Held im alten Rom, der ruhmreiche Thaten verrichtete, zum Lohn die höchste Würde im Staate bekleidete, aber damit nicht zufrieden war.«

»Was wollte er noch?«

»Er wollte König werden, der Ehrgeizige.«

»Weshalb sollte er dies nicht werden, wenn er ein großer Mann war, wie Du sagst?«

»Merke auf,« fuhr der Kapitän fort, »Cäsar war in der That würdig, König zu werden, aber es gab brave Leute in Rom, die selbst dem besten Mann die Freiheit des Vaterlandes nicht zum Opfer bringen wollten. Der angesehenste dieser Patrioten hieß Brutus. Cäsar betrachtete diesen Brutus wie seinen Sohn, als es aber hieß, Cäsar sei gesonnen, am ersten Tage des Märzmonats in den Senat zu gehen und sich dort durch seine Freunde zum Könige erheben zu lassen, da sagte Brutus: Dann ist es meine Pflicht, nicht zu schweigen, sondern für die Freiheit zu streiten und selbst mein Leben aufzuopfern. Cassius aber, sein Schwager, erwiderte: »Welcher Römer wird gleichgültig bleiben, wenn Du Dich für die Freiheit aufopferst?«

»Und was thaten diese Beiden?« forschte Mascha erregt.

»Sie verschworen sich mit anderen angesehenen Männern und an dem ersten Tage des Märzmonates gingen sie mit Dolchen bewaffnet in den Senat.«

»Und?«

»Und ermordeten Cäsar.«

»Apostol! Um Himmelswillen! Und Du – Du willst die Kaiserin ermorden?«

»Ja, Mascha, das will ich,« sprach der Kapitän mit feierlicher Ruhe.

Das Mädchen sah ihn noch einen Augenblick entsetzt an, dann begann es plötzlich zu lachen. »Ich merke jetzt, Du scherzest, willst mich ängstigen, es kann ja nicht Dein Ernst sein.«

»Meinst Du,« erwiderte der Kapitän düster, »ich sage Dir aber, daß ich nicht ruhig sein kann, Mascha, daß mir das Glück an Deiner Seite als eine Sünde erschiene, so lange dieses lastervolle Weib lebt. Ich höre eine Stimme, die zu mir spricht: Brutus, Du schläfst! Ich will wach werden und mit mir dieses arme Land erwecken.«

»Apostol, giebt es denn kein anderes Mittel, keinen anderen Weg?« fragte angstvoll das Mädchen.

»Jeder andere Weg führt nach Sibirien.«

»Und dieser auf das Schaffot.«

»So sei es, ich will ein großes Beispiel geben,« sagte Tschoglokow, »und scheitere ich, so soll der Koran Recht behalten, der da sagt:

»Es giebt keine Erlösung für ein Volk, das von einem Weibe regiert wird.«

»Mein Geliebter –«

»Genug davon.«

Mascha schwieg und beherrschte ihre Aufregung so gut, daß niemand im Hause von dem, was sich vorbereitete, eine Ahnung hatte, als sie aber in ihrer Stube allein war, warf sie sich vor den Heiligenbildern nieder und weinte und betete die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen.


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