Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

Ein Jahr und darüber war seit dem Morgen auf dem Exerzierplatze des Regiments Tobolsk verflossen, und Iwan Nahimoff war Dank der von Rousseau'schen Prinzipien geleiteten Fürsorge seines schönen Mütterchen Oberst, seinen Lehrern und noch mehr der erstaunlichen russischen Bildsamkeit, aus einem unwissenden Bauern, einem halbwilden Leibeigenen ein Mann von Bildung und feinen Sitten geworden, freilich nicht in dem Sinne unserer Zeit, aber er wußte von der Welt, ihren Geschicken und Einrichtungen, von Geschichte, Geographie, Naturgeschichte und Litteratur beiläufig so viel, wie die Hofleute Katharina's, er bewegte sich mit dem Anstand und der Grazie eines Kavaliers Ludwig XV., und was die Hauptsache war, er sprach französisch besser als die meisten Russen jener Zeit, und las französisch, was die wenigsten seiner »gebildeten« Landsleute imstande waren.

Und vor allem war er ein strammer Soldat, nicht allein, daß er nie mehr vergaß, die Patrone abzubeißen, er hatte es in den Ladetempo's zu einer Schnelligkeit gebracht, wie sie nur den besten alten Grenadieren Friedrichs des Großen eigen war, und galt als der beste »Driller« junger Soldaten. Längst zierte die Auszeichnung des Sergeanten seinen Uniformrock, aber er strebte weiter. Es war eine Zeit, wo gemeine Soldaten durch ihre Tapferkeit vor dem Feinde, ihre Talente oder die Gunst schöner Frauen zu den höchsten militärischen Würden stiegen, die Zeit der Orloff und Potemkin. Auch Iwan Nahimoff träumte von goldenen Epauletten und dem breiten Bande des Georgskreuzes. Jede Minute, welche ihm der Dienst der Kaiserin frei ließ, verwendete er unermüdlich dazu, sich in militärischen Dingen zu unterrichten; mit einem preußischen Deserteur, einem deutschen Pastorsohne, studierte er die Taktik der Griechen und Römer und die Feldzüge der Preußen. Man begann sich in militärischen Kreisen und sogar am Hofe für ihn zu interessieren.

Böse Zungen nannten ihn den Potemkin der Frau von Mellin.

Indes ebenso gewiß Amor es war, der ihn mit dem Korporalstock in den verschiedenen Wissenschaften drillte, ebenso unschuldig waren bisher die Beziehungen des schönen Grenadiers zu seinem Oberst im Reifrock gewesen. Frau von Mellin selbst war sich über den Charakter ihres Interesses für ihm am wenigsten klar.

Eines Abends – Iwan Nahimoff hatte eben mit seiner Kompagnie die Wache im Palaste bezogen – saß er in einem der duftigen Hollunderbüsche des Parkes von Zarskoje Selo gleich einem scheuen Vogel verborgen und las, als unerwartet ein Frauengewand ganz in seiner Nähe rauschte. Iwan hielt den Atem an, aber vergebens.

»Wer ist hier?« fragte eine schöne energische Stimme.

Iwan trat hervor und nahm Stellung. Vor ihm stand eine majestätische Frau, deren gebietender Blick freundlich auf ihm haften blieb. »Ein Soldat?« sagte sie lächelnd, »und ein Soldat, der liest? –«

Sie nahm das Buch aus seiner Hand. »Französisch sogar – der Anti-Marchiavell – nun, mein Bruder Friedrich kann zufrieden sein, er ist bei Lebzeiten in das Volk gedrungen. Wie nennst Du Dich?«

»Iwan Nahimoff.«

Die Dame zog ein Notizbuch hervor und schrieb den Namen hinein; dann gab sie dem Soldaten das Buch zurück, lächelte und ging weiter die Allee hinab.

Am andern Morgen, kurz vor der Ablösung, rief die Wache in das Gewehr. Iwan stand am Flügel, die Mannschaft präsentierte, die Fahne wurde zur Erde gesenkt, die Trommeln wirbelten, von vier Rappen gezogen flog eine schöne Frau im Hermelin vorbei. Iwan hatte sie sofort erkannt, es war die Dame von gestern.

»Wer war die Frau in dem Wagen?« fragte er leise seinen Nebenmann.

»Du kennst sie nicht?« erwiderte dieser, »wer kann es sein, als unser Mütterchen, die Zarin!«

Iwan wurde purpurrot.

»Warum bist Du wieder so rot im Gesicht?« rief Pauloff, indem er seinen Degen einsteckte, »das ist gegen das Reglement, es ist nicht erlaubt, daß ein Soldat im Gliede röter ist als die andern. Ich lasse Dich dafür auf vierundzwanzig Stunden krumm schließen.«


 << zurück weiter >>