Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Es war gegen Mittag, als Koltoff am nächsten Tage von seinem Freunde aufgepoltert wurde, welcher in rosigster Laune, den Schnurrbart unternehmend aufgedreht, mit den großen Sporen klirrend, bei ihm eintrat.

»Zu den Waffen!« schrie Lapinski. »Auf den Feind! Der Krieg beginnt, zu den Waffen!« und zu gleicher Zeit stellte er sich vor den Nachttisch und begann mit den Fäusten auf demselben Reveille zu trommeln.

Koltoff, der Selbstmörder, dehnte sich behaglich in seinem Bette und gähnte. »Was drängst Du so?« sprach er langsam gedehnt, »wir haben ja nichts zu versäumen.«

»Wir haben sehr viel zu versäumen,« rief der Kamerad; »Du vergißt, daß ich nur vier Wochen Zeit habe, um Dich zu verheiraten, mein Geliebter, und dann, wenn es nicht gelungen ist, bist Du toll genug, Deinem kostbaren Leben ein Ende zu machen. Also zu den Waffen, um so mehr als dies die Stunde ist, wo die Fürstin Lubina Mentschikoff nach den übereinstimmenden Berichten meiner Spione auf der Terrasse ihres Palastes die Morgenschokolade nimmt.«

»Du hast schon Spione?« murmelte Koltoff erstaunt, indem er sich anzukleiden begann.

»Spione, gute Spione sind für eine geschickte und erfolgreiche Kriegführung unentbehrlich,« antwortete Lapinski, »man muß über die Aufstellung und die Bewegungen des Feindes stets auf das genaueste unterrichtet sein, um darnach seine Dispositionen treffen zu können.« Der lustige junge Offizier blickte auf seine Uhr. »Es fehlt eine Viertelstunde zu Zwölf. Genau vor fünfzehn Minuten ist unsere Göttin erwacht, in weiteren fünfzehn Minuten wird sie ihre Morgentoilette beendet haben und Schlag zwölf Uhr auf die Terrasse hinaustreten. Also beeile Dich!«

In wenigen Minuten war Koltoff fertig, und die beiden Freunde durchschritten, ein französisches Kriegslied der Zopfzeit trällernd, die Straße, welche zu dem Paläste der Fürstin Mentschikoff führte, aber sie näherten sich dieser feindlichen Festung, wie Lapinski das in schönem Renaissancestile erbaute, von einem weitläufigen Parke, im Geschmack von Versailles, umgebene Gebäude nannte, von rückwärts, durch ein schmutziges Gäßchen, das längs der Gartenmauer lief.

»Kein Mensch in der Nähe,« sprach Lapinski, »laß uns somit vor allem rekognoszieren.«

Koltoff stellte sich auf seine Anordnung an die Mauer des Parkes, und sein Kamerad schwang sich auf seine Schulter und blickte hinein. »Auch im Garten ist alles still,« meldete er, »und weithin nichts zu entdecken. Wir können es also wagen, einzudringen.«

Ohne weiteres schwang sich Lapinski hierauf von der Schulter seines Freundes auf die Mauer, und von dieser mit Hülfe eines Astes auf einen nahestehenden Nußbaum, von welchem er sich rasch zur Erde herabgleiten ließ.

»Warte,« ertönte seine Stimme von innen, »ich will sehen, ob ich keine Bresche entdecke.«

Die Bresche fand sich nicht, aber dafür eine Gartenleiter, welche vor einer halbgestutzten Taxushecke ausgespreizt stand. Lapinski bemächtigte sich ihrer und schob sie über die Mauer, drüben wurde sie von Koltoff aufgefangen, der wenige Sekunden darnach auf der Mauer erschien und die Leiter an sich zog, um dann bequem auf ihren Sprossen in den Garten hinabzusteigen. Die beiden Freunde näherten sich nun, durch die langen parallel laufenden Hecken verdeckt, dem Palaste, von dem eine geräumige Terrasse mit breiten Stufen gegen den Garten ablief. Sie verbargen sich hinter einem großen Boskett roter Rosen etwa fünfzig Schritte von derselben entfernt.

Auf der Terrasse stand zwischen schlechten, geschmacklosen Statuen der Venus und des Liebesgottes ein kleines Tischchen, für eine Person gedeckt, und vor demselben ein samtener Armstuhl und ein Fußschemel von gleichem Stoffe.

Nicht lange, und ein Diener in gestickter Livree nach französischem Schnitte erschien und brachte auf einem silbernen Brette die Schokolade, während ein zweiter die Flügelthüren weit öffnete.

Eine Dame trat mit raschen Schritten in stolzer gebieterischer Haltung heraus. Nach der Beschreibung des Heiratslexikons seines Kameraden konnte Koltoff keinen Augenblick zweifeln, daß es die Fürstin Lubina Mentschikoff war, aber die lebendige Erscheinung wirkte ganz anders, als das tote Wort.

Koltoff war in der ersten Sekunde von der jugendlich majestätischen Gestalt, dem feinen, geistvollen Gesichte, den großen, blitzenden schwarzen Augen der schönen Amazone überrascht, in der zweiten geblendet, in der dritten bis zum Wahnsinn verliebt. Die Fürstin trug ihr dunkles, nur ganz leicht gepudertes üppiges Haar in einem großen, von einem hellroten Bande zusammengehaltenen Knoten, über dem duftigen weißen Spitzennegligee einen Schlafpelz von rotem Atlas mit reichem Hermelinbesatz, nach damaliger Mode in der Taille knapp anschließend und dann in reichen Falten sich einbauschend bis zu der Schleppe, welche weit zurückfloß. Ohne daß sie nur im geringsten ahnte, man beobachte sie, benahm sie sich doch bei ihrem Frühstück mit der ganzen koketten Anmut einer Rokokodame, so daß der junge Lieutenant von der Preobraschenskischen Garde nahe daran war, alle Subordination bei Seite zu setzen und den verführerischen Major vom Regimente Simbirsk glattweg zu Füßen zu stürzen.

»Nun, wie gefällt Dir Deine Braut?« fragte Lapinski im Flüstertone.

»Du hast mich hierher geführt,« erwiderte Koltoff, »nur um mich noch unglücklicher zu machen; wie soll ich nur eine Sekunde hoffen, dieses herrliche Weib, diese Gottheit mein zu nennen, wo soll ich den Mut hernehmen, mich ihr zu nähern oder gar um ihre Hand zu werben?«

»Sehr gut, ausgezeichnet,« sprach leise sein Freund, »Du bist verliebt, ja, Du brennst lichterloh, wie ich sehe. Alles nach Wunsch –«

»Wie?«

»Laß mich nur manövrieren.«

»Was hast Du vor?«

»Du mußt ihr eine Liebeserklärung machen,« fuhr Lapinski fort.

»Ja, aber wie soll ich das anfangen?« fragte Koltoff ziemlich ratlos. »Ich kann doch nicht hier –«

»Ich denke nicht im entferntesten daran,« entgegnete Lapinski.

Indes hatte sich, von dem Geräusche auf der Terrasse und dem Anblick der Fürstin angelockt, von dem Dache des Palastes herab, sowie aus allen Büschen und Ästen eine zahlreiche Gesellschaft von Sperlingen, Finken, Zeisigen, Stieglitzen um die schöne Frau versammelt, welche ihr Brot zerpflückte und den schreienden und durcheinander flatternden kleinen Bettlern die Krumen desselben zuwarf.

»Genug, Du wirst Dich doch nie sattsehen,« fuhr Lapinski fort, »so reizend auch die Idylle gerade jetzt ist. Komm also, ich habe einen Plan, Du wirst heute noch die Bekanntschaft der stolzen Schönen machen. Was sage ich, heute! Auf der Stelle!«

Die beiden Offiziere verließen hierauf ihr Versteck und den Park auf demselben Wege, auf welchem sie denselben betreten hatten.


 << zurück weiter >>