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Einige Tage später, an einem warmen Sommernachmittag, gingen die Fürstin und Koltoff in einer schmalen Allee des Mentschikoff'schen Parkes, durch die dichte grüne Taxuswand vor der Sonne geschützt, auf und ab. Sir sprachen lange nicht, sondern schienen damit beschäftigt, mit ihren Blicken den Faltern zu folgen, welche paarweise über die Spaliere herein- und hinausflogen und, hier und da sich auf der Erde niederlassend, ihre farbenprächtigen Flügel auseinanderspannten. Endlich schlug die schöne Lubina einen Seitenweg ein, und sie kamen zu einem reizenden Plätzchen, einer massiven Steinbank, von den Zweigen einer alten Eiche beschattet, der gegenüber ein Springbrunnen plätscherte, und hinter der riesigen Marmormuschel, in welche derselbe sein helles schäumendes Wasser warf, stand eine von einem Italiener der Antike fein nachgebildete Gruppe, Venus und Adonis. Koltoff heftete seine Augen mit einem so seltsamen Ausdrucke auf diese Gruppe, daß Lubina, ihn leicht mit dem Fächer treffend, fragte, ob er die marmorne Dame schöner finde als sie.

Koltoff gab keine Antwort. Nach einer kleinen Weile seufzte er aber und sprach: »Glauben Sie nicht, daß die Menschen damals weit glücklicher waren als jetzt?«

»Sie meinen, weil die schönen Göttinnen des Olymps damals zu den Sterblichen herabstiegen?«

»Nein, weil sie lieben konnten,« sprach Koltoff »es ist als hätten Korsett und Reifrock alle natürlichen Empfindungen erstickt.«

»Warum gerade Korsett und Reifrock?« fiel die Fürstin ein. »Glauben Sie, daß das Jabot und der Zopf dem Herzen freieren Spielraum lassen?«

Der Lieutenant zuckte die Achseln, ihm schien es doch, daß er ordentlich liebe und darin den verliebten Heroen des Altertums in nichts nachgebe, aber die Fürstin war anderer Ansicht.

»Sie glauben, mich zu lieben,« sprach sie, »aber was ist das, was Sie da empfinden? Ein wenig Einbildung, ein wenig Eigensinn und sehr viel – Eitelkeit. Heutzutage liebt man nicht mehr, sondern hat Liaisons, und nicht das Herz, nicht die Leidenschaft sind es, welche diese zarten Banden knüpfen, nur die Langeweile.«

»Und was hätte diesen Umschwung in der menschlichen Natur hervorgebracht?«

»Die Philosophie,« erwiderte die Rokokodame, »wir denken zu viel über unsere Gefühle nach, als daß dieselben tiefe Wurzeln fassen könnten, und wir haben Ideale, welche uns die Freude an der Wirklichkeit verderben, und wäre die letztere noch so schön, noch so lachend. Bleiben wir gleich bei mir selbst stehen. Sie haben mir, gleich im ersten Augenblicke, als ich nach jenem Unfall zur Besinnung kam und Sie vor mir knieen sah, sehr wohl gefallen –«

Koltoff errötete und blickte verschämt zu Boden. »Sie gefielen mir an jenem Abende, wo Sie mir nach der originellen Serenade Ihre Liebe gestanden,« fuhr Lubina fort, »beinahe noch besser, und jetzt –«

»Jetzt finden Sie mich bereits unausstehlich!« rief Koltoff.

»Nein,« erwiderte die Fürstin, mit ihrem Fächer und jedem einzelnen Worte tändelnd, »jetzt glaube ich sogar, daß ich Sie liebe.«

»Sie lieben mich!« schrie der junge Offizier auf, und so heftig zwar, daß ein kleines Rotkehlchen, das vom Rande des Bassins aus neugierig mit seinen Edelsteinaugen das Paar betrachtet hatte, erschreckt aufflog.

»Es scheint,« sagte die Fürstin, »oder was soll es bedeuten, daß mein Herz so heftig klopft, wenn Sie eintreten, und auch dann, wenn Sie bei mir sind, lange noch? Entscheiden Sie selbst.« Und die kokette Schöne nahm die Hund des jungen Offiziers und legte sie auf ihr Herz.

»In der That,« stammelte Koltoff.

»Nun denn, nehmen wir an, daß ich Sie liebe,« fuhr Lubina fort. »Wie lange werde ich Sie lieben? Ich bin so unglücklich, ein sehr hohes männliches Ideal in meiner Seele zu tragen. Begegnet mir nun ein Mann im Leben, der durch einen oder den anderen oder mehrere jener Vorzüge, welche ich von einem echten Manne unzertrennlich halte, meine Phantasie erregt, so meine ich ihn zu lieben, ja, ich liebe ihn vielleicht wirklich, ich bin begeistert von ihm, ich könnte alle die Thorheiten eines jungen Mädchens begehen, bis – bei fortgesetzter und schärferer Betrachtung – an meinem glänzenden Monde die Flecken hervortreten.«

»Wie?«

»Bis ich jene dunklen Stellen entdecke, welche jeder Mensch in seinem Wesen hat,« fuhr die schöne Frau fort, »denn ich sehe plötzlich, wie weit der Mann, den ich liebe, von dem Manne entfernt ist, den ich mir träume, und ich bin enttäuscht, meine Neigung ist entwurzelt, ich habe kaum Mitleid, wo ich vor kurzem noch Bewunderung hatte.«

»Das ist aber recht traurig,« sagte Koltoff, eigentlich wußte er aber weder, was er von der Fürstin denken, noch was er sagen sollte.

»Sie sehen also,« fuhr diese fort, »daß ich Unrecht begehe, Unrecht an mir und dem Manne, dem ich mich gebe, wenn ich eine neue Ehe eingehe.«

»Und wie ist das männliche Ideal beschaffen, das Ihnen vorschwebt?« fragte Koltoff nach einer kleinen Pause.

»Der Mann, den ich liebe, den ich gehören soll,« erwiderte Lubina, »muß alle Vorzüge des Körpers mit jenen des Geistes vereinigen, er muß zu gleicher Zeit ein vollkommener Kavalier, ein tapferer Soldat und ein Philosoph von nicht gewöhnlichem Geiste sein.«

»Sie verlangen viel,« stammelte der junge Lieutenant, ihm erschreckte vorzüglich die Philosophie.

»Gewiß finden sich alle diese Eigenschaften selten vereinigt,« sagte Lubina, »ja, vielleicht nie. Voltaire ist häßlich wie ein Affe, und Moritz von Sachsen hat die Logik eines Korporals; aber wenn dies wirklich so ist, bin ich, wenn mein Geist in höheren Regionen schwebt, verpflichtet, statt meiner göttlichen Träume mit der gemeinen Wirklichkeit vorlieb zu nehmen. Beklagen Sie mich.«

Die Fürstin versank in Nachdenken.

»Werde ich je mein Ideal finden?« sprach sie nach einiger Zeit, den Blick ihrer dunklen seelenvollen Augen schwermütig in die Weite verloren.

Koltoff schwieg, und er schwieg auch beharrlich, als die schöne Frau, scheinbar unabsichtlich, zuerst mit ihrer Fußspitze die seine berührte, dann mit ihrem vollen warmen Arm seine Hand streifte. »Eine seltsame Frau,« dachte er, »sollte sie wirklich unfähig sein zu lieben?«

Und die Fürstin? Die Fürstin sagte zu sich: »Ein seltener Lieutenant. Er scheint zu viel in Plato gelesen zu haben.«


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