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Neunzehntes Kapitel.
Mitten im Eis.

Am Morgen des 29. Januar 1861 teilte Kapitän Cliffe mir beim Frühstück mit, daß wir jetzt vermutlich – (eine genaue Observation war wegen des ungünstigen Wetters seit zwei Tagen nicht möglich gewesen) – 50° 30' Süd und 45° West erreicht hätten. Ich warf einen vergleichenden Blick in mein Notizbuch und rief in jäher Ueberraschung aus:

»Großer Gott, Cliffe, wissen Sie auch, daß wir kaum zwei Meilen von der Stelle entfernt sind, wo das Wrack der Lady Emma von der Mannschaft im Stich gelassen wurde?«

»Ja,« sagte der kleine Mann nach einer Pause und schob nachdenklich Messer und Gabel beiseite, »das kann stimmen; wenn ich auch Kurs und Distanz für die beiden letzten Tage nur nach dem Log berechnen konnte, so bin ich doch sicher, daß meine Berechnung innerhalb zehn Seemeilen stimmt.«

Es war bitter kalt, und dabei herrschte ein so dichter Nebel, daß man vom Steuerrad aus nicht einmal bis zum Großmast sehen konnte. Die Brigg lag beigedreht unter kleinen Segeln. Eine schwere Kap-Horn-Dünung spielte mit dem kleinen Fahrzeug, schleuderte es bald hoch empor auf den Gipfel des nächsten Wellenberges und ließ es dann wieder in scheinbar bodenlose Abgründe hinabstürzen.

Die Bewegungen des Schiffskörpers glichen krampfhaften Zuckungen und erschwerten jede Beschäftigung. Man konnte nicht einmal ungestört essen, denn Speisen und Tischgerät kollerten durcheinander, und der Schiffsjunge, zu dessen Obliegenheiten auch das Tischdecken gehörte, war bei dem heftigen Rollen und Schlingern des Schiffes von der Kajütentreppe gefallen und bediente uns jetzt mit verbundenem Kopfe.

Am Tage vorher hatten wir trotz Nebelschleier und Schneetreiben mehrere Eisberge gesichtet und die ganze Nacht hindurch scharf Ausguck gehalten. Seit Tagesanbruch jedoch schien das Schiff wie von einer dichten Watteschicht umgeben, die jeden Ausblick hinderte und jeden Schall dämpfte. Nur dicht am Bug hörte ich, als ich nach dem Frühstück an Deck ging, ein eigentümliches Schnauben und Blasen.

»Das ist ein Walfisch,« sagte der Kapitän. Mit einem Satze sprang Bootsmann Bodkin in das Fockwant und sich weit ablehnend, starrte der alte Walfischfänger scharf horchend und mit gespannter Aufmerksamkeit nach der Richtung des Schalls. Sehen konnte aber auch er nichts als graue Nebelschwaden.

Aber wir wußten, daß wir mitten im Eis trieben. An Gefahr dachte ich nicht. Tief bewegt blickte ich in den wallenden Dunst. Hier war die Lady Emma getrieben. Hier war meine arme Eveline mit Kapitän Burke und seiner Frau auf dem mastenlosen Wrack hilflos zurückgelassen worden, mitten unter den drohenden Kolossen von Eisbergen ... Von hier aus war das Wrack nach der Krönungsinsel verschlagen worden. – – Ich zitterte, wenn ich daran dachte, daß die nächsten Tage die Entscheidung bringen mußten.

In tiefes Sinnen verloren, stieg ich mechanisch die Kajütentreppe hinab und betrat die behaglich durchwärmte und erleuchtete Kabine. Aber auch hier wollte meine innere Unruhe nicht weichen, und als der Steuermann zum Mittagessen herunterkam, galt meine erste Frage dem Wetter.

»Dick wie Dreck, Herr,« antwortete er mit einem seiner Kraftausdrücke.

»Gar kein Wind, Bland?«

»Nein – aber in diesen Breiten ist dem Wetter keine fünf Minuten zu trauen.«

»Glauben Sie, daß Eis in der Nähe ist?«

»Der Bootsmann schnüffelt beständig mit der Nase in der Luft herum und behauptet, Brandung zu hören. Wir übrigen merken nichts davon, aber diese Walfischfänger hören ja 's Gras wachsen!«

Damit begann er mit vollen Backen zu kauen. Ich zog meinen dicken Ueberrock an und ging wieder an Deck. Noch immer lastete der Nebel unbeweglich auf der schweigenden Wasserfläche und ich wurde fast rasend bei dem Gedanken, daß wir bei klarem Wetter jetzt schon den steilen Felsgipfel sichten könnten, auf dessen Abhang das Wrack lag. Gelblicher Dunst aber, der an Undurchdringlichkeit dem dicksten Londoner Nebel nicht nachstand, hüllte selbst die allernächste Umgebung in seine mißfarbenen Schleier. Nichts war zu hören als das eintönige Tröpfeln der sofort zu Eiskristallen gerinnenden Dunsttropfen, die unser Schiff allmählich mit einem glitzernden Panzer überzogen. Ab und zu klang von oben her das müde Klatschen des Toppsegels in das monotone Geriesel oder aus der Tiefe das leise Gurgeln des Wassers.

Ich stand neben dem Kapitän und lauschte angestrengt in das gespenstige Wogen und Wallen hinaus, als ich plötzlich ein eigentümliches Geräusch hörte. Es klang nah und doch fern, als habe sich ein unsichtbares Hindernis zwischen uns und die Schallquelle geschoben.

Cliffe hörte nichts, obwohl er mit unzähligen Grimassen den Hals nach der angegebenen Richtung reckte; auch der Steuermann, der eben wieder nach oben kam, strengte Ohren und Augen vergeblich an. Nach einer Pause aber sagte er, auf unser kleines Geschütz deutend:

»Es gibt noch ein anderes Mittel, um die Nähe von Eisbergen festzustellen. Wenn wir die Kanone hier abfeuern und ein Eisberg ist in der Nähe, so müssen wir ein Echo hören.«

»Versuchen wir es!« rief ich.

Der Steuermann ging nach unten und holte Munition. Dann luden der Kapitän, der vor geschäftiger Erregung die wunderlichsten Gesichter schnitt, und er das Geschütz.

»Alles fertig?« fragte ich.

Der Steuermann bejahte und schrie den Matrosen auf dem Vorderdeck zu, sie sollten genau aufpassen, ob auf den Schuß ein Echo folgen würde.

Dann kommandierte ich Feuer.

Eine Flammengarbe färbte den wallenden Nebel blutrot und krachend dröhnte der Schuß über die See.

Trotz des starken Knalles war mein Gehör doch nicht so betäubt, um nicht von Steuerbord her einen schwachen Widerhall zu vernehmen, der wie das Anschlagen eines schlaffen Toppsegels an den Mastbaum klang.

»Hört ihr uns?« fragte eine Stimme aus dem Nebel.

»Wir werden angerufen,« schrie ich, atemlos vor Spannung.

»Schiff ahoi!« klang es jetzt wieder in heiseren, dünnen, aber deutlich vernehmbaren Lauten zu uns herüber.

»Antworten Sie, Bland!« rief der Kapitän dem Steuermann zu. »Sie haben bessere Lungen als ich.«

»Halloh!« brüllte Bland in langgezogenen Tönen.

»Welches Schiff?« fragte die heisere Stimme aus dem Nebel.

»Brigg Albatroß – von Buenos Aires. Wer dort?«

»Die Helen Mac Gregor von Hull, zwanzig Monate unterwegs. Was ist denn los, daß ihr Kanonenschüsse abfeuert?«

»Alles in Ordnung hier,« schrie der Steuermann. »Ist Eis in der Nähe?«

»Das wollten wir auch fragen,« echote die heisere Stimme. »Seit Tagesanbruch liegen wir im Nebel.«

Es war ein eigentümliches Gefühl, der aus dem Nebel klingenden Menschenstimme zu lauschen, ohne den Sprecher oder sein Schiff sehen zu können. Lange konnte die seltsame Unterhaltung nicht fortgesetzt werden. Schon die nächste Frage war nicht mehr zu verstehen. Dann hörten wir überhaupt nichts mehr.

Bald trieb die scharfe Kälte mich in die Kajüte zurück. Etwa nach einer halben Stunde spürte ich, wie die Brigg sich auf die Seite legte, ohne sich wieder emporzurichten, und schloß daraus, daß ein frischer, segelfüllender Wind aufgesprungen sein müsse. Das geschäftige Hin und Her über meinem Kopfe und das stärkere Rauschen des am Bug aufschäumenden Wassers bestätigten meine Vermutung. Als ich an Deck kam, fand ich den Albatroß dicht bei dem Winde unter den schon am Morgen gesetzten Segeln, einem gerefften Großmarssegel und der Fock; in einiger Entfernung von uns bemerkte ich einen großen, schwarz angestrichenen Dreimaster, der seine Toppsegel backgebraßt hatte, als ob er auf uns warten wolle.

Das Meer bot in diesem Augenblicke ein großartiges Bild. Eine steife Brise peitschte die Wogen zu Schaum, zerriß die wallenden Nebel und trieb sie in dichten Schwaden vor sich her, so daß sie gewaltigen schwimmenden Felsen glichen, die von zahllosen Schluchten und Hohlwegen durchquert waren. Gleich einem dunklen Riesenvogel, der mit leuchtenden Schwingen langsam über die Fluten strich, schwebte das große schwarze Schiff durch die gelben Dunstmassen, aus denen jetzt vor meinem überraschten Blick die wild zerklüfteten Umrisse eines gigantischen Eisberges auftauchten.

Wir hatten im Lauf der vergangenen Woche schon manchen jener kristallenen Riesen gesichtet, keiner aber hatte durch seinen bloßen Anblick eine so tiefe Bewegung in mir auszulösen vermocht, wie dieser. Weilten wir doch jetzt gerade an der Stelle, wo das Wrack der Lady Emma von der Mannschaft verlassen worden war; vielleicht hatten Evelinens Augen auf jenen Eiszacken geruht, die jetzt immer schroffer und deutlicher aus dem fliehenden Nebel zu mir herüberleuchteten. Ihr magisches Flimmern erschien mir wie eine Botschaft der Geliebten ...

Ein zweiter Eisberg tauchte am Horizonte auf und näherte sich langsam. Ein starkes Leuchten ging von ihm aus, das die vorbeisegelnden Nebelmassen silbern erglänzen ließ, als ob der Mond sie bestrahle. Am Fuße dieses Wunderwerkes der Natur aber wölbte sich, einem gotischen Spitzbogen gleich, ein weites Tor, durch das sich zischend und schäumend die Brandung wälzte.

Nun hatte sich unsere kleine Brigg bis auf Rufweite dem großen Schiffe genähert. Es war ein Walfischfänger wie die Seekönigin, nur ein paar hundert Tonnen größer und von oben bis unten schwarz angestrichen. In wirksamem Gegensatz zu diesem düsteren Gewande stand das glitzernde Geschmeide, mit dem der Frost Raaen und Wanten des Schiffes geschmückt hatte. Ein Teil der Mannschaft beobachtete uns, über die Reeling gelehnt, und neben dem Besanmast stand ein von Kopf bis Fuß in dicke Pelze gehüllter Mann, wahrscheinlich der Kapitän.

Cliffe verfügte trotz seiner Zwerggestalt über ein durchdringend lautes Organ – wie ein Trompetenstoß gellte seine Frage über das Wasser hin:

»Wie weit südlich seid ihr gekommen?«

»Bis zum 61. Grad; sichteten zuletzt Elefanteninsel!« rief der Mann im Pelz zurück.

»Auch die Süd-Orkneys?«

»Jawohl! Gerade noch die Nordwestspitze der Krönungsinsel. Das Wetter war stürmisch und neblig,« lautete die Antwort.

Die beiden Fahrzeuge waren jetzt nur durch einen Zwischenraum von Straßenbreite getrennt, und deutlich drang der Name Krönungsinsel, bei dem mir fast der Herzschlag stockte, an mein Ohr. Vergebens versuchte ich, selbst zu rufen. Meine Zunge war wie gelähmt.

»Wie steht es dort mit dem Eis?« erkundigte sich Kapitän Cliffe.

»Im Süden und Westen wimmelt es von Eisbergen.«

»Auch in der Nähe der Süd-Orkneys?«

»Mehr als Ihnen lieb sein wird, wenn Sie dorthin wollen, Kapitän.«

»Kennen Sie die Inseln?«

»Jawohl,« war die von einer ironisch wegwerfenden Handbewegung begleitete Antwort.

»Ist es möglich, dort zu landen?«

Der Kapitän des Walfischfängers wandte sich mit fragendem Blick an den neben ihm stehenden Steuermann.

»An der Südküste liegen einige Landungsplätze, die vor den Westwinden Schutz bieten,« rief er dann herüber. »Sie müssen aber sehr vorsichtig sein! Mit dem Eis dort ist nicht zu spaßen!«

»Das Wrack liegt doch an der Nordseite der Insel,« vermochte ich jetzt endlich hervorzubringen.

»Gibt es keinen Landungsplatz an der Nordseite?« schrie Cliffe hinüber.

Die Antwort des Walfischfängers wurde durch einen Windstoß übertönt, der schrill wie ein Lokomotivenpfiff durch unsere Takelage sauste. Im nächsten Augenblick rief der Kapitän des Nachbarfahrzeuges seinen Leuten Kommandoworte zu, winkte grüßend mit der Hand zu uns hinüber, und nach ein paar rasch ausgeführten Segelmanövern setzte das schwarze Schiff sich in Bewegung. Langsam entschwand es unseren Blicken in einer Nebelwolke.

Jetzt konnten wir deutlich erkennen, daß wir überall von Eis umgeben waren. Dicht und massig drängte es sich in jeden Spalt, den der Wind in den Dunstschleier riß. An dem großen Berg, den wir vorhin an Steuerbord gesichtet hatten, glitten wir langsam vorbei. Fahl schimmerte er in der gelblichen Beleuchtung des antarktischen Sommernachmittags zu uns herüber und glich eher einer nebelumwogten, von schäumendem Gischt umbrandeten Klippe, als einem Eisberg.

Ich stand neben dem Kapitän und beobachtete gespannt das Auftauchen und Verschwinden unserer schwimmenden Feinde. Wir kamen nur langsam vorwärts; das laufende Tauwerk war sorgfältig instand gesetzt und aufgeschossen worden, damit es sofort griffbereit daläge, falls irgend ein Warnungsruf der Wache auf dem Vorderkastell ein schleuniges Umlegen des Steuerrades nötig machen sollte.

Zahlreiche Vögel strichen über die Flut, und als ich mich umwandte, um einen neu auftauchenden Eisberg näher ins Auge zu fassen, sah ich zu meinem größten Erstaunen die Meeresoberfläche etwa einen halben Morgen weit mit Salzkraut, einer antarktischen Riesenalge, bedeckt. Alle Anzeichen deuteten auf die Nähe von Land.

»Ich glaube, wir nähern uns dem Ziel,« sagte ich zu Kapitän Cliffe.

»Jawohl. Hätten wir nur klares Wetter, so müßten die Inseln schon morgen mittag in Sicht kommen, denn wir sind jetzt höchstens noch fünfzig Meilen von den Süd-Orkneys entfernt.«

»Der Walfischfänger, den wir eben gesprochen haben,« fuhr ich fort, »befestigt in mir die Ueberzeugung, daß schon manch ein Schiff weit genug nach Süden vorgedrungen sein mag, um das Wrack sichten zu können.«

»Das ist möglich, aber keineswegs gewiß,« entgegnete Cliffe. »Jedenfalls werden Sie bald Gewißheit haben!«

»Sie haben recht,« antwortete ich mit gepreßter Stimme, »nun muß ich nicht mehr lange warten. Ob wir sie nun finden oder nicht – aus dem Bewußtsein, kein Mittel unversucht gelassen zu haben, werde ich Kraft schöpfen, mein Schicksal zu tragen. – Werden Sie zur Nacht beidrehen?«

»Ich bin eigentlich mehr dafür, den Albatroß noch ein Ende laufen zu lassen,« erwiderte Cliffe, »aber wir wollen nichts riskieren.«

»Nein,« stimmte ich zu, »wir müssen sicher gehen.«

Ruhelos irrte ich an Deck umher, bis die Kälte mich in die Kajüte trieb; doch auch hier hielt ich es nicht lange aus und eilte bald wieder hinauf.

Der Ozean bot noch immer dasselbe Bild. Schwerfällig hob und senkte die Brigg sich auf der gleichmäßig rollenden Dünung, die nur ab und zu in der Nähe der Eisberge von den Ausläufern der Brandung gekreuzt wurde. Ringsum helles Glitzern und Flimmern. Von den Raaen und Tauen des Albatroß funkelten lange, schimmernde Eiszapfen herab –, aber all das Leuchten war tausendfach vergrößert bei den schwimmenden Riesen da drüben, die bald steil wie eine Felswand, bald wild gezackt wie ein zerklüftetes Gebirge, bald flach und eben wie eine Tischplatte, in wilder flammender Schönheit dalagen.

Die Nacht brach an. Es war sternenklar, aber bitterkalt. Im fahlen Sternenglanz hatten die Eisberge etwas Gespensterhaftes.

Unaufhörlich klang das Geräusch splitternder, abbröckelnder Eismassen wie knatterndes Gewehrfeuer durch die nächtliche Stille. Einen unauslöschlichen Eindruck machte es auf mich, als ich einen der kristallenen Giganten plötzlich in sich zusammenbrechen und in den Fluten verschwinden sah. In dieser Nacht kam die Mannschaft des Albatroß wenig zur Ruhe, denn der Kapitän hatte wegen der drohenden Eisgefahr alle Mann an Deck beordert. An jeder Seite der Back hielt ein Mann Ausguck und ein dritter saß hoch oben auf der Fockraa. Steuermann und Bootsmann lösten einander alle zwei Stunden ab und hielten auf dem Vorderkastell scharfen Ausguck; auch dem Mann am Steuerrade wurde ein Gehilfe beigegeben. Das Feuer in der Kombüse ging die ganze Nacht nicht aus, und von Zeit zu Zeit wurde den Leuten heißer Kaffee verabfolgt.

Die größte Gefahr drohte uns von den kleinen Eisbergen, die man in der Dunkelheit erst dann sichten konnte, wenn sie sich schon in bedenklicher Nähe befanden, und die trotz ihrer geringen Größe unserem Schiff ein gefährliches Leck hätten beibringen können.

Anfänglich fühlte ich mich durch die fortwährenden Alarmrufe: »Eis voraus!« »Eis in Backbord!« »Steuerbord das Ruder!« beunruhigt, allmählich aber gewöhnte ich mich daran. Einmal hörte ich einen vielstimmigen Entsetzensschrei, wie ihn nur Schreck und Todesangst menschlichen Kehlen zu entringen vermag. Ein flacher, scharfkantiger Eisberg war am Bug des Schiffes aufgetaucht und drohte uns zu zermalmen. Eine blitzschnelle Drehung des Steuerrades jedoch brachte den Albatroß aus dem Bereich dieses gefährlichen Nachbars.

Die Nacht war kurz; nach wenigen Stunden schon dämmerte der Morgen. Dunkelblau breitete sich die Polarsee vor unseren Blicken aus, mit ihren eisigen Marmortempeln, Alabasterstädten und Kristallpalästen, in deren Kuppeln und Zinnen die ersten Strahlen der Morgensonne sich tausendfach brachen.

Noch war zwischen den Eisbergen Raum genug zur Durchfahrt. Der Erste Steuermann, der oben auf der Vor-Oberbramraa Ausguck gehalten hatte, berichtete, zusammenhängende Eismassen seien nicht zu sehen. Wohl aber habe er am Horizonte einen matten blauen Schatten bemerkt, den er für Land halte.

Das mußte eine Bergspitze der Krönungsinsel sein!

Sofort ließ der Kapitän alle Segel setzen. Das Vormarssegel wurde losgemacht, alle Reffe ausgesteckt, und bald führte uns eine frische Nordwestbrise in rascher Fahrt nach Süden.


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