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Fünftes Kapitel.
Im Orkan.

Wir näherten uns dem Kap Horn. Eines Tages, als ich auf Deck war, wurde das Wetter auf einmal trübe, und Kapitän Burke ließ sofort die drei Royals aufgeien und beschlagen, und andere Segel ganz einziehen.

Da erscholl plötzlich ein lauter Schrei gerade über mir, und als ich nach oben schaute, erblickte ich im Kreuzmars einen Matrosen, der sich mit einer Hand an einer Wante festhielt, während er mit der andern leewärts zeigte und verstört schrie:

»Dort kommt eine ganze Wasserwand auf uns zu!«

Erschrocken blickte ich hin. Ein Wasserwall eilte mit fürchterlicher Geschwindigkeit in unserer Richtung daher. Sein oberer Rand hob sich hoch über die Meeresfläche, und seine gewaltige, von den Sonnenstrahlen getroffene Masse schien in Flammen zu stehen.

Mary, die auch an Deck gekommen war und bei dem schrecklichen Anblick beinahe den Verstand verlor, kreischte gellend:

»Hilfe, Edward, Hilfe! Es ertränkt uns!«

Doch hatte sie kaum den Mund geöffnet, als ihr Mann, der nur einen blitzschnellen Seitenblick leewärts warf, auch schon aus vollem Halse brüllte:

»Hart auf das Ruder! Hart auf! Hol die Achter Luvbrassen! Dwars die Raaen vorne und achtern! Rasch, Jungens! Um Himmelswillen, rasch!«

Die Mannschaft flog an die Brassen. Ihr geschultes Ohr hörte aus Kapitän Burkes Stimme den Klang heraus, der ihr sagte, daß es auf Tod und Leben ging.

Das Schiff gehorchte seinem Ruder wie die beste Rennjacht und machte mit dem Winde eine halbkreisförmige Seitenschwenkung, daß das Wasser schäumend brodelte und die Klüsen bis in die unter ihnen sich brechenden Wogen eintauchten. Langsam richtete sich die Lady Emma wieder auf, als sie den Wind von achtern hatte, bis sie, ohne zu rollen oder zu stampfen, der herannahenden, langen, felswandähnlichen Wassermasse schnurgerade entgegenschwebte.

»Hallet euch fest, alle Mann!« brüllte Kapitän Burke, der mit dem Manne am Ruder die Speichen krampfhaft gepackt hielt.

Mr. Owen war hinter dem Besanmaste niedergekniet, während der Steuermann, Mr. Green, an den Besanswanten stand und sich krampfhaft festhielt. Es war, als ob über uns aus einer Wolkenbatterie unter unaufhörlichem Krachen ein elektrischer Sturm losbräche. Dabei schien das Schiff plötzlich so hoch emporgeworfen zu werden, daß sogar der Kiel frei in der Luft schwebte.

Gerade in dem Moment, als das Bugspriet der Lady Emma den schrägen Abhang der gewaltigen Wasserwand berührte, warf ich einen Blick hinter mich und sah, wie die Kante ihres Heckbords so leicht wie der Rand eines schwimmenden Löffels heruntergedrückt wurde, und in dem weißen Gischt, der sich gurgelnd und rauschend über das Deck ergoß, neben dem Manne am Ruder, leichenblaß zwar, aber fest aufrecht, ein Bild ungebrochener Kraft, unsern Kapitän Burke.

Mit einem einzigen Knall wurden sämtliche Segel gegen den Mast gepreßt, und einen Augenblick später waren wir hoch oben auf dem Kamm der ungeheuren rollenden Wassersäule. In dieser Sekunde, da uns vor Entsetzen der Atem stockte, war die Lady Emma der vollen, ungebrochenen Wucht des Sturmes ausgesetzt.

Wie ein Pfeil schoß sie in den Abgrund hinab. Mir schwindelte und ich fühlte, daß mein Herz zu schlagen aufhörte. Denn so abschüssig war die Rückwand dieses Wasserberges, daß ich glaubte, unser Schiff werde zu tief hinabschießen, um je wieder emportauchen zu können.

Doch das Wasser hinter der gewaltigen Welle war so glatt, daß der Bug der Lady Emma wie eine Boje emporschnellte ...

»Trimmt die Segel, Wache!« kommandierte Kapitän Burke, worauf er vom Ruder forttrat und auf uns zukam. »Bringen Sie das Schiff wieder auf den alten Kurs, Mr. Green. Das hing an einem Faden! Wäre es von luvwärts gekommen – – – – oder hätt's uns dwars ab von leewärts gepackt – – – – oder ein bis zwei Strich tiefer beladen angetroffen, dann – – – –«

Er brauchte den Satz nicht zu beenden, wir konnten uns den Rest allein ergänzen.

»Was war das denn eigentlich?« fragte ihn seine Frau stammelnd.

»Eine Sturmflut!« antwortete er, noch immer weiß wie Kalk.

Er blickte leewärts.

Es war eines jener vulkanischen Späßchen, die von Zeit zu Zeit die Inseln Ascension und St. Helena zu vernichten suchen.

Nach diesem gefährlichen Zwischenfall verliefen die nächsten Tage ereignislos. Mir war vor der Kälte, die in dieser stürmischen, unwirtlichen Weltgegend des Kap Horn herrschen sollte, recht bange, doch erwies sich meine Furcht als übertrieben, denn ich fand das Klima durchaus nicht so unerträglich, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Meine Garderobe war mit Pelzsachen und anderen warmen Kleidungsstücken reichlich versehen, und meine in der herben Seeluft schon erstarkte Gesundheit verlieh mir Widerstandsfähigkeit gegen die Unbilden der Witterung. Da in der Kajüte außerdem das Feuer den ganzen Tag nicht ausging, so ließ der Frost sich ganz gut ertragen, obwohl wir mitten im Juni waren, dem kältesten Wintermonat der südlichen Halbkugel, und die Sonne nur vier bis fünf Stunden lang als kleiner, glutroter Feuerball am Himmel stand.

Eintönig verflossen die Tage zwischen Essen und Trinken, Lesen und Plaudern und allerlei Beschäftigungsspielen in der Kajüte. Mehrmals sichteten wir ein Schiff, doch fand sich während der ganzen Zeit keine Gelegenheit, einen zweiten Brief nach Hause zu senden.

Ich weiß nicht mehr genau, welchen Breitengrad wir an dem Tage, dessen Verlauf ich jetzt schildern will, erreicht hatten, doch erinnere ich mich, daß wir aus Gründen, die sich meiner Kenntnis entzogen, von unserem Kurs weiter nach Süden abgewichen waren, als der Kapitän eigentlich beabsichtigt hatte. Ein trüber, kalter Morgen brach an. Es schneite mit geringen Unterbrechungen. Die See ging hoch, und von Süden her wehte eine schwache, aber eisige Brise.

Als wir beim Mittagessen saßen, wurde auf den oberen Stufen der Kajütentreppe die ganz in rauhes, dickes Seemannstuch gekleidete Gestalt des ersten Steuermannes sichtbar, von dessen Gesicht nur die rote Nasenspitze zwischen den gewaltigen Ohrenwärmern seiner Pelzmütze hervorguckte.

»Leewärts ist ein großer Eisberg in Sicht!« rief er uns zu. »Vielleicht will das Fräulein ihn sich mal ansehn.«

Eiligst zog ich mich warm an und ging mit dem Kapitän an Deck.

Etwa zwei Meilen entfernt tauchte aus dem fahlen Grau der Schneewolken in alabasterheller Schönheit eine gewaltige Eismasse empor, die in ihrer Form einer gigantischen Kathedrale glich. Schäumend brachen sich an ihrem Fuß die schwerflüssigen, bleifarbenen Ozeanwellen; schneeweiße Sturmvögel umflatterten die leuchtenden Zinnen dieses großartigen Bauwerkes der Natur und erhöhten durch ihre Anmut noch den zauberhaften Reiz des Bildes.

»Woran erinnert dieser Eisberg doch nur?« fragte Mr. Owen, der mit Mrs. Burke neben mir stand.

»An einen Dom,« gab ich zur Antwort.

»Wahrhaftig, Sie haben recht!« rief er aus.

»Angenehmer Gedanke, in einer dunklen Sturmnacht mit dem Ding da zusammenzuprallen,« brummte Kapitän Burke mit einem besorgten Rundblick auf den schwer umwölkten Horizont.

»Wie lange könnte man wohl auf so einem Eisberg leben?« fragte ich.

»Wenn man ein paar Schiffstrümmer zum Bau einer Schutzhütte und genügend Nahrungsmittel und Feuerung hat,« antwortete der Kapitän, »so kann man sein Leben schon eine Zeitlang fristen, bis man von einem vorüberfahrenden Schiff aufgenommen wird. Ich habe selbst Walfischfänger gekannt, die, auf einer Eisscholle treibend, die sie höchstens noch vier oder fünf Tage getragen hätte, von einem passierenden Schiff gerettet wurden.«

Mit ungläubigem Lächeln blickte Mr. Owen den Kapitän an; dieser aber hatte sich bereits von uns abgewandt und ließ von neuem seine Blicke unruhig in die Runde schweifen.

»Großbramsegel einholen! Alle drei Topsegel reffen!« schallte dann plötzlich sein Kommando laut und scharf über das Deck hin.

Im Nu wimmelte es um uns von geschäftig hin- und hereilenden Matrosen; ein schräger Sonnenstrahl huschte in diesem Augenblick über die Lady Emma und spiegelte sich in den tausend glitzernden Eiszapfen, die von jeder vorspringenden Ecke niederhingen. Noch einmal leuchtete die gewaltige Eiskathedrale in magischem Schein herüber – dann entzogen dichte, dunkle Schneewolken sie unseren Blicken.

Alle Mann waren an Deck, denn der Kapitän hatte unmittelbar nach jenem ersten Kommando angeordnet, daß auch das Kreuz-Topsegel eingeholt werden sollte.

Es war unterdessen immer dunkler geworden; der Horizont verschwamm in nebligem Dunst und es begann wieder dicht und gleichmäßig zu schneien. Ich zog mich jetzt in die Kajüte zurück, die trotz der frühen Stunde – es war ungefähr zwei Uhr mittags – schon behaglich erleuchtet war. An den starken Schwingungen der großen Hängelampe konnte man erkennen, daß unser Fahrzeug mühsam gegen die immer höher gehenden Wogen ankämpfen mußte.

»Ich fürchte, wir bekommen schweres Wetter,« sagte ich zu Mrs. Burke, die mir Gesellschaft leistete.

»O, die Lady Emma ist ein gutes Schiff,« erwiderte sie sorglos. »Hat sie uns nicht ganz sicher bis hierher gebracht?«

»Allerdings,« entgegnete ich, »und es ist mir jetzt vollkommen verständlich, daß ein echtes Seemannsherz an seinem Schiff hängt wie an einer Geliebten. Kommt mir's doch mitunter selbst so vor, als ob die Lady Emma ein lebendiges Wesen sei, das bei jeder Welle und jedem Windstoß lauschend die Ohren spitzt.«

Mrs. Burke warf mir einen zärtlichen Blick zu.

»Wenn Mr. Moore nicht wäre,« sagte sie, »so möchte ich zehn gegen eins wetten, daß Sie einmal einen Seemann heiraten würden, Miß Otway.«

Ich schüttelte schweigend den Kopf.

»Nun, das Seeleben bekommt Ihnen doch ganz ausgezeichnet,« fuhr sie fort, »trotzdem wir jetzt in der Nähe des schrecklichen Kap Horn sind, von dem Ihr Herr Vater um Ihretwegen solche Angst hatte. Müssen Sie nun nicht selber zugeben, daß es lange nicht so schlimm ist, wie Sie sich's dachten?«

Ein gellender Aufschrei, der durch die Decksplanken gedämpft, aber deutlich zu uns herunterklang, unterbrach sie. Gleich darauf legte sich das Schiff unter der Wucht eines plötzlichen, orkanartigen Windstoßes auf die Leeseite, sodaß die Kajütenfenster tief in die schäumende Salzflut hinabtauchten. Ich fühlte, wie mein Stuhl unter mir fortrutschte, und ohne mich halten zu können, rollte ich in eine Ecke, wo ich halb betäubt, aber unverletzt liegen blieb.

Ueber mir hing Mrs. Burke, hilflos an einen Stützbalken geklammert, so daß ich jeden Augenblick fürchten mußte, sie könne auf mich herabstürzen. Das Schiff lag ganz auf der Seite, und in das Heulen des Sturmes und den donnernden Anprall der Wogen mischte sich ein unheimliches Krachen und Knirschen.

Ich versuchte mich zu erheben, konnte mich aber kaum ein wenig auf den Knieen emporrichten, so stark war die Neigung des Fußbodens, der wie eine schräge Wand neben mir aufragte. Plötzlich wurde das Schiff mit ungeheurer Gewalt nach der anderen Seite geschleudert, und von neuem hörte ich das Krachen splitternden Holzwerkes und vernahm ein dumpfes Gurgeln und Rauschen wie von hereinbrechenden Wassermassen.

»Wir sinken!« schrie ich in Todesangst, denn der weiße Gischt, der die Kajütenfenster beständig überspülte, erweckte in mir die entsetzliche Vorstellung, daß wir uns bereits unter der Wasseroberfläche befänden.

Mrs. Burke antwortete nicht. Sie klammerte sich noch immer krampfhaft an den Stützbalken. Schließlich erlahmte ihre Kraft. Erschöpft ließ sie sich an dem Pfeiler herabgleiten, stieß mit den Füßen hart an die Kajütenwand und blieb einige Augenblicke wie tot neben mir liegen. Dann aber packte sie verzweiflungsvoll meine Hand und schrie:

»Um Gottes willen, was ist passiert?«

»Wir wollen versuchen, an Deck zu gelangen,« schrie ich zurück, denn in dem entsetzlichen Toben der Elemente konnte man sich nur durch Aufbietung aller Lungenkräfte verständlich machen. »Sollen wir hier unten elend ertrinken?«

»Reden Sie nicht so,« jammerte die Aermste. »Wo ist Edward? Was soll aus uns werden?«

Ein donnerähnliches Gebrüll über uns ließ sie verstummen. Gewaltige Sturzseen mußten über das Quarterdeck gegangen sein, denn gleich einem brausenden Katarakt stürzten plötzlich schäumende Wassermassen die Kajütentreppe herab, und im Nu standen wir bis an die Brust in der wirbelnden Flut.

Mrs. Burke kreischte in Todesangst.

Doch allmählich richtete das Schiff sich wieder auf, erst langsam – dann mit einem plötzlichen Ruck, der das plätschernde Naß um uns her in Gischt verwandelte. Hinter uns öffnete sich eine Tür und Mr. Owen taumelte herein.

»Mein Gott,« rief er aus, mühsam auf den Pfeiler zu watend, an dem Mrs. Burke und ich uns festhielten, »was ist passiert? Meine Kabine steht halb unter Wasser!«

»Still!« erwiderte Mrs. Burke, die gerade angestrengt nach oben lauschte. An Deck wurden Männerstimmen laut, und wenige Sekunden später rief der Kapitän von den obersten Stufen der Kajütentreppe zu uns hinab:

»Wie steht's da unten?«

»Edward, komm herunter,« schrie Mrs. Burke, »sag uns ums Himmels willen, was ist passiert?«

»Wie hoch steht das Wasser in der Kajüte?« fragte er zurück, stieg dann selbst die Stufen hinab und sah sich mit irren, verstörten Blicken in dem verwüsteten Raume um.

»Sag uns, was ist passiert?« flehte Mrs. Burke wieder, »wir sind beinahe ertrunken und halb tot vor Angst.«

»Das Schiff ist ein Wrack,« erwiderte er, noch immer halb geistesabwesend. »Alle drei Masten sind über Bord gegangen.«

»Allmächtiger Gott!« schrie Mary auf, und mit aschfahlem Gesicht versuchte Dr. Owen die Kajütentreppe zu erklimmen.

Doch mit ausgestreckten Händen wies der Kapitän ihn zurück.

»Halt, so weit sind wir noch nicht,« rief er. »Das Wasser hier wird sich verlaufen. Kümmern Sie sich um die Damen und sorgen Sie dafür, daß sie alle trockene Kleider auf den Leib und einen Schluck Branntwein in den Magen bekommen. Ich muß nach oben.«

Er eilte die Treppe hinauf und schloß die Kajütentür hinter sich zu. Vergebens schrie Mr. Owen ihm nach: »Um Gottes willen, schließen Sie uns doch nicht ein!« Vergebens rüttelte er verzweifelt an der Tür – sie gab nicht nach.

Auch mich erfüllte die Vorstellung, hier unten gefangen zu sein, mit rasender Angst, und Mrs. Burke versuchte vergeblich, mich zu beruhigen.

»Mein Mann fürchtet, es könnte noch mehr Wasser hier eindringen, und hat daher die Tür zugeschlossen,« sagte sie. »Er glaubt uns in der Kajüte besser aufgehoben als an Deck und wird uns hier sicherlich nicht elend ertrinken lassen.«

»Aber er kann über Bord gespült werden und die anderen denken dann nicht an uns,« wandte ich verzweiflungsvoll ein.

»Nein, nein, kommen Sie nur,« redete Mrs. Burke mir zu. »Sie müssen sich umziehen, sonst erkälten Sie sich auf den Tod. Horch, was ist das wieder für ein Geräusch? Ah, die Pumpen sind in Tätigkeit. Kommen Sie, Eveline!«

Während wir uns vorsichtig an den Wänden entlang tasteten, um bei den starken Schwankungen des Schiffes nicht das Gleichgewicht zu verlieren, kam Mr. Owen mit einer Flasche und einem Glas aus der Vorratskammer. Er bot uns einen Schluck Branntwein an, doch Mrs. Burke sowohl als ich verzichteten darauf, da wir in einer so ernsten Situation unserer Sinne völlig Herr bleiben wollten.

Meine Kabine, die etwas höher lag als die Hauptkajüte, war leidlich trocken geblieben, sodaß ich mich umkleiden konnte. Vergebens versuchte ich dann, durch die Lichtöffnung etwas von den Vorgängen draußen wahrzunehmen. Ich sah nichts als schäumende Wassermassen, die unablässig gegen die Schiffswand donnerten und das Kabinenfenster überspülten.

In der Kajüte war das eingedrungene Wasser mittlerweile verschwunden, doch hatte der dicke Teppich sich so vollgesogen, daß jeder Tritt eine Pfütze hinterließ. Die Lampe brannte noch immer, nur das Ofenfeuer war erloschen, und eisig wehte mir eine von scharfem Salzgeruch erfüllte, dumpfe und feuchte Luft entgegen, als ich aus meiner Kabine trat.

Mrs. Burke hatte kaltes Fleisch auf den Tisch gestellt und nötigte mich zum Essen. Sie selbst würgte gleichfalls ein paar Bissen hinunter und versuchte krampfhaft, mich durch zuversichtliche Blicke und Worte zu ermutigen.

»Noch leben wir,« sagte sie, »und da die Lady Emma ein außerordentlich seetüchtiges Schiff und mein Mann einer der erfahrensten Seeleute ist, so brauchen wir uns nicht zu ängstigen. Wo ist eigentlich Mr. Owen?« fügte sie hinzu, indem sie sich suchend umblickte. Sie klopfte an die Tür seiner Kabine, öffnete und rief hinein:

»Wollen Sie nicht ein paar Bissen mit uns essen?«

»Nein, danke,« klang es in eigentümlich undeutlichem Ton zurück.

Mrs. Burke sah den Doktor eine Weile forschend an, schloß dann die Tür und setzte sich wieder zu mir an den Tisch. Die Bewegungen des Schiffes waren so plötzlich und unvermittelt, daß wir uns nur mit großer Mühe auf unseren Sitzen behaupten konnten und die Speisen alle Augenblick vom Tisch herabfielen.

Nach einer Weile wurde die Kajütentür geöffnet und Kapitän Burke kam herunter. Er trug einen Oelrock, dessen eine Seite ganz mit gefrorenem Schnee überzogen war.

»Edward, wirst Du uns nun endlich sagen, was mit dem Schiff los ist?« rief seine Frau ihm mit angstvoll forschendem Blick entgegen.

»Alle drei Masten sind über Bord gegangen,« antwortete er wie vorhin.

»Und was willst Du nun anfangen?«

»Anfangen!« rief Kapitän Burke mit bitterem Lachen und schleuderte in einer Aufwallung ohnmächtigen Grimms seinen Südwester auf den Tisch, daß ein Hagel hartgefrorener Schneekörner umherprasselte. »Vor Tagesanbruch ist überhaupt nichts anzufangen, ihr habt ja keinen Begriff, wie es oben an Deck aussieht; solch eine Nacht habe ich noch nicht erlebt! Aber Kopf hoch, Miß Eveline!« fügte er mit einem Seitenblick auf mich hinzu, »ich werde Sie schon sicher wieder aufs Trockene setzen.«

Er versuchte, mir ermutigend zuzulächeln, doch es war nur ein krampfhaftes Verzerren der Lippen – seine Augen behielten denselben verzweifelten Ausdruck. Mrs. Burke mischte ihm ein Glas kalten Grog und schob ihm die Fleischschüssel hin, und während er aß und trank, erzählte er uns in abgerissenen Worten, was sich in den letzten furchtbaren Stunden oben zugetragen hatte.

»Gleich beim ersten Anprall des Orkans legte sich das Schiff so stark auf die Seite, daß ich uns verloren glaubte. Wir konnten uns mit genauer Not noch irgendwo festklammern. Glücklicherweise bekam der Bootsmann eine Axt zu fassen und sein Beispiel ermutigte die Leute allmählich so weit, daß sie, auf allen Vieren kriechend, mit ihren Messern und Handbeilen die Taljereeps zu bearbeiten anfingen, um den Großmast zu kappen. Schließlich ging er über Bord, riß aber die beiden andern mit sich, und nach einer Minute war von Spieren und Wanten keine Spur mehr zu sehen. Auch ein Teil der Steuerbordreeling ging mit.«

»Ist das Schiff leck?«

»Nein, aber wir haben Green und vier Mann verloren.«

»Allmächtiger Himmel! Green und vier Mann,« stöhnte Mary entsetzt. »Wie ...?«

»Wer kann im Sturm darauf achten? Ich weiß nur soviel, daß sie jetzt nicht an Bord sind.«

Leichenblaß und regungslos lauschte ich den Worten des Kapitäns, die oft von so furchtbarem Getöse und so heftigen Schwankungen des Schiffskörpers unterbrochen wurden, daß ich jedesmal dachte: »Jetzt ist es aus mit uns.«

»Wo sind die Leute?« fragte Mrs. Burke.

»Vorne in ihren Kojen; ehe es hell wird, gibt es nichts für sie zu tun, denn der Sturm und die See haben klar Deck gemacht, sogar das Steuerruder ist über Bord gespült. Sehen Sie, Miß Otway,« wandte er sich wieder mit erzwungenem Lächeln an mich, »Old Stormys Besuch hatte also doch etwas zu bedeuten. Sie besinnen sich doch noch auf meinen Doppelgänger mit dem nassen Gesicht? Auf See weissagt so 'was niemals etwas Gutes, und das Schlimmste dabei ist, daß man nie weiß, von welcher Seite das Unheil kommt, sonst könnte man sich wohl besser dagegen schützen.«

Laut aufschluchzend barg Mrs. Burke das Gesicht in den Händen.

»Kopf hoch!« rief der Kapitän ihr zu. »Mit Heulen und Jammern bekommen wir Miß Otway nicht heraus aus einem in stockfinsterer Nacht zwischen Eisbergen treibenden Wrack. Wo steckt der Doktor?«

Ich deutete auf Mr. Owens Kabine. Der Kapitän öffnete die Tür und ließ den Schein der Kajütenlampe in den dunklen Raum fallen.

»Er ist betrunken!« sagte er dann verächtlich. »Morgen früh werde ich ihm meine Meinung sagen. Ich stelle euch beide unter seine Obhut – und er betrinkt sich!«

Er stülpte seinen Südwester auf und schickte sich an, die Kajüte zu verlassen.

»Gehst Du wieder an Deck, Edward?« fragte Mrs. Burke ängstlich.

»Wie Du siehst,« war die Antwort.

»Mein Gott ...« jammerte seine Frau.

»Ach was, ich will nur ein paar Mann herschicken, um den Teppich aufrollen zu lassen – der Salzwassergestank ist unerträglich. Feuer muß auch gemacht werden, damit Du uns einen Schluck Kaffee kochen kannst. Der Kombüsenofen wird wohl zum Teufel sein, ebenso wie die Quarterdeckboote. Glücklicherweise ist das Langboot noch da. Ich will es sofort festmachen lassen, damit es nicht auch noch über Bord geht.«

Damit sprang er die Kajütentreppe hinauf und verschwand oben im Dunkel.


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