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Erster Teil

Erstes Kapitel.
Miß Otway erzählt.

Meine Geschichte beginnt am 24. Februar des Jahres 1860.

Am Nachmittag dieses Tages wartete ich in der Halle im Hause meines Vaters auf die Ankunft des Kapitäns Burke von der Segelbark Lady Emma, und seiner Frau, Mary Burke. Mary war meine Amme gewesen. Sie hatte mich aufgezogen vom Kind zum Mädchen und sie war meine liebe zweite Mutter nach dem Tode meiner eigenen Mutter im Jahre 1854. Vor zwei Jahren erst hatte sie uns verlassen, um die Frau des Kapitäns Edward Burke zu werden. Seitdem hatte sie mit ihrem Mann schon zwei Reisen um die Welt gemacht und die dritte stand jetzt bevor.

Mein Vater, Sir Mortimer Otway, der vierte Baronet seines Namens, saß am flackernden Kaminfeuer und las eine Zeitung.

Es ist nicht notwendig, daß ich von Familiendingen viel erzähle. Nur kurz sei berichtet: Mein Vater war Oberst außer Diensten. Er hatte in Indien gedient, aber die Armee schon längst verlassen, um sein kleines Landgut am Meer selbst zu bewirtschaften. Er besaß nur ein kleines Vermögen. Ich war sein einziges Kind. Man hatte mich nach meiner Mutter Eveline getauft. Ich war damals zwanzig Jahre alt und ein schwächliches Mädchen. Um meine Gesundheit handelt es sich ja bei dieser Geschichte oder zum mindesten gab die Sorge um meine Gesundheit die Veranlassung zu meinem Erleben und damit zu dieser Geschichte. Denn Kapitän Burke und seine Frau sollten heute von London herüberfahren zu uns, um mit meinem Vater den großen Plan zu besprechen, der seit einigen Tagen das einzige Gesprächsthema zwischen ihm und mir war: ich sollte mit den Burkes eine Weltreise machen, zur allgemeinen Kräftigung meiner Gesundheit.

Unser Haus war ein wunderschöner englischer Herrensitz, vor hundert Jahren ungefähr erbaut. Es stand hoch oben über dem Meer, kaum einen Steinwurf weit weg vom Rande des Kliffs. Seine Mauern und Hecken schlossen siebzig oder achtzig Acker Landes ein, Wiesen und Felder und Wälder, und um das Haus selbst zog sich ein prächtiger Garten hin. Ich stand am Fenster und sah auf das Meer hinaus. Das Wasser sah hart, düster, grau aus, und düster und grau waren die schweren Wolken am Himmel. Die Luft war bitter kalt. Nach einiger Zeit fing es an zu schneien und bald verhüllten die weißen Flockengebilde Meer und Himmel.

Mein Vater legte seine Zeitung hin und kam zu mir ans Fenster herüber.

»Um wieviel Uhr wollten sie hier sein, sagtest Du?«

»Um drei Uhr.«

Er sah auf seine Uhr und starrte zum Fenster hinaus.

»Das sieht nicht aus da draußen, als wäre eine Seereise das geeignete Mittel zum Gesundwerden für ein schwächliches Mädel!«

»Nein –« antwortete ich und ein Schauder überlief mich.

»Nun,« fuhr er fort, »Dr. Bradshaw ist ein sehr geschickter Arzt, und was er mir erzählte über die wunderbaren Kuren, die lange Seereisen schon bewerkstelligten, hat starken Einfluß auf mich gehabt. Es ist doch ein großer Unterschied, ob man nur am Meer lebt oder eine wirkliche Seereise macht. Auf einer Seereise sind vor allem die immer wechselnden klimatischen Einflüsse wertvoll – die Ruhe besonders – dann wieder die mannigfaltigen Anregungen im Schiffsleben – jedenfalls halte ich die Idee an und für sich für sehr gut und gesund!«

Er ging mehrere Male im Zimmer auf und ab.

»Es wäre mir lieber gewesen,« sagte er dann, »wenn Du die Reise auf einem Dampfer hättest machen können. Man reist rascher. Vor allem läßt sich die Dauer der Reise genau berechnen. Aber ich bin nicht in der Lage, Dich zu begleiten, und ich möchte Dich die Reise nicht allein machen lassen. Vor allem aber wärest Du dann nicht so lange Zeit auf See, wie Dr. Bradshaw es vorschreibt. Nein, ich werde Dich wohl Mrs. Burke mitgeben: es ist mir sehr lieb, Dich von ihr behütet zu wissen. Aber vorher muß sie mir doch noch verschiedene Fragen beantworten. Wann kommen die beiden? Haben sie ihren Zug versäumt?«

Fünf Minuten später jedoch wurden Kapitän Burke und Frau gemeldet.

Mrs. Burke, meine alte Amme, war eine gute, einfache, weichherzige Frau, nicht ganz vierzig Jahre alt damals. Klein und rundlich sah sie aus, und sie hatte wunderschöne wasserblaue Augen und ein liebes gemütliches Gesicht, das der leise Ansatz zu dem Doppelkinn der Matrone nur umso lieber und gemütlicher erscheinen ließ. Sie war angezogen, wie es sich in jenen Zeiten für die Frau eines simplen Segelschiffkapitäns schickte. Sie trug ein einfaches rundes Hütchen mit einem Shetlandschleier, einen unförmigen warmen Mantel, und darunter ein einfaches Kleid von derbem Stoff. Vor meinem Vater machte sie einen Knix – man knixte damals noch – und dann fielen wir beide uns um den Hals.

Ihr Mann stand lächelnd hinter ihr.

Er war von untersetzter, gedrungener Gestalt; ein Irländer. Die Sonne hatte sein Gesicht gebräunt, gerötet, verwittert. Aus seinen hübschen blauen Augen sprachen Fröhlichkeit und Selbstbewußtsein. Wenn er lachte, sah man blanke weiße Zähne, die sicher tüchtige Leistungen vollbringen konnten. Er stand still da wie ein Soldat auf Wachposten, die derben Fäuste hinter dem Rücken verborgen. Aber dabei lachte er mit dem ganzen Gesicht. Natürlich hatte ich ihn schon früher kennen gelernt. Ich war Gast bei seiner Hochzeit gewesen, und später hatte seine Frau uns mit ihm einmal besucht, als sie von ihrer ersten Reise zurückgekommen waren.

Mein Vater schüttelte ihm kräftig die Hand. Dann führte er ihn in sein Arbeitszimmer, während ich mit Mrs. Burke nach oben ging. Wir hätten uns stundenlang miteinander unterhalten und von tausend Dingen sprechen können, hatten wir doch sechzehn Lebensjahre gemeinsam verlebt. Ich hätte ihr von meiner Verlobung erzählen müssen und ihr das Bild meines Bräutigams zeigen sollen, aber ich war allzu begierig darauf, zu welcher Entscheidung mein Vater und Kapitän Burke gekommen waren. –

So gingen wir schon nach zehn Minuten wieder in die Halle, wo wir meinen Vater und den Kapitän in eifrigem Gespräch vor dem Kaminfeuer fanden.

Der Kapitän sprang auf, als ich eintrat, und mein Vater holte einen Stuhl herbei für Mrs. Burke, die immerwährend knixte.

»Nun, Mrs. Burke,« sagte mein Vater in ernstem Ton zu ihr, »diese Idee einer Reise meiner Tochter auf dem Schiff Ihres Mannes ist schließlich von Ihnen ausgegangen. Sie begreifen, daß es mir nicht leicht wird, endgültig eine Entscheidung zu treffen. Aber Sie haben ja zwei Reisen um die Welt mit Ihrem Mann gemacht, und diese Reisen scheinen Ihnen gut bekommen zu sein. Sagen Sie mir: Ist es behaglich genug für meine Tochter auf Ihrem Schiff? Sicher genug? Der Arzt behauptet ja, daß eine lange Seereise außerordentlich gut für sie sein würde.«

»Das glaube ich auch, Sir Mortimer,« antwortete Mrs. Burke. »Freilich wird's ihr gut tun. Und da Sie nun doch einmal Miß Evy nicht begleiten können, so möchte ich sie doch am liebsten bei mir haben. Kein Dampfer kann sicherer sein als unsere Lady Emma!«

Der Kapitän stieß ein kurzes, lautes Lachen aus, das offenbar bedeuten sollte, daß er von der Sicherheit des Dampfbetriebs auf dem Ozean sehr wenig halte.

»Wenn Sie mir Miß Evy anvertrauen wollen, Sir Mortimer, verspreche ich Ihnen, daß sie es auf dem schönsten Dampfer nicht besser haben könnte als auf unserem Schiff!«

»Welchen Tonnengehalt hat die Lady Emma, Kapitän Burke?« fragte mein Vater.

»Sechshundert Tonnen, Sir.«

»Dann ist die Lady Emma ein kleines Schiff. Die Hindostan, auf der ich meine letzte Reise von Indien nach England machte, hatte vierzehnhundert Tonnen.«

»Sechshundert Tonnen sind aber auch nicht zu verachten,« antwortete der Kapitän ein wenig beleidigt.

»Sie segelt ausgezeichnet und ist ein wunderschönes Schiff!« erklärte meine alte Amme eifrig.

»Wann wollen Sie ausreisen?« fragte mein Vater.

»Gegen Ende des nächsten Monats, Herr.«

»Diese kleinen Schiffe, die nicht Passagierschiffe sind, werden häufig sehr tief beladen, wie ich gehört habe, und gelten deshalb als unsicher.«

»Ich überlade mein Schiff niemals!« erklärte der Kapitän. »Außerdem haben wir diesmal leichte gemischte Ladung: Porterfässer, Brandy, Whisky, Konserven, eine Unmasse Theaterdekorationen, Türrahmen, Fensterrahmen und Oelkuchen.«

»Leicht, aber feuergefährlich!« meinte mein Vater bedenklich.

»Feuergefährlich ist schließlich jeder Kargo,« meinte Kapitän Burke lächelnd. »Aber wohin wollte man kommen, wenn man auf See immer nur an allerlei Gefahren denken sollte, um die wir uns an Land gar nicht kümmern. Ich wenigstens halte eine Eisenbahnfahrt von hier nach London für viel gefährlicher als eine Reise mit meinem Schiff von der Themse um die Welt.«

»Das mag wohl richtig sein,« sagte mein Vater. »Welche Punkte laufen Sie auf Ihrer Reise an?«

»Unser erster Anlaufhafen ist Valparaiso und zwar machen wir den Weg übers Kap Horn. Dort löschen wir, laden aufs neue, und segeln dann nach Sidney, weiter nach Neu-Südwales, von dort nach der Algoa-Bai und dann nach Hause –«

»Rund um die Welt – und so viele schöne Länder zum Sehen!« rief Mrs. Burke aus. »Immer in dem einen Schiff, immer im eigenen behaglichen Heim, Sir Mortimer, und ich immer da, um für Miß Otway zu sorgen und es ihr gemütlich zu machen. Ach, ich würd' mich ja so freuen, wenn Sie mir Miß Otway anvertrauten.«

Mein Vater sah zum Fenster hinaus in die wirbelnden Schneemassen.

»Es wird sehr kalt sein während der Kap Horn-Fahrt!« meinte er nachdenklich.

»Mehr erfrischend und stärkend als kalt,« antwortete Kapitän Burke. »Man spricht immer von Kap Horn-Stürmen und Kap Horn-Eis und vergißt dabei ganz, daß man in der Strait le Maire Papageien und Kolibris antreffen kann. Ich habe auf einer Reise mitten in einem Schneefall an der Küste von Patagonien die schönsten Fuchsien gepflückt –«

Und so sprachen wir noch lange weiter.

Mein Vater wußte nur zu gut, daß meine Gesundheit, mein Leben fast, von dieser Reise abhing. Ich mußte ein ganzes Jahr auf dem Ozean verleben. Das wenigstens war das übereinstimmende Urteil aller Aerzte gewesen, die er befragt hatte. Der letzte Arzt, von dem er mich untersuchen ließ, der berühmteste und angesehenste von allen, hatte sogar sehr ernst und dringend verlangt, daß diese Seereise auf keinen Fall länger als höchstens noch zwei Monate aufgeschoben werden dürfe. So befreundete er sich immer mehr mit dem Gedanken meiner Reise auf der Lady Emma.

Unser Gespräch endete damit, daß er vorschlug, mit Kapitän Burke nach London zurückzureisen, um die Lady Emma zu besichtigen, die im East India-Dock lag. Meine alte Amme sollte bei mir bleiben, bis er zurückkam. Meine Weltreise konnte als abgemacht gelten. Nur war es meinem Vater sehr unangenehm, daß die Lady Emma keinen Arzt mitführte, aber Kapitän Burke meinte, daß es vielleicht möglich wäre, in London noch Arrangements zu treffen und doch einen Schiffsarzt mitzunehmen.

*

Am nächsten Tage fuhren mein Vater und Kapitän Burke nach London.

Mary blieb bei mir, denn ich wäre nur ungern allein gewesen; fürchtete ich mich doch vor nichts mehr als Alleinsein in jenen Zeiten. Seit Monaten litt ich an eigentümlicher Müdigkeit, an einer körperlichen und geistigen Erschlaffung, die mich ängstigte und niederdrückte. Das Schlimmste aber war nicht das Kranksein, sondern der Gedanke an meinen Bräutigam; denn wäre ich gesund gewesen, so würden wir uns schon im vorigen Oktober geheiratet haben. Jetzt war es März, und in wenigen Wochen sollte ich nicht nur meinen Vater und mein Heim auf ein Jahr oder gar noch länger verlassen, sondern meine Heirat mußte abermals hinausgeschoben werden, so lange, bis das Meer mich wieder gesund gemacht hatte. Ich fürchte, meine alte Mary hat damals trübselige Tage mit mir verlebt, aber sie hatte rührende Geduld mit mir; immer wußte sie zu erzählen oder zu fragen. Ich hatte mich während ihrer letzten großen Reise verlobt und mußte nun natürlich eingehend über dieses große Ereignis Bericht erstatten: ich mußte erzählen, daß mein Bräutigam Archibald Moore hieß und der Sohn eines Privatbankiers in der City war, daß ich ihn auf einem Ball in unserer Nachbarschaft kennen gelernt hatte, daß wir einen Monat später schon verlobt waren, daß ich ihn für den liebsten, besten und schönsten aller Männer hielte –

»Natürlich!« sagte meine alte Amme sanft.

»Sei nicht frech, Marylein!« mahnte ich.

»Gott behüte – wie oft besucht er Sie, Miß Evy?«

»Oft. Jede Woche. Er kann aber immer nur am Sonntag kommen.«

»Wird er nächsten Sonntag hier sein?«

»Hoffentlich.«

»Ich möchte ihn ja zu gern sehen, Miß Evy! Und da fällt mir etwas ein: Könnt' Mr. Moore Sie nicht auf dieser Reise begleiten?«

»Aber Mary – das geht doch nicht! Mein Vater würde schöne Augen machen!«

»Und Sir Mortimer hätte auch recht!« rief die gute Mary ärgerlich. »Ich bin eine Gans, mit Respekt zu sagen. Aber dumm ist's doch, daß man immer diese dummen Rücksichten auf die lieben Mitmenschen nehmen muß. Warum solltet ihr beide nun nicht die schöne Reise an Bord meines Mannes Schiff zusammen machen? Warum, frag' ich! Weil's ein Gerede gäb. Oh – –«

»Aber Mary –«

»Ich sag' schon nichts mehr. Ich sag' nur, daß er unbedingt der schönste Mann ist –« ich hatte ihr ein Bild Archibalds gezeigt – »den ich je gesehen hab' und 's ist jammerschade ... na ja, na ja. Aber über's Jahr kommen wir ja kerngesund zurück und dann dauert's wohl nicht lange, daß die alte Amme ein Stück vom Hochzeitskuchen essen darf. Wie alt ist er denn, Herzchen?«

»Dreißig.«

»Gerade recht – gerade recht. Um die Zeit werden die Männer vernünftig!«

»Ja?«

»Freilich. Um die Dreißig sind sie schon ganz gescheit und wissen, was sie wollen. Er wird Ihnen treu bleiben. Das sollte Ihnen ein Trost sein, wo doch die Reise so lang dauert. Nich'?«

»Ja ...« sagte ich.

Und ich muß gestehen, daß das Geschwätz mir Freude machte.

Am Freitag kam mein Vater zurück, zufrieden und guter Laune. Er und Mr. Moore hatten sich Kapitän Burke's Schiff nicht nur angesehen und es sehr schön gefunden, sondern auch Erkundigungen bei Lloyd's Versicherungsgesellschaft eingezogen, die über die Seetüchtigkeit der Lady Emma die besten Auskünfte gab.

»Auch die Schwierigkeit mit dem Arzt ist behoben,« erzählte mein Vater.

»Auf welche Weise?«

»Kapitän Burke erfuhr im Kapitänsklub, daß ein Arzt eine längere Reise als Schiffsdoktor zu machen wünsche. Darauf schlossen wir sofort ab. Burke und ich einigten uns dahin, daß er Dr. Owen, so heißt der Arzt, freie Passage gibt, während ich für Verpflegung und Gehalt aufkomme. Dr. Owen ist in den Vierzigern und Witwer. Seine Frau und seine beiden Töchter sind vor einigen Jahren gestorben und der Schicksalsschlag traf ihn so schwer, daß er zusammenbrach und seine Praxis aufgeben mußte. Er war früher viel auf Reisen und erhofft nun von einer langen Seereise Kräftigung zu neuer Arbeit.«

»So werde ich einen Kranken als Arzt haben?« fragte ich lächelnd.

»Unsinn, Kind! Seine Qualifikation als Arzt wird doch von einem seelischen Niedergeschlagensein nicht berührt! Ich freue mich im Gegenteil sehr, daß diese nicht ganz einfache Arztfrage so praktisch gelöst ist.«

Ich nickte nur, ich war mit allem zufrieden damals, wenn ich nur nicht viel sprechen mußte.

*

Es war so viel gesprochen worden über diese Reise zwischen meinem Vater und mir, der Plan so lange erwogen und gewogen, daß die feststehende Tatsache mich nicht hätte erschüttern dürfen. Zeit genug hatte ich wahrlich gehabt, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Aber ich war krank. Tiefe Niedergeschlagenheit kam über mich. Stundenlang grübelte ich vor mich hin. Würde die Reise mich gesund machen? Half das Meer? Oder war es mir bestimmt, auf dem Ozean zu sterben? Ja, ich muß wirklich ein schwächliches und krankes Ding gewesen sein damals. Ich weiß noch als wär es heute, wie unglücklich ich war und wie ich mich selber bemitleidete –

Mr. Moore kam früh am Samstag.

Ich war allein in der Halle. Ich stand auf, fühlte, daß ich blaß wurde, und mußte weinen, so sehr ich mir auch Mühe gab, mich zu beherrschen. Er nahm mich in seine Arme, küßte mich und führte mich zu einem Stuhl ... Ich möchte ihn gern beschreiben, aber das ist ja schwer. So kann ich nur sagen, daß Mr. Moore groß war, blond, dunkelblaue Augen hatte, einen langen, wohlgepflegten Schnurrbart, und so aussah in allem, wie man sich einen englischen Gentleman vorstellt. Er versuchte leichthin zu sprechen:

»Es ist schlimm, daß wir so lange voneinander getrennt sein werden, aber Dein kleines Schiff gefällt mir, Eveline. Mrs. Burke kenne ich noch nicht, aber Dein Vater sagt mir, daß sie ausgezeichnet für Dich sorgen wird. Kapitän Burke hat einen mehr als günstigen Eindruck auf mich gemacht. Ich wünschte nur, ich könnte mit Dir reisen.«

»Ach, ich werde so lange allein sein, Archie!«

»Aber Du wirst gesund werden. Ich habe mir die Sache lange überlegt und ich finde wie Dein Vater, daß Du an Bord der Lady Emma am besten aufgehoben sein wirst und lange nicht so einsam wie auf einem Dampfer.«

»Aber die Reise dauert so entsetzlich lang!«

»Vierzehn Monate ungefähr. Nach Valparaiso zuerst –«

»Ich weiß –«

»– Kapitän Burke rechnet vierzehn Monate im Höchstfalle. Das ist eine lange Zeit, aber sie wird Dich gesund machen.«

»Wenn ich nur nichts mehr von meiner Gesundheit hören müßte,« trotzte ich.

Wir gingen spazieren, durch die Schlucht nach dem Strand, wo die überhängenden Felsen vor dem Wind schützten, der mit Märzgewalt daherheulte. Die Sonne schien heute, und warmer Farbenschein lag über dem tiefgelben Sand. Am Himmel jagte der starke Nordwind zerfetzte kleine Wölkchen vor sich hin und die See ging hoch –

»Wenn das Meer hier mich nicht gesund machen kann, weshalb soll ich denn auf einem Schiff gesund werden?« fragte ich vor mich hin.

»Die Veränderung. Der Klimawechsel –«

Und wir sprachen von anderen Dingen, uninteressant für andere Leute.

*

Die nächsten Wochen waren ganz den Reisevorbereitungen gewidmet. Ich fuhr mit meinem Vater nach London, um Einkäufe zu machen, und Mrs. Burke half uns. Wir kauften Kleider für Hitze und Kälte, und Trockenheit und Feuchtigkeit, für Tropensonne und Südsee-Eis; Dinge zum Essen in solchen Mengen, daß ich erstaunt die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Aber vierzehn Monate seien vierzehn Monate, sagte mein Vater, und kaufte noch mehr Südwein und Konserven und Leckereien. Dann ging es wieder nach Hause und ein gewaltiges Nähen, Auswählen und Verpacken hub an. Von London schrieb Mr. Moore, daß er zusammen mit Mr. Burke sein Bestes tue, meine Kabine an Bord der Lady Emma behaglich und bequem zu machen.


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