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Dritter Teil

Sechzehntes Kapitel.
Mr. Moore erzählt weiter.

Am Morgen des 2. Oktober 1860 saß ich in meinem Zimmer in Bondstreet beim Frühstück und blätterte in der Zeitung, als mein Blick plötzlich auf einen Artikel fiel, der die Ueberschrift trug: Verlust der Lady Emma.

Der Schreck durchzuckte mich wie ein elektrischer Schlag, und meine Hände zitterten so heftig, daß die Buchstaben vor meinen Augen wild durcheinander tanzten. Gewaltsam zwang ich mich zur Ruhe und versuchte mir einzureden, es könne sich unmöglich um Kapitän Burkes Lady Emma handeln, denn es mochte wohl noch zehn oder zwanzig Schiffe desselben Namens geben.

Bald hatte ich mich so weit gefaßt, daß ich die Zeitungsnotiz zu Ende lesen konnte. Sie hatte ungefähr folgenden Wortlaut:

»Die Bark Planter sichtete östlich von Kap Horn auf offener See ein mit Menschen gefülltes Boot und nahm dessen halb erstarrte Insassen an Bord. Es waren die Ueberlebenden der Brigg Lady Emma (Kapitän Burke), die am 2. April von London nach Valparaiso segelte, nach den Berichten der Geretteten jedoch durch schweres Wetter weit nach Südosten verschlagen und auf dem 59. Grad südlicher Breite durch einen Orkan all ihrer Masten beraubt worden war. Nach einigen vergeblichen Versuchen, einen Notmast zu errichten, hatte die Mannschaft das Wrack verlassen, mit Ausnahme des Kapitäns, seiner Frau und einer jungen Dame, die als Passagier die Reise mitmachte. Einige Tage nach der Aufnahme der Schiffbrüchigen starb einer von ihnen, der Schiffsarzt Owen, infolge der erlittenen Strapazen und fand im Ozean ein Seemannsgrab. Die übrigen Geretteten wurden einem vorübersegelnden Schiffe übergeben, das sie nach Montevideo brachte; von hier aus wurden sie mit nächster Gelegenheit nach England zurückbefördert und sind heute in den India Docks eingelaufen. Ueber das Schicksal der drei auf dem Wrack Zurückgebliebenen ist nichts bekannt. Wahrscheinlich sind sie zu Grunde gegangen, ehe der Kapitän des Planter, der mit größter Gefahr für sein eigenes Schiff tagelang zwischen den Eismassen kreuzte, ihnen Hilfe bringen konnte.«

Immer wieder von neuem irrten meine Augen über die verhängnisvollen Zeilen, bis auch der geringste Hoffnungsschimmer, es könne sich vielleicht doch um eine andere Lady Emma handeln, aus meiner Seele geschwunden war. Dumpfe Trostlosigkeit kam über mich. Lange saß ich wie gelähmt; endlich raffte ich mich auf, taumelte auf die Straße, warf mich in ein Cab und fuhr zu Butcher & Hobbs, den Reedern des verlorenen Schiffes.

Das Kontor der Reederei war ein düsterer, dumpfer Raum, in dem sich außer dem Geschäftspersonal ein herkulisch gebauter, rotbärtiger Seemann befand, der unbeweglich auf einem Stuhl hockte und stumpf und gleichgültig vor sich hinstarrte.

Ich fragte einen der Angestellten, ob ich Mr. Butcher oder Mr. Hobbs sprechen könne und wurde nach wenigen Minuten in das Privatkontor der Reeder geführt.

Mr. Hobbs war allein; bei meinem Eintritt erhob er sich und streckte mir mit bekümmerter Miene die Hand entgegen.

»Sie kommen in einer traurigen Angelegenheit, Mr. Moore,« begann er; »allein –« ein bedauerndes Achselzucken sagte mir, daß ich nichts zu hoffen hätte.

»So ist der Zeitungsartikel wahr?« rief ich verzweifelt.

»Leider,« nickte Mr. Hobbs.

Schmerz und Kummer überwältigten mich. Ich mußte mich auf den Tisch stützen, um nicht umzusinken. Mr. Hobbs schob mir einen Stuhl hin, auf den ich mich halb betäubt fallen ließ.

»Ist denn wirklich gar keine Hoffnung?« fragte ich. »Wenn auch der Planter das Wrack der Lady Emma im Nebel und Treibeis nicht gefunden hat, müssen wir dann unbedingt daraus schließen, daß es gesunken ist?«

»Durchaus nicht,« gab Mr. Hobbs zu. »Ich habe selbst zwar wenig Hoffnung, allein für absolut ausgeschlossen halte ich die Rettung der Vermißten nicht. Man hat ja oft genug von verschollenen Schiffen gehört, die dann nach langer Zeit plötzlich mit zersplitterten Masten und bemoostem Kiel in irgend einem Hafen wieder auftauchten. Uebrigens ist gerade der gerettete Bootsmann Wall der Lady Emma drüben im Kontor. Wollen Sie mit ihm sprechen?«

Natürlich wollte ich den Mann sehen.

Wenige Augenblicke später trat der vierschrötige Seemann ein, den ich beim Kommen in dem vorderen Geschäftsraume bemerkt hatte. Sofort erinnerte ich mich jetzt, daß Eveline in dem Tagebuche, das sie uns durch die Brigg Königin der Nacht gesandt hatte, die Höflichkeit und seemännische Tüchtigkeit des Bootsmannes rühmend hervorhob.

In leicht gebeugter Haltung, die Mütze in der Hand, stand der Hüne vor mir. Sein wettergebräuntes, lederfarbenes Gesicht trug den Ausdruck unbewegten Gleichmutes, der mir schon vorhin aufgefallen war.

Mr. Hobbs machte uns miteinander bekannt, und mich beschlich ein eigenartiges Gefühl, als ich dem Menschen gegenüber stand, der meine Braut vielleicht zum letzten Male hatte sprechen hören.

»Glauben Sie, daß die drei auf dem Wrack der Lady Emma Zurückgebliebenen rettungslos verloren sind?« fragte ich ihn mit gepreßter Stimme.

»Nein, Herr,« entgegnete der Seemann, »solange sie auf offener See treiben und nicht auf Eis geraten, können sie von vorüberfahrenden Seglern gesichtet und aufgenommen werden.«

»Warum hat man sie überhaupt zurückgelassen?« rief ich in schmerzlicher Wut.

Ein mitleidiger Blick des Bootsmannes streifte mein verstörtes Gesicht, doch ließ er sich durch meine leidenschaftlichen Vorwürfe nicht aus seiner Gelassenheit bringen, sondern erwiderte mit überlegener Ruhe:

»Der Kapitän weigerte sich, das Schiff zu verlassen. Meine Kameraden werden Ihnen bestätigen, Mr. Moore, daß ich ihn und die Damen mehrfach aufgefordert habe, zu uns ins Boot zu kommen, desgleichen auch der Schiffsarzt, Mr. Owen. Der Kapitän aber hörte nicht auf uns, sondern wollte auf ein Schiff warten, das die Lady Emma ins Schlepptau nehmen sollte. Er bestand darauf, inzwischen einen Notmast zu errichten, – auf einem zwölf Fuß hohen Maststumpf einen Notmast,« setzte er in mißbilligendem Tone hinzu. »Natürlich wurde die Spiere vom nächsten Windstoß über Bord geblasen.«

»Man hätte den Kapitän mit Gewalt zum Mitkommen zwingen sollen,« wandte ich ein.

»Den Kapitän? Mit Gewalt?« fragte Wall mit erstauntem Kopfschütteln.

»Hätten Sie den Kapitän ins Boot bekommen,« fuhr ich fort, »so wären die Damen von selber gefolgt.«

»Dann hätte keine von ihnen den nächsten Morgen erlebt,« sagte der Seemann. »Besonders das junge Mädchen wäre dem Frost in wenigen Stunden erlegen. Sie hätten nur hören sollen, wie selbst die Kräftigsten von uns vor Kälte wimmerten und stöhnten, und wie wir alle uns nach den warmen Kojen auf dem Wrack zurücksehnten. Nein, Herr, der Kapitän war klüger als wir und tat recht daran, die Frauen an Bord zurückzubehalten.«

»Wo befand das Wrack sich ungefähr, als die Mannschaft es verließ?«

Mr. Hobbs zog eine Schublade auf und entnahm ihr ein Schriftstück, das Kapitän Parry dem Führer des Schiffes übergeben hatte, mit dem die Geretteten nach England zurückgekehrt waren. Die Notiz, die Mr. Hobbs mir vorlas, war eine Abschrift aus dem Loggbuch des Planter und bezog sich auf die Begegnung mit dem Großboot der Lady Emma, das in 58° 45' s. Breite und 45° 10' w. Länge gesichtet worden war.

Ueber dem Kamin sah ich eine Weltkarte hängen, und ich bat den Bootsmann, mir die Stelle zu bezeichnen, wo das Wrack sich zuletzt befunden hätte. Doch er starrte mich ganz verständnislos an und schien von Längen- und Breitengraden nicht die geringste Ahnung zu haben. So erhob sich Mr. Hobbs, dem es nach kurzem Suchen auf der verräucherten Karte auch gelang, den angegebenen Punkt ausfindig zu machen.

»Ist dort Land in der Nähe?«

»Jawohl, die Süd-Orkneyinseln,« erwiderte der Reeder, »und dicht daneben die Süd-Shetlandsinseln.«

»Was ist das für eine Gegend?« erkundigte ich mich.

»Oede, wüste, unbewohnte Felsen, auf denen es weiter nichts gibt als Eis. Wenn das Wrack dort aufläuft, so geht es entschieden in Trümmer. Von den Inseln also kann den Vermißten unmöglich Hilfe kommen; ihre einzige Rettungsaussicht ist ein vorüberfahrendes Schiff, und das werden sie hoffentlich auch angetroffen haben.«

»Wenn aber das Wrack auf einen Eisberg getrieben wird,« wandte ich mich an Wall, »muß es dann unfehlbar scheitern?«

»Das hängt ganz von den näheren Umständen ab,« war die Antwort.

»Setzen wir einmal den Fall, es sei gestrandet und läge trocken, könnten die drei Vermißten dann am Leben bleiben?«

»Gewiß, und sie wären vielleicht noch sicherer, als wenn sie auf offenem Meere trieben.«

»Wie lange könnten sie sich etwa halten?«

»Das Schiff war mit Lebensbedürfnissen vollauf versehen,« schaltete Mr. Hobbs ein.

»Wie lange also?« fragte ich noch einmal.

»Oh, jahrelang,« antwortete der Bootsmann. »Wenn das Wrack vor Treibeis und Brandung sicher ist, was sollte ihm denn sonst noch schaden?«

»Und doch, Mr. Moore,« wandte der Reeder ein, »möchte ich Sie warnen, dieser Vorstellung allzuviel Raum zu geben. Wir wollen uns lieber an Vermutungen halten, die einen höheren Grad von Wahrscheinlichkeit besitzen, und daher hoffe ich, daß Kapitän Burke und seine beiden Gefährtinnen einen der zahlreich in jenen Gewässern kreuzenden Walfischfänger angetroffen haben und jetzt längst in Sicherheit sind.«

Ich wandte mich wieder an Wall und bestürmte ihn mit Fragen über die Seefestigkeit des Wracks, die Tüchtigkeit des Kapitäns und den Gesundheitszustand meiner Braut. Würde das zarte, kränkliche Mädchen die zahllosen Aufregungen, Strapazen und Entbehrungen auf dem treibenden Wrack auch nur eine Woche lang ertragen können? Würde Kapitän Burke als einziger Mann auf dem Schiffe überhaupt imstande sein, sich selbst und die beiden Frauen in Sicherheit zu bringen? Und wenn nicht – welcher böse Dämon konnte ihn dann nur dazu bewogen haben, die sichere Rettungsaussicht freventlich von der Hand zu weisen?

Der Bootsmann beantwortete meine sich überstürzenden Fragen mit der ihm eigenen ruhigen Sachlichkeit. Mehrfach betonte er, der Kapitän habe ganz recht gehabt, die Frauen an Bord der Lady Emma zurückzuhalten, da sonst keine von beiden die nächste Nacht überlebt haben würde. Andererseits aber bestärkte Wall meine Zweifel an der Urteilsfähigkeit Mr. Burkes, indem er zugab, der Kapitän sei schon wochenlang vorher infolge einer gespenstigen Erscheinung an Bord schwermütig und trübsinnig gewesen.

»Wäre es vielleicht denkbar,« wandte ich mich an Mr. Hobbs, »daß der Verlust des Schiffes überhaupt der verminderten Zurechnungsfähigkeit Kapitän Burkes zuzuschreiben sei?«

»Was meinen Sie dazu?« fragte der Angeredete den Bootsmann.

»Nein, Herr, daß uns die Masten über Bord gingen, war nicht die Schuld des Kapitäns, sondern des Wetters.«

»Aber was in aller Welt hatte die Lady Emma so weit im Süden zu suchen?« fuhr ich, auf die Weltkarte deutend, fort. »Hier ist Kap Horn; was beabsichtigte Kapitän Burke mit dieser Abweichung vom richtigen Kurs?«

»Er ist dorthin verschlagen worden,« erwiderte der Seemann bedächtig.

»Das heißt,« flocht Mr. Hobbs ein, »das Fahrzeug wurde durch anhaltende widrige Winde eine beträchtliche Strecke südostwärts getrieben.«

»Dem Planter ist es ebenso gegangen,« fügte Wall hinzu.

Eine Weile noch fragte ich den Bootsmann hastig und ungeduldig nach allen Einzelheiten der Katastrophe aus, bis ich sah, daß ich alles erfahren hatte, was zu erfahren war. Nachdem ich mir noch die Adresse des Seemannes notiert und mich vergewissert hatte, daß er vorläufig auf keinem anderen Schiffe anzumustern beabsichtige, verabschiedete ich mich und ging in mein eigenes Kontor.

Evelines Vater weilte zurzeit gerade bei einem Freunde in Paris und hatte mir vor einigen Tagen geschrieben, daß er am vierten oder fünften Oktober zurückzukehren gedenke. Er äußerte sich sehr besorgt über das lange Schweigen seiner Tochter, und da sein Gemütszustand nicht der beste war, so beschloß ich, mit der Mitteilung der traurigen Nachricht bis zu seiner Rückkehr zu warten.

Ich selbst war durch die Unglücksbotschaft niedergeschmettert und gebrochen. Ich sah vor meinem inneren Auge nur immer das entmastete, mit den Wellen kämpfende Wrack, auf dem meine arme Eveline in beständiger Todesangst einem qualvollen Ende entgegentrieb.

Ab und zu machte mein Schmerz sich in wilden Anklagen gegen mich selber Luft. Ich nannte mich einen Elenden, der sein Liebstes auf der Welt ins Verderben geschickt hatte; nie wollte ich es mir verzeihen, daß ich Sir Mortimers Wunsch nachgegeben und das zarte, kränkliche Mädchen in die Ferne hatte ziehen lassen.

So wütete ich gegen mich selber. Unterdessen hatte Mr. Butcher ohne mein Wissen den Vater meiner Braut von dem Verlust der Lady Emma in Kenntnis gesetzt. Sir Mortimer brach seinen Pariser Aufenthalt sofort ab und kehrte nach London zurück. Unvermutet trat er eines Nachmittags in mein Zimmer, wo ich – wie gewöhnlich – in untätiges Brüten versunken vor meinem Schreibtisch saß.

Er sah sehr elend und angegriffen aus.

»Als ich Eveline zum letzten Male umarmte,« sagte er nach der ersten stummen Begrüßung, »hatte ich das Gefühl, als sei es ein Abschied für immer. Nie hätte ich in die Trennung willigen dürfen, mein armes Kind war zu zart und gebrechlich für eine solche Reise – jetzt stehe ich ganz allein auf der Welt.«

Sir Mortimers Stimme klang ruhig und gefaßt, aber schwere Tränen rannen ihm bei seinen Worten über die bleichen, eingefallenen Wangen.

»Nein, nein,« rief ich aus, »wir brauchen nicht alle Hoffnung aufzugeben!« Und mit fliegendem Atem berichtete ich meinem Schwiegervater, was ich selber von Mr. Hobbs und dem Bootsmann Wall über etwaige Rettungsmöglichkeiten gehört hatte.

Sir Mortimer unterbrach mich bisweilen mit Fragen nach dieser oder jener Einzelheit. Ab und zu schien es, als ob ein Hoffnungsstrahl in seinen Augen aufleuchtete. Am Schlusse meines Berichtes aber schüttelte er traurig den Kopf.

»Bedenke, jene Sturmnacht war am 2. Juli,« sagte er, »am 4. Juli verließ die Mannschaft das Schiff, und heute haben wir den 5. Oktober. Es ist kaum anzunehmen, daß ein steuerloses Wrack in jenen sturmreichen Gewässern monatelang mit Wind und Wellen kämpft.«

»Das verhüte Gott!« rief ich aus. »Nein, ich hoffe vielmehr, daß die Schiffbrüchigen längst von einem andern Fahrzeug aufgenommen und in Sicherheit gebracht worden sind.«

»Dann hätte man uns benachrichtigt.«

»Das geht nicht so schnell. Gesetzt den Fall, Eveline wäre von einem Australienfahrer gerettet worden, so würde ein Brief von ihr uns erst nach drei Monaten erreichen.«

»Nein, es ist ausgeschlossen, daß ihre zarte Gesundheit den furchtbaren Leiden in jener Eiswüste gewachsen war. Verlaß Dich darauf, Archie, Eveline ist tot, und wir werden sie nie wiedersehen.«

Dabei blieb er, und so wenig er auch von nautischen Dingen verstand, so hielt er doch den Zustand des Wracks – wie Wall ihn geschildert hatte – für hoffnungslos und sah in dem tagelangen vergeblichen Suchen des Planter nach der Lady Emma eine untrügliche Bestätigung seiner Vermutung.

»Hoffen,« sagte er, »wäre in unserem Falle nur ein aufreibendes, nervenzermürbendes Warten, und wohin das führt, habe ich an einer Frau gesehen, die an den Tod ihres auf See ertrunkenen Sohnes nicht glauben wollte. Tag für Tag saß sie am Ufer und wartete auf ihn, und jedesmal, wenn ein Boot sich dem Strande näherte, breitete sie den Ankommenden mit irrem Lächeln die Arme entgegen. Nein, nein, für mich gibt es keine Hoffnung mehr, nur eine stete Anklage gegen mich selbst, daß ich mein einziges Kind in den Tod getrieben habe.«

Ich konnte es nicht ertragen, ihn so sprechen zu hören. Ich ergriff seine Hände, und ein Blick in mein zuckendes, blasses Gesicht ließ ihn verstummen.

Am nächsten Tage gingen wir zusammen in das Kontor der Reederei, wo wir von Mr. Butcher, dem zweiten Teilhaber der Firma, erfuhren, daß Segelschiffe auf der Rückkehr von Australien sich ungünstiger Windverhältnisse halber oft ziemlich weit nach Süden wagen müßten. Der Reeder hatte mit verschiedenen Kapitänen und anderen Fachleuten über unsere Angelegenheit gesprochen, und alle waren der Meinung gewesen, es sei durchaus nicht unmöglich, daß die Schiffbrüchigen durch ein anderes Fahrzeug aus ihrem schwimmenden Gefängnis befreit werden könnten.

Von Bootsmann Wall, den wir gleich hinterher aufsuchten, hörten wir freilich nichts Neues, doch ließ mein Schwiegervater sich noch einmal den Hergang der entscheidenden Ereignisse auf der Lady Emma erzählen und fragte den Seemann noch besonders über Evelinens Gesundheitszustand aus.

Am folgenden Morgen trat Sir Mortimer zu Schiff die Heimreise an, nachdem ich ihm für den kommenden Sonntag meinen Besuch zugesagt hatte. Es war mir jedoch nicht möglich, mein Versprechen zu halten, denn ich fühlte mich körperlich und seelisch so elend, daß ich an keine Ausfahrt denken konnte. Meine Gedanken beschäftigten sich unablässig mit dem Schicksal der Schiffbrüchigen. Ich sah das eisgepanzerte Wrack als wehrlosen Spielball der Wellen über die Fluten dahintaumeln, sah den halb wahnwitzigen Kapitän die widersinnigsten Anordnungen treffen; ich stellte mir seine Frau vor, die in ihrer Herzensangst um ihren Gatten und ihrer Furcht vor dem kommenden Unheil gewiß keine Zeit mehr fand, sich um meine arme Eveline zu kümmern; ich sah Eveline frostzitternd in irgend einem Winkel kauern, sah ihre schmächtige Gestalt, ihre großen, angstvollen Augen ...


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