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Siebzehntes Kapitel.
Die Spur in Buenos Aires.

»Archibald,« sagte eines Morgens mein Vater zu mir, als er mich beim Frühstück halb geistesabwesend auf meinen Teller starren sah, »das geht so nicht weiter mit Dir, mein Junge. Die marternde Ungewißheit reibt Dich auf. Wäre es nicht das Vernünftigste, wenn Du Dich selbst nach Südamerika begeben und dort an Ort und Stelle Nachforschungen über die Lady Emma anstellen würdest? Vielleicht kann Eveline noch gerettet werden, und wenn nicht – dann wird die Gewißheit ihres Todes Dir eher Deine Fassung wiedergeben, als dieses untätige Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung.«

Wie elektrisiert sprang ich auf: der glückliche Gedanke meines Vaters gab mir auf einmal alle meine Spannkraft wieder. Ich umarmte ihn in überquellender Dankbarkeit ...

*

Ums Jahr 1860 gab es schon Dampfschiffverbindungen, die Kapstadt berührten. Nur auf einem Dampfer wollte ich mich einschiffen, um möglichst rasch an mein Ziel zu kommen – mit einem Segelschiff hätte ich ja vier Monate unterwegs sein können. Ich hatte Glück; schon am 6. November ging der nächste Uniondampfer, der Cambrian, von Southampton ab, mit Buenos Aires als Reiseziel.

Mit schwerem Herzen trat ich die Reise an.

Eine größere Anzahl von Passagieren war an Bord, doch war ich zu sehr mit mir selbst und meinen Angelegenheiten beschäftigt, um mich viel um sie zu kümmern. Nur dem Kapitän trat ich während der Ueberfahrt näher, vertraute ihm den Zweck meiner Reise an und bat ihn um seinen Rat. Nach seinem Dafürhalten tat ich am besten, zuerst in Buenos Aires eingehende Nachforschungen anzustellen und falls diese resultatlos verlaufen würden, ein Schiff zu chartern, mit dem ich dann den um Kap Horn liegenden Teil des Atlantischen Ozeans selbst absuchen könnte. Da der Cambrian auf einen mehrtägigen Aufenthalt in Buenos Aires rechnen mußte, so versprach Kapitän Hoskins, mir zur Erlangung eines geeigneten Fahrzeuges behilflich zu sein und mir mit seiner Erfahrung und seinen Verbindungen zur Seite zu stehen.

Am 13. Dezember liefen wir in den Hafen von Buenos Aires ein. Gleich am folgenden Morgen begann ich meine Nachforschungen, konnte jedoch weder durch Anfragen bei den Behörden noch durch Aufrufe in den Zeitungen etwas in Erfahrung bringen – die Lady Emma und ihr Geschick waren hier völlig unbekannt.

Mutlos und niedergeschlagen saß ich am vierten Tage nach meiner Ankunft am Fenster meines Hotelzimmers und starrte trübselig auf das rege südliche Straßengetriebe, als nach raschem Anklopfen Kapitän Hoskins bei mir eintrat. Ein Blick in sein Gesicht zeigte mir, daß ihn etwas Wichtiges hergeführt haben müsse. In seiner geraden, ohne Umschweife auf das Ziel losgehenden Art begann er auch sofort:

»Ich habe eine Spur, Mr. Moore. – Lassen Sie meine Hand los. Sie zerbrechen mir ja die Knochen!«

»Rasch – rasch!« bat ich.

»Die Seekönigin, ein Walfischfänger, der schon morgen segelt – er hat hier nur eine kleine Havarie ausgebessert – wurde auf der letzten Expedition durch widrige Winde weit nach Süden verschlagen und sichtete dabei auf einer Eisklippe ein gestrandetes Wrack.«

Ich stützte mich schwer auf die Lehne meines Stuhles und atmete tief und mühsam. Kaum vermochte ich zu fassen, was Kapitän Hoskins mir alles über die Seekönigin und ihren Führer erzählte.

»Der Kapitän des Walfischfängers ist ein Original,« sagte Hoskins, »ein wortkarger, zugeknöpfter Quäker – aber eine biedere Haut. Ich bin schon einmal vor mehreren Jahren in Kapstadt mit ihm zusammengetroffen und suchte ihn sofort auf, als ich von seinem Hiersein erfuhr. Ich hoffte nämlich, von ihm etwas über die Zustände da unten, wo Robben und Eisbären sich Gutenacht sagen, zu erfahren und habe mich ja auch nicht getäuscht. Sie werden gut tun, sich gleich fertig zu machen, Mr. Moore, ich bringe Sie bis an den Hafen und zeige Ihnen das Schiff; begleiten kann ich Sie leider nicht, ich muß sofort wieder an Bord.«

Es war ungefähr vier Uhr nachmittags, als wir unseren Gang antraten. Blendender Sonnenschein glitzerte auf den Fluten des La Plata, und in der grellen Beleuchtung sah die Seekönigin, ein kleines Schiff von etwa 400 Tonnen, mit ihren trüben Kajütenfenstern und ihrem scheckigen, abgeblätterten Oelfarbenanstrich vernachlässigt genug aus. Rasch verabschiedete ich mich von Kapitän Hoskins und sprang in das Boot eines farbigen Fährmannes, der nach wenigen Ruderschlägen neben dem Walfischfänger beidrehte. Forschend blickte ich an der Schiffswand empor und sah gerade in ein über die Reeling gebeugtes, kupferfarbiges Gesicht mit schwarzen Bartstoppeln.

»Ist der Kapitän an Bord?« rief ich hinauf.

»Jawohl,« klang es in heiterem Tone zurück.

»Ich möchte ihn in einer wichtigen Angelegenheit sprechen.«

Der Mann glotzte mich stumpfsinnig an, rührte sich aber nicht von der Stelle.

In meiner Ungeduld setzte ich meinen Fuß in die Kettenluke und schwang mich über die niedrige Schanzkleidung an Bord. An Deck herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander von Booten, Pumpen, Fässern und allerlei Geräten zum Walfischfang; mittschiffs bemerkte ich eine Vorrichtung zum Trankochen, und der widerliche Fettgeruch, den all diese Gegenstände ausströmten, legte sich mir beklemmend auf die Brust. Dazu waren die Deckplanken so schmierig und schlüpfrig, daß ich Mühe hatte, mich auf den Beinen zu halten.

Etwa zwanzig Matrosen lungerten in allen möglichen Stellungen untätig an Deck umher, rauchten ihre Pfeifen und spannen ihr Garn. Schon ein Blick zeigte mir, daß wohl selten ein Schiff eine bunter zusammengewürfelte Mannschaft besessen haben mochte als die Seekönigin. Alle Rassen und Nationalitäten schienen sich an Bord dieses Walfischfängers ein Stelldichein gegeben zu haben, und ebenso vielfarbig wie die Haut war auch die phantastische Kleidung dieser abenteuerlichen Gesellen mit ihren Binsenhüten, ihren grellroten Hemden und blauen Dungaree-Beinkleidern.

Die Leute nahmen nicht die geringste Notiz von mir. So schritt ich aufs Geratewohl dem Achterdeck zu, wo eben aus einer Luke neben dem Steuerrade eine lange, hagere Gestalt auftauchte, in der ich nach Hoskins' Beschreibung den Kapitän erkannte. Er trug einen alten, bis zum Halse zugeknöpften Gehrock, und ein breitkrämpiger Schlapphut hing tief in sein knochiges, glattrasiertes Gesicht. Gleichgültig blickte er mir entgegen.

Ich trat auf ihn zu und fragte, ob er der Kapitän dieser Bark sei. Auf seine mürrische Bejahung setzte ich ihm den Zweck meines Besuches mit fliegenden Worten auseinander.

»Ich möchte Sie um eine Auskunft bitten, die für mich von höchster Bedeutung ist,« begann ich. »Soeben teilte mir der Kapitän des Cambrian mit, Sie hätten südlich von Kap Horn auf einer Eisklippe ein gestrandetes Wrack gesichtet. In diesem Wrack vermute ich die Ueberreste der Lady Emma, die im vergangenen Juni durch einen Orkan entmastet und dann von der Mannschaft verlassen wurde. Nur drei Personen blieben an Bord zurück, der Kapitän, seine Frau und eine junge Dame – meine Braut. Ich bin aus London hierher gekommen, um etwas über ihr Schicksal zu ermitteln. Würden Sie die Güte haben, mir alles mitzuteilen, was Ihnen von der Lage und Beschaffenheit des Wracks noch erinnerlich ist?«

Der Kapitän hatte mich, während ich sprach, unverwandt angesehen, aber mit keinem Wort und keiner Bewegung unterbrochen. Als ich nun schwieg und vor innerer Erregung zitternd vor ihm stand, sagte er in freundlicherem Tone:

»Folge mir in die Kajüte, Freund, dort sollst Du alles erfahren, was ich selber weiß.«

Mit diesen Worten führte er mich eine enge Treppe hinunter in eine kleine verräucherte Kabine, die durch das blinde schmutzige Oberlicht nur so schwach erhellt wurde, daß sie trotz des sonnigen Tages in trübem Halbdunkel dalag. Mitten in der Kajüte stand ein plumper, viereckiger Tisch, dessen Platte mit zahllosen Rissen und Kerben bedeckt war, als ob schon Generationen von Walfischfängern darauf ihren Kautabak geschnitten hätten. Auch die übrige Einrichtung der Kabine wies Spuren starken Gebrauchs auf; das einzige Glänzende in dem düsteren Raume waren die sorgfältig geschliffenen blitzblanken Spitzen einer stattlichen Harpunenkolonne, die rings um den Stamm des Besanmastes aufgestellt und befestigt war.

Der Kapitän lud mich ein, Platz zu nehmen, und holte aus einem noch kleineren, noch düstereren Nebenraume das Schiffsjournal, das er in seiner bedächtigen, gelassenen Art vor sich auf die zerschnittene Tischplatte legte.

»Wie heißt Du?« fragte er mich, nachdem er sich gleichfalls gesetzt hatte.

Zu jeder anderen Stunde hätte die eigentümliche Sitte der Quäker, jeden Menschen zu duzen, mich wohl recht seltsam angemutet, heute jedoch achtete ich nicht darauf, sondern antwortete auf die Frage des Walfischfängers fast mechanisch:

»Archibald Moore.«

Der Kapitän ließ seine Blicke über die Blätter des Journals gleiten, bis er die gesuchte Seite gefunden hatte, und las dann mit halblauter, einförmiger Stimme:

»Wir sichteten das Wrack am Morgen des 13. Oktober. Die ganze Nacht hindurch hatte ein starker Sturm geweht, der erst gegen Sonnenaufgang nachließ, so daß wir unser Schiff vor den Wind bekamen. Doch ging die See so hoch, daß wir uns dem Wrack nicht nähern konnten; und wenn es ganz voll Menschen gewesen wäre – wir hätten nichts tun können.«

Sein ausgestreckter Zeigefinger glitt die Seite entlang bis zu einer anderen Stelle, dann fuhr er fort:

»Das Wrack liegt auf 60 Grad Breite und die Länge wird 45 Grad 28' West von Greenwich sein.«

Ich schrieb die Angaben sofort in mein Notizbuch.

»Obgleich der Schiffskörper auf einer Eisklippe gestrandet zu sein scheint, liegt er in Wirklichkeit auf einem Felsvorsprung der Krönungsinsel, dem westlichsten Ausläufer der Süd-Orkneys,« berichtete der Kapitän weiter. »Die Stelle ist vom Meere aus weithin sichtbar, wenn sie nicht inzwischen von Eisbergen blockiert worden ist.«

»Bekamen Sie das Wrack deutlich zu Gesicht?« fragte ich.

»Oh ja, ich konnte es während der Fahrt etwa zehn Minuten lang beobachten, bis es hinter einer vorspringenden Felsecke verschwand.«

»Wie sah es aus?«

»Es war ein großer, dunkler Kasten von etwa sechs- bis siebenhundert Tonnen.

»Fehlten die Masten vollständig?«

»Nein, es schien noch ein Fockmaststumpf vorhanden zu sein.«

»Dann ist sie's! Dann ist es die Lady Emma!« rief ich außer mir vor Erregung. »Als ihre Masten über Bord gingen, blieben etwa zwölf Fuß vom Fockmast stehen.«

Der Quäker nickte bedächtig, doch zeigte sein langes, hageres Gesicht nicht die geringste Spur von Teilnahme.

»Haben Sie irgend ein lebendes Wesen an Bord bemerkt?«

»Nein,« antwortete er, »das Wrack lag etwa dreißig bis vierzig Fuß hoch über der Brandung; wie es da hinaufgekommen ist – mag der Himmel wissen. Vielleicht hat das Eis es soweit in die Höhe geschoben, denn geraten die Eismassen erst einmal in Bewegung, dann ist ihnen kein Ding unmöglich.«

»Und keine Spur von Leben war an Bord zu bemerken?« fragte ich noch einmal dringender.

Der Kapitän schüttelte schweigend den Kopf.

»Sie sind ein alter Seemann,« fuhr ich fort, »halten Sie es für möglich, daß die drei Zurückgebliebenen noch am Leben sein können, falls das Schiff im vergangenen Juli dort gestrandet ist?«

»Schwerlich.«

»Ist das Wrack zugänglich?«

»Warum nicht! Die Küste der Süd-Orkneys ist doch schon früher von Schiffen besucht worden, und an windstillen Tagen, wenn die Brandung nicht so gefährlich ist, kann ein Landungsversuch wohl glücken.«

»Demnach wäre es nicht ausgeschlossen, daß die drei Schiffbrüchigen schon von einem andern Fahrzeug aufgenommen und in Sicherheit gebracht sein könnten?« fragte ich, fast atemlos vor Spannung.

»Möglich wäre das schon,« versetzte der Kapitän; »freilich nur dann, wenn das Wrack die ganze Zeit über sichtbar und nicht etwa durch Eisberge von der offenen See abgesperrt war.«

»Besitzen Sie eine Karte jener Gegend?« fragte ich.

Er nickte und erhob sich. »Ich bin Temperenzler,« sagte er, »und kann Dir weiter nichts anbieten als ein Glas Limonade.«

Mit hastigem Dank lehnte ich jede Erfrischung ab, worauf der Kapitän sein Loggbuch wieder in die Nebenkabine brachte und mit einer Karte zurückkam, die er auf dem Tisch ausbreitete. Meine Augen hatten sich jetzt so an das Zwielicht in der Kajüte gewöhnt, daß ich die Namen und Bezeichnungen, auf die der Kapitän wies, deutlich erkennen konnte. Der Standort des Wracks war eine Meeresbucht, die auf der Karte den Namen Palmerbay trug.

Auch das notierte ich mir in mein Taschenbuch und fuhr dann fort, den Walfischfänger nach allen möglichen Einzelheiten über das Wrack und dessen Lage auszufragen.

Nach zwei Stunden fuhr ich zurück an Land.

Ich war so aufgeregt, daß ich am ganzen Leibe zitterte, und die schweren Schläge meines Herzens mir fast den Atem raubten. Jede Minute war mir kostbar, und ich beschloß, sofort Kapitän Hoskins aufzusuchen, um mit ihm alles zu besprechen.

Ich traf ihn an Bord seines Schiffes im Gespräch mit dem Kaufmann, für den die meiste Ladung des Cambrian bestimmt war. Auf den ersten Blick merkte mir Mr. Hoskins meine Erregung an, verabschiedete sich so schnell wie möglich von dem fremden Herrn und führte mich in seine Privatkabine, wo wir vor jeder Störung sicher waren. Hastig teilte ich ihm das Ergebnis meines Besuches auf dem Walfischfänger mit und beschwor ihn, alles aufzubieten, um mir ein zu meiner Rettungsexpedition geeignetes Schiff zu verschaffen.

»Ruhig Blut, Mr. Moore, immer ruhig Blut,« erwiderte er auf mein stürmisches Drängen, »Ihr Wunsch kann vielleicht eher erfüllt werden, als Sie glauben. Sennor Guayra, der Herr, mit dem Sie mich vorhin sprechen sahen, erwartet morgen oder übermorgen mit der Brigg Albatroß eine Ladung rohe Häute aus Sidney. Glückt es Ihnen, den Kapitän dieser Brigg für Ihre Zwecke zu gewinnen, so könnte ich Sie nur aufs wärmste dazu beglückwünschen; denn der Albatroß wäre gerade so ein Schiff, wie Sie es brauchen. Der Albatroß ist ein sehr schneller Segler, und einen umsichtigeren, zuverlässigeren Seemann als Kapitän Cliffe können Sie nicht finden. Ich kenne ihn noch von seiner Steuermannszeit her und habe ihn schon damals schätzen gelernt. Ich rate Ihnen, sich mit ihm in Verbindung zu setzen, sobald der Albatroß einläuft.«

Ich war sofort Feuer und Flamme für den Plan und bat Kapitän Hoskins, mich gleich nach der Ankunft der Brigg mit seinem Kollegen bekannt zu machen.

Nun folgte für mich eine Reihe qualvoller Stunden, in denen fieberhafte Spannung und Erwartung im Verein mit der Untätigkeit, zu der ich augenblicklich verurteilt war, mich fast aufzureiben drohten.

Nach einer schlaflosen Nacht eilte ich am nächsten Vormittag alle paar Stunden an den Hafen, um die einlaufenden Schiffe zu beobachten. Aber meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn weder vor- noch nachmittags gelang es mir, das ersehnte Schiff in dem Gewimmel von Masten und Schornsteinen zu entdecken. Heftige Kopfschmerzen zwangen mich, gegen Abend frühzeitig mein Zimmer aufzusuchen, doch auch in dieser Nacht brachte erst der grauende Morgen mir einige Stunden dumpfen, unruhigen Schlummers.

Um neun Uhr früh schritt ich schon wieder suchenden Blicks den Kai entlang, und wie ein elektrischer Schlag durchzuckte es mich, als ich an einer mir wohlbekannten Stelle statt der schmierigen Seekönigin ein schmuckes, weißes Fahrzeug sich leise auf den Fluten des La Plata wiegen sah.

»Was ist das dort für ein Schiff?« fragte ich einen Matrosen, der eben den Saft seines Priemchens in kühnem Bogen ins Wasser spritzte.

»Der Albatroß, Sennor.«

»Oh!«

»Aus Sidney.«

»Wann ist er angekommen?«

»Gestern abend.«

Ein reichliches Trinkgeld war der Lohn für die willkommene Auskunft, und rasch eilte ich ins Hotel zurück, um ein paar Zeilen an Kapitän Hoskins zu schreiben. Der Portier empfing mich aber schon mit der Meldung, daß Mr. Hoskins in Begleitung eines anderen Herrn mich im Speisesaal erwarte.

Mr. Hoskins' Begleiter war eine höchst merkwürdige Erscheinung. Ein kleiner, kahlköpfiger Mann von fast zwergähnlicher Statur, mit rundem Rücken und krummen Beinen. Aus dem runzeligen Gesicht des etwa Fünfundfünfzigjährigen blinzelten ein paar graue, tiefliegende Aeuglein vergnügt in die Welt; unter einer stattlichen Nase hing ein kümmerliches graues Bärtchen über einen ziemlich breiten Mund mit schmalen Lippen, und das ganze Gesicht des Männleins arbeitete und zuckte unausgesetzt in den seltsamsten Grimassen.

Mr. Hoskins stellte mir den Fremden als Mr. Christopher Cliffe, Kapitän und Miteigentümer der Brigg Albatroß vor und ließ uns dann allein, da er eine wichtige Verabredung hatte.

»Hat Kapitän Hoskins mit Ihnen über meine Angelegenheit gesprochen?« fragte ich den Kapitän des Albatroß.

»Genug, um mir zu zeigen, daß Eile not tut,« war die Antwort.

»Der Walfischfänger Seekönigin,« fuhr ich fort –

»Ist heute morgen gesegelt,« schaltete mein Gegenüber ein.

»Er hat auf einer Eisklippe der Krönungsinsel ein gestrandetes Wrack gesichtet,« sagte ich, mein Notizbuch herausziehend, um nähere Angaben machen zu können. 48° 45' Süd und 45° 10' West wurde jenes Wrack auf hoher See von der Mannschaft verlassen, nachdem es kurz vorher durch einen Orkan aller drei Masten beraubt worden war. Nur drei Personen blieben an Bord zurück, darunter ein junges Fräulein, das mir teurer ist als mein Leben.«

»Und Sie vermuten jene drei Personen noch immer auf dem Wrack?« fragte Kapitän Cliffe, während jedes Fältchen in seinem Gesicht zitterte und zuckte.

»Das festzustellen, ist der Zweck meiner Reise,« erwiderte ich. »Kann ich Ihre Brigg dazu chartern?«

»Jawohl.«

»Wann ist sie segelfertig?«

»Ich hoffe bis nächsten Montag den Rest der Ladung gelöscht zu haben und stehe dann zu Ihrer Verfügung.«

»Haben Sie schon eine Mannschaft für die Reise?«

»Die ist nicht schwer zu beschaffen.«

»Wie groß ist Ihr Schiff?«

»Hundertsiebzig Registertons.«

»Und der Kostenpunkt?«

»Monatlich 30 Schilling per Tonne, wenn ich die Ausrüstungskosten trage, und 15 Schilling, wenn Sie es tun.«

»In welcher Zeit hoffen Sie die Krönungsinsel erreichen zu können?«

Kapitän Cliffe überlegte eine Weile, wobei er die unglaublichsten Fratzen schnitt; dann sagte er mit Bestimmtheit:

»In einem Monat.«

»Wann kann ich mir das Schiff ansehen?«

»Sofort, wenn Sie wollen.«

Ich ließ einen Wagen holen, und in raschem Trabe fuhren wir den Hafenanlagen zu. Mein Begleiter ging unterwegs immer mehr aus sich heraus und gefiel mir mit jedem Augenblick besser. Sein scharfer Verstand und sein klares Urteil berührten mich ebenso angenehm wie sein schlichtes, menschliches Empfinden. Er teilte meine Ansicht, daß jenes von dem Walfischfänger gesichtete Wrack auf jeden Fall die Lady Emma sein müsse, und bestärkte mich in meinem Vorhaben, zur Rettung der Schiffbrüchigen alles aufzubieten.

»Denn«, sagte er, »ehe die Regierung sich herbeiläßt, etwas für die Verunglückten zu tun, können sie längst zu Eissäulen gefroren und das Wrack in Stücke zerfallen sein. Es ist freilich auch nicht ausgeschlossen, daß die drei Zurückgebliebenen schon lange von vorübersegelnden Schiffen gerettet und in Sicherheit gebracht worden sind. Aber Sie haben recht, Mr. Moore, sich nicht auf diese unbestimmte Möglichkeit zu verlassen, sondern sich selber Gewißheit zu verschaffen.«

Nach kurzer Zeit hatten wir den Kai erreicht, von wo aus ein schnelles Ruderboot uns in ein paar Minuten an Bord des Albatroß brachte.

Die schneeige Weiße des Schiffskörpers erwies sich beim Näherkommen als nicht so ganz makellos, wie sie mir von weitem erschienen war, denn in der Nähe sämtlicher Eisenteile zeigten sich auf dem Holzwerk dunkle Rostflecken. Die Formen und Linien des Albatroß jedoch konnten getrost jeder näheren Betrachtung standhalten, und obwohl ich kein Fachmann bin, so drängte sich mir doch angesichts dieser vollendeten Proportionen die Ueberzeugung auf, daß ich mir für meine Zwecke kein schnelleres und besseres Fahrzeug wünschen könne.

Neben der Brigg lag ein Leichter, und ein Seemann mit dunkler Tuchmütze und hohen Stiefeln beaufsichtigte das Löschen der Ladung.

»Das ist Mr. Bland, mein Steuermann,« sagte Kapitän Cliffe; »ein tüchtiger Seemann.«

Der anheimelnde Eindruck, den das Schiff auf mich gemacht hatte, verstärkte sich noch bei unserem Rundgange an Bord. Auf dem geräumigen Vorderkastell bemerkte ich eine kleine, mit roten Ziegelsteinen gepflasterte Kombüse, in der Kessel und Pfannen vor Sauberkeit glänzten.

»Wieviel Boote besitzt der Albatroß?« fragte ich, als wir auf dem Achterdeck Halt machten.

»Zwei,« erwiderte der Kapitän.

»Ich glaube, wir werden damit nicht auskommen,« sagte ich nachdenklich. »Vor allen Dingen brauchen wir Boote, die geeignet sind, dem heftigen Anprall der Brandung standzuhalten, die an der Küste der Krönungsinsel und in der Nähe des Wracks besonders schwer sein soll.«

»Sie haben ganz recht, Sir,« antwortete der kleine Mann; »aber Sie brauchen mir nur Ihre Aufträge zu geben, dann besorge ich alles Notwendige. Voraussichtlich werden wir auch Steigeisen zum Erklimmen der Eiswand brauchen, und eine solide Strickleiter müssen wir ebenfalls haben.«

Damit stiegen wir die Kajütentreppe hinab, um uns auch in den unteren Schiffsräumen ein wenig umzusehen. Die Hauptkajüte war größer, als ich erwartet hatte, und machte trotz ihrer einfachen Ausstattung einen freundlichen Eindruck. Ein großes Oberlicht und mehrere Bullaugen ließen eine Fülle von Tageslicht ein, das sich in dem glänzend geputzten Messinggitter des Kamins und in den übrigen blitzblanken Geräten fröhlich wiederspiegelte. An die Kajüte stießen drei kleine Kabinen, von denen zwei augenblicklich zur Aufbewahrung von Lebensmitteln und Segelgerät dienten, aber – wie der Kapitän mir versicherte – jederzeit ausgeräumt und eingerichtet werden konnten.

Hochbefriedigt von der Besichtigung des Schiffes traf ich sofort die nötigen geschäftlichen Abmachungen mit Kapitän Cliffe und kehrte dann, zum erstenmal nach langer Zeit wieder in hoffnungsfreudiger Stimmung, in mein Hotel zurück.


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